67. Harun Raschid hatte manchesmal
Harun Raschid hatte manchesmal gar besondere Launen, so,
dass es den ausgelerntesten Höflingen schwer ward, sich darein
zu finden, und ohne Ungunst oder Strafe sich aus der Schlinge
zu ziehen. Ein Beispiel hiervon erzählt Asmai. Ich ward, sagte
er, eines Tages auf das eiligste zum Chalifen gerufen. Er saß
auf dem Throne, vor ihm auf einem Tabouret ein kleines
Mädchen. Der Dichter Merwan Hafsa stand daneben. Ich küsste
die Erde. Harun machte das gewöhnliche Bewillkommungszeichen,
sah mich an, und blieb eine zeitlang stillschweigend. Endlich
wandte er sich gegen mich mit den Worten: Hast du gehört, wie
Merwan Hafsa die Freygebigkeit Moin's, des Sohnes Saide's,
gelobt hat? – Wem sollte das Lobgedicht nicht bekannt seyn,
Fürst der Rechtgläubigen! – Nun, so besinnest du dich wohl
auch des Verses:
Der Letzte der Freigebigen war Zeide's Sohn,
Und seine Erben sitzen heute auf dem Thron.
Hast du je etwas Unanständigeres gehört?
Moin war einer meiner Diener, und dieser Bursche untersteht
sich zu sagen, dass mit ihm die Freigebigkeit ausgestorben,
und ich bloß ein Erbe derselben sei. – Herr, sprach ich, so
was muss man Dichtern zu gute halten, du weißt ja, daß ihr
ganzes Handwerk in Lügen besteht, und deine Majestät sollte
deshalb dem armen Merwan Hafsa nichts Böses zudenken. – Nein!
solche Vermessenheit darf nicht ungestraft hingehen, er soll
dieselbe unter Geißelhieben abbüßen, und für die Zukunft
Wahrheit sprechen lernen.
Die Geißelhiebe erklangen, und Merwan fing an Zeter zu
schreien. Fürst der Rechtgläubigen, schrie er, ich habe ja
viele andere Lobgedichte auf deinen Namen verfertigt, wenn
diese Lügen gewesen sein sollten, so hättest du mich schon
längst zu tode hauen lassen, wenn nicht, so verzeihe mir ob
jener Wahrheiten, die Lüge, für die ich jetzt gegeißelt werde.
– Lass hören, sagte der Chalife, was hast du denn von mir
gesagt? – Merwan fing an, sein bekanntes Lobgedicht der
Familie Itab zu rezitieren, und Harun, dem die Natur ein, für
Schmeicheleien äußerst empfindsames Ohr verliehen, ward
sogleich bessrer Laune. Er verzieh dem Dichter, und schenkte
ihm dreißig tausend Dirhem.
Als er weg war, fragte mich Harun: Kennst du dies Mädchen?
– Nein, Fürst der Rechtgläubigen. – Es ist die Prinzessin,
meines Sohnes Tochter. Geh hin und küsse sie. Ich befand mich
in unaussprechlicher Verlegenheit; denn wenn ich nicht
gehorchte, so verwirkte ich den Zorn des Chalifen für meinen
Ungehorsam, wenn ich gehorchte, für die Vermessenheit, eine
Prinzessin zu umarmen. Um mich zu retten, nahm ich den Ermel
meines Kaftans über das Gesicht, ging hin, und küsste die
kleine Prinzessin durch den Ermel. – Da hast du einen klugen
Einfall gehabt, Asmai, sagte Harun, denn sonst wäre es um dein
Leben geschehen gewesen; zugleich ließ er mir zehn tausend
Dirhems auszahlen.
Wahrlich eine schwierige Sache um Chalifenlaunen.