Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Von Moskau bis zu den Steppen des Don -
 Nachklänge aus Rußland

Aus der alten Hauptstadt Rußlands führt unsere Wanderung in die traubenreichen Gärten von Tiflis, der bergumschlossenen Hauptstadt Georgiens.

Nur in wenigen Umrissen schildere ich Euch die Bewohner und Zustände jener einförmigen Landstriche und unabsehbaren Steppen, welche wir zu durchwandern haben, bevor wir hinaufsteigen zu der majestätischen Gebirgswelt des Kaukasus.

Noch ist der September nicht zu Ende, und schon trägt die Landschaft um uns her ein winterliches Gepräge.

Der Himmel ist grau umwölkt und mitten am Tage durchdunkelt's die Luft wie beim Hereinbrechen der abendlichen Dämmerung; auf den kahlen Zweigen der Bäume wiegen sich Schwärme von Krähen und Raben; schaurig pfeift der Herbstwind über die schneebedeckten Felder hin, durch welche der Fahrweg sich windet wie ein riesiger schwarzer Streifen; denn noch liegt das Eis zu dünn und der Schnee zu locker, um den Hufen der Pferde und den einschneidenden Wagenrädern zu widerstehen, und jedes Mal beim Durchbrechen der leichten Winterdecke quilt's aus dem schlammigen Boden hervor schwarz wie Theerquellen.

Trotz des fetten, fruchtbaren Bodens, welcher die Gouvernements von Tula und Woronesch so vortheilhaft auszeichnet, finden wir hier in den elenden Dörfern eine arme, verkümmerte Bevölkerung.

Diese betrübende Erscheinung hat namentlich darin ihren Grund, daß diese beiden Gouvernements größtentheils in kleine Gutsherrschaften zerfallen; je kleiner aber die Anzahl Leibeigener eines Edelmanns ist, desto größer sind die Opfer die er von ihnen fordert.

Es giebt Familien, die in Petersburg und Moskau ein Haus machen, ohne andere Einkünfte zu haben als die Abgaben, welche sie von vier- bis sechshundert Leibeigenen ziehen.

Was Wunder, daß die armen Bauern keinen höhern Lebenszweck kennen, als sich abzumühen für ihren Gutsherrn, ohne an Verschönerung ihres eigenen kummervollen Daseins zu denken.

Trotzdem findet man unter diesem zähen, fügsamen Geschlechte nicht selten wohlgebildete, kräftige Männergestalten, während eine schöne Frau hier, wie überall in Rußland, zu den größten Seltenheiten gehört. Die schweren Arbeiten, denen sie hier mehr als in allen andern Ländern, von Jugend auf unterworfen sind, die ungesunde Luft in den dumpfen, unreinlichen Wohnungen, die geringe Pflege, welche sie auf sich verwenden und so manche andere drückende Umstände, treten der freien Körperentwickelung hemmend entgegen.

In den Städten, durch welche der Weg uns führt, von Moskau bis hinaus über Woronesch, wo die kräuterreiche Steppe der Kosacken beginnt, fällt uns vor Allem die Einförmigkeit in der Bauart der Häuser auf.

Wer Moskau gesehen, kennt alle anderen russischen Städte.

Sehen wir ab von dem völlig modernen Petersburg, so offenbart sich eigentlich nur in Moskau eine große, wenn auch rohe Mannigfaltigkeit architektonischer Gestaltungen; fast nur hier hat man den Eindruck einer wirklichen Stadt, einer dauernden Ansiedlung gewerbfleißiger Menschen.

Die meisten übrigen Städte dieses Landes, mit ihren schnurgeraden Straßen, ihren kasernenartig gebauten, gelb oder weiß übertünchten Häusern, erscheinen wie großartige Karawanserei's, und die Menschen darin wie unstäte Pilger.

Denn der Russe kennt keine Heimat in unserem Sinne des Wortes. Er kann die ihm angeerbte Nomadennatur des großen Wandervolks, dem er entsprossen, nicht verläugnen.

Auch machen noch heute die Verhältnisse des Landes ein gesichertes Stillleben unmöglich.

Der lebhafte Binnenhandel, der Krieg im Kaukasus, die weitverzweigte Verwaltung, der häufige Beamtenwechsel, und hundert andere Umstände bedingen ein stetes Hin- und Herziehen in dem sich über drei Welttheile ausdehnenden Riesenreiche.

Der Arzt, welcher heute in Moskau sein Examen gemacht, kurirt vielleicht in wenigen Wochen schon die Gallenfieber an den Küsten des schwarzen Meeres; – der neuvermählte Beamte, welcher sich eben in Petersburg häuslich niedergelassen, erhält plötzlich Beschäftigung in einer Kanzlei an der Grenze von China; – der Gardeoffizier, welcher am Abend seine Geliebte besuchen will, wird unverhofft Nachmittags als Kourier nach dem Kaukasus entsendet. In ähnlicher Weise geht's durch alle Klassen der Gesellschaft.

Und weil der Russe sich nirgends dauernd heimisch fühlt, fühlt man sich auch nirgends dauernd heimisch mit ihm.

Ihn beherrscht nicht die süße Macht der Gewohnheit und der Zauber der Erinnerung. Er wurzelt nicht in der Vergangenheit und denkt nicht an die Zukunft. Dieser ächt orientalische Charakterzug des Russen, nur für den Augenblick zu leben und nur die Gegenwart zu genießen, spricht sich auch in seiner Wohnung aus.

Er baut sein Haus nur für sich und seine eigenen Bedürfnisse, ohne seiner Nachkommen dabei zu gedenken. Und weil er weder Erfindungsgeist hat, noch Geschmack an schönen Bauwerken, noch Geduld lange zu warten, läßt er sein Haus bauen nach dem Muster der umstehenden Häuser, und gewöhnlich mit einer Eile, daß die Gebäude oft nach wenigen Jahren schon aussehen wie übertünchte Ruinen.

Daher die kalte Einförmigkeit der russischen Städte und die eigenthümliche Erscheinung, daß man es keinem Hause ansieht, ob es vor einem, vor zehn, oder vor hundert Jahren gebaut wurde – im Gegensatz zu den alten Städten Deutschlands, Italiens und anderer Länder, wo die Gebäude gleichsam lebendige Blätter der Geschichte sind, belehrende Vermittler zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Das einzig Bemerkenswerthe der russischen Städte sind ihre schmuckreichen Kirchen und großartigen Bazars.

Wie in der Architektur, sind die Russen auch in der Bildhauerkunst und Malerei weit hinter allen Völkern Europa's zurückgeblieben.

Der Einwand, daß der Druck der Leibeigenschaft, welcher auf der großen Masse des Volkes lastet, jede freie Geistesthätigkeit, jeden höheren Aufschwung unmöglich gemacht, – wird entkräftet durch das Beispiel der Völker des Alterthums, wo unter ähnlichen Zuständen die Kunst ihre höchste Ausbildung erreichte, und der Genius des Volks ebenfalls auf Kosten der gedrückten Massen sich seine ewigen Denkmäler schuf.

Zudem datirt die Einführung der Leibeigenschaft in Rußland bekanntlich erst aus den letzten Jahrhunderten, wo die Russen schon in lebhafterem Verkehr mit dem Auslande standen. Aber weder der fremde Einfluß, noch der Schutz und die Begünstigung welche die Zaren den Künsten angedeihen ließen, vermochte die Neigung dafür unter den Russen zu fördern, eben weil ihr unstäter Sinn, ihr Hang zum Nomadenleben sie den an die Scholle fesselnden Beschäftigungen entfremdete.

In den wenigen Ueberresten bildlicher Darstellungen der Russen (wie der Slaven überhaupt), die aus früherer Zeit auf uns gekommen, offenbaren sich nur die rohesten Anfänge der Kunst.

Die Chroniken erzählen von Bildsäulen der alten Slavengottheiten: Perun's, des Donnergottes; Ußlad's, des Gottes der Freude; Polelja's, der slavischen Ceres; Lado's, der Göttin der Liebe und Schönheit; – doch ist leider davon nichts bis auf die Gegenwart gekommen. Man kann annehmen, daß sie auf gleicher Stufe standen mit jenen ungeschlachten Steinbildern, welche man noch hin und wieder in den weiten, vom Don und vom Kuban durchströmten Kosakensteppen findet.

Im Gegensatz zu der Vernachlässigung, welche die bildenden Künste in Rußland fanden, und zwar aus denselben Ursachen, welche diese Vernachlässigung bewirkten, erreichte die Sprache hier schon sehr früh einen hohen Grad der Ausbildung.

Sie wurde die alleinige Trägerin alles geistigen und sittlichen Inhalts des Volkes; in ihr konnte der Russe Monumente schaffen, die ihn auf seinen Wanderungen begleiteten; ihr hauchte er all sein Denken und Sinnen, all sein Leid und Wehe ein, und ihre biegsamen, klangreichen Formen schmiegten sich leicht allen Bedürfnissen an.

Daher die erstaunliche Ausbildung, der überraschende Formen- und Wortreichthum, welche wir in der russischen Sprache finden, und daher auch die hohe Bedeutung, welche das Volkslied hier für den denkenden Geschichtsfreund hat.

Die Geschichte, das innere und äußere Leben, alle Weisheit und Thorheit, alle Tugenden und Gebrechen des Volks spiegeln sich mit wunderbarer Treue in diesen Liedern ab.

Und es liegt darin eine Kraft des Ausdrucks, ein Reichthum von Bildern und Anschauungen, daß der Forscher nicht bloß historische Belehrung, sondern auch hohen poetischen Genuß in diesen alten Denkmälern findet, denen kein Erzeugniß der neuern Kunstpoeten Rußlands an Bedeutung gleichkommt.

Seltsamer Weise haben diese Dichter den wohlverdienten Ruhm, welchen sie in und außerhalb Rußland gefunden, mehr ihren poetischen Verirrungen als ihren wesentlichen Vorzügen zu verdanken.

Nur da, wo sie aus dem alten Sagen- und Liederquell ihres Landes schöpften, erscheinen sie wahrhaft groß, während ihre übrigen Werke bloß mehr oder weniger gelungene Nachahmungen ausländischer Vorbilder sind.

Die Aufklärung und Ueberfeinerung der höheren Stände, denen die bedeutendsten der modernen russischen Dichter angehören, und das Elend und die traurige Unwissenheit der großen Masse des Volks bilden schwer zu vermittelnde Gegensätze.

Der unnatürliche Genuß, die Blasirtheit, der Ekel der Gegenwart, die Weltmüdigkeit, bieten keinen Stoff für die Poesie, und der Dichter der seine Helden unter den Trägern dieser Gebrechen sucht, kann nur Zerrbilder daraus erzeugen. Es ist zu bedauern, daß diese Poesie der Unnatur in den begabtesten Geistern Rußlands, Puschkin und Lermontow, ihre Vertreter gefunden.

Dagegen bietet das russische Volksleben, trotz seiner unsittlichen Grundlage, eine reiche Fülle poetischer Momente, und wo jene Dichter mit dem Volke gingen, haben sie Großes und Dauerndes geschaffen.

Am schärfsten finden wir die hier kurz angedeuteten Gegensätze bei Lermontow ausgeprägt, der durch sein wechselvolles Schicksal oft zu poetischen Verirrungen verleitet, doch immer wieder zur Wahrheit und Natur zurückkehrte.

Während er in seinem – durch Uebersetzungen auch in Deutschland bekannt gewordenen Romane: »der Held unserer Zeit« ein höchst unerquickliches Bild von dem Leben und den Zuständen der vornehmen russischen Welt giebt, und in mehreren kleinen Gedichten Byronschen Lebensüberdruß und Heinesche Weltmüdigkeit nachsingt, hat er sich ein unvergängliches Denkmal des Ruhmes gesetzt durch seine in der Geschichte und dem Volksleben wurzelnden Dichtungen.

Hieher gehört vor Allem ein in altrussischer Weise geschriebenes Gedicht, worin er uns Bilder aus der Zeit Iwan's des Grausamen vorführt.

Der Stoff dazu ist alten Volksliedern entnommen, aber mit meisterhafter Hand zu einem poetischen Ganzen gestaltet, welches den besten Erzeugnissen der Neuzeit würdig zur Seite steht.

Ich glaube dem intelligenten Leser einen Dienst zu erweisen, indem ich mich zum Dolmetsch dieser großartigen Dichtung mache, eines Volksliedes im edelsten Sinne des Wortes, worin sich der ganze Charakter des Volkes in seinen guten und schlimmen Abschattungen, und die Zustände des Landes, wie sie im Wesentlichen heute noch fortbestehen, abspiegeln.

In der Uebersetzung sind mit möglichster Sorgfalt und Treue Ton, Wortstellung und Versmaß des Originals wiedergegeben.

Einer weiteren Einleitung bedarf es nicht; das Gedicht wird, als ein ächtes Kunstwerk, sich durch sich selbst erklären.

Lied

von dem Zaren Iwan Wassiljewitsch, von seinem jungen Leibwächter und dem kühnen Kaufmann Kalaschnikow.

O Du grauser Zar, Iwan Wassiljewitsch!
Von Dir schufen wir unser helltönend Lied,
Von Deinem Lieblingswächter Kiribéjewitsch,
Und von dem kühnen Kaufherrn Kalaschnikow; –
Wir schufen es im Tone der alten Zeit,
Wir sangen es zur Gußli, der hellklingenden.
Wohl oft sangen wir es, oft wiederholten wir's,
Zur Lust, zum Ergötzen des rechtgläubigen Volks.
Und der Bojar Matwéï Romodanowsky
Bot uns eine Schale voll schäumendem Meth;
Die antlitzweiße Bojarin aber
Bot uns auf einer Schüssel von Silber dar
Ein neues Handtuch, ein mit Seide genähetes.
Sie bewirtheten uns drei Tage und Nächte lang,
Und sie hörten unser Lied immer von Neuem an.

1.

Nicht leuchtet am Himmel die rothe Sonne mehr,
Nicht mehr liebelt mit ihr das dunkle Gewölk:
Sieh', beim Gastmahl mit goldener Krone sitzt,
Sitzt der grause Zar Iwan Wassiljewitsch!
Stumm hinter ihm stehen die Stolniki,
Ihm gegenüber die Bojaren und Fürsten all,
Ihm zur Seite steht der Leibwächter Schaar;
Und es schwelgt der Zar zum Ruhme Gottes viel,
Und zu eigener Lust und Ergötzlichkeit.
Gnädig lächelnd befahl der Zar allda
Süßen Wein zu bringen, überseeischen,
Damit zu füllen seinen goldenen Humpen,
Und er reicht den Wein seinen Wächtern dar:
Und Alle tranken davon, und sie rühmten den Zar.
Nur Einer von Allen, von der Wächter Schaar,
Ein stürmischer Kämpe, ein kühner Gesell,
Netzte die Lippen im goldenen Humpen nicht;
Schweigend senkt er zu Boden den finstern Blick,
Schweigend senkt er den Kopf auf die breite Brust –
Aber grimme Gedanken schwellen die breite Brust.
Allda runzelt der Zar seine schwarzen Brauen
Und richtet auf ihn seinen scharfen Blick;
Wie der Habicht herab aus der Wolkenhöh'
Auf die junge, blauflügliche Taube schaut. –
Doch der junge Kämpe erhob sein Auge nicht.
Und es murmelt der Zar ein drohend Wort,
Und finster hält er den Blick auf dem kühnen Gesell.
»Du unser treuer Diener Kiribéjewitsch,
Birgst Du schlimme Gedanken in Deiner Brust?
Oder beneidest Du unsern Fürstenruhm?
Oder erfüllt Dich mit Mißmuth der Ehrendienst?
Wenn der Mond aufgeht, freuen die Sterne sich
In seinem Glanz zu wandeln am Himmelszelt;
Aber welcher Stern sich in den Wolken verbirgt
Der fällt schnell verlöschend zur Erde herab.
Dir mißfällt, wie es scheint, Kiribéjewitsch,
Deines Zaren Gelag und Ergötzlichkeit;
Und bist doch vom Geschlechte der Skuratow,
Und erzogen im Hause der Maljutin!«
Also antwortet darauf Kiribéjewitsch
Dem grausen Zaren mit tiefem Gruß:
– »Du unser Herrscher, Iwan Wassiljewitsch!
Zürne ob Deines unwürdigen Sklaven nicht.
Dem heißen Herz taugt nicht der süße Wein,
Er verscheucht meine finstern Gedanken nicht!
Aber hab' ich Dich erzürnt – so geschehe Dein Wille:
So befiehl mich zu strafen, mir den Kopf abzuhau'n;
Er liegt mir auf den Schultern wie eine schwere Last,
Vor Dir bis zur feuchten Erde beugt er sich. –«
Und es sprach zu ihm Zar Iwan Wassiljewitsch:
»Aber was macht Dich so trübe, Du kühner Gesell?
Ist Dir nicht fein genug mehr Dein sammt'ner Kaftan?
Deine schmucke Mütze aus Zobelfell?
Fehlt's an Geld Dir, ist die Tasche leer?
Oder hat Scharten bekommen Dein stählern Schwert?
Oder Schaden genommen Dein gutes Roß?
Oder trugst Du eine Wunde davon
Im Faustkampfe auf dem Mosquastrom?«
Darauf antwortet Kiribéjewitsch,
Verneinend schüttelnd sein lockiges Haupt:
»Nicht der Faustkampf hat meinen Kummer erzeugt,
Keine Schuldennoth und kein Mangel an Geld;
Wohlauf ist mein muthiges Steppenpferd,
Und wie helles Glas schimmert mein scharfes Schwert,
Und am Festtage durch Deine Gnade, Zar,
Bin ich nicht schlechter gekleidet als Andere.
Aber höre, vernimm, was mich traurig macht:
Muthig saß ich zu Rosse, auf schnellem Roß,
Ritt zum Mosquastrom zum Eiseslauf,
Einen seidenen Gürtel um den schmucken Kaftan,
Auf dem Kopfe die Mütze, die sammetne,
Die mit schwarzem Zobel gefütterte.
Vor den Häusern zuneben den Pforten steh'n
Viel hübsche Mädchen, junge, rothwangige,
Flüstern und schäkern und kichern froh –
Nur Eine von ihnen flüstert und schäkert nicht,
In die buntstreifige Fata verhüllt sie sich . . .
Im heiligen Rußland, unserm Mütterchen,
Sucht umsonst solche Schöne der spähende Blick:
Wie von Wellen getragen geht sie – einem Schwane gleich,
Und ihr Blick ist so süß – wie ein Taubenblick,
Ihre Stimme so rein – wie Nachtigallsang;
Es glühen ihre Wangen, roth angehaucht
Wie die Morgenröthe am Gotteshimmel;
In gold'nen Flechten wallt das lange Haar
Mit hellen Bändern schmuck zusammengeknüpft,
Um den Nacken schlängelt's, um die Schultern her,
Küßt die weiße Brust, die hochschwellende . . .
Sie stammt vom Geschlecht eines Handelsherrn,
Heißt mit Namen Alona Dmitrewna.
– Und seh ich das Weib, bin ich selbst nicht mein,
Taumelnd hängen die Arme, die kräftigen,
Düster werden die Augen, die blitzenden;
Drückend, grausig ist mir's, o rechtgläubiger Zar!
So versiechen zu seh'n meine Kraft, meinen Muth.
Mein schnellfüßiges Steppenroß ekelt mich an,
Dazu die Gewänder, die sammet'nen;
Und gleichgiltig ist mir jetzt Silber und Gold.
Mit wem soll ich theilen mein Silber und Gold?
Vor wem soll ich zeigen meinen jungen Muth?
Vor wem mich brüsten mit meinem schmucken Gewand!
Laß mich fortzieh'n zur Ferne, in's Steppenland,
Dort in Freiheit zu leben nach Kosakenart.
Dort wird bald mein Kopf, der stürmische,
Einer Lanze der Bußurmannen zum Schmuck,
Und den bösen Tataren zur Beute wird
Mein muthiges Roß, mein scharfes Schwert,
Dazu das Geschirr, das tscherkessische.
Meine weinenden Augen hacken die Geier aus,
Meine feuchten Knochen wäscht der Regen ab,
Und unbegraben fliegt mein verkümmerter Staub
Von den Winden getragen nach allen Seiten hin . . .«
Lächelnd sprach darauf Iwan Wassiljewitsch:
»Nun Du mein treuer Diener! Deinem Ungemach,
Deinem Kummer und Gram schafft sich Hilfe leicht.
Da, nimm meinen Ring mit Rubin geschmückt,
Und diese bernsteingeschlungene Halsschnur, nimm.
Erst such' eine kluge, schlaue Freiwerberin,
Und dann schicke das kostbare Hochzeitsgeschenk
Deiner geliebten Alona Dmitrewna zu:
Gefällt es ihr, feierst Du Hochzeit bald,
Gefällt es ihr nicht, sei nicht böse darum.«
»»– O rechtgläubiger Zar, Iwan Wassiljewitsch!
Es hat Dich getäuscht Dein verschmitzter Sklav,
Hat Dir Falsches geredet, nicht die Wahrheit gesagt!
Er hat Dir verschwiegen, daß das schöne Weib
In der Kirche Gottes einem Andern getraut,
Getraut mit einem jungen Kaufmann ist sie
Nach unserm Gesetze, dem christlichen – . . .««

* * *

Kinder fallt mit ein – stimmt die Gußli rein!
Laßt der Gußli Saiten singend uns begleiten!
Dem guten Bojaren zur Ergötzlichkeit
Und der antlitzweißen Bojarin zum Dank!

2.

Vor seiner Bude ein junger Kaufmann sitzt,
Der stattliche Bursch Stephan Paramonowitsch,
Mit Familiennamen Kalaschnikow;

Seidene Waaren breitet er sorgsam aus,
Mit süßer Rede lockt er die Käufer herbei,
Das gewonnene Geld überzählt er schlau.
Aber kein guter Tag fiel dem Kaufmann zu Theil,
Viele reiche Bojaren gingen vorbei,
Und zu seiner Bude kam keiner heran.
Schon verhallt ist das Geläut, das zur Vesper rief,
Dunkel flammt hinterm Kremlin das Abendroth,
Eilig fliehen die Wolken am Himmel hin, –
Schneegestöber peitschen die Winde herbei;
Nach und nach wird der Kaufhof von Menschen leer.
Und auch Stephan Paramonowitsch schließt
Seine Bude zu mit der eichenen Thür,
Mit einem deutschen Schlosse, einem ächten daran;
Und sinnend geht er nach Hause und denkt
An seine junge Frau hinterm Mosquastrom.
Und gelangt er zuletzt in sein hohes Haus,
Und es wundert sich Stephan Paramonowitsch:
Nicht begegnet sein Blick seiner jungen Frau,
Ungedeckt noch steht dort der eichene Tisch,
Kaum noch flackert das Licht vor dem Heiligenbild.
Und er ruft seine alte Haushälterin:
»Du, sag' an, sag' an, Jereméjewna,
Wohin ist verschwunden, wo hat sich versteckt
In so später Stunde Alona Dmitrewna?
Und haben meine lieben Kinderchen
Schon Thee getrunken, sich müde gespielt,
Und hat man sie schon zu Bette gebracht?«
»»– O Du, mein Herr, Stephan Paramonowitsch!
Gar seltsame Dinge sind heute gescheh'n:
Ging zur Vesper zu beten Alona Dmitrewna;
Schon ist der Pope zurück mit seiner jungen Frau,
Haben Licht angezündet und essen zur Nacht –
Aber Deine junge Frau bis zu dieser Zeit
Ist aus der Kirche noch nicht zurückgekehrt.
Und die Kinderchen sind noch nicht schlafen gelegt,
Sind nicht spielen gegangen, weinen immerfort,
Die armen Würmchen wollen ihre Mutter seh'n. –««
Und grimme Gedanken umzogen die Stirn
Des jungen Kaufmanns Kalaschnikow;
Und er stellt sich an's Fenster, sieht zur Straße hinaus –
Doch in dunkle Nacht war die Straße gehüllt;
Weißer Schnee flockt herab, wächst zu dicker Schicht,
Und der Fußtritt des Menschen verliert sich darin.
Horch, da schallt's von der Flur als öffne die Thüre sich,
Und er vernimmt leise flüchtiger Tritte Schall;
Er lauscht, sieht sich um – und beim heiligen Gott!
Sieh da, vor ihm stehet zitternd sein junges Weib,
Zitternd und bleich, mit bloßem Haar,
Die goldenen Flechten wild aufgelöst,
Weiße Schneeflocken hängen statt des Schmucks darin:
Die Augen rollen wie im Wahnsinn umher.
Unverständlich fällt von den Lippen das Wort.
»Nun, was treibst Du Dich, Weib, noch so spät umher?
Von welchem Hofe, welchem Marktplatz kommst Du,
Daß Dein Haar so zerzaust und aufgelöst,
Daß Deine Kleider zerknickt, zerrissen ganz?
Bist Du zu Gaste gewesen, hast Liebschaft gesucht
Bei einem hübschen reichen Bojarensohn? . . .
Bist Du deshalb vor dem heil'gen Muttergottesbild
Mir zur Lebensgefährtin angetraut,
Haben wir deshalb die goldenen Ringe gewechselt? . . .
Wart' Du, in ein finst'res Gemach sperr ich Dich,
Mit eisenbeschlagener Eichenthür,
Daß Dir Gottes heller Tag verschlossen bleibt,
Und Du ferner nicht meinen guten Namen entehrst . . .
Wie Alona Dmitrewna die Worte hört,
Erbangt schier und zittert das liebe Weib,
Gleich einem Herbstblatt am Baum vom Sturm bewegt,
Bittre, bittre Thränen entrollen ihr,
Und zu den Füßen ihres Mannes wirft sie sich.
»O Du mein Herr, meine rothe Sonne Du!
Hör' mich ruhig an, oder tödte mich!
Deine Worte sind mir wie ein scharfes Schwert;
Du reißt mir damit das Herz blutig auf.
Ich fürchte die Marter des Todes nicht,
Auch nicht der Leute böses Geschwätz,
Den Verlust Deiner Liebe nur fürchte ich!
Als ich heim von der Vesper nach Hause ging,
Die krumme, einsame Straße entlang,
Da erscholl es plötzlich wie Geklirr hinter mir;
Ich sehe mich um – läuft ein Mann auf mich zu,
Meine zitternden Füße knickten unter mir,
Mit meiner seidenen Fata verhüllt' ich mich.
Und kräftig greift er meine bebende Hand,
Und mit leisem Geflüster sagt er mir:
– Was erschrickst Du denn so, Du mein schönes Kind?
Ich bin kein Mörder, kein nächtlicher Dieb,
Ich bin ein Diener des Zaren, des grausen Zar.
Und ich heiße mit Namen Kiribéjewitsch,
Aus dem berühmten Geschlechte Maljutin . . .
Da erschrack ich noch ärger als vorhin schon,
Und mein armer Kopf ging wirr im Kreise mir.
Und er fing mich zu küssen, zu kosen an,
Und liebkosend sprach er in Einem fort:
– Sag an, schönes Kind, was Du haben willst,
Holdes Täubchen Du, mein geliebtes Kind!
Willst Du Gold, verlangt Dir's nach Perlenschmuck?
Willst Du Edelgestein oder blumigen Sammt?
Wie eine Zarin sollst Du gekleidet gehn,
Zum Neide, zum Aerger aller anderen Frau'n,
Nur laß mich nicht sündigen Todes sterben:
Lieb mich, mein Kind, liebe und küsse mich,
Wenn auch Einmal nur, zum ersten und letzten Mal! –
Und dann küßt er mich wieder und kosete mich,
Noch jetzt fühl ich brennend die Wangen glühn,
Wie ein Rasender fester umschlang er mich,
Mit seinen ruchlosen Küssen bedeckte er mich . . .
Und aus den Fenstern rings lugten die Nachbarinnen,
Und zeigten verhöhnend mit den Fingern auf uns.
Wie ich mich sträubend seinen starken Armen entwand,
Und in stürmischer Hast dem Hause zulief,
Blieb in den Händen des Räubers zurück
Mein gesticktes Tuch, das Du mir geschenkt,
Und meine bucharische Fata dazu.
So ward ich beschimpft, von dem Buben entehrt,
Ich, Deine ehrliche treue Frau! –
Und die schlimmen Nachbarinnen, die mich gesehn! –
O Gott! ewig bin ich beschimpft und entehrt.
O gib mich nicht, mich, Dein treues Weib,
Dem bösen Gespött, der Verachtung Preis!
Wer außer Dir ist, der mir helfen kann?
Auf der weiten Welt steh ich als Waise allein:
Mein alter Vater liegt längst im feuchten Grab,
Ihm zur Seite ist meiner Mutter Grab,
Mein ältester Bruder, wie Du selber weißt,
Ist seit lange verschollen in fremdem Land,
Und mein jüngster Bruder ist noch ein kleines Kind,
Bedarf selbst meiner Hilfe und Pflege noch . . .«
Also jammerte Alona Dmitrewna,
Und sie weinte bittere Thränen dabei.
Und es schickt darauf Stephan Paramonowitsch
Zu seinen beiden jüngern Brüdern hin:
Und die beiden Brüder kamen und grüßten ihn;
Und also redeten ihn die Beiden an:
»Sprich, was ist mit Dir, ist Dir ein Unglück geschehn?
Daß Du zu uns geschickt in so später Stund,
So spät in der stürmischen Winternacht?«
»»– Wohl, lieben Brüder, ist mir ein Unglück geschehn,
Mir und meiner ganzen Familie:
Geschändet ist unser ehrliches Haus
Durch einen Diener des Zaren, Kiribéjewitsch;
Ein Unglück, das meine Seele nicht trägt,
Das zu schwer auf dem duldenden Herzen liegt.
Wenn man morgen den festlichen Faustkampf hält
Auf der Mosqua, in des Zaren Gegenwart,
Werd' ich kämpfen mit dem Leibwächter Kiribéjewitsch
Einen furchtbaren Kampf auf Leben und Tod.
Und tödtet er mich – so verzagt nicht darob,
Betet zur Jungfrau, der allerheiligsten!
Ihr seid jünger als ich, seid noch frischer an Kraft,
Und weniger Sünden lasten auf Euch,
Der Herr wird Euer Hort, Euer Helfer sein!««
Solches sprachen die Brüder zur Antwort darauf:
»Wohin der Wind weht vom Himmelsgewölb,
Dahin eilen die Wolken, die willigen.
Wenn der blaue Adler zu Gaste ruft
Nach der Wahlstatt zu fliegen, der blutigen,
Zum Festesmahle, zum Leichenfraß,
So folgen alle Jungen des Alten Flug.
Du bist der ältere Bruder, unser zweiter Vater,
Thu' was Dir gut dünkt, nach eigener Wahl –
Wir gehorchen Dir willig, verlassen Dich nicht.«

3.

Ueber der Mosquastadt, der goldköpfigen,
Ueber den Kremlinsmauern, den weißsteinigen,
Hinter fernem Gehölz, blauen Bergen her
Flammt, die weißen Dächer der Häuser vergoldend,
Und die feuchten, verdüsternden Wolken zertheilend,
Die leuchtende Morgenröthe auf;
Und sie reinigt lächelnd das goldene Haar,
Wäscht ihr Antlitz im weißen Schnee,
Einer Schönen gleich, die sich im Spiegel beschaut,
Schaut sie wohlgefällig lächelnd vom Himmel herab.
Warum, schönes Frühroth, sprich, bist du erwacht?
Welche Freude, sprich, bist du gekommen zu sehn?
Schon zur Stadt hinaus wandern, schon versammeln
Die kühnen Kämpfer der Faust, die moskowischen,
Auf dem Mosquastrom, auf der Eisesbahn.
Schon nahet der grause, rechtgläubige Zar
Mit seinen Bojaren und seiner Wächterschaar;
Und er befiehlt eine silberne Kette zu ziehn,
Eine silberne Kette mit Gold geziert.
Und sie umzogen mit der Kette einen freien Platz
Von fünfundzwanzig Sashén zum Kampfesspiel.
Und hieß darauf Zar Iwan Wassiljewitsch
Mit lauter Stimme zu rufen das Aufgebot:
»Herbei, eilt zum Kampfe, Ihr kühnen Gesell'n!
Unsern Vater zu ergötzen, den grausen Zar,
Eilt herbei, tretet ein in den breiten Kreis.
Wer Sieger von Euch wird, den belohnt der Zar,
Dem Besiegten aber wird unser Herrgott verzeih'n!«
Und hervortritt der kühne Kiribéjewitsch,
Und er neigt sich vor dem Zar bis zum Gürtel tief,
Wirft von den starken Schultern seinen sammtnen Pelz,
Stützt fest in die Seite die rechte Hand,
Rückt mit der andern die schmucke Mütze zurecht,
Und so erwartet er einen Gegner zum Kampf.
Dreimal ergeht zum Kampfe das Aufgebot –
Aber Keiner von den Kämpen rührt sich rings,
Alle stehen stumm, Einer stößt den Andern an.
Im Kreise geht der Leibwächter auf und ab,
Und verhöhnt die umstehenden Kämpen laut:
»Nun, was steht Ihr so still da, als fürchtet Ihr Euch!
Wagt sich Keiner heran unter meine Faust,
Zum Ergötzen des Zars, des rechtgläubigen?«
Plötzlich theilt sich der Haufen nach beiden Seiten hin,
Und hervortritt Stephan Paramonowitsch,
Der junge Kaufmann, der kühne Gesell,
Mit Familiennamen Kalaschnikow;
Tief verbeugt er sich erst vor dem grausen Zar,
Und dann vor dem weißen Kremlin mit den heiligen Kirchen,
Und zuletzt vor dem versammelten Russenvolk.
Wildes Feuer durchflammt sein Adleraug,
Mit starrem Blick schaut er den Leibwächter an.
Darauf ihm gegenüber kühn stellt er sich,
Zieht die schützenden, dicken Fausthandschuh an,
Zieht die breiten, gewaltigen Schultern auf,
Und glättet schmuck seinen lockigen Bart.
Darauf redet zu ihm Kiribéjewitsch:
»Aber sag mir zuvor, Du kühner Gesell,
Aus welchem Geschlechte und Stamme bist Du,
Und wie mit Namen nennst Du Dich?
Daß man weiß, wem zu bestellen das Todtenamt,
Und daß ich bei Namen kenne, den ich besiegt.«
Und es antwortet Stephan Paramonowitsch:
»Ich heiße mit Namen Stephan Kalaschnikow,
Ich bin geboren von ehrlichem Elternpaar,
Und habe immer nach Gottes Geboten gelebt:
Nie geschändet hab' ich meines Nachbars Weib,
Bin nie auf Raub geschlichen im Dunkel der Nacht,
Habe nie mich versteckt vor dem Tageslicht . . .
Wohl gesprochen hast Du ein wahres Wort:
Ueber Einen von uns hält man Todtenamt,
Und nicht später als morgen zur Mittagszeit;
Und Einer von uns wird sich rühmen des Siegs
Mit den kühnen Freunden, beim Festesmahl . . .
Nicht ist's Zeit jetzt zu Scherzen, zu Spott und Hohn,
Ich bin zu Dir gekommen, Du Heidensohn,
Zu furchtbarem Kampfe auf Leben und Tod!«
Und als Kiribéjewitsch die Worte gehört,
Erblaßte sein Antlitz, wurde bleich wie der Schnee,
Seine blitzenden Augen verfinsterten sich,
Es durchrieselt ihn kalt wie ein Eiseshauch,
Auf den offenen Lippen erstarb das Wort.
Schweigend nahen die beiden Kämpfer sich,
Und der furchtbare, ritterliche Kampf hebt an.
Kiribéjewitsch erhebt zuerst seine Hand,
Und führt einen Schlag auf Kalaschnikow,
Und trifft ihn tief in der Mitte der Brust –
Die muthige Brust erbebte von dem Schlag,
Und zurückschwankte Stephan Paramonowitsch;
Er trug auf der Brust ein metallenes Kreuz,
Mit heiligen Reliquien aus Kiew geschmückt,
Und es bog sich das Kreuz, ward tief in's Fleisch gepreßt,
Und in dickem Strom quoll das Blut dabei.
Und es spricht für sich Stephan Paramonowitsch:
Wen das Unglück trifft auf den komme es;
Ich werde kämpfen so lange im Arme noch Kraft!
Und er sammelt sich wieder und bereitet sich,
Nimmt zusammen seine ganze Kraft,
Und führt mit gewaltiger Wucht einen Schlag
Ueber die linke Schläfe die Schulter hinab.
Und der junge Leibwächter stöhnte leis,
Strauchelte, fiel todt zu Boden hin;
Getroffen stürzt er hin auf den weißen Schnee,
Wie im Walde ein junger Fichtenbaum
Bei der Wurzel abgehauen zu Boden kracht,
Derweil aus dem Stamme das Harz entquillt.
Wie der Zar das sah, Iwan Wassiljewitsch,
Ergrimmte er, stampft auf den Boden voll Zorn,
Und grimmig zieht er die finsteren Brau'n,
Befiehlt zu ergreifen den kühnen Gesell'n,
Den jungen Kaufmann Kalaschnikow,
Ihn zu führen in seine Gegenwart.
Und also sprach zu ihm der rechtgläubige Zar:
»Steh mir Rede, antworte wahrhaft mir,
Erschlug mit Vorsatz oder durch Zufall Dein Arm
Meinen tapfern Kämpen Kiribéjewitsch?«
»»Ich will dir ehrlich gestehen, rechtgläubiger Zar:
Aus freiem Vorsatz erschlug ich ihn,
Aber warum und wofür – das sag ich Dir nicht,
Das gesteh ich nur Gott, dem Einigen.
Befiehl mich zu tödten – auf dem Richtplatz mir
Den unschuldigen Kopf vom Rumpfe zu hau'n;
Nur verlaß meine armen Kinderchen nicht,
Verlaß nicht mein junges, unschuldiges Weib,
Und entzieh meinen Brüdern Deine Gnade nicht . . .«
»Du hast wohl gethan, Du kühner Gesell,
Du Kämpfer der Faust, junger Kaufmannssohn,
Da Du Antwort gegeben nach Wahrheit und Pflicht.
Deinem jungen Weibe und Deinen Kindern zahl ich
Aus eigener Kasse ein Jahrgeld aus,
Deinen Brüdern erlaub ich von diesem Tag
Freien Handel im weiten Russenland,
Ohne Abgaben zu zahlen noch Zollgebühr;
Du selbst aber, junger Kaufmannssohn
Sollst zum Richtplatz gehn auf das hohe Schaffot,
Dort zur Ruhe legen Deinen stürmischen Kopf.
Ich werde wetzen lassen ein starkes Beil,
Und dem Henker befehlen sein Kleid anzuthun;
Ich werde befehlen die große Glocke zu läuten,
Um allen Mosquabewohnern kund zu thun,
Daß ich auch an Dir meine Gnade geübt . . .«
Aus dem Platze wogt es vom Volksgedräng,
Die große Glocke läutet in klagendem Schall,
Tönt weithin die traurige Botschaft umher.
Auf dem Richtplatze, auf dem hohen Schaffot,
Im rothen Hemde, mit heller Schürze davor,
Mit dem großen, dem scharfgewetzten Beil
Geht der Henkersknecht fröhlich auf und ab,
Und harrt seines Opfers, des Kaufmannssohns;
Und der junge Kämpe, der Kaufmannssohn
Nimmt Abschied von seinem Brüderpaar:
»Nun, Brüder, meine lieben Freunde,
Laßt mich Euch küssen, umarmen zum Letztenmal,
Zur letzten Trennung auf dieser Welt.
Grüßt von mir Alona Dmitrewna,
Helft ihr ihren Kummer zu mäßigen,
Und daß sie meinen Kindern nicht erzähle von mir!
Grüßt von mir unser theures Elternhaus,
Und alle meine braven Bekannten grüßt,
Und betet in der Kirche Gottes für mich,
Für das Heil meiner Seele, der sündigen!«
Und sie tödteten Stephan Paramonowitsch
Eines martervollen, schimpflichen Tod's;
Hoch auf dem Schaffote wälzte sich
Sein blutiges, sein gefallenes Haupt.
Und sie begruben ihn hinterm Mosquastrom
Auf freiem Feld, wo drei Wege gehn:
Nach Tula, nach Rjäsan und Wladimir,
Und aus der feuchten Erde machten sie einen Grabhügel hoch,
Und pflanzten drauf ein Kreuz aus Ahornholz.
Und es heulen, es brausen die Winde jetzt
Ueber das öde Grab, das kein Name ziert;
Und viele gute Leute gehen vorbei,
Geht ein Greis vorüber – schlägt er fromm ein Kreuz,
Geht ein Bursch vorüber – blickt er stolz drauf hin,
Geht ein Mädchen vorüber – wird das Auge feucht,
Geht ein Sänger vorüber – singt er ein traurig Lied.

* * *

Heida, Sänger, junges Blut!
Singt noch Eins mit frohem Muth,
War der Anfang gut, sei das Ende auch gut!
Und eh' wir das Lied zu Ende geführt,
Geben wir Ehre wem Ehre gebührt.
Unserm freigebigen Bojar sei Ruhm!
Und der antlitzschönen Bojarin Ruhm!
Und allem christlichen Volke Ruhm!

 

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