115. Der Chalife Moteaßem
Der Chalife Moteaßem erhielt seiner Strenge wegen den
Namen: der Blutvergießer, wie Abbas blutgierigen Angedenkens.
Die Geschichtsschreiber unterscheiden sie von einander, indem
sie Abbas den ersten, und Moteaßem den zweiten Blutvergießer
nennen. Dieser war besonders gegen seine eigenen Diener und
Wesire äußerst strenge. Einer der letzten hatte von der
Terrasse seines Palastes in einem benachbarten Hause ein
Mädchen entdeckt, von ausgezeichneter Schönheit. Es war die
Tochter eines Kaufmanns, der von den Anträgen des Wesirs
nichts hören, und dieselbe nur einem Manne seines Standes
vermählen wollte. Wider einen meines Gleichen, sagte er, kann
ich mir Gerechtigkeit verschaffen, wenn er dich misshandeln
sollte; meine Tochter, nicht so wider einen Großen und
Mächtigen. Der Wesir wusste nicht, was er anfangen sollte, und
eröffnete das Anliegen seiner Brust einem seiner Vertrauten. –
Um tausend Miskale, Herr, schaff' ich dir das Mädchen. – Wie
so? wenn du Wort hältst, gebe ich dir gerne hunderttausend. –
Ich brauche nur tausend.
Sobald dieselben ausgezahlt waren, suchte der Unterhändler
zehn Männer aus, von denen er sich versprechen konnte, dass
ihnen das Geld lieber sein würde als die Ehre. Er verhieß
jedem hundert Miskal, wenn sie falsches Zeugnis vor Gericht
ablegen wollten, dass die Tochter des Kaufmanns schon seit
Langem mit dem Wesire vermählet worden sei, um ein bestimmtes
Heiratsgut. Die Männer verstanden sich hierzu, und legten
falsches Zeugnis ab um hundert Miskale.
Auf des Richters Ausspruch musste das Mädchen dem Wesire
ausgeliefert werden. Der Vater, voll Verzweiflung, suchte sich
den Weg zu bahnen zum Fuße des Thrones. Moteaßem war schwer zu
sprechen, und nur eine geringe Zahl seiner engsten Vertrauten
hatte Zutritt zu ihm. Man riet dem Kaufmann, sich unter die
Arbeiter eines Gebäudes zu mengen, das der Chalife täglich
besuchte, und dann den Augenblick seines Besuches abzuwarten.
Dies geschah; der Kaufmann warf sich zu seinen Füßen, den Kopf
mit Staub bestreut.
Er trug seine Geschichte vor, und Moteaßem sandte alsobald
Boten, um den Wesir und die Zeugen und den Hofbeamten, der
dieselben bestochen hatte, herbeizuholen. Die Wahrheit kam ans
Licht, und die Strafen, so der Chalife verhängte, waren
fürchterlich. Die Zeugen wurden gehängt, der Hofbeamte
gespießt, der Wesir aber in eine frische Tierhaut genäht, wo
er von Ameisen und Würmern zerfressen, den Geist aufgab, in
den schrecklichsten Qualen.