11. Saleh
Themud, einer der ältesten arabischen, so wie Aad
verloschenen Stämme, bewohnte ein Felsenthal im nordwestlichen
Arabien, und hatte sich seine Wohnungen in Stein gehauen. Noch
heut bestaunen die Karawanen auf ihrem Wege von Syrien nach
Mekka dieses außerordentliche Thal mit seinen Grotten und
Felsenwohnungen, und gehen beschleunigten Schrittes und mit
großem Geschrei durch, nach dem Beispiel des Propheten, um das
fürchterliche Geschrei des dorthin verbannten Kameels Saleh's
nicht zu vernehmen. Diese Felsenstadt heißt Hadscher die
steinerne, bei den alten Geographen Petra, wovon das ganze
umliegende Land den Namen des steinigten Arabiens erhalten.
Das Volk Themud, von dem der Koran sagt, sie gruben ihre
Wohnungen in die Felsen, betete Idole an; Um es zu bekehren,
sandte ihnen der Herr den Propheten Saleh, ihren Bruder, wie
der Koran sagt, das heißt, einen aus ihrer Mitte.
Lange predigte er ihnen, aber sie verlachten ihn nur, und
forderten von ihm Zeichen, als Beweise seiner Sendung. Und was
für ein Zeichen begehrt ihr denn? – Begehre vom Herrn, dass
der Fels sich spalte, und ein Kamel herausgehe mit rotem
Schweif, und seinem Jungen, dass beide grasen, und trinken,
und dann wollen wir deinen Worten Glauben beimessen, o Saleh.
Das ist dem Herrn nur ein Spiel, erwiderte Saleh, aber ihr
Ungläubigen werdet auch dann nicht glauben wollen, werdet das
Kamel töten, und den Grimm des Herrn auf Euch laden. – Nein!
nein! wir töten es nicht!
Saleh wandte sein Gesicht zu dem Herrn und flehte; da
kreisten die Felsen, als ob sie in Geburtsnöten wären, der
Berg spaltete sich, und ein Kamel mit rotem Schweife ging
heraus, mit seinem Jungen. Beyde weideten, wie die anderen
Kamele, und gingen dann zur Tränke zum einzigen Brunnen des
ganzen Stammes Themud.
Da tranken die beiden Kamele so viel, dass mehrere Männer
wasserlos blieben, die dann darüber groß Geschrey erhoben. Ihr
habt es ja selbst begehrt, da Felsenkamel mit seinem Jungen,
sprach Saleh, hütet Euch nun, demselben etwas zu Leide zu tun,
wenn ihr nicht in die Strafe des Herrn verfallen wollet;
teilet mit dem Kamele das Wasser, so dass einen Tag Ihr, und
den andern das Kamel mit seinem Jungen trinke. So wird das
Wasser genügen. Hütet Euch, Hand anzulegen an dasselbe, sonst
wird Euch der Herr vertilgen in seinem Zorn.
Das Volk, erschreckt durch des Propheten Drohung, teilte
sich mit dem Felsenkamel in das Wasser des Brunnen, so dass
einen Tag das Volk, den andern die beiden Kamele tranken. Dies
hielten sie durch dreißig Jahre, während deren Saleh ihnen
unaufhörlich prophezeite, sie würden dennoch zuletzt das Kamel
töten, und auf sich laden den Grimm des Herrn. Vielleicht
hätten sie's längst getan ohne diese Prophezeiung. Sie
enthielten sich der Freveltat nicht aus Furcht des Herrn,
sondern um seinen Gesandten Lügen zu strafen. Ein hartnäckiges
Volk, wie der Felsen, in den es sich eingegraben. Des
Propheten Wort schien auf dessen Starrsinn berechnet.
Du bist ein Lügner, sagten sie zu Saleh. Dreißig Jahre sind
verflossen, während deren wir das Wasser den Lippen absparten,
um deine Kamele zu tränken. Du siehst sie weiden wohlgemut,
ungeachtet deiner Prophezeiung, dass wir sie töten, und ins
Zorngericht des Herrn fallen würden.
O ihr Felsenherzen und Steinköpfe! Der Mörder des Kamels
wird dieses Jahr geboren werden. – An was sollen wir ihn
erkennen? – An roten Haaren und Katzenaugen. Lasst uns den
Seher Lügen strafen, sprachen sie unter einander, und jedes
neugeborne Kind, das diese Zeichen trägt, aus dem Wege räumen.
Neun Weiber waren dieses Jahr mit so gezeichneten Kindern
niedergekommen, und die neun unschuldigen Kinder wurden
gemordet, den Seher Lügen zu strafen. Nun ward auch das zehnte
geboren mit roten Haaren und Katzenaugen, aber die Väter der
neun Gemordeten, die ihren Verlust beweinten, stimmten dafür,
dass man es leben lasse. Denn, seht ihr nicht, sagten sie,
dass Saleh seine Prophezeiungen auf unsern Eigensinn baut, wie
wir unsere Häuser auf Felsen, und dass er uns nun auch unserer
Kinder berauben möchte, wie seit dreißig Jahren des Wassers.
So ließen sie das Kind am Leben, und schworen den Untergang
des Sehers.
Als der Knabe zwölf Jahre alt geworden, und die Väter der
neun Gemordeten denselben in voller Jugendblüte erblickten,
schwoll ihnen das Herz neuerdings von Rache. Sie stellten sich
in nächtlichen Hinterhalt, den Propheten zu töten, aber der
Fels stürzte über ihnen zusammen, und begrub sie. Das Volk,
entrüstet über den Verlust ihrer Brüder, ergrimmte gewaltig
wider den Propheten; Hinweg, schrieen sie von nun an, mit
Saleh und seinem Kamele, wir bedürfen weder des einen noch des
andern. Der Aufruhr gohr, und als das Kamel zum Brunnen ging,
erschlug dasselbe der zwölfjährige bösgeartete Knabe mit roten
Haaren und Katzenaugen.
Das Junge entfloh in die Felsen. Hab' ichs Euch nicht
vorausgesagt, sprach Saleh, ihr würdet das Kamel töten, und
Euch des Gerichts des Herrn schuldig machen, geht und bringt
wenigstens das Junge zurück. Sie folgten den Fußtapfen
desselben zwischen die Felsen, aber sie fanden es nicht; sie
hörten dreimal das Geschrei desselben, aber sie sahen es
nicht.
In drei Tagen, verkündete Saleh, ergeht über Euch das
Gericht des Herrn. Da erhob sich von der Wüste der brennende
Odem Samum's, und fuhr über die Felsen, die unter seinem
Hauche erglühten. Mit gelben Gesichtern flüchteten sich die
Bewohner der Steinstadt in ihre Felsenwohnungen.
Keine Kühlung, keine Erfrischung gewährte die Nacht. Am
andern Morgen war keine Sonne sichtbar, und doch brannte
weiterum der Gesichtskreis, ein flammender Kessel,
hochaufqualmend von siedendem Dunst und Sand. Das Wasser sott
in dem Brunnen, das Blut in den Adern, die Felsen waren bis
ins Innerste durchglüht, und die Bewohner derselben brannten
mit rothen Gesichtern. Am dritten Morgen war der Himmel
verfinstert, voll Asche und Rauch, wie eine ausgebrannte
Kohle, Heißer, und[43] mit jedem Hauch heißer, stieß die Hölle
ihren Odem aus; es gohr und glomm, und sott und schmolz, wie
im tiefsten Abgrund, Gluten ohne Glanz und Flammen ohne
Schein.
Ein fürchterliches Getümmel, Donnerhall und Felsengekrach,
untermischt mit Sturmgeheul, worein das Geschrei des
unsichtbaren Kamels tönte, erscholl von allen Seiten, und die
Leiber des Volks Themud schrumpften in schwarze Mumien
zusammen.
Dies wird gemeint durch die Stelle des Korans: Sie thaten
Frevel, und es erscholl der Schall, und der Morgen fand sie
erstarrt in ihren Wohnungen.
Saleh, und nur die an ihn glaubten, wurden gerettet; so der
Koran: Und nachdem unser Gericht vollzogen war, retteten wir
Saleh, und die da glaubten.
[Rand: Ibn Kessir.] Als Mohammed auf seinem Zuge gegen
Tebub in dieses Tal gelangte, und die Kamele am Brunnen
gewässert waren, wollten mehrere seiner Gefährten die
Felsengrotten besuchen, um die Reste des Volks Themud zu
besehen. Der Prophet verbot es aber, die Wohnungen eines
Volkes, das den Zorn des Herrn auf sich geladen hatte, zu
besuchen, und zog mit beschleunigtem Schritte der Kamele
durchs Tal. Seitdem befolgen alle Karawanen das Beispiel des
Propheten, und ziehen, ohne sich aufzuhalten, mit
beschleunigtem Schritte und mit lautem Geschrei, um des
verirrten Kamels Geschrei nicht zu hören, vorbei.