90. Einer der gewöhnlichen Gesellschafter
Einer der gewöhnlichen Gesellschafter und Vertrauter Haruns
erzählet: An einem umwölkten regnerischen Morgen gab uns
Raschid die Erlaubnis fort zu gehen, und drei Tage zu Hause zu
bleiben. Die anderen Gesellschafter gingen Jeder ihren Weg,
und ich verfügte mich nach der Wohnung meines Meisters,
Ibrahim von Mosul. Was macht dein Herr? fragte ich den
Türhüter. Geh' nur hinein, sprach er, wenn du es wissen
willst. Ich ging hinein, und fand ihn im Vorsaale sitzend, mit
einer Flasche Wein und einer Kanne Wasser vor ihm.
Meister, sprach ich, lass den Vorhang des Harems kein
Hindernis sein, der uns den Genuss der schönen Stimmen deiner
Sängerinnen entziehe. – Nun, so setze dich, sprach Ibrahim, du
findest mich ganz verstört. Ich erwachte, wie du siehst, des
Morgentrunks zu genießen, als ich vernahm, eine fremde
Sängerin sei gekommen, die meinigen zu besuchen. Ich gab mir
alle mögliche Mühe, sie zu besitzen, aber fruchtlos. Umsonst
habe ich ihr bis jetzt hundert tausend Dirhem geboten. – Ei,
so gib was du geboten, und biete noch mehr; du bringst es ja
bald wieder von einer andern Seite ein. – Da hast du Recht,
sprach er, mich verdrießt es aber der Mühe, diese Summe jetzt
von allen Seiten aufbringen zu wollen, ich möchte mir dieselbe
auf eine leichtere Art verdienen. Geh', nimm die Feder, und
schreibe, was ich dir ansage:
Kummer und Gram vertreiben den süßen Schlaf von den Augen,
Jahja's Großmut allein senket denselben in's Aug.
Mit diesem Verse verfüge dich zu Jahja, dem Barmekiden,
erzähle, was du gesehen, und begehre, dass er den Vorhang des
Harems lüften lasse, damit du den Gesang dieser Worte seiner
Sklavin Demanir lehren könnest, die dessen allein würdig ist.
Ich tat, wie er mir befohlen, und sang die Worte der
genannten Sklavin einige Mal vor, bis sie dieselben auswendig
wusste. Jahja befahl sogleich, für mich zehen, und für Ibrahim
hundert tausend Dirhem auszuzahlen. Da es schon spät war, ging
ich nicht mehr zum Meister, sondern nach meiner Wohnung, wo
ich mich mit meinen eigenen Sklavinnen lustig machte. Am
Morgen aber trug ich die hundert tausend Dirhem zu Ibrahim,
den ich, wie[194] am vorigen Tage, beim Morgentrunke fand. Er
hieß mich andre Worte und andre Musik schreiben, die ich
wieder zu Jahja trug, und dafür das Doppelte des gestrigen
Lohnes erhielt.