Gulistan
 

Saadis Verse aus dem Gulistan

übersetzt von Friedrich Rückert

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Scherif und Jude

31

Mag der Scherif an Glück herunter kommen,
Sein hoher Rang wird darum tief nie werden.
Schlag er in Silberschwellen goldne Nägel,
Der Jude doch wird ein Scherif nie werden.

32

Vorzüge sind verloren
Wenn sie verborgen bleiben;
Anzünden muß man Aloe
Und Moschus zerreiben.

33

Wenn zweihundert Tugenden an jedem Härchen hangen,
Wo das Glück nichts hilft, ist nichts mit ihnen anzufangen.

34

Ein Reicher ist in Wald und Feld und Wüstenei kein Fremder,
Wohin er kommt, bestellt er sein Gemach, sein Zelt aufspannt er;
Wer aber keinen Anspruch hat aufs Gut der Welt zu machen,
Der ist am Orte der Geburt ein Fremder Unbekannter.

35

Ein Mann von Wissen ist geschlagnem Golde gleich,
Wohin er kommt, da ist sein Wert verstanden.
Ein Edler ohne Wissen gleicht dem städtischen
Münzzeichen, das nichts gilt in fremden Landen.

36

Wo der Schöne hin mag gehen ist er wert und lieb,
Wenn auch Vater ihn und Mutter mit Gewalt vertrieb.
Eine Pfauenfeder sah ich liegen im Koran,
Sprach: Doch diese Stelle steht deinem Wert nicht an.
Schweige, sprach sie: wer sich hüllet in der Schönheit Flor
Wo den Fuß er hinsetzt hält Niemand die Hand ihm vor.

37

Ist ein Sohn von Lieblichkeit und Anmut nicht entblößt,
Schadets auch nicht wenn der eigne Vater ihn verstößt.
Er ist eine Perle, laß die Muschel auch ihr fehlen,
Wer sie sieht wird sich zu ihren Kaufliebhabern zählen.

38

Wie süß ist ein sanftklagender Gesang
Im Ohr der Zecher bei des Frühtrunks Most!
Ein schön Gesicht gleicht nicht der schönen Stimme,
Denn es ist Sinnenreiz, sie Seelenkost.

39

Wenn er aus seiner Stadt geht in die Fremde,
Wird der Schuhflicker ohne Not bestehn;
Wenn er aus seinem Reich fällt in die Wüste,
Wird Südlands König hungrig schlafen gehn.

40

Obgleich gewiß von Gott die Nahrung kommt,
Doch tust du wohl darnach dich aufzumachen;
Obgleich ohn ein Verhängnis Niemand stirbt,
Doch renne du nicht in des Drachen Rachen!

41

Kann der Mann an seinem Ort nicht mehr bestehn,
Was verschlägts ihm? in die Welt geht er hinaus.
Jeder Reiche schläft in seinem Haus die Nacht,
Für den Derwisch wo die Nacht kommt ist sein Haus.

42

Ein Rüstiger, den Unfäll' überkamen,
Geht hin wo man von ihm nicht kennt den Namen.

43

Wo du kein Geld hast, kannst du Niemand zwingen,
Und hast du Geld, so brauchst du keinen Zwang.

44

Friedfertig zeige dich, wo Streit du siehst,
Denn Sanftmut schließt des Krieges Pforten zu.
Dem Trotz entgegen setze Lindigkeit,
Durch weiche Seide dringt kein scharfes Schwert.
Mit guten Worten und mit Freundlichkeit
Lenkst du an einem Haar den Elefanten.

45

Wie wahr ist, was Jektasch zu Chailtasch sprach:
Wen einmal du kneiptest, dem trau nie hernach.

46

Ein Mückenschwarm erlegt den Elefanten,
Wie derb und ungeschlacht sei der Gesell,
Und ist ein Heer Ameischen einverstanden,
Zerreißen sie dem wilden Leun das Fell.

47

Vor der Schlange wußt ich mich zu hüten
Da mit ihrer Art ich war bekannt;
Schlimmer ist der Zahnbiß eines Feindes
Der sich birgt in eines Freunds Gewand.

48

Unfreundlich mag sich Fremdlingen erweisen
Wer selbst nie war in fremdem Land auf Reisen.

49

Wenn nur ans Krokodil der Taucher dächte,
Die edle Perle nie zur Hand er brächte.

50

Welches Mahl in seiner Höhle kann der Löw' erjagen?
Und der Falk in seinem Neste welchen Raub eintragen?
Von der Jagd, die du in deinem Hause willst gewinnen,
Bleibest du an Arm und Beinen mager wie die Spinnen.

51

Der Jäger wird nicht jedesmal
Ein Wild erjagen;
Es trifft sich einst, daß ihn der Tiger
Davon wird tragen.

52

Oft ists dem erleuchtetsten begegnet
Daß sein Rat nicht gut ausfiel,
Und oft schoß der unverständge Knabe
Aus Versehn den Pfeil ans Ziel.

53

Wer für sich auftut des Begehrens Türe,
Der trägt, bis ihn der Tod befreit, das Joch.
Laß die Begier und übe Fürstenwürde!
Der Nacken von Begierde frei ist hoch.

54

In des Emirs, in des Wesires Pflichten
Muß man sich bücken und aufrichten.
An wessen Tische du einmal gesessen,
Du stehst hinfort im Dienste dessen;
Weil seine Großmut du nicht kannst erwidern,
Mußt du zur Demut dich erniedern.

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