10. Amru
Amru, der Sohn Rebia's, der Fürst der Dichter, der Vetter
des Chalifen Abdolmelek, erzählt von sich selbst die folgende
Geschichte.
Ich las eines Tages ganz ruhig in meiner Wohnung, als sich
eine alte Frau bei mir ansagen ließ. Ich will dir, sagte sie,
Gelegenheit verschaffen, die größte Schönheit unter der Sonne
zu schauen, doch mit der Bedingniß, dass du ihr nicht zu nahe
tretest, dass deine Worte bescheiden und wohl abgemessen
seien. Ich beschwor es auf den Koran. Ich mußte[21] mir die
Augen verbinden lassen, und sie führte mich eine geraume Zeit
in mancherlei Richtungen, bis sie mir die Binde abnahm.
Ich befand mich in einem prächtigen Zelte aus rotem Sammet,
mit großen goldenen Blumen, voll der schönsten Sklavinnen. Ein
Sitz von Ebenholz stand für mich bestimmt. Ich hatte mich noch
nicht erholt von meinem Erstaunen, als ein Vorhang
aufrauschte, und eine Dame überirdischer Schönheit sich an
meiner Seite niedersetzte. Wir kosten und lachten, und sangen
dir ganze Nacht hindurch. Gegen Morgen sang sie eins meiner
Lieder, das mit dem Verse anfängt: Sie, deren schwellender
Busen. Wer ist diese Schönheit, fragte sie mit schwellendem
Busen? – Ich kenne sie nicht, antwortete ich; es ist ein
luftiges Dichterideal, oder, wenn man lieber will, eine
Gaselle.
Lügner, rief sie, indem sie mir eine derbe Ohrfeige gab; so
seid ihr alle, ihr anderen Dichter. Dein Lied ist weitberühmt,
in Hedschas, Irak und Syrien, und du behauptest, es handle
bloß von einem Luftbilde. Sklavinnen, schafft mir den Lügner
vom Halse. Man verband mir die Augen und führte mich nach
Hause.
Am folgenden Tage abermaliger Besuch der alten Frau, und
wiederholter Vorschlag. Ich ging die Bedingniß ein, und
beschwor sie auf den Koran. Die Binde ward mir abgenommen in
einem schwarzen[22] mit Gold durchstreiften Zelt. Meine Dame
erschien, von ihren Sklavinnen umgeben, setzte sich neben mir
nieder, und begann wie gestern die Unterredung.
Die Stunden verflossen wie die der vorigen Nacht unter Sang
und Scherz. Endlich fragte sie mich, wer ist der Verfasser des
bekannten Liedes:
Hast du mich jüngst gesehen
In der Mitte dreier Schönen u.s.w.
Ich bins, antwortete ich. Nun, wer sind die drei Schönen? –
Auf meine Ehre! erwiderte ich, ich kenne sie nicht, und sie
leben nur im Liede. – So also, fiel sie mir in die Rede, wenn
kein wahres Wort daran ist, was unterstehst du dich, mit
Gunstbezeugungen dich zu brüsten, die du nicht erhalten! Da,
Lästrer! – (Sie gab mir eine derbe Ohrfeige) – Sklavinnen!
entfernet ihn aus meinem Angesichte.
Ich kam nach Hause mit verbundenen Augen und brennenden
Wangen. Verzweifle nicht, sprach die alte Frau im Weggehen.
Ich warf mich aufs Bett nieder, aber kein Schlaf kam in meine
Augen.
Am andern Tage erschien die alte Frau früher als
gewöhnlich, fragte um mein Wohlbefinden, und ob ich nicht Lust
hätte, zu meiner Dame zurückzukehren. Ich beschwor dieselben
Bedingnisse auf den Koran, sann zugleich aber auf ein Mittel,
die Wohnung meiner Schönen ausfindig zu machen. Ich färbte
meine linke Hand mit Safran, und als wir uns an der Türe
befanden, fuhr ich mit der Hand auf dem Türflügel herum, als
ob ich nach der Türe tappte.
Die Binde ward mir abgenommen, und ich befand mich in einem
Zelte von grünem Atlas mit großen silbernen Blumen. Die Dame
kam, setzte sich neben mir und lachte nicht wenig, als sie
sah, dass meine Wange noch von der gestrigen Ohrfeige brenne.
Wir unterhielten uns von tausenderlei Gegenständen, von
Abenteuern aus Jemen und Hedschas, von den merkwürdigsten
Begebenheiten der arabischen Geschichte, von der Liebe und
ihren Süßigkeiten. Ich dachte mich wahrhaftig ins Paradies
verzückt. Endlich fragte sie mich: Wem gehören die bekannten
Verse zu?
Die Sänfte ging vorüber,
Ich sah Sie nicht, ich hört' Ihr Kosen,
Da lüftete der Wind den Schleier,
Und wehte Wohlduft von der Wangen Rosen.
Ich bekannte mich zum Verfasser; und wer ist denn die
Schöne in der Sänfte, die du nicht sahst, sondern nur hörtest,
und mit der du, wie das Lied ausgeht, in der Sänfte glücklich
warst? – Habe Mitleiden mit mir, sprach ich, Schönste der
Frauen! Ich habe nichts hierauf zu antworten, als was ich
schon gestern und vorgestern sagte. – Also, so lästerst und
verleumdest du die Frauen. Du bist ein Nichtswürdiger, der
ihrer Gesellschaft nicht wert ist; Sklavinnen, züchtiget ihn,
wie ers verdient. Sie fielen[24] über mich her mit Fäusten und
Nägeln, zerschlugen und zerkratzten mich auf eine
erbarmenswerte Weise, und die alte Frau übernahm mich mit
verbundenen Augen. Aber statt mich diesmal nach Hause zu
begleiten, hörte ich, dass sie auf der Gasse einen Menschen
anredete, ihm Geld und den Auftrag gab: Geh und führe diesen
Mann mit verbundenen Augen in das Haus Amru's, des Sohns
Rebia's des Dichters, der ein großer Taugenichts ist, und
dessen Schwelle ich nicht mehr betreten will.
Ich konnte den Augenblick nicht erwarten, nach Hause zu
kommen. Ich warf mich aufs Bett, ohne ein Auge zu schließen.
Was mir begegnet, und der Schmerz der empfangenen Schläge,
hielten den Schlaf von meinen Wimpern ab.
Mit Tagesanbruch versammelte ich alle meine Sklaven, gab
ihnen den Auftrag, das Haus oder das Zelt ausfindig zu machen,
dessen rechter Türflügel mit Safran gefärbt wäre, und
versprach dem Entdecker tausend Dukaten. Noch vor Mittag kam
einer derselben mit freudigem Gesichte gelaufen. Gute
Nachricht, gnädiger Herr! ich habe die Türe gefunden, deren
rechter Flügel mit einer in Safran getauchten Hand bezeichnet
ist. Richtig, rief ich voll Freuden, zahlte ihm die tausend
Dukaten aus, und ließ mich an Ort und Stelle führen.
Wie groß war nicht mein Erstaunen, als ich sah, das
bezeichnete Zelt sei eines der Zelte der Prinzessin Merwe, der
Tochter des regierenden Chalifen Abdolmelek. Sogleich ließ ich
meine Zelte in der Nähe aufschlagen, und spazierte lang genug
herum, um von der Prinzessin bemerkt zu werden. Sobald sie
sah, sie sey entdeckt, kam sie heraus, lüftete den Schleyer
und sagte: Sieh da, Amru, hast du keine Lust, dein Abenteuer
zu besingen, wenigstens läufst du nicht Gefahr zu lügen, und
hast nicht Not, die Schläge aus der Luft zu greifen, wie deine
idealischen Schönen.
Ich sagte sogleich aus dem Stegreife mehrere Verse her, die
mir die zärtlichste Liebe eingab, und die bald in jeglichem
Munde waren. Das Gerede, das sie verursachten, und das Gerücht
von der Übertragung meiner Zelte, kam gar bald bis an den Hof
des Chalifen, der damals in Damaskus residierte. Er berief
seine Tochter zu sich, und ich machte die Reise in ihrem
Gefolge. Aber die Glut der Leidenschaft verzehrte mich, und
ich war sehr krank, ohne es zu wissen.
Zwei Stationen von Damask kamen Abgesandte, der Prinzessin
zu melden, der Chalife mit allen Großen der Familie Ommia
komme ihr entgegen gezogen. Der Zug kam bald hernach an.
Der Chalife stieg ab, ging ins Zelt, bewillkommte die
Prinzessin über ihre glückliche Ankunft und sagte: Meine
Tochter Merwe, du musst der Etikette nach deinen Einzug bey
Nacht halten, damit dich Niemand sehe. – Sehr wohl, mein
Vater, mir ist übrigens wirklich gleich viel, ob mich die
Leute sehen, oder nicht sehen.
Beim Herausgehen erblickte er meine Zelte und fragte,
wessen sie wären? Amru's, des Sohns Rebia's, war die Antwort.
Ich nahte mich und grüßte den Chalifen nach hergebrachter
Sitte mit den Worten:
»Heil und Gottes Erbarmung über Dich, Fürst der
Rechtgläubigen!« – Weder Heil noch Erbarmung über dich,
antwortete der Chalife. – Und warum, mein Vetter, behandeln
mich Euer Liebden so unfreundlich? – Unglücklicher! hast nicht
du meine Tochter mit deinen Versen in übeln Ruf gebracht, und
er rezitierte die Verse, die ich aus dem Stegreife hergesagt
hatte, als die Prinzessin aus dem Zelte getreten war. –
Vergebung, Fürst der Rechtgläubigen, die Verse gehen die
Prinzessin nichts an, sie sind an eine idealische Schönheit
gerichtet, die, wie Euer Liebden bekannt ist, nur in dem Hirne
der Dichter existiert. Du lügst, sprach der Chalife lachend,
aber dann auf einmal mit veränderter Gesichtsfarbe, und in
sehr ernstem Tone: Hast du eine Frau? Ich kenne nur Eine, und
das ist deine Tochter, Fürst der Rechtgläubigen, antwortete
ich mit großem Mute. Nun so nimm sie denn, fuhr der Chalife
fort, ich vermähle sie dir.
Trunken von Freude rief ich aus: Wie verdiene ich so großes
Glück, ich Sklave des Fürsten der Rechtgläubigen, ich, der nur
eine Klinge aus dem Waffenschatz seiner Macht bin! wie bin ich
wert befunden worden, dieser Verbindung mit dem größten
Monarchen unserer Zeit!
Das Sprichwort sagt, erwiderte der Chalife, Wer um den
Schleyer fragt, der kauft ihn, und ließ auf der Stelle Richter
und Zeugen rufen, um den Heiratsvertrag der Prinzessin
abzufassen. Er gab ihr fünfzigtausend Dukaten zur Aussteuer.
Die Hochzeit ward auf der Stelle gefeiert. Ich lebte drei
Jahre mit ihr, die glücklichsten meines Lebens, dann starb sie
und hinterließ mir drei Perlengebinde zum Angedenken, die mich
ins Grab begleiten werden.