155. In indischen Büchern
In indischen Büchern findet sich die folgende Geschichte
aufbewahrt:
Ein Dieb stahl sich in die Werkstatt eines Arbeiters von
Goldstoff, wo er sich versteckt hielt, um bei einbrechender
Nacht seinen Anschlag auszuführen. Der Meister, der mit einem
angefangenen Stoffe fertig werden wollte, arbeitete die ganze
Nacht hindurch, und wiederholte von Zeit zu Zeit eine Art von
Stoßgebetlein: Mein Herr und Gott! bewahre mich vor
Zungenfall. Der Dieb, der sich nicht hervorzubrechen getraute,
harrte die ganze Nacht geduldig aus, und während der Meister
sein Morgengebet verrichtete, bei dem das: Herr, mein Gott!
bewahre mich vor Zungenfall, nicht vergessen ward, ging der
Dieb seiner Wege.
Der Meister begab sich mit dem vollendeten Goldstoff nach
Hof, der Dieb ihm nach. Jener breitete seine Arbeit vor dem
König aus, und, nachdem er dieselbe lang angepriesen hatte,
beschloss er endlich seine Lobrede damit, dass er sagte: Solch
ein Stoff findet sich nicht wieder. Deine Majestät wird wohl
tun, denselben im Schatze aufbewahren zu lassen, damit er
einst bei deinem Leichenbegängnis zum Bahrtuche diene. Der
König, aufgebracht über Worte von so unglücklicher
Vorbedeutung, befahl, den Stoff zu verbrennen, und den Meister
hinzurichten. Der anwesende Dieb konnte sich des Lachens nicht
enthalten. Der König wollte die Ursache wissen, und der Dieb
bat im Voraus um Verzeihung, die ihm zugesagt ward. Dann
erzählte er, wie der Stoffwirker die ganze Nacht gebetet habe,
Gott wöge ihn vor Zungenfall bewahren, und sich dessen doch
nicht habe erwehren können. Der König verzieh beiden.