Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Neuntes Kapitel

Die Schule der Weisheit

(2. Fortsetzung)

Unter den vielen Schriftgelehrten des Landes, deren Bekanntschaft ich machte während der Zeit, daß Mirza-Schaffy mich in der Weisheit unterrichtete, war der Hervorragendste durch Rang und Wissen: Abbas-Kuli-Chan, ein Sprößling des alten Herrscherhauses von Baku.

Er unterschied sich wesentlich von den Ulémas seines Stammes durch eine größere Kenntniß der Sitten, Gebräuche und Zustände des Abendlandes, sowie durch eine gewisse Hinneigung zum Russenthume.

Er hatte sich durch längern Aufenthalt in Petersburg und Moskau die russische Sprache vollkommen angeeignet, war bei Hofe wohlgelitten und bekleidete sogar Obersten-Rang in der russischen Armee.

Bei den Ulémas stand er in großem Ansehen durch seine tiefe Kenntniß morgenländischer Sprachen, seine kunstvollen Gedichte und eine lange, mit viel Sachkenntniß, aber ohne Kritik geschriebene Geschichte der Völker des Daghestan, während das gemeine Volk ihn aus »angestammter Treue« für das hohe Herrscherhaus von Baku verehrte.

Abbas-Kuli-Chan war eine jener begabten Zwitternaturen, welche, ohne Vertrauen einzuflößen, doch überall zu imponiren wissen, weil sie als erste Klugheitsregel den Satz festhalten: es mit Niemandem zu verderben.

So geschah es denn, daß selbst Mirza-Schaffy, bestochen durch die großen Lobeserhebungen, welche der Chan von Baku ihm machte, als er uns einmal im Divan der Weisheit überraschte, ihn für einen großen Weisen erklärte.

Das in überschwenglicher Fülle gegenseitig gespendete Lob versetzte Beide in sehr heitere Laune. Der Eine wies dem Andern aus dem Koran, aus Saadi, Hafis und Fisuli nach, daß er der wandelnde Inbegriff aller Weisheit auf Erden sei.

Es fand zwischen Beiden ein förmlicher Wettgesang von fremden und eigenen Liedern Statt, denn jede Schmeichelei wurde mit einem gesungenen Citat belegt. Leider floß aber die Unterhaltung zu schnell, als daß ich etwas Zusammenhängendes daraus hätte nachschreiben können.

Um jedoch die lange Sitzung nicht ganz ohne Gewinn für mich vorübergehen zu lassen, ersuchte ich den Chan, mir eines seiner kunstvollen Lieder aufzuschreiben zur Erinnerung. Er nickte mir zu mit dem Blick der Gewährung und versprach mir, das schönste Lied zu schreiben, das je eines Menschen Mund gesungen: ein Lied zum Preise seiner Fatima beim Saitenspiel.

Während Mirza-Schaffy den Blick des Zweifels erhob beim Anhören des Selbstlobes, welches der Chan sich spendete, nahm dieser den Kalem (die Rohrfeder) und schrieb, was folgt:

Fatima beim Saitenspiel.

Deine Finger rühren die Saiten
Und die Saiten mein Herz;
Dich gerührt zu begleiten
Erdenab, himmelwärts.
    Auf dringt es,
    Dich umschwingt es,
Sich um Dein Herz zu ranken –
    Dich preist es,
    Dich umkreist es
In lusttrunkenem Schwanken,
    Du Gedanke meines Geistes!
Geist meiner Gedanken!
Wirr, geblendet da steh' ich
    Vor Dir, Deinem Glanze –
Und es ist mir, als seh' ich
Das Weltall, das ganze,
Als ob's uns umtanze
    In trunkener Weise,
    Rund um uns im Kreise;
Ich taumle um Dich her,
Und das Weltall um mich her –
    So Erde und Himmel
    In buntem Gewimmel
    Durch den Klang Deiner Kehle
        Umtaumeln uns beide –
    Du Freude meiner Seele,
    Du Seele meiner Freude!

Mirza-Schaffy pries laut die Schönheit des Liedes und sagte, es müsse dem Dichter eine Pauke erhabenen Ruhmes dafür geschlagen werden.

Abbas-Kuli-Chan aber stand auf, um sich zu entfernen, mit dem Versprechen, mich am folgenden Tage wieder zu besuchen und mir eine von ihm verfaßte persische Grammatik mitzubringen.

Der gelehrte Chan war nur auf wenige Wochen nach Tiflis gekommen, um eine russische Uebersetzung seiner in persischer Sprache geschriebenen Geschichte des Daghestan zu veranstalten. Das Werk ist vor drei Jahren (1846) gedruckt erschienen und liefert ein reiches, aber ungesichtetes Material zur Kenntniß der Länder am Kaspischen Meere.

***

Kaum hatte Abbas-Kuli-Chan das Zimmer verlassen, als Mirza-Schaffy nach der auf dem Tische stehenden Flasche griff und hastig einen Becher Wein herunterstürzte.

»Warum trankest Du nicht in Gegenwart des Chanes, o Mirza?« fragte ich.

– Weil er zu den Frommen gehört und keinen Wein trinkt; wenigstens nicht vor den Leuten. –

»Wie kann Dich's vom Trinken abhalten, daß er zu den Frommen gehört?«

– Er ist älter und mächtiger als ich; durch mein Trinken hätte ich ihn beleidigt, und ich mußte ihn ehren, da er Dein Gast war. Wie sprach Saal zum Helden Rustam, seinem Sohne? »Schätze keinen Feind, er sei, wer er wolle, zu geringe oder ohnmächtig; man hat wohl eher gesehen, daß ein Strom, der aus einer kleinen Quelle entsprungen, sich weiter ergossen und ein mit Lasten beladenes Kameel davon geführt.« [Fußnote] –

»Hattest Du weiter keinen Grund der Enthaltsamkeit, o Mirza?«

– Wozu die Frage? – sagte er, sich wieder einschenkend – komm' und trink' mit mir!

        Der beste Grund ist
Der goldne Grund des Bechers!
        Der beste Mund ist
Der kluge Mund des Zechers! –

»Du redest weise, – entgegnete ich – und ich werde mit Dir trinken und singen, wie immer; aber noch eine Frage mußt Du mir zuvor beantworten. Du rühmst täglich in Deinen Liedern die Tugenden des Weines, und ich glaube daran (es ist mein Schicksal!); aber wie geht es zu, daß die Georgier und die Russen, welche hier zu Lande mehr Wein trinken, als die Kameele Wasser, doch nicht weiser werden davon?«

– Die Russen sind nicht so ganz dumm, sonst würd' es ihnen nicht gelungen sein, alle anderen Völker zu peinigen mit den Fäusten der Gewalt; und die Georgier . . . doch schreib', ich werde Dir singen! –

Aus dem Feuerquell des Weines,
      Aus dem Zaubergrund des Bechers,
            Sprudelt Gift und – süße Labung,
Sprudelt Schönes und – Gemeines:
      Nach dem eig'nen Werth des Zechers,
            Nach des Trinkenden Begabung!

In Gemeinheit tief versunken
      Liegt der Thor vom Rausch bemeistert;
Wenn er trinkt – wird er betrunken,
      Trinken wir – sind wir begeistert!
      Sprühen hohe Witzesfunken,
      Reden wie mit Engelzungen,
      Und von Glut sind wir durchdrungen,
      Und von Schönheit sind wir trunken!

Denn es gleicht der Wein dem Regen,
      Der im Schmutze selbst zu Schmutz wird
Doch auf gutem Acker Segen
      Bringt und Jedermann zu Nutz' wird!

Hat nicht schon Saadi gesungen: »Der Regen, ob er sich auch in seiner Natur niemals ändert, wird im Garten Anemonen und allerhand schöne Blumen, in salzigen und unfruchtbaren Orten aber nur Disteln hervorbringen!«

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