31. Die Wage
[Rand: S. 226.] In derselben werden alle guten und bösen
Werke abgewogen, mit der größten Genauigkeit, und findet sich
des Guten nur so viel mehr, als das Gewicht eines
Sonnenstäubchens beträgt, so erhält der Sünder Verzeihung.
Nach der Meinung der größten Gottesgelehrten wird nur das
Leben derjenigen Menschen abgewogen, die an das jüngste
Gericht, und Himmel und Hölle glauben; die Freigeister[310]
aber, die von alle dem Nichts glauben, werden ungewogen
verdammt.
Im Koran heißt es von der Wage:
Die Wage ist aufgestellt am Tage des Gerichtes. Glücklich
sind diejenigen, deren gute Werke überwiegen, diejenigen
hingegen, deren gute Werke zu leicht befunden werden, haben
ihre Seelen ins Verderbnis gestürzt, weil sie unsere
Wunderzeichen Lügen strafen wollten. Am Tage des Gerichts,
sprach der Prophet nach einer von Ins aufbehaltenen
Überlieferung soll die verschriebene Tinte der
Gottesgelehrten, und das vergossene Blut der Glaubenshelden
gegen einander abgewogen werden, und die Tinte das Übergewicht
über das Blut behalten.
Nach der Meinung der Meisten wird es nur eine einzige Wage
geben für alle Menschen und ihre Handlungen. Nach Andern soll
jeder Mensch mit besonderer Wage und Gewicht gewogen werden,
nach seinen verschiedenen Naturanlagen und Fähigkeiten, und
Lebensumständen.
Wasserbecken. [Rand: Feraid. S. 227.]
Auf dem Gerichtsplatze sind so viele Basins als Propheten;
jeder derselben trinkt aus dem seinigen ehe er ins Paradies
eingeht, um sich den Leib von Allem Irdischen zu
reinigen.[311]
Der größte und schönste dieser Basins ist der des Propheten
Mohammeds. Er selbst hat mehr als einmal davon gesprochen:
Von einem Ecke meines Wasserbeckens bis zum andern ist ein
Monat Weges; das Wasser ist weißer als Milch, und duftender
als Moschus; die Trinkgeschirre zahlreicher als die Sterne des
Himmels; wer einmal davon trinket, den dürstet nimmer.
Und nach einer andern Überlieferung:
Das Bette meines Beckens besteht statt aus Sand, aus Perlen
und Rubinen; die Erde rund umher duftet besser als Moschus,
das Wasser ist süßer als Honig, und kälter als Schnee. Ich
werde mich der Erste zum Becken verfügen, und dort Eurer
warten; wer dahin kömmt und davon trinket, der dürstet nimmer
nach Irdischem, und wer nach Irdischem nicht dürstet, der geht
ins Paradies ein.
Weiters nach einer Überlieferung von Ins:
Vier Säulen stehen um mein Wasserbecken. Die erste umfasst
Ebubekr, die zweite Omar, die dritte Osman, die vierte Ali mit
der Hand. Wer den Ebubekr liebt, und dem Omar zürnt, dem gibt
Ebubekr nicht zu trinken; wer den Osman liebt, und dem Ali
zürnt, dem gibt Osman nicht zu trinken. Wer den Omar liebt,
und dem Ebubekr zürnt, dem gibt Omar nicht zu trinken; wer den
Ali liebt, und dem Osman zürnt, dem gibt Ali nicht zu trinken.
Wer vom Ebubekr Gutes spricht, dessen Glaube ist befestiget.
Wer vom Omar Gutes spricht, dessen Islam liegt am Tage. Wer
von Osman Gutes spricht, ist mit Gottes Licht erleuchtet. Wer
von Ali Gutes spricht, schwingt sich zu höherem Ziel empor.
Wer von meinen Jüngern Gutes spricht, ist ein Rechtgläubiger,
und wer Böses spricht, ein lasterhafter Betrüger.
Und wieder nach einer andern Überlieferung:
Ich stehe dann (am Tage des Gerichtes) am Becken, und harre
der Kommenden. Man wird Einige zurückweisen wollen, ich aber
werde sprechen: »O Herr! sie sind von mir und meinem Volke.
Aber du weißt nicht, wird mir zur Antwort werden, was sie nach
dir getrieben haben auf Erden.« Dann sprech' ich für sie beim
Herrn.
Nach einer von Omar selbst aufbehaltenen Überlieferung
sprach der Prophet:
Das Paradies ist allen Propheten verschlossen, bis ich
werde hineingegangen sein, und es wird verschlossen sein allen
Völkern, bis hineingegangen sein wird das meinige.
Über die Art, wie die Bösen am Tage des Gerichts vorgeladen
werden, belehrt uns die folgende von Hafis Ebun-naim und von
Sianddin Caab aufbewahrte Überlieferungsstelle:
Gott der Herr wird zu den Folterengeln sprechen: Schleppet
diejenigen aus Mohammeds Volk, die große Verbrechen begangen
haben, ins ewige Feuer. Dann greifen die Folterengel die
Männer beim Bart, die Weiber bei den Haaren, und schleppen sie
fort.
Die härteste Behandlung am Tage des Gerichts erleiden
diejenigen, so die Diener Gottes auf Erden am härtesten
behandelt haben.
Wer das Gebet sorgfältig verrichtet, erhält Erleuchtung,
und Zurechtweisung, und Rettung von den Peinen des Gerichts.
Die Richter und Vorsteher, die Emire und Wesire, werden am
Tage des Gerichts herbeigeführt mit auf den Rücken gebundenen
Händen, um Rechenschaft zu geben von ihrer Herrschaft und
Verwaltung.
Die Scheidungsbrücke. [Rand: Feraid. S. 234.]
Nachdem nun auf diese Art die guten und bösen Werke
abgewogen sein werden, geht der Zug nach der Brücke Sirat. Die
Menschen teilen sich in Haufen nach ihren verschiedenen
Religionen, und folgen dem Gegenstande ihrer Verehrung, der
vor ihnen hergeht.
Die, so die Sonne angebetet haben, folgen der Sonne, die
Anbeter des Mondes dem Monde, die Götzendiener ihren Götzen in
die Hölle.
Die Brücke Sirat ist über die Hölle gespannt, und mit
derselben zugleich erschaffen worden. Nach der Meinung der
glaubwürdigsten Imame ist dieselbe dreitausend Jahre Weges
lang. Tausend Jahre steigt man mit dem Bogen empor, tausend
Jahre geht man eben fort, und tausend Jahre lang senkt sich
der Bogen. Sie ist feiner als ein Haar, und schärfer als ein
schneidend Schwert. Die verschiedenen rechtgläubigen Völker
gehen stillschweigend über dieselbe unter Vortritt ihrer
Propheten, die allein den Mund zu öffnen und zu Gott zu flehen
wagen. Sie beten mit lauter Stimme: Sellim! Sellim! das ist:
Rette uns, rette uns, o Herr! denn die Flammen der Hölle
schlagen wild und fürchterlich empor von beiden Seiten der
Brücke, aus den Tiefen des Abgrunds; aber auf Gottes Befehl
bilden sie einen kühlenden Laubengang, unter dem die
Rechtgläubigen mit ihren Propheten unbeschädigt weggehen.
Der Gang und Schritt selbst der Rechtgläubigen wird
verschieden sein nach ihren verschiedenen Verdiensten. Die
Propheten werden hinüber wandeln den Gang des Blitzes, die
großen Gottesgelehrten und Kirchenväter wie reißende
Sturmwinde; die Blutzeugen wie Pferde im vollsten Wettrennen;
die Frommen in gutem Posttrab. Die Ungläubigen und
Lasterhasten hingegen wie Esel und Maulesel, schwer bebürdet
mir ihrer Sündenlast. Sie können sich unmöglich im
Gleichgewichte erhalten, sondern stürzen haufenweise hinab in
den Abgrund der Hölle von der Brücke, die auf diese Art die
Guten von den Bösen scheidet.
Über die Schnelligkeit dieses Überganges der Gerechten darf
man sich um so weniger einen Zweifel erlauben, als man davon
in der Natur täglich Beispiele hat, und der Allmacht Gottes
nichts unmöglich ist. Wirklich werden einige Heilige so
schnell hinübergeführt werden, dass sie gar nicht wissen
sollen, dass sie die Scheidungsbrücke und die Hölle passiert
haben. Wo? werden sie bei ihrem Eintritt ins Paradies die
begleitenden Engel fragen: wo ist die Brücke Sirat und das
Höllenfeuer geblieben? Wir haben die Brücke passiert, werden
die Engel antworten, und das Höllenfeuer habt ihr nicht
gesehen, weil es vom Glanze Eures Angesichts verdunkelt ward.