Gulistan
 

Saadis Verse aus dem Gulistan

übersetzt von Friedrich Rückert

zum Inhaltsverzeichnis

Der Scheinheilige

57

O der du machest schwarz vor Gott dein Buch,
Vor Menschen weiß dein Kleid mit heilgem Schein,
Die Hand verkürze die nach Weltgut langt,
Dann mag kurz oder lang der Ärmel sein.

58

Wenn du Hoffnung auf Genesung denkst zu fassen,
Mußt du an den Puls den Arzt dir fühlen lassen.
Frage nur was du nicht weißt! des Frages Schand'
Führt dich zu des Wissens Ehr' an ihrer Hand.

59

Als Lokman sah daß unter Davids Händen
Das Eisen zu erweichen sich begonnte,
Fragt er ihn nicht: wie machst du's? da er merkte
Daß ohne Fragen er es lernen konnte.

60

Sei Staub zu Füßen des, der freundlich dir sich zeigt
Und wirf in Staub wer dir sich widrig will beweisen.
Nicht wend' ein gutes Wort an den der ungeneigt,
Denn linde Feile macht nicht rein rostfräßges Eisen.

61

Solang du's nicht für lauter Fug erkennest,
Sollst du den Mund erschließen nicht dem Worte.
Wann wahr du sprichst und bleibst in Haft, ist's besser
Als wenn dir Lug auftut des Kerkers Pforte.

62

Wer der Wahrhaftigkeit Gewohnheit hat,
Tut er was Falsches, übergehs mit Fug;
Wer aber dir als Lügner ist bekannt
Wenn er die Wahrheit sagt, sag: es ist Lug.

63

Ein Hund vergißt dir niemals einen Brocken,
Und wirfst du hundertmal nach ihm den Stein:
Tu lebenslang nur Gutes einem Schlechten,
Beim kleinsten Anlaß wird dein Feind er sein.

64

Willst du haben Ochsenmast,
Mußt du tragen Eselslast.

65

Geneigt im Wohlstand dich zu überheben,
Im Mangel dich in Kleinmut zu versenken,
In Lust und Leid so mit dir selbst beschäftigt,
Wann hast du Zeit von Dir an Gott zu denken?

66

Wenn Er am jüngsten Tage streng anredet,
Wie können Heilge bergen ihre Schuld?
O mög er das Gesicht der Gnad entschleiren
Und die Verdammten dürfen hoffen Huld.

67

Gott behüte, könnten Menschen ins Verborgne sehn,
Keiner könnte vor dem andern ruhig stehn und gehn.

68

Der Knicker genießt nicht und hält in Verschluß
Sagt: Hoffnung ist besser als Genuß.
Einst siehst du dem Wunsche des Feindes geblieben
Sein Gold und ihn vom Tod vertrieben.

69

Gar viel schöner als die Rennbahn ist der Waidestand,
Doch das Rösslein hat die Zügel nicht in seiner Hand.

70

Feridun ließ chinesische Tapezierer
Um seinen Thronsaal her die Goldschrift weben:
Verständiger o halte gut die schlechten,
Die guten werden gut von selber leben.

71

Der jedem zuteilt von Nahrung sein Stück
Gibt einem entweder Verdienst oder Glück.

72

Wenn ein Richter sich nur mit fünf Gurken läßt bestechen,
Zehn Melonenbeete wird er dir dafür zusprechen.

73

Wenn die Klaus' ein Jüngling hütet, mags ihm Gott anschreiben
Zum Verdienst; ein Greis wird selbst schon in der Klause bleiben.

74

Setze nicht auf's Fliessende dein Herz! zu fließen hat
Lang nach des Kalifen Tode Tigris durch Bagdad.

75

Wenn es dir ist gegeben, freigebig wie Perlen sei,
Und ist dir's nicht gegeben, sei wie Zipressen frei.

76

Die alten Lappen neu gesetzt in Stand
Sind besser dir als ein geborgt Gewand.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de