61. Ishak, der Sohn Ibrahims
Ishak, der Sohn Ibrahims von Moßul, erzählt: Ich war an
einem Winterabende allein zu Hause; das Wetter war
abscheulich, Wolken türmten sich auf Wolken, die Wasser
stürzten unaufhörlich, und Bagdads Gassen waren ganz unwegsam
geworden durch Schlamm und Kot. Es war unmöglich für mich, aus
dem Hause zu kommen, um meine Freunde zu besuchen, und aus
eben diesem Grunde musste ich fürchten, dass keiner derselben
es wagen würde, zu mir zu kommen. Ich befahl meinem Diener,
mir ein Nachtmahl zu bereiten, um mir wenigstens allein, so
gut es sein konnte, die Zeit zu vertreiben.
Ich wartete noch immer, ob doch nicht vielleicht der Zufall
mir einen Gesellschafter zuführen würde, und in dieser
Erwartung sah ich starr hinaus in die finstre Gassen, wo die
Winde heulten, und der Regen stürzte. Ich hatte damals
Bekanntschaft mit einer Sklavin eines der Söhne Mahadi's,
einer vortrefflichen Sängerin und Flötenspielerin. Ich sehnte
mich, besonders itzt, nach ihr, und hätte, ich weiß nicht was,
gegeben, um sie bei mir zu haben. Die Nacht war so lang und
stürmisch, die Einsamkeit so wüst und langweilig. In diesem
Augenblicke klopfte Jemand an der Thüre, und eine Stimme ließ
sich vernehmen: Mache auf!
Ha! dachte ich bei mir, ist's vielleicht meine Geliebte,
und sang aus dem Stegreif:
He! wer klopft, und ruft am Thore, o wär' es mein Liebchen!
Trägt des Wunsches Baum heute noch köstliche Frucht!
Ich ging zum Thore, öffnete es, und siehe da! es war meine
Freundin in einen grünen Regenmantel gehüllt, mit einer Kapuze
von Goldstoff, um sich vor dem Regen zu schützen, übrigens
aber vom Fuße bis zum Kopf kotig wie eine Rohrdommel, und
überall vom Regen träufend.
Meine Frau und Gebieterin, redete ich sie an, was bewog
dich, in solchem Wetter herzukommen? – Dein Bote, antwortete
sie, der mir deine Sehnsucht und Begierde mit so brennenden
Farben schilderte, dass ich nicht anders als deine Bitte
gewähren, und auf der Stelle her eilen konnte. Deß wunderte
ich mich sehr, denn ich hatte Niemanden geschickt, was ich
doch nicht sagen wollte. Ich antwortete ihr: Gott sei Lob!
dass Alles so nach Wunsch gegangen, hättest du gezaudert, so
hätte ich dir gewiss noch einen andern Boten gesandt, denn gar
zu groß ist heute meine Sehnsucht nach Dir. Sie befahl meinem
Diener, Wasser warm zu machen; als es warm genug war, ließ ich
ihr es auf die Füße aufgießen, und war selbst besorgt,
dieselben zu waschen. Ich ließ die schönsten Kleider bringen,
zog ihr dieselben an, und befahl dann, das Nachtmahl
aufzutragen. Sie begehrte Wein, und ich kredenzte ihr einen
Becher. Wer wird mir singen? fragte sie. – Ich, meine Frau und
Gebieterin! – Nicht doch, fiel sie mir ein. – Also eine von
meinen Sklavinnen? – Das will ich auch nicht, war die Antwort.
– Also du selbst? – Mitnichten. – Wer denn also? – Geh auf die
Gasse, und suche Jemanden, der uns singe. – Aber, liebe
Freundin, bei diesem Wetter! – Geh, sag' ich, und bringe
Jemanden. Ich kannte sie, und wusste, dass ich ihr gehorchen
musste, wenn ich mir nicht das Vergnügen des Abends verderben
wollte; ich ging hinaus, ohne die geringste Hoffnung, meinen
Mann zu finden. Als ich auf den Kreuzweg gekommen war, fand
ich einen Blinden, der mit seinem Stabe den Weg vor sich her
ausforschte, und zu sich selbst sprach: »Gott erbarme sich
meiner in dieser Zeit! Wenn ich singe, hört man mich nicht,
wenn ich bettle, gibt man mir nicht.« Wie so? fragte ich, ein
Sänger? Ja, antwortete er, zu dienen. – Möchtest du nicht die
Nacht bei mir zubringen? – Gerne, wenn du willst, so leite
mich nur bei der Hand. Ich nahm ihn, führte ihn nach Hause,
und sprach zu meiner Freundin: Sieh da! ein trefflicher Fund,
ein Blinder, welcher singt, und vor dem wir uns also nicht
genieren dürfen. – Lass ihn hereinkommen, sagte sie. Ich
führte ihn ins Zimmer und setzte ihn zu Tische. Er aß mit
gutem Appetit, wusch sich die Hände, und trank drei Gläser
Wein. Dann fragte er mich, wer ich sei. Ishak, der Sohn
Ibrahims von Moßul, antwortete ich. – Lange, sprach mein Gast,
kenne ich dich durch den Ruhm deines musikalischen Talentes,
mich freut es nun herzlich, in deine Gesellschaft eingeführt
worden zu sein. Thu mir aber nun auch den Gefallen, der Erste
zu singen. Ich nahm die Laute und begleitete einige meiner
besten Lieder. Als ich aufgehört hatte, sprach der Blinde: Ey,
ey! Ibrahim, ich dachte, du wärst ein Meister im Singen, sehe
aber, dass ich mich gewaltig geirrt habe. Bey diesen Worten
entsank mir die Laute vor Erstaunen.
Hast du Niemanden der besser singt? fragte er weiter. – Das
ich nicht wüsste, es müsste denn eine Sklavin sein, die hier
im Hause ist. – Meine Freundin verstand den Wink und sang. –
Das heißt alles nichts, unterbrach sie der Blinde, und sie
warf zornig die Laute weit von sich weg, so dass sie auf
dem Boden zerbrach. Der Fremde, sagte sie, mag sich nun selbst
hören lassen, ich ließ eine neue Laute bringen. Er stimmte
sie, präludirte auf eine ganz neue, von mir noch ungehörte
Weise, und sang dann folgende Verse:
Es dunkelt die Nacht, der Sturm heulet,
Ich sinne lange, wo mein Liebchen weilet.
Man klopft, es ist wahrhaftig keine Mähre,
O, wenn es gar vielleicht mein Liebchen wäre!
Ich sah meine Freundin ganz erstaunt an, und machte ihr
Vorwürfe, als ob sie das, was zwischen mir und ihr ein
Geheimnis hätte bleiben sollen, dem Blinden entdeckt hätte.
Sie entschuldigte sich und liebkoste mich. Ich küßte ihre
Hand, zog sie an meinen Busen, und wiegte sie in meinen Armen.
Singe, sprach ich zum Blinden. Er nahm die Laute und sang
dazu:
Ich stille nun mein brennendes Verlangen,
Genieß' in ihren Armen Himmelslust,
Ich wühle im Granatenpaar der Brust,
Und küss' den Staub vom Pfirsiche der Wangen.
Aber wie weiß er denn, was wir treiben? fragte ich ganz
erstaunt meine Freundin. Vielleicht ist's gar ein falscher
Blinder, und ich denke, es ist besser, uns seiner Gesellschaft
zu entledigen. Knabe! rief ich, bring Licht, um dem Fremden
hinabzuleuchten. Hier stand der Blinde auf, und ging zur
Türe hinaus. Ich ihm nach, um das Haustor aufzumachen,
aber ich konnte ihn nicht mehr finden. Das Thor war
zugesperrt, und der Schlüssel bei mir. Ich wusste nicht, war
mein Gast unter die Erde oder in die Lüfte gefahren. Ich sah
klar ein, dass es der Teufel gewesen sein musste, der mir einen
Besuch abgestattet hatte, vermutlich um die Wahrheit des
arabischen Sprichwortes zu bewähren, dass wo ein Mann und Weib
allein beisammen sind, der Teufel sich immer als dritter Mann
einfindet.