Neuntes KapitelDie Schule der Weisheit
(2. Fortsetzung)
Unter den vielen Schriftgelehrten des
Landes, deren Bekanntschaft ich machte während der Zeit, daß
Mirza-Schaffy mich in der Weisheit unterrichtete, war der
Hervorragendste durch Rang und Wissen: Abbas-Kuli-Chan, ein
Sprößling des alten Herrscherhauses von Baku.
Er unterschied sich wesentlich von den Ulémas seines
Stammes durch eine größere Kenntniß der Sitten, Gebräuche
und Zustände des Abendlandes, sowie durch eine gewisse
Hinneigung zum Russenthume.
Er hatte sich durch längern Aufenthalt in Petersburg und
Moskau die russische Sprache vollkommen angeeignet, war bei
Hofe wohlgelitten und bekleidete sogar Obersten-Rang in der
russischen Armee.
Bei den Ulémas stand er in großem Ansehen durch seine
tiefe Kenntniß morgenländischer Sprachen, seine kunstvollen
Gedichte und eine lange, mit viel Sachkenntniß, aber ohne
Kritik geschriebene Geschichte der Völker des Daghestan,
während das gemeine Volk ihn aus »angestammter Treue« für
das hohe Herrscherhaus von Baku verehrte.
Abbas-Kuli-Chan war eine jener begabten Zwitternaturen,
welche, ohne Vertrauen einzuflößen, doch überall zu
imponiren wissen, weil sie als erste Klugheitsregel den Satz
festhalten: es mit Niemandem zu verderben.
So geschah es denn, daß selbst Mirza-Schaffy, bestochen
durch die großen Lobeserhebungen, welche der Chan von Baku
ihm machte, als er uns einmal im Divan der Weisheit
überraschte, ihn für einen großen Weisen erklärte.
Das in überschwenglicher Fülle gegenseitig gespendete Lob
versetzte Beide in sehr heitere Laune. Der Eine wies dem
Andern aus dem Koran, aus Saadi, Hafis und Fisuli nach, daß
er der wandelnde Inbegriff aller Weisheit auf Erden sei.
Es fand zwischen Beiden ein förmlicher Wettgesang von
fremden und eigenen Liedern Statt, denn jede Schmeichelei
wurde mit einem gesungenen Citat belegt. Leider floß aber
die Unterhaltung zu schnell, als daß ich etwas
Zusammenhängendes daraus hätte nachschreiben können.
Um jedoch die lange Sitzung nicht ganz ohne Gewinn für
mich vorübergehen zu lassen, ersuchte ich den Chan, mir
eines seiner kunstvollen Lieder aufzuschreiben zur
Erinnerung. Er nickte mir zu mit dem Blick der Gewährung und
versprach mir, das schönste Lied zu schreiben, das je eines
Menschen Mund gesungen: ein Lied zum Preise seiner Fatima
beim Saitenspiel.
Während Mirza-Schaffy den Blick des Zweifels erhob beim
Anhören des Selbstlobes, welches der Chan sich spendete,
nahm dieser den Kalem (die Rohrfeder) und schrieb, was
folgt:
Fatima beim Saitenspiel.
Deine Finger rühren die Saiten
Und die Saiten mein Herz;
Dich gerührt zu begleiten
Erdenab, himmelwärts.
Auf dringt es,
Dich umschwingt es,
Sich um Dein Herz zu ranken –
Dich preist es,
Dich umkreist es
In lusttrunkenem Schwanken,
Du Gedanke meines Geistes!
Geist meiner Gedanken!
Wirr, geblendet da steh' ich
Vor Dir, Deinem Glanze –
Und es ist mir, als seh' ich
Das Weltall, das ganze,
Als ob's uns umtanze
In trunkener Weise,
Rund um uns im Kreise;
Ich taumle um Dich her,
Und das Weltall um mich her –
So Erde und Himmel
In buntem Gewimmel
Durch den Klang Deiner Kehle
Umtaumeln uns beide –
Du Freude meiner Seele,
Du Seele meiner Freude!
Mirza-Schaffy pries laut die Schönheit des Liedes und
sagte, es müsse dem Dichter eine Pauke erhabenen Ruhmes
dafür geschlagen werden.
Abbas-Kuli-Chan aber stand auf, um sich zu entfernen, mit
dem Versprechen, mich am folgenden Tage wieder zu besuchen
und mir eine von ihm verfaßte persische Grammatik
mitzubringen.
Der gelehrte Chan war nur auf wenige Wochen nach Tiflis
gekommen, um eine russische Uebersetzung seiner in
persischer Sprache geschriebenen Geschichte des Daghestan zu
veranstalten. Das Werk ist vor drei Jahren (1846) gedruckt
erschienen und liefert ein reiches, aber ungesichtetes
Material zur Kenntniß der Länder am Kaspischen Meere.
***
Kaum hatte Abbas-Kuli-Chan das Zimmer verlassen, als
Mirza-Schaffy nach der auf dem Tische stehenden Flasche
griff und hastig einen Becher Wein herunterstürzte.
»Warum trankest Du nicht in Gegenwart des Chanes, o Mirza?«
fragte ich.
– Weil er zu den Frommen gehört und keinen Wein trinkt;
wenigstens nicht vor den Leuten. –
»Wie kann Dich's vom Trinken abhalten, daß er zu den
Frommen gehört?«
– Er ist älter und mächtiger als ich; durch mein Trinken
hätte ich ihn beleidigt, und ich mußte ihn ehren, da er Dein
Gast war. Wie sprach Saal zum Helden Rustam, seinem Sohne?
»Schätze keinen Feind, er sei, wer er wolle, zu geringe oder
ohnmächtig; man hat wohl eher gesehen, daß ein Strom, der
aus einer kleinen Quelle entsprungen, sich weiter ergossen
und ein mit Lasten beladenes Kameel davon geführt.« –
»Hattest Du weiter keinen Grund der Enthaltsamkeit, o Mirza?«
– Wozu die Frage? – sagte er, sich wieder einschenkend –
komm' und trink' mit mir!
Der beste Grund ist
Der goldne Grund des Bechers!
Der beste Mund ist
Der kluge Mund des Zechers! –
»Du redest weise, – entgegnete ich – und ich werde mit
Dir trinken und singen, wie immer; aber noch eine Frage mußt
Du mir zuvor beantworten. Du rühmst täglich in Deinen
Liedern die Tugenden des Weines, und ich glaube daran (es
ist mein Schicksal!); aber wie geht es zu, daß die Georgier
und die Russen, welche hier zu Lande mehr Wein trinken, als
die Kameele Wasser, doch nicht weiser werden davon?«
– Die Russen sind nicht so ganz dumm, sonst würd' es
ihnen nicht gelungen sein, alle anderen Völker zu peinigen
mit den Fäusten der Gewalt; und die Georgier . . . doch
schreib', ich werde Dir singen! –
Aus dem Feuerquell des Weines,
Aus dem Zaubergrund des Bechers,
Sprudelt Gift und – süße Labung,
Sprudelt Schönes und – Gemeines:
Nach dem eig'nen Werth des Zechers,
Nach des Trinkenden Begabung!
In Gemeinheit tief versunken
Liegt der Thor vom Rausch bemeistert;
Wenn er trinkt – wird er betrunken,
Trinken wir – sind wir begeistert!
Sprühen hohe Witzesfunken,
Reden wie mit Engelzungen,
Und von Glut sind wir durchdrungen,
Und von Schönheit sind wir trunken!
Denn es gleicht der Wein dem Regen,
Der im Schmutze selbst zu Schmutz wird
Doch auf gutem Acker Segen
Bringt und Jedermann zu Nutz' wird!
Hat nicht schon Saadi gesungen: »Der Regen, ob er sich
auch in seiner Natur niemals ändert, wird im Garten Anemonen
und allerhand schöne Blumen, in salzigen und unfruchtbaren
Orten aber nur Disteln hervorbringen!«