Elftes KapitelDie Schule der Weisheit
(3. Fortsetzung)
Mirza-Schaffy! – sprach ich, als wir
wieder versammelt saßen im Divan der Weisheit – was sagt
Hafis, wo er von der Untreue der Frauen spricht?«
Der Mirza stellte seinen ausgerauchten Tschibuq bei
Seite, schlürfte ein Glas Wein herunter und hub an zu
singen:
»Wahrlich würd' ich an den Schönen
Gar Nichts auszusetzen wissen,
Als daß insgemein die Schönen
Nichts von Treu' und Liebe wissen.«
Wenn der Weise einmal in's Singen kam, so war kein
Aufhören; kaum hatte er die oben angeführten Verse beendet,
als er gleich wieder ein anderes Lied von Hafis anstimmte:
»Seh' ich Dich an, trag' ich die Spur von
Deiner Wangen Wiederschein!
Sieh': die Sonne zittert nur von
Deiner Wangen Wiederschein!«
»Laß das jetzt! – unterbrach ich ihn – ich wünsche, daß
Du mich heute über andere Dinge belehrst. Sag' mir, o Mirza!
hat Hafis nicht auch von der Untreue der Männer gesungen?«
– Deine Frage ist unweise! Wie sollte Hafis auf den
Gedanken kommen, von der Untreue der Männer zu singen?
Darüber zu klagen, konnt' er den Frauen überlassen; wer wird
sich selber ein Feind sein? –
Er klatschte in die Hände, ließ sich eine frische Pfeife
bringen, warf mir einen forschenden Blick zu, den ich mit
großer Seelenruhe erwiederte, und also fuhr er fort in
seiner Belehrung:
– Wie läßt sich die Untreue des Mannes mit der einer Frau
vergleichen? Eine Blume kann man nur Einmal brechen; sie
welkt, und ihr Duft ist dahin! Aber der Wind, der die zarte
Rose zerknickt, braust an dem starken Baume fast spurlos
vorüber. –
»Wehen nicht auch Winde durch's Blumenbeet, bei deren
Hauch die Rosen nur frischer blühen, statt zu welken?«
– Du redest weise, o Jünger! Du näherst Dich meinen
Gedanken. Sieh', wie der Epheu, das Sinnbild des Weibes,
sich lieblich emporrankt an dem starken Loorbeerbaume, ihm
und sich selber zum Schmucke! Nimm der Epheuranke den
stützenden Baum, – und sie sinkt zur Erde und wird zertreten
von den Füßen der Menschen; wenn sich nicht eine andere
Stütze ihr bietet, daran sie sich aufrichtet und weiter
grünt. –
»Rede ohne Bilder, o Mirza! und laß die Umschweife, damit
der Sinn Deiner Worte mir deutlicher werde.«
– Was ist eine Rede ohne gute Bilder? Was ist die Tugend
ohne gute Werke? –
»Du hast Recht; fahre fort in Deiner Belehrung!«
– Ich will Dir eine Frage vorlegen, um Dich zu prüfen in
der Erkenntniß der Wahrheit. Was ist seltener: Dummheit bei
den Frauen oder Weisheit bei den Männern? –
»Ich glaube, das Letztere.«
Der Mirza nickte bejahend, und nachdem er ein frisches
Glas getrunken, fragte er weiter:
– Was ist besser: es mit den Klugen zu halten, oder mit
den Thoren? –
»Ich glaube, das Erstere.«
– Unsere Wege führen zusammen. Du wirst nunmehr im Stande
sein, den Blick der Aufklärung zu werfen in die Geheimnisse
der Untreue, wie bei Männern so bei Frauen! Wenn das Herz
ganz voll ist von Einer Liebe, wo bleibt der Platz für eine
andere? –
»Ich würde Dich bitten, o Mirza, mir ein Beispiel aus
Deinem eigenen Leben zu geben, wenn Du nicht eine Ausnahme
bildetest von der Regel, in Deiner Weisheit.«
Wiederum warf der Weise mir einen forschenden Blick zu,
den ich eben so ruhig ertrug wie das Erstemal.
– Wohl bin ich eine Ausnahme! – entgegnete er nach kurzer
Pause – denn so wie ich, hat nie ein Mann geliebt! Meine
Sonne ist untergegangen, aber die Glut, welche sie in mir
zurückgelassen, ist immer noch mehr werth, als das
Strohfeuer der gewöhnlichen Menschen. Was sagt Hafis:
»Kauf' mein zerschlagenes Herz, in tausend Stücke
zerbrochen
Ist es so viel als tausend der anderen werth!«
Die Frauen wissen das und lieben mich.
Einst mußte Eine mir Alle ersetzen – jetzt ersetzen Alle mir
die Eine nicht! Aber soll ich, weil der Tag entschwunden,
mich der Sterne nicht freuen, welche die Nacht meines Lebens
durchschimmern? Soll ich die Frauen hassen, weil sie mich
lieben? Ist es meine Schuld, daß die Sprache nur Ein Wort
hat für Gefühle so verschiedener Art, wie die Frauen
verschieden sind, die sie einflößen! Lange war ich ein Thor
und lebte ohne allen Verkehr mit den Weibern; aber Zuléikha
hat nichts dabei gewonnen und ich habe viel dadurch
verloren! –
»Jetzt bist Du weiser, o Mirza?«
Er nickte bejahend und bedeutete mich, das Kalemdan
(Schreibzeug) zu bereiten.
Er sang, und ich schrieb:
»Mirza-Schaffy, leichtsinnig Flatterherz!
Du wechselst Deine Liebe wie die Lieder.«
– Es lieben mich die Frauen allerwärts,
Und da, wo ich geliebt bin, lieb' ich wieder!
***
Ich konnte dem Drange nicht widerstehen, zu erforschen,
wie der Weise von Gjändsha mit seiner allzeit fertigen
Dialektik die Fragen beantworten würde:
»Worüber so manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perrückenhäupter und tausend andere
Arme schwitzende Menschenhäupter.«
(Heine)
Aber er fertigte mich kürzer ab, als ich erwartet hatte.
– Es ist eine Thorheit – sagte er – über solche Dinge die
Zeit zu verlieren! Zu groß ist der Sprung vom Nichts zum
Etwas. Hier liegt eine Kluft, welche alle Weisheit der
Weisen nimmer ausfüllen wird. Solche Grübeleien haben noch
keinen Thoren weiser, wohl aber viele Weisen zu Thoren
gemacht. Was sagt Saadi: »Wenn auch die Wolken Wasser des
Lebens regneten und das Land am fruchtbarsten machten,
würdest Du doch keine Frucht von Weidenbäumen sammeln!«
Scheint uns die Sonne weniger schön, weil wir ihr Wesen
nicht zu ergründen vermögen? Duftet die Rose minder
lieblich, weil sie in der schmutzigsten Erde am besten
gedeiht?
Wahrlich, jenes spielende Kind mit den frischen Wangen
ist weiser in seiner Einfalt, als der hohlwangige Hadshi,
der augenverdrehende Frömmler.
Das Leben ist ein Kampf zwischen Licht und Finsterniß,
zwischen Gutem und Schlechtem, zwischen Schönem und
Gemeinem; und der Weiseste ist, wer am meisten Schönes
herausfindet aus dem Schlamme der Welt.
Es ist eine und dieselbe Glut, welche durch unsern Geist,
durch die Sonne, durch die Wange der Schönheit, durch das
Blatt der Rose leuchtet.
Vor dieser Glut bete an! –