106. Ishak von Mossul
Ishak von Mossul, der berühmte Tonkünstler und vertraute
Gesellschafter des Chalifen Mamun, ging eines Abends durch
eines der engen Gässchen von Bagdad. Er stieß mit dem Kopfe
gegen etwas, das zwar wich, gleich aber wieder auf seine
Stelle zurückkam, und ihn ein andermal vor den Kopf stieß. Er
tappte im Finstern, um zu sehen, was es wäre, und fand, es sey
ein Korb, der an einem vom zweiten Stockwerk des Hauses
herabgelassenen Stricke frei in den Lüften hing. Ohne viel zu
überlegen, setzte er sich in den Korb, der auf der Stelle in
die Höhe gezogen ward. Oben empfingen denselben vier
Sklavinnen, die den Gast herausnahmen, und in einen herrlich
erleuchteten Saal führten.
Bald hierauf rauschte ein Vorhang auf, und eine Schaar von
Mädchen trat aus dem innern Gemache in den Saal; die einen mit
großen silbernen Leuchtern, die andern mit musikalischen
Instrumenten in der Hand. Die Frau vom Hause, die eben so
leicht durch die Schönheit, als durch die Pracht, mit der sie
ihre Mädchen überstrahlte, kenntlich war, setzte sich nieder,
und fragte den Tonkünstler, wie er seinen Weg hierher
gefunden, und wer er sei. Ishak gestand die Wahrheit über die
sonderbare Art seiner Hieherkunft, verschwieg aber seinen
wahren Namen, und sagte, er sei ein Leinweber seines
Handwerkes. Sei willkommen, sprach sie, wenn du einige
Anekdoten oder Lieder weißt, um zum Vergnügen unserer
Gesellschaft das Deinige beizutragen. Das ist die ganze
Forderung, die wir an dich stellen. Ishak improvisierte
sogleich einige Verse, welche die Frau vom Hause überzeugten,
dass er ihrer Gesellschaft nicht unwürdig sey. Man schwätzte,
fabelte, improvisierte, und sang die ganze Nacht hindurch.
Endlich ließ sich die Dame eine Laute bringen, auf der sie
erst vorspielte, und dann eine der berühmtesten Arien Ishak's
von Mossul, die sie selbst sang, begleitete. – Kennst du
dieses Lied, fragte sie? – Nicht im geringsten, antwortete er.
– Nun die Worte sind von dem und dem, und die Musik von Ishak.
Ich zweifle nicht, erwiderte der Gast, dass Ishak dieses Lied
deinen schönen Augen zu Ehren in Musik gesetzt hat. – Ei warum
nicht gar! – Ich würde mich allzuglücklich schätzen, wenn ich
diese Worte nur einmal aus seinem eigenen Munde singen hören
könnte. Die Nacht verfloss unter solchen Gesprächen und
Gesängen. Gegen Morgen trat eine alte Frau herein, und entließ
die Gesellschaft mit den Worten: Genug für heute; legt Euch
schlafen, meine Kinder! Ishak stand auf, und empfahl sich.
Eine Sklavin leuchtete ihm vor, und führte ihn die Stiege
hinab ans Thor, wo er hinaus, und nach Hause ging. Den Tag
brachte er, wie gewöhnlich, am Hofe des Chalifen zu; sobald es
aber Abend ward, stahl er sich weg, um sein gestriges
Abenteuer zu verfolgen.
Er fand auf derselben Stelle den Korb, und ward darin wie
gestern, in einem Nu aufgezogen. Die Nacht ward zugebracht wie
die vorhergehende, mit Gesprächen und Gesängen. Ishak, der bei
sich bedachte, dass er früher oder später die Sache dem
Chalifen entdecken müsse, bat sich von der Dame die Erlaubnis
aus, den nächsten Abend einen seiner Vettern mitführen zu
dürfen, der viel besser sänge und improvisierte als er selbst.
Ich habe nichts dawider, sprach sie, bring' ihn morgen mit.
Ishak, als er nach Hause kam, fand Leute des Chalifen,
welche Befehl hatten, ihn auf der Stelle nach Hofe zu führen.
Der Chalife fuhr ihn sehr zornig an: Lüderlicher
Gassenstreicher! wie ich sehe, ziehst du deine nächtlichen
Orgien meiner Gesellschaft vor; wo bist du gestern und
vorgestern Abends gewesen? ich will die reine Wahrheit wissen,
oder ich werde mich ernstlich zürnen. Ishak erzählte, was ihm
begegnet, und wie er des Chalifen nicht vergessen. Dieser war
sehr damit zufrieden, dass Ishak auch für ihn auf den
folgenden Abend einen Korb bestellt habe. Er erwartete mit
Ungeduld den Untergang der Sonne.
Sie gingen Beide an denselben Ort, und fanden zwei Körbe an
Stricken aufgehängt. Die Unterhaltung war lebhafter und
glänzender als je. Mamun galt für einen Kaufmann und Vetter
des Leinwebers. Nachdem er einige Gläser getrunken, überließ
er sich der Freude, vergaß aber dabei seiner Rolle, und rief
seinen Vetter beim Namen Ishak. – Dieser antwortete sogleich:
Zu Befehl, Fürst der Rechtgläubigen! – Sobald die Dame diese
Worte gehört, zog sie sich zurück, und die alte Frau erschien
an ihrer Stelle. Der Chalife fragte, wem das Haus gehöre, und
wer die Dame sey? Es war Fräulein Juran, Hassans Tochter; die
alte Frau war ihre Mutter. Gibst du sie mir zur Ehe? fragte
der Chalife; ich gebe ihr dreißig tausend Dirhem Morgengabe.
Die Ehe ward vollzogen, und der Chalife befahl seinem
Vertrauten Ishak von Mosul, hierüber das strengste Geheimniß
zu bewahren. Auch bewahrte es Ishak bis nach dem Tode des
Chalifen, wo er die Geschichte mehr als einmal erzählte, und
immer damit beschloss, dass er nie drei vergnügtere Nächte
zugebracht habe, als diese drei, in Gesellschaft der
geistreichen und schönen Juran.