18. Jusuf
Von allen Geschichten der Vorzeit ist die Geschichte
Jusufs1 die schönste, die lehrreichste, die süßeste. Eine
ganze Sura des Korans ist derselben gewidmet, und der Herr
bereitet seinen Propheten darauf vor durch den Eingang: Wir
wollen dir erzählen die schönste der Geschichten. Noch ein
Kind, ward er von seiner alten Base schon so herzlich geliebt,
dass sie sich von ihrem Bruder Jakob die Erlaubnis, den
kleinen Jusuf bey sich im Hause zu erziehen, als die größte
Gnade ausbat. Jakob willigte darein, aber bald fühlte er
selbst die Abwesenheit seines innigst geliebten Kindes so
sehr, daß er es zurückverlangte. Seine Schwester konnte weder
das Begehren ihres Bruders verweigern, noch sich von[66] ihrem
Schoßkind trennen. Sie sann auf eine List, wie sie den
geliebten Neffen länger behalten könne. Nach Abraham's Gesatz
wird der Freie, der im Hause Etwas entwendet, zum Leibeignen.
Sie umgürtete den kleinen Jusuf mit einem aprikosenfarbnen
Gürtel, einem Erbstück Abrahams.
Jakob kam, sein Schoßkind zurückzufodern, die Schwester
empfing ihn mit Geschrei über den verlornen Gürtel, den Jemand
im Hause entwendet haben müsse; man suchte und fand denselben
bei Jusuf, den die Hausfrau sogleich nach Abrahams Gesatz auf
zwei Jahre als ihren Leibeignen erklärte. Was Jusuf itzt
erfuhr, sollten später seine Brüder durch ihn erfahren. Mit
gleicher List, wie er im Hause der Base zurückbehalten ward,
sollte er einst Benjamin in Ägypten zurückbehalten. Die
Begebenheiten der Kindheit sind oft Vorboten der späteren
Lebensgeschichte.
Die Base starb, Jusuf kehrte ins väterliche Haus zurück, wo
ihn die Brüder um die Liebe des Vaters beneideten, und weil er
im Schlafe Gesichte der Zukunft sah, als Träumer schalten. Sie
wollten ihn töten, auf Juda's Vorbitte erhielten sie ihn am
Leben, und ließen ihn an einem Stricke in einen tiefen Brunnen
hinunter, der an dem Wege nach Jerusalem liegt. Aus der Mitte
des Wassers ragte ein Stein hervor, worauf sich Jusuf setzte,
bitterlich weinend aus Hunger und Kälte, denn sie hatten
ihm[67] das Hemde vom Leibe genommen. Begehr' es, sagten sie
ihm, von der Sonne, dem Mond und den Sternen, die Dir im
Traume gehuldiget haben. Das mit Schafblut besprützte Hemde
brachten sie Jakob, der bitter weinte ob seines geliebtesten
Sohnes Verlust; doch glaubte er die Fabel vom Wolfe nicht,
weil das Hemde ganz und nicht zerrissen war.
Eine Karawane Araber zog am Brunnen vorbei auf ihrem Wege
nach Ägypten. Malek, der Anführer derselben, mit seinem
Sklaven Buschra, gingen hin um Wasser zu schöpfen. Jusuf
klammerte sich an den Eimer. Verwundert über die Schwere
schaute Malek in den tiefen Brunnen hinunter, und siehe, er
war ganz erleuchtet von Jusufs Wangenglanz, den Stein und
Wasser zurückspiegelten.
Heil uns! o Buschra, rief Malek, ein schöner Knabe! Jusuf
erzählte ihnen seine Geschichte, und sie versprachen, ihn an
Kindesstatt anzunehmen. Die Karawane war kaum einige Schritte
fortgezogen, als sie von Jusufs Brüdern, die ihn nicht mehr im
Brunnen gefunden hatten, eingeholt ward. Sie wurden bald eins
mit Malek, dem sie ihren Bruder um zwanzig Pfennige
verkauften.
In den Städten, wo die Karawane durchzog, ward Alles in
Aufruhr gesetzt durch Jusufs Schönheit; Um solch Unheil zu
vermeiden, setzte ihn Malek in eine Senfte mit siebenfachem
Schleier verhüllt, aber[68] seiner Wangen Glanz drang
hindurch. So wenig lässt sich wahre Schönheit durch Schleier
verhüllen.
Als sie in Memphis angekommen waren, ward Jusuf ausgesetzt
zum Verkaufe auf dem Sklavenmarkt; Frauen und Männer überboten
weit ihr Vermögen, um den schönen Knaben zu besitzen.
Ein altes Weib, das mühsam ihr Bröd erbettelte, legte den
einzigen Pfennig hin, den sie hatte, und schrie und lärmte,
als sollte sie den schönen Knaben ersteigern; durch seine
Schönheit verblendet, hatte sie den Werth eines Pfenniges in
Vergleich mit hunderttausend Goldstücken, die geboten wurden,
vergessen; sie legte demselben den Werth ihrer Begierde bei,
der (das glaubte sie zu fühlen) in Vergleich mit jedem andern
Anbot der höchste war. Sie bot, was sie vermochte. Säcke auf
Säcke mit Goldstücken gefüllt wurden ausgeschüttet. Solch
einen Kauf konnte nur der Wesir und Großschatzmeister Ägyptens
erstehen, Futifar der Sohn Amri's. Die Wesire Ägyptens hießen
mit einem allgemeinen Namen Afis, so wie die Könige, Faraone.
Der damals herrschende Farao war Rijan, der Sohn Welids, aus
dem Geschlechte der Amalekiten.
Futifar war ein Verschnittener, hatte aber ein Harem, wenn
nicht des Vergnügens, doch des Staates halber. Seine erste
Gemahlin war Suleicha, eine schöne, wollüstige Ägyptierin.
Futifar übergab ihr den schönen Jüngling, dass sie seiner mit
Sorgfalt pflege. Jusuf war damals im siebzehnten Jahre seines
Alters, in der höchsten Blüthe der Schönheit und Jugend. Sechs
Jahre lang war er im Hause des Wesirs, die sieben folgenden im
Kerker. Mit dreißig Jahren erschien er am Hof und in seinem
vierzigsten erst, im Alter des Verstandes und der Körperreife,
ward ihm die Gabe des Prophetentums verliehen.
Sechs Jahre lang hatte Suleicha alle Künste der feinsten
Koketterie erschöpft, um Jusuf, der eben so blöde als schön
war, ihre Begierden einzuflößen. Umsonst hatte sie alle Reize
der Locken und Braunen, der Wangen und des Busens seinen Augen
preis gegeben, die sich nie von der Erde erheben wollten. So
mächtiger Liebesreiz, so lange Entbehrung könnte auch außer
dem Harem eines Verschnittenen und im kälterem Land kluge
Frauen zur Vergessenheit weiblicher Scham und Würde bringen.
Suleicha allein mit Jusuf im heimlichen Schlafgemach begehrte
von ihm mit Mund und Hand, was sonst nur die Männer von Frauen
begehren, und was diese nicht versagen, wenn sie lieben. Der
Baum war schön, der Apfel reif, und stark die Lust; nie hätte
Jusuf trotz des Prophetenblutes, das in seinen Adern wallte,
her mächtigen Versuchung widerstanden, hätte er nicht im
Augenblick, wo er unterliegen wollte, das Zeichen des Herrn
geschaut. Ober dem Thronhimmel des Bettes sah er Jakob den
Propheten seinen[70] Vater hereinwinken mit ernstem Gesichte
und drohendem Finger; er hörte vernehmlich die Worte: »Jusuf,
Jusuf, was beginnst Du? Noch schwebst Du in Lüften, ein
leichtbeschwingter Vogel, um einst auf dem Baume des
Prophetentums aufzusitzen. Hüte Dich, dass Du nicht ohne
Schweif und Schwingen zur Erde niederstürzest.«
Jusuf ergriff die Flucht, Suleicha lief hinter ihm her, ihn
beim Hemde fest zu halten. Das Hemde zerriss: Jusuf zur Türe
hinaus, Suleicha ihm nach. Vor der Thüre stand Futifar der
Wesir und der Oheim seiner Frau. Suleicha, um ihre Ehre zu
retten, beschuldigte Jusuf eines Angriffs auf dieselbe. Jusuf
verteidigte sich mit der Wahrheit. Auf des Oheims Ausspruch
sollte das Hemde von vorne oder von rückwärts zerrissen
Jusuf's oder Suleicha's Schuld bestätigen. Da es von rückwärts
zerrissen war, erkannte Futifar selbst seines Weibes
Verleumdung, aber als ein billiger und weiser Wesir verzieh er
des Weibes Schuld (woran er selbst nicht unschuldig) und
rettete des Harems Ehre (das ist seine eigene) indem er Jusuf
in den Kerker sandte.
Dessen ungeachtet ward die Wahrheit der Geschichte ruchtbar
in der Stadt, und alle Frauen von Memphis ereiferten sich
gewaltig über Suleicha. Sie lud dieselben zum festlichen Mahl,
und bat sich vom Wesir die Gnade aus, dass Jusuf aus dem
Kerker geholt werden dürfe. Als das Mahl vollendet war, wurden
Orangen aufgesetzt, und alle Frauen waren begriffen, dieselben
mit Messern zu schälen. In diesem Augenblicke trat Jusuf ein,
den Sorbet auftragend. Aller Augen waren unverwandt auf ihn
gerichtet. Seine Schönheit hatte sie Alle gleichsam der Sinne
beraubt. Sie wussten nicht, was sie taten, die Augen auf Jusuf
geheftet schnitten sie mit den Messern statt in die Orangen
sich in die Hände, und zerschnitten dieselben, ohne es nur
einmal zu fühlen, so sehr waren sie im Anblicke der Schönheit
versunken; euere blutenden Finger, ihr tugendhaften Frauen,
rief die Hausfrau, sind Suleicha's Rechtfertigung.
Im Kerker befanden sich mit Jusuf, der Truchseß und
Mundschenk Farao's; beide in den Verdacht verfallen, dass sie
auf Anstiften eines griechischen Gesandten ihren Herrn
vergiften wollten, der erste mit Recht, der zweite mit
Unrecht. Jusuf legte ihnen den bekannten Traum aus, und bat
den Mundschenk, dass wenn er an des Königs Tafel stehn würde,
er sich seiner erinnern wolle. Er baute die Hoffnung seiner
Befreiung aus dem Kerker auf die Fürsprache des Mundschenken,
statt auf Gott zu vertrauen. Er schmachtete sieben Jahre lang
im Kerker, weil, wie der Koran sagt, Satan ihn des Herrn
vergessen gemacht hatte.
Noch versprach er sich immer Erlösung durch Fürsprache des
Mundschenken, als Gabriel erschien. »O Jusuf, wer hat Dich
erschaffen? – Gott der Herr. Wer hat dir solche Schönheit
verliehn? – Gott der Herr. Dein Vater hat zwölf Söhne, wer hat
ihm vor allen die große Liebe zu Dir eingeflößt? – Gott der
Herr. Wer gab deinen Brüdern in den Sinn, dass sie Dich statt
zu töten in den Brunnen warfen? Gott der Herr. Wer rettete
Dich aus dem Brunnen? Gott der Herr. So Vieles hat der Herr
für Dich getan, Jusuf, wie kannst Du auf ein Geschöpf
vertrauen ob der Rettung aus dem Kerker!« Jusuf ging in sich,
weinte bittere Tränen der Reue, und vertraute fortan dem Herrn
allein, der ihn aus dem Kerker, wie dann in der Folge sein
Volk aus der Gefangenschaft rettete.
Farao träumte von sieben Ähren und sieben Kühen. Keiner
seiner Traumausleger wusste das Gesicht zu deuten. Der
Mundschenk erinnerte sich des Traumauslegers im Kerker, und er
ward vor den König gebracht.
Farao redete ihn in sieben Sprachen an, und in [Rand: Ibn
Kessir.] sieben Sprachen gab Jusuf Red' und Antwort. Er war
gerade dreißig Jahre alt, in der Blüte männlicher Kraft und
Erkenntnis. Auch die Diener des Königs deuteten Träume, und
sprachen in vielerlei Zungen; was aber Jusuf vor ihnen voraus
hatte, war Klugheit und Willensstärke, das ist, Seherblick und
Herrscherkraft, die unumgänglichen Erfordernisse des
Prophetentums.
»Durch sieben Jahre wird der Nil Aegyptens Felder
befruchten mit schwellender Flut, und Überfluss und Fülle wird
herrschen im ganzen Land. Durch sieben andere Jahre wird kein
Regen die Wasserbehälter des Stromes füllen, und keine
segnende Fluch die Felder decken. Dies ist die Deutung der
sieben fetten und mageren Ähren, der sieben fetten und mageren
Kühe.«
Farao ernannte Jusuf sogleich zum Aufseher der königlichen
Vorratshäuser und aller Magazine, deren er eine große Anzahl
erbaute. Noch heute weiset man in Altkairo die Stelle, wo
Jusufs Kornhäuser gestanden haben sollen, auf deren Grund
Jusuf der Sultan aus der Familie Ejub andere erbaute.
Bald hernach machte ihn Farao zum Schatzmeister des
Reiches, und gab ihm Suleicha zur Frau, die ohnedies bisher im
Harem des Wesirs eine ungebohrte Perle geblieben war.
Sieben Jahre hatten an ihrer Schönheit und an ihrer Liebe
zu Jusuf nichts geändert, aber es reute sie des Vergangnen,
und die Furcht in Jusufs Achtung verloren zu haben peinigte
sie.
Was sie vom Liebling begehrt hatte, verweigerte sie dem
Gemahl, wiewohl sie ihn nicht weniger liebte, wiewohl sie
denselben harten Kampf bestand zwischen Scham und Begier, wie
vor sieben Jahren, nur dass damals diese, und itzt jene Sieger
blieb. So ward aus der sinnlichsten Liebe die enthaltsamste.
Das Weib, das Jusuf nicht berühren wollte,[74] als sie
eines Andern Gemahlin war, ließ sich von ihm nicht berühren,
als sie die seinige geworden, und für die Verschmähung des
verbotenen Genusses musste er des erlaubten entbehren. Durch
dieses dem gewöhnlichen Laufe der Dinge so widersprechende
Verhältnis ward Jusufs und Suleicha's Roman im Morgenland zum
Vorbild sinnlicher und enthaltsamer, seltner und sonderbarer
Liebe!
Die Spötter weiblicher Tugend könnten freilich die Frage
auswerfen, ob Suleicha, ungeachtet solcher und so seltner
Enthaltsamkeit, in ihrem zweiten Ehestande, in ihrem ersten,
und eh sie Jusuf kannte, keinem andern Manne sich schwach
gezeigt und bloß gegeben habe; hierauf aber dienet zur
Antwort, dass alle Propheten die sonderbare Gnade von Gott
haben, reine und treue Weiber zu finden. Die Frau eines
Propheten ist schon dadurch, weil sie eines Propheten Frau
ist, weit über die leiseste Zumuthung solcher Art erhaben.
Zwar bemerken die Spötter weiters, dass selbst Alexander der
Eroberer und Moses der Gesetzgeber Hörner getragen, dass
dieser damit abgebildet, jener sogar in der Geschichte
Sulkarnein d.i. der Zweihörnige genannt wird. Allein diese
Hörner waren anderer Art; bei diesen Ausstrahlungen des
göttlichen Lichtes, bei jenem Symbole der Kraft und der
Stärke, weshalben auch noch in unsern Tagen der größte
Gesetzgeber und Eroberer mit vollem Rechte und in allen Ehren
der Zweyoder[75] Vielhörnige genannt werden könnte. Doch
hievon zur Genüge. Wie Jusuf sich seinen Brüdern zu erkennen
gab, und seinen Vater nach Ägypten rief, ist bekannt. Jakob
hatte nie an seines Sohnes Leben verzweifelt, denn er hatte
einst den Todesengel im Traume gesehen und ihn gefragt, ob er
Jusuf's Seele in Empfang genommen, was dieser verneinte.
Auch führte ihm der Südwind von Zeit zu Zeit Gerüche von
Jusufs Hemde zu, deren Duft des alten Patriarchen Hoffnungen
belebte. Als Jakob nach Aegypten kam, war Jusuf vierzig Jahre
alt, Wesir und Prophet, nach sieben Jahren starb Jakob, den
Jusuf drei und zwanzig Jahre überlebte, so dass er in Allem
siebzig Jahre alt ward. Seinen Brüdern und ihren Nachkommen
hatte er das Land Goschen, heute Belbis genannt, eingeräumt.
Fußnote
Jusufs Name strahlt im ganzen Morgenlande als das Ideal von
Körper und Seelenschönheit. Die Wirkungen der einen und der
andern verketten sich durch sein ganzes Leben. Die Schönheit
des Körpers ist nur dann vollkommen, wenn sie zugleich der
Ausdruck einer schönen Seele ist; die Schönheit der Seele ist
das moralisch Gute. Jusuf ist das Muster der Schönen und
Guten, von Allen bewundert, von Allen geliebt.