7. Rafael
Der höchste Engel des siebenten Himmels, dessen Schaaren
den Menschenkindern gleichen.
Die dem Menschen zugegebenen Engel sind sieben
[Rand: Feraidal fewaid. S. 65.] an der Zahl, fünf
Schutzengel, und zwei Aufzeichner seiner guten und bösen
Taten. Zwei der ersten beschützen ihn des Tages, die zwei
anderen [Rand: Adschaib.] die Nacht hindurch, der fünfte
verlässt ihn weder bei Tag noch bei Nacht. Die beiden
Aufzeichner, der eine zur Rechten, der andere zur Linken,
halten Buch über alle seine Gedanken, Worte und Werke. Nach
den Schutzengeln (Hafaza) folgen die Schatzengel (Chazana),
das ist, die Türhüter des Paradieses, welche die Schätze
desselben bewahren. Der oberste derselben heißt Riswan. Die
Folterengel (Rebanye) sind über die Hölle gesetzt, ihr Haupt
heißt Maleb. Die Grabesengel, Munkir und Nikir, nehmen, sobald
der Mensch in die Erde gesenkt ist, im Grabe das erste Verhör
seines vergangenen Lebens vor, mild und sanft mit den
Gerechten streng und fürchterlich mit den Bösen. Der eine ist
schwarz, der andere blau1.
[Rand: Fereidal fewaid. S. 73.] Über die Engel, deren
Pflicht es ist, die Seele beim Scheiden vom Körper zu
übernehmen, hat die Überlieferung folgende Stelle aus
Mohammeds Munde aufbewahret: »Wenn der Tod dem Gerechten naht,
kommen die Engel des Paradieses mit einem weiß- seidenen
Tuche, und sagen: Zieh aus, o reiner Geist! zufrieden wie der
Herr mit dir zufrieden ist; zieh hin, zu Ruh und Gewinn; der
Herr zürnt dir nicht, Er weiset dir ein holdselig Angesicht.
Und er zieht aus wie Moschusgeruch, so dass die Engel
denselben von Hand zu Hand geben, des süßen Geruchs zu
genießen, bis sie kommen an des Paradieses Thor. Welch
herrlicher Duft, sagen die Hüter desselben, steiget herauf von
Erden! Die Engel bringen ihn zu den übrigen Gerechten, die
sich seiner freuen, wie Ihr Euch freuet über die Rückkehr
eines abwesenden Freundes. Die Einen fragen ihn um diesen und
jenen seiner Bekannten; belästiget ihn nicht mit Fragen, sagen
die Andern, er ist froh, dem Kummer der Erde entflohen zu seyn.
Aber der Gerechte antwortet ihnen doch: dieser und jener ist
gestorben, kam er denn nicht zu Euch? So ist er denn, sagen
die Engel, hinuntergegangen zu seiner Mutter der Hölle. Wenn
den Bösen die Todesangst peinigt, kommen die Folterengel mit
lumpichtem Tuch, und sagen: Zieh aus, unreiner Geist,
griesgramend wie der Herr dir grimmt, zieh aus zum ewigen
Graus, Geh ein zur Höllenpein!
Und er zieht aus mit Aasgestank; sie tragen ihn zu den
Pforten der Erde. Welch ein Gestank! sagen die Hüter
derselben, und sie bringen ihn zu den Verdammten.«
Die Zauberengel Harut und Marut sind aus Strafe für
Missetaten, die sie auf Erden begingen, in einem Brunnen zu
Babel mit eisernen Ketten an den Füßen aufgehängt, bis zum Tag
des Gerichts. Von ihnen lernten die Menschen die Zauberei.
Die Reiseengel bereisen die Erde nach allen [Rand: Adschaib.]
Richtungen, mischen sich unter die Gesellschaften der
Menschen, und leiten dieselben zum Guten als Missionarien der
Tugend. Endlich die Engel, welche für das Wachstum und
Gedeihen aller Steine,[11] Pflanzen und Tiere auf Erden Sorge
tragen, insgemein die Engel der Geschöpfe genannt.
Außer den sieben Chören der Cherubim, welche unter der
Anführung des Geistes, Gabriels, Michaels, Israfels, Israels,
Semhaels und Rafaels die sieben Himmel bewohnen, außer den
sieben Legionen der Schut- und Schatz-, der Folter- und
Gerichts-, der Zauber-, Reise- und Geschöpfe-Engel, welche auf
der Erde schweben und weben, schuf der Herr noch unzählige
himmlische Geister und Engel zu seinem Lob und Preis. Voll
prophetischer Begeisterung verkündigte Mohammed
[Rand: Feraidal-fewaid. 65.] einst von der Kanzel die
folgenden Worte: »Gott der Herr hat die Himmel durchfurcht,
und mit Scharen von Engeln besäet. Einige derselben liegen
anbetend auf ihrem Gesichte, ohne dasselbe zu erheben, andere
halten beständig das Knie gebeugt, ohne sich je
niederzuwerfen, oder aufzurichten. In unveränderliche Reihen
gescharet, singen sie unaufhörlich Lob und Preis. Kein Schlaf
kömmt in ihre Augen, Verstandesschwäche und Körperträgheit,
und vergesslicher Sinn befällt sie nicht. Einige derselben
sind die Boten der Offenbarung, die Gottes Wort seinen
Gesandten bringen, andere die Vollstrecker seiner Befehle;
einige die Beschützer der Menschen. Andere die Hüter der
Pforten des Paradieses; – Tag und Nacht preisen sie den Herrn,
und fürchten ihn, und thun, was Er befiehlt.«[12]
Wiewohl sich die Zahl der Menschen, Dschinnen, Tiere und
Engel eigentlich nicht berechnen lässt, so hält man folgendes
Verhältnis ihrer Anzahl für das richtigste:
Das ganze Menschengeschlecht ist ein Zehntel des
Dschinnengeschlechtes; beide zusammen ein Zehntel der Land-,
und diese ein Zehntel der Seetiere. Die Summe aller derselben
ein Zehntel der zum Schutz der Menschen auf der Oberfläche der
Erde waltenden Engel. Diese wieder nur ein Zehntel der Engel,
so im ersten Himmel wohnen, und so fort nach derselben
Stufenleiter, bis in den siebenten und höchsten Himmel, und
zum Gezelte Gottes.
Wie die Engel aus Licht, so werden die Dschinnen (Genien)
aus Feuer erschaffen, und ihnen die Erde zur Herrschaft
eingeräumt, auf der sie lange vor der Erschaffung Adams
hausten, unter einer Dynastie von vierzig, oder, nach Andern,
von siebzig Salomonen, deren Wesir Simurg der berühmte
Vogelgreis war2.
Die Gestalten dieser Salomonen, so wie der Völker, [Rand:
Herbel. Soliman.] die sie beherrschten, lassen an
Sonderbarkeit und Abenteuerlichkeit die wildeste
Einbildungskraft weit[13] zurück. Vielköpfig, vielarmig,
vielfüßig, vielleibig, mit Löwenrachen und Drachenschwänzen,
und Pferdehufen und Bocksfüßen. Dies sind die Dschinnen oder
Diwe, die nach Adams Erschaffung von der Erde verjagt wurden,
vor ihm aber die Herrschaft derselben ausschließlich besaßen3.
Gott schuf, wie schon gesagt, Dschan Ben Dschan, den Vater
des Dschinnengeschlechtes, aus Feuer, und aus seiner Rippe die
Mutter des Dschinnengeschlechtes, wie er in der Folge Eva
schuf aus der [Rand: Mesudi XLVI. Cap.] Rippe Adams. Diese kam
mit dreißig Eiern nieder, aus denen sich die verschiedenen
Geschlechter von Dschinnen oder Diwen, welche damals die ganze
Erde bevölkerten, und heute noch das Gebirge Kaf, und die
Wüsten Afrika's bewohnen, entwickelt haben4.[14]
Ob auch die Peri's, diese zarten, schönen, lieblichen
[Rand: Peri. Herb.] Geschöpfe, die Feen und Grazien des
Dschinnistans, und die Takwins, die wahrsagenden, [Rand:
Tacouin. Herb.] Schicksal verkündigenden Schwestern, die
Parcen und Sibyllen der voradamischen Welt, den Eiern der
Dschinnenmutter entschlafen, oder nicht vielmehr besonders von
Gott aus Duft, wie der Dschinnenvater aus Feuer, und die Engel
aus Licht, erschaffen worden seien, ist ungewiss.
Wahrscheinlicher das Letzte. Denn aus Dust gebildet, zarter,
durchsichtiger Gestalt, leben die Peri's nur von Wohlgerüchen,
und schweben wie unsere ihnen nahverwandten Elfen in luftigem
Reigen über Blumen dahin.
Was unterm Monde gleicht
Uns Peris flink und leicht?
Wir spiegeln uns im Thau
Der sternenhellen Au.
Wir tanzen auf des Baches Moos,
Mir wiegen uns am Frühlingsspross,
Und ruhen in weicher Blumen Schoß.
Matthisson5.
Die Takwins, nicht minder schön als die Peri's, [Rand:
Herb. Tacouin] mit Fittigen leicht beschwinget, gaben den
Salomonen der voradamischen Welt Aufschluss über die Zukunft
durch Orakelsprüche, und Rath in schwierigen Fällen. Aber ihr
erster hochbetrauter Staatsrat war doch immer der weise Greis,
der ungeheure Vogel [Rand: Herb. Simory.] Simurganka, der sich
noch am Hofe Salomons, des Sohnes Davids, als Repräsentant der
Vögelgeschlechter einfand, seitdem aber in trüber
Abgeschiedenheit auf dem Gebirge Kaf lebt als Staatsmann in
der Einsamkeit6.
[Rand: Herb. Salomon.] Die sieben Reichskleinodien dieser
Salomonen voradamischer Welt waren eben so viele Talismanen,
um deren Besitz spätere Helden, und vorzüglich die alten
Könige Persiens die Züge ins Gebirge Kaf unternahmen, und so
manches Abenteuer mit diesen und Diwen ritterlich bestanden.
Nämlich:
Der Siegelring, das Symbol der höchsten Herrschaft über die
Dschinnen, so hernach in Salomons, des Sohnes Davids, Besitz
geriet, und wodurch er ward zum Herrn und Meister der Menschen
und der Geister.
Der diamantne Schild, den Kajunerß, der Stifter der
ältesten persischen Dynastie, auf der Insel Ceilon fand, und
seinem Sohne Huscheng vererbte.
Der undurchdringbare Harnisch.
Das Flammenschwert.
Der Reiger von Simurgs Federn, den in der[16] Folge König
Tahmuraß zuerst aufsetzte, seit wann Reigerbüsche zum
königlichen Hauptschmucke geworden.
Der Becher, später in Dschemschids Händen das Symbol der
Vortrefflichkeit, des Glanzes, der segenreichen Fruchtbarkeit.
Der Spiegel, oder das weltenerleuchtende Glas, worin
Alexanders Eroberergenie die ganze Welt vor sich ausgebreitet
erblickte7.
Die Residenzstadt der voradamischen Dschinnenkaiser hieß
Fanum, sie war zugleich die Hauptstadt der ganzen Erde. Als
dieselbe noch von Diwen, und nicht von Menschen bewohnet ward,
musste alle Macht und Herrschaft nur in Einem Punkte
versammelt sein. Die gesamten Symbole derselben mussten nur
Einem, und zwar dem Stärksten der Dämonen angehören, damit er
die unbändige Wut der übrigen zu zähmen vermöchte. Als aber
Menschen an die Stelle der Dämonen traten, wurde die
Alleinherrschaft der Erde unter mehrere Könige verteilt. Denn
die Strahlen der Macht, im Brennpunkt der Weltherrschaft
gesammelt, sind wohl für Dämonen, aber nicht für Menschen,
nötig und leidentlich. In der Folge der Zeiten war ein
einziger der sieben genannten Talismane genug, um seinem
Besitzer außerordentliche Macht und Herrschaft über seine
Zeitgenossen zu verschaffen. So ward Huscheng durch den
Schild, Thamuraß durch den Reiger, Salomon durch den
Siegelring, Dschemschid durch den Becher der Fülle, Alexander
durch den Eroberungsspiegel unsterblich in der Geschichte.
Welchem Herrscher das Flammenschwert ward, ist uns nicht
bekannt, noch weniger, welchem der Harnisch, sich dagegen zu
verteidigen.
[Rand: Herb. Djan.] Dschan Ben Dschan, der letzte der
voradamischen Salomonen, füllte die Erde mit Unrecht und
Empörung durch Uebermuth und Missbrauch der Weltherrschaft. Da
sandte Gott einen seiner Engel Iblis, oder auch Hereß, das
ist, der Hüter genannt, auf Erden die Dschinnen zu bändigen,
und sie von ihren Wohnsitzen zu verbannen, weit hinter das
Gebirge Kaf. Zugleich beschloss Er, die Erde künftig mit einem
neuen Geschlechte zu bevölkern, dem Geschlechte [Rand:
Tabari.] der Menschen. Denn Iblis hatte sich des Besitzes der
Erde, die er von Dschinnen gereinigt hatte, durch den stolzen
Gedanken, dass er der Engel höchster, und allein der
Herrschaft der Erde wert sei, vor dem Angesicht des Herrn
derselben unwürdig gemacht.
[Rand: Koran.] Ich will, sprach der Herr zu den Engeln, mir
einen Stellvertreter setzen auf Erden; wirst du einen setzen,
fragten die Engel, der Verderbnis übe, und Blut vergieße? Ich,
entgegnete der Herr, weiß allein, was ihr nicht wisset.
Gott befahl also dem Engel Gabriel, auf Erden [Rand:
Tabari.] niederzusteigen, und eine Handvoll Erde zu nehmen,
woraus er den Menschen erschaffen möge. Gabriel senkte seinen
Flug dorthin, wo heut das heilige Haus die Kaaba steht. Was
willst du? fragte ihn die Erde. Eine Handvoll von dir, woraus
der Herr seinen Stellvertreter schaffen will, der dich
beherrschen soll. O Gabriel, antwortete die Erde, bei Gott dem
Schöpfer aller Dinge! beschwör' ich dich, verschone mich mit
diesem Auftrage. Dieser Stellvertreter der Gottheit wird mich
mit Sünden und Blut bestecken, sich wider den Herrn empören,
und mich zum Mitschuldigen seiner Verbrechen machen wollen.
Gabriel kehrte unverrichteter Dinge zum Herrn zurück, dem er
vom Flehen der Erde Bericht gab. Gott erteilte denselben
Auftrag dem Engel Michael, der ebenfalls mit leeren Händen
zurückkam. Ihm folgte Israfel, und als auch dieser durch die
Bitte der Erde bewegt sich seines Auftrags nicht entledigte,
erteilte Gott denselben dem Todesengel Israel. Dieser
unerbittlich, und unbewegt durch Tränen nahm eine Handvoll
Erde; das ist, vierzig Joche von allen Gattungen von Erden,
denn soviel umfasst die Handvoll des Todesengels.
Hieraus schuf Gott den Körper des ersten Menschen, und
befahl den Engeln, denselben auf die Erde[19] zu legen, noch
ein unförmliches Gebilde aus mannigfaltigem Lehm geformet.
Vierzig Jahre lang lag er den Strahlen der Sonne ausgesetzt,
durch deren belebende Kraft sein Äußeres und Inneres zur
vollkommenen schönen menschlichen Gestalt ausgebildet ward.
Die Engel strömten in Haufen herbei, dies sonderbare
unbeseelte Gebilde anzustaunen, keinen beschäftigte es mehr,
als Iblis, den stolzen Hüter der Erde. Als der Mund und die
Nasenhöhlen geformet waren, kroch er hinein, und durchschloff
alle Adern und Höhlungen dieses neuen Kunstwerks der
Schöpfung. Da war alles hohl und leer, und ohne Leben und
Geist, und als er wieder herausgekrochen war, sprach er zu den
Engeln seinen Gehilfen: Das ist. Nichts, denn was sollte aus
dem Leeren wohl werden! Sollte dies der Stellvertreter auf
Erden werden, so verjage ich ihn daraus, wie ich das
Geschlecht der Dschinnen verjaget habe, was meinet ihr? Wir
gehorchen, antworteten sie, den Befehlen des Herrn. Er hat uns
dir zu Gehilfen gegeben, das Geschlecht der Dschinnen zu
vertreiben, Er ist dein und unser Herr!
Iblis, der die Abneigung der Engel, sich wider die Befehle
des Herrn zu empören, einsah, antwortete für diesmal: Es ist
gut, was ihr meinet, ist auch meine Meinung. Um nun den Körper
zu beleben, befahl der Herr dem Geiste hineinzuziehen. Der
Geist, als er sah, wie eng und finster, und ungemächlich[20]
die ihm bestimmte Wohnung sei, weigerte sich dessen. Da sprach
der Herr: Zieh ein, o Geist, mit Widerwillen, und dann zieh
aus zur Straf' mit Widerwillen. Der Geist gehorchte, ging ein
durch den Mund, in die Brust, in das Herz. Die Lungen hoben
sich, das Herz strömte Blut aus. Von da stieg er auf in den
Kopf, und als er ins Gehirne gekommen war, da nieste Adam und
öffnete die Augen. Sage: Lob sei Gott, sprach ihm Gebriel, der
zunächst stand, in das Ohr. Lob sei Gott, wiederholte Adam,
und seine Enkel, die Moslimen, wiederholen es seitdem, so oft
sie niesen.
Des ersten Menschen erste Begier, sobald er Augen und Mund
geöffnet hatte, war nach Speise, es hungerte ihn, und er
verlangte zu essen, denn der Geist rumorte schon in dem Magen.
Doch vermochte er nicht aufzustehen, um seinem Wunsche Genüge
zu leisten, denn der Geist war noch nicht in die Lenden und in
die Füße vorgedrungen. Als er aber den ganzen Körper beseelet
hatte, und die Engel das Meisterstück der Schöpfung vor sich
sahen, in aufrecht stehender gegen Himmel gerichteter Gestalt,
priesen sie den Herrn und sprachen: Lob sei Dir, wir wissen
nur, was Du uns lehrtest; sagt ichs [Rand: Koran.] Euch nicht,
erwiderte der Herr, ich weiß die Geheimnisse des Himmels und
der Erde, ich weiß, was ihr offen haltet und verborgen.
Den ersten Ausdruck des Gefühls von Dankbarkeit und
Lobpreis, hatte Gabriel dem Menschen in den Mund gelegt, aber
die Bezeichnung seiner Begriffe mit Namen lehrte ihn Gott der
Herr selbst. Er lehrte ihn die Namen der Thiere und Pflanzen,
und Steine, und schenkte ihm den ganzen Reichthum der Sprache,
so wie er ihm die Herrschaft über alle Thiere und andere
Geschöpfe auf Erden verlieh. Nun befahl er auch den Engeln,
dem Vater der Menschen zu huldigen, und sie huldigten ihm
Alle, ausgenommen Iblis der Stolze, welcher sich weigerte, den
neuen Herrn der Erde anzuerkennen.
Was hindert dich, ihm zu huldigen, fragte ihn der Herr. Wie
sollte ich, antwortete er, huldigen einem sterblichen
Geschöpfe, das du erschaffen aus Erde. So verlass, sprach der
Herr, die Erde, Verruchter, und sei bis an den Tag des
Gerichts verflucht!
Iblis, verlor die himmlische Gestalt, von nun an ein
verworfener Engel, oder Teufel, Satan, der Verruchte, der
Verfluchte.
[Rand: Ibn Kessir.] Er verließ die Erde, und schlug seinen
Thron auf über den unermesslichen Wassern des Meeres, umgeben
von den Ungeheuern der grundlosen Tiefe; den Vater der
Menschen hingegen trugen die Engel ins Paradies Gottes, wo er
zuerst von den Früchten des Paradieses genoss, und dann in
süßen Schlummer sank.[22] Während er schlief, formte Gott aus
seiner Ribbe Eva seine Gefährtin, die Mutter der Menschen, und
gab ihnen das Paradies zum Genusse, einen einzigen Baum
ausgenommen, den Baum des Getreides, der erst seit dem Falle
Adams zur Ähre verkrüppelt ist. So genoss Adam durch hundert
Jahre mit seiner Gefährtin des Paradieses und des Umgangs der
Bewohner desselben, das ist, der Geister und Seelen der
Propheten, welche Gott zugleich mit Adams Geiste erschaffen
hatte, und welche das Paradies bewohnen, so vor als nach ihrem
vorübergehenden Aufenthalte auf Erden.
Adam grüßte sie mit den Worten: Heil sei Euch, (Selem
aleikum), und sie erwiderten den Gruß mit Euch sei Heil (Aleikum
selem); dies ist also der Gruß des Paradieses, mit dem sich
noch heut die Moslimen befreunden. Auf der Stirne dieser
verklärten Geister, welche in späten Jahrhunderten erst auf
der Erde verkörpert erscheinen sollten, war die Zahl ihrer
Lebensjahre mit leuchtenden Buchstaben angeschrieben. Wer,
fragte Adam den Herrn, wer ist der Mann, mit dem Seherblick
hoher Begeisterung, und der von Wohllaut schwellenden Lippe,
dem nur vierzig Jahre an die Stirne geschrieben sind?
Es ist, antwortete der Herr, dein Sohn David, der fromme
König, der hohe Sänger. O so lege ihm, flehte Adam, sechzig
Jahre von meinem Leben zu, und Gott willfahrte dem Vater der
Menschen. In dessen sann Satan, voll listiger Rathschläge, wie
er Adam verführen, und des Paradieses, dessen er selbst
verlustig geworden, berauben möchte. Hundert Jahre lang war er
um die hohen demantenen Mauern geschlichen, um die Gelegenheit
zu erspähen, wo er sich unbemerkt hinein stehlen könnte; aber
umsonst, der Engel Riswan, der wachsame Hüter der Pforten des
Paradieses, wies ihn immer mit flammendem Schwert zurück.
Endlich fand Satan eines Tages die Schlange, die sich außer
den Mauern des Paradieses ins Gras gelagert hatte, sich dort
zu sonnen. Sie hatte damals nicht die heutige verworfene
Gestalt, sondern war ein schönes Tier mit Füßen und Händen,
und Flügeln, nach dem Menschen das schönste. Satan überredete
sie, dass er, einer der ersten Cherubim, nur in zeitliche
Ungnade bei Gott gefallen sei, bald aber zur vorigen Gunst
zurückkehren werde, wo er sich dann erkenntlich zeigen wolle,
wenn sie ihm itzt nicht den kleinen Dienst versagte, ihn, von
Riswan unbemerkt, ins Paradies zu tragen. Die Schlange ließ
sich betören, erlaubte, dass er in ihren Mund kroch, und
schwärzte ihn so unter der Zunge über die Schwelle des
Paradieses.
Satan nahte sich Adam in seiner wahren Gestalt, und gab
sich ihm zu erkennen für den in die allerhöchste Ungnade
gefallenen Cherubim Iblis. Du befindest dich, Adam, sprach er,
sehr wohl hier, nur Schade, dass es nicht ewig währen soll!
Und warum[24] nicht? fragte Adam. Hat man dir denn nicht
verboten, von der Frucht jenes Baumes zu essen, dies ist der
Baum des ewigen Lebens, dessen Genuss Euch die ewige Fortdauer
des itzigen Glückes gewähren würde. Adam weigerte sich lange,
Satans Einsprechungen Gehör zu geben, da wandte er sich an
Eva, die er mit weniger Müh überredete, und dieser kostete es
nur süßer Schmeichelworte, um Adam zum Genuss der verbotenen
Frucht zu bewegen. Aber kaum hatte die Frucht ihre Kehle hinab
geglitten, als sich das Gewand des Paradieses von ihren
Körpern löste; Adam und Eva waren nämlich am ganzen Leibe mit
einem hornartigen, weichen, glänzenden, rothen Panzer
bekleidet, der nun Stück für Stück herabfiel; nur an den
äußersten Enden der Finger und Zehen blieben einige
Überbleibsel davon zurück, die Nägel, den Menschenkindern zum
ewigen Angedenken, dass ihre Eltern das Paradies verloren; und
auch diese Reste des paradiesischen Flügelkleides verlören
alle Ähnlichkeit damit, wenn reinliche Sorgsamkeit sie nicht
von Niednägeln und Auswüchsen, womit die indische Natur
dieselben stets verunstaltet, zu säubern besorgt wäre. Die
Frauen, denen der Verlust des schönen paradiesischen Kleides
am nächsten zu Herzen geht, ersetzen die ursprüngliche Farbe
desselben, an den Nägeln mit dem hellen Roth Henna.
Als sich Adam und Eva am ganzen Körper entkleidet sahen,
die Spitzen der Finger und Zehen ausgenommen,[25] schämten sie
sich gegenseitig. Gott aber sprach in seinem Grimm: Steigt
hinunter zur Erde ein feindlich Geschlecht. Adam, Eva, Satan,
und die Schlange, jedes seiner Missetat bewusst, klammerten
sich an die vier Äste des Kornbaums in Angst vor dem Grimme
des Herrn. Er entwurzelte ihn und schleuderte ihn aus dem
Paradies hinab auf die Erde, wo Adam auf die Insel Serendib (Ceilon),
Eva in die Gegend um Mekka, die Schlange auf Isfahan, Satan in
Kermans salziger Wüste, die Frucht des Baumes aber, das
Getreidekorn, auf die ganze Erde verbreitet, niederfiel, als
Nahrung bestimmt den Menschenkindern, unter dem Schweiß ihres
Angesichts zur Strafe des Ungehorsams ihrer Eltern.
Adam war auf den höchsten Berg gefallen in Ceilon, der noch
heute seinen Namen trägt. Reuevoll blieb er auf seinem
Gesichte liegen, und vergoss Tränen der bittersten Reue. Aus
seinen Tränen sprossten alle die großen Bäume Indostans wie
der Kokosbaum, die Myrobolane und andere. So lag er hundert
Jahre, ohne das Gesicht aufzuheben, oder seinen Tränen Einhalt
zu tun. Da sandte der Herr, der nicht sein Verderben wollte,
den Engel Gabriel zu ihm. Gabriel nahm ihn sanft beim Arme,
hob sein Haupt auf und sprach: Gott der Herr lässt dich grüßen
und dir sagen, er habe dich ja nicht ohne Zweck erschaffen, er
habe dich ja nicht umsonst ins[26] Paradies gesetzt, und dir
eine Seele gegeben. Zu was das Weinen, und unnütze Klagen!
Ach! Gabriel, erwiderte Adam mit großem Schluchzen, ich weine
um die verlorne Nachbarschaft des Herrn, von dem ich nun so
weit entfernt bin. Betrübe dich nicht unmäßig, sprach Gabriel,
und lies einmal dahier. Hier hielt er ihm eine Rolle mit
folgendem Verse des Korans hin:
Lob Dir, es ist kein Gott als Du! Herr, ich erkenne meine
Missetat, und habe bös gehandelt gegen meine Seele. Verzeihe
mir, denn Du bist der Beste der Verzeihenden. Lob Dir, es ist
kein Gott als Du!
Adam las, und der Herr nahm seine Reue an. Darob vergoss
Adam einen neuen Strom von Tränen, aber nicht von bitteren der
Reue, sondern von süßen der Freude, aus denen Hyacinthen,
Violen und andere wohlriechende Blumen sprossten.
Nun hungerte Adam zum erstenmal auf Erden. Gabriel brachte
ihm das Korn und lehrte ihn, wie er die Erde pflügen, dasselbe
säen, ernten und kochen müsse, lehrte ihn auch die Zubereitung
der sauren Milch, Hogurd genannt. Als Adam gegessen hatte,
fühlte er neue Notdurft, die ihm im Paradiese unbekannt
geblieben war, denn dort verdufteten die Speisen, und suchten
keinen Ausweg; auch hierin schaffte ihm Gabriel Erleichterung.
Adam hatte damals noch die ganze Körpergröße, mit der er
erschaffen worden war, wie aus seinen noch heut auf dem
Adamsberg gezeigten Fußstapfen zu ersehen. Gabriel
geschmeidige seinen für die Erde zu großen Körper, indem er
ihn mit seinen Flügeln vom Haupte gegen die Erde
zusammendrückte. Adam durchwanderte nun die Erde, und war bis
in die Gegend von Mekka gekommen, ohne Ruhe zu finden, denn
rastlos trieb ihn die Sehnsucht nach der verlornen himmlischen
Wohnung auf Erden umher. Gott sandte ihm seinen Boten Gabriel,
der sagte ihm: Adam! umsonst ist hier auf Erden dein Streben
nach Ruhe, aber um deine Sehnsucht nach himmlischer Wohnung
nur einigermaßen zu stillen, sendet dir der Herr aus dem
Paradies ein Haus aus funkelndem Rubin. Gabriel setzte es
gerade auf der Stelle nieder, wo heut die Kaaba steht. Der so
hoch verehrte schwarze Stein war einer von den Steinen jenes
himmlischen Hauses, ursprünglich ein hellstrahlender
paradiesischer Stein, der nur durch das Berühren sündiger
Menschen finster und schwarz geworden. Gabriel lehrte Adam den
Umgang ums himmlische Haus, so wie er noch heute bei der
Pilgerschaft nach Mekka um die Kaaba gehalten wird. Adam
befand sich nun nicht ferne von Eva. Sie fanden und erkannten
sich das erstemal auf dem Berge Arafet, der deshalben der Berg
der Erkenntnis heißet. Sie schlachteten Lämmer, und
verfertigten sich aus den Fellen derselben die ersten Kleider.
Iblis, der noch immer das Glück des Menschen, selbst
nachdem er gefallen, beneidete, fing an, dem Herrn zu flehen:
Herr, mein Gott! So viele Aeonen habe ich Dir gedient, in
jedem Himmel bin ich dreihundert Jahre lang anbetend vor dir
auf dem Gesicht gelegen, und doch hast Du mich von Deinem
Throne verstoßen, erhöre doch wenigstens eine meiner Bitten.
Verfluchter, Verruchter! antwortete Gott, du bist auf Ewigkeit
verworfen, und aus dem Paradiese verstoßen, aber eine andere
Bitte als die, um Rückkehr in meine Gnade, will ich dir
gewähren aus ewiger Huld. Herr! flehte Satan, gib mir vom
wahren Wege Verirrtem, dass ich die Menschenkinder vom wahren
Wege verführen dürfe. Meines Versprechens und meiner Ehre
halber, antwortete der Herr, sei dir die Bitte gewähret. –
Sogleich knüpfte Satan mit Adam die alte Bekanntschaft an.
Vater der Menschen, sprach er zu ihm, wir sind nicht gemacht,
aufeinander immer zu grollen. Lass uns Freunde sein, ich bin
ja dein älterer Bruder, und um einen Kopf größer als du. Adam
nahm das Anerbieten an, und nannte sogar eines seiner Kinder
nach ihm Abdahareß, doch starb es zwei Jahre nach seiner
Geburt. Seine übrigen Kinder vermählte er untereinander. Abel
und Cain, Zwillinge, liebten beide eine ihrer Schwestern, die
doch nur Einem von ihnen werden konnte. Sie kamen überein,
beide dem Herrn ein Brandopfer zu bringen, und wessen Opfer
von himmlischem Feuer entzündet würde, dem werde die
Schwester. Abel, als Hirte, legte ein Lamm, Cain, als
Ackersmann, legte Garben auf dem Altar. Eine Flamme vom Himmel
entzündete das Opfer des Ersten, das angenehmere dem Herrn.
Neid und Eifersucht erstickten die Gefühle der Bruderliebe im
Herzen Cains. Die Erde ward mit dem ersten Menschenblute durch
Brudermord gerötet.
Adam wusste, dass seine bestimmte Lebenszeit 1000 Jahre
sei. Als nun der Todesengel erschien, seine Seele zu fordern,
entrüstete sich Adam, weil noch vierzig Jahre von tausend
fehlten. Hast du denn vergessen, sagte der Todesengel, dass du
mit vierzig Jahren deines Lebens dem König David ein Geschenk
gemacht. Ach! entgegnete Adam, damals war ich im Paradiese und
wusste nicht, wie teuer das Leben auf Erden sei, meine
Schenkung hat keine Kraft. Der Todesengel ließ sich abspeisen
mit der Antwort, aus Ehrfurcht vor dem Vater der Menschen,
aber nach vierzig Jahren kehrte er wieder, und Adam übergab
seinen Geist ohne Widerrede in dessen Hände.
Sobald der Mensch
Sich selbst in düstrer Grabesdämmerung
Erblickt und um sich her die Toten schaut,
Begrüßt er sie als Freunde und Bekannte,
Und jammert laut: –
Noch klaget er, und schon erscheinen die
Zwei Engel des Gerichts und fragen ihn;
Sag an: Wer ist dein Gott? Wer dein Prophet?
Wer dann an schönen Werken reich sich fühlt,
Der singt frohlockend wie die Nachtigall;
Wer aber voll von Sünden ist, –
Dem öffnen weit der Hölle Pforten sich u.s.w.
Von den letzten Dingen. Deutscher Merkur.
Julius 1796.