Vierzehntes KapitelDie Schule der Weisheit
(Schluß)
Wir sind wieder in Tiflis, und sitzen
versammelt um Mirza-Schaffy, im Divan der Weisheit.
Wie hatte der Weise geseufzt nach unserer Rückkehr aus
dem Lande der Häïghk! (Armenier) und wie erfreut war er, uns
wieder zu sehen nach langer Trennung!
Mehrere Wochen vergingen, ehe der Unterricht wieder
seinen gewöhnlichen Gang nahm; so viel gab es zu fragen, zu
erzählen und zu erklären.
Wir entzifferten gemeinschaftlich die auf der Reise
gesammelten Inschriften, sowie die tatarischen Lieder des
blinden Barden Keschi-Oglu, wovon mir Obowian eine kleine
Sammlung verschafft hatte.
Einige kleine Geschenke, welche wir dem Mirza vom Bazar
zu Eriwan mitgebracht hatten, wurden erwiedert durch ein von
seiner eigenen Hand geschriebenes Heft, betitelt: »Der
Schlüssel der Weisheit,« und unsers Lehrers ganze
Weltanschauung, theils in kurzen Kernsprüchen, theils in
längern Abhandlungen, enthaltend.
Bevor wir begannen, dieses Heft unter seiner Anleitung zu
lesen, mußten wir ihm eine kurze Beschreibung unserer Reise
liefern. Außerordentlich ergötzten ihn die Stellen, wo wir
der lustigen Trinkgelage in Eriwan und der Tugenden des
armenischen Weines (der etwa dem Monte Pulciano, wie man ihn
in Rom trinkt, vergleichbar) rühmend gedachten.
»Was sagt Hafis?« rief er –
»Labe Dich der freudenreiche
Wein, der Kuß der jungen Maid –
Manche wunderliche Streiche
Ziemen wohl der Jugendzeit!«
Bei der Stelle, wo wir von den unreinlichen
Beschäftigungen der armenischen Dorfbewohnerinnen, vom Bau
der Kisljak-Pyramiden, sprachen, verfinsterte sich sein
Gesicht, und er meinte, diese Pyramiden seien Denkmäler der
Schande für die Männer, die ihre Frauen zu solcher Arbeit
herabwürdigten.
»Schmutz auf ihr Haupt!« schloß er seine lange
Randglosse, worin er nachwies, daß man die Frauen niemals
hoch genug stellen könne, und daß die Männer immer und
überall an den Schwächen und Auswüchsen des schönen
Geschlechts selbst Schuld seien.
»Wie kann die Rose gedeihen – rief er – ohne
Sonnenschein! Wie kann das Veilchen blühen auf salzigem
Boden! Siehe, wie Blumen sind die Frauen, die immer schöner
und duftiger werden, je mehr man sie pflegt und hütet. Die
Männer aber sollen Wärter sein im Garten der Schönheit; sie
mögen sich erfreuen am Duft der Blumen, aber sie sollen sie
nicht zerdrücken mit den Händen der Rohheit. Gleichwie man
das Unkraut ausjätet vom Blumenbeet, also soll alles
Schlechte und Gemeine entfernt werden aus der Nähe der
Frauen!
»Tritt die Rose mit Füßen – und ihre Stacheln verwunden
Dich; pflege sie mit Liebe und Sorgfalt – und sie wird
blühen und duften, Dir und sich selbst eine Zierde!
»Mach' Dich freiwillig zum Sklaven einer Frau – und sie
wird es nicht dulden, sondern sich selbst vor Dir beugen und
in dankbarer Liebe zu Dir emporblicken als zu ihrem Herrn;
mache die Frau gewaltsam zu Deiner Sklavin – und sie wird es
noch weniger dulden, sondern durch List und Schlauheit die
Herrschaft über Dich zu erringen suchen. Denn das Reich der
Liebe ist das Reich der Widersprüche; der Weise aber merkt
sich das und handelt danach!«
Er schlürfte ein Glas Wein herunter, ließ sich eine
frische Pfeife bringen, und begann von andern Dingen zu
sprechen. Ich aber unterbrach ihn und sprach: Deine Worte
klingen lieblich, o Mirza-Schaffy! auch ich lese gern im
Koran der Schönheit; darum fahre fort in Deiner Belehrung
über die Frauen!
»Deine Bitte athmet Weisheit – erwiederte der Mirza –
darum leih' ich Dir gern das Ohr der Gewährung. Denn je mehr
man sich mit den Frauen beschäftigt, desto mehr lernt man
sie kennen; und je mehr man sie kennen lernt, desto mehr
lernt man sie lieben; und je mehr man sie liebt, desto mehr
wird man wieder geliebt – denn jegliche wahre Liebe findet
ihre Erwiederung, und die höchste Liebe ist die höchste
Weisheit.
»Was giebt es Höheres in der Welt, als die Frauen? Was
sind alle lustigen Träume von den Houris im Paradiese gegen
diese schönen Wirklichkeiten auf Erden?
»Frage die Völker von Rumeli: was ist das Höchste in der
Welt? und sie antworten: der Sultan! Richte dieselbe Frage
an die Völker von Farsistan, und sie antworten: der Schach!
Denn die Sunniten halten den Sultan, und die Schiiten halten
den Schach für den Schatten Allah's auf Erden. Aber was ist
der Schein gegen die Wirklichkeit? Was ist der Schatten
gegen das Wesen? Und wahrlich, ich sage Dir: die Frauen sind
das Wesen Allah's auf Erden! Sie sind die Trägerinnen des
Lebens, die Säulen der Anmuth, die Edelsteine in der Krone
des Glücks. Wer es mit ihnen hält, der ist wohlberathen. Ein
Kuß auf die Hand einer Schönen ist besseres Labsal als der
Genuß der köstlichsten Speisen. . . .«
»Aber die Hand muß reinlicher sein als die Hände der
schönen Dorfbewohnerinnen Armeniens, o Mirza!«
»Du redest unweise, o Jünger! denn das ist eben das
Wunderbare in der Natur der Frauen, daß der kluge Mann Alles
aus ihnen machen kann. Darum fließen alle Untugenden der
Frauen nur aus der falschen Behandlung der Männer. Gewöhne
eine Frau daran, ihr die Hand zu küssen, und ihre Hand wird
immer sauber und rein sein; küß ihr den Fuß – und sie wird
ihre Füße pflegen mit der weiblichsten Sorgfalt!«
So begeistert hatte ich den Weisen niemals gesehen, wie
diesen Abend. Es war des Rühmens der Frauen kein Ende. Schon
seit einiger Zeit war mir sein gänzlich verändertes Wesen
aufgefallen. Der alte Trübsinn aus seinem Antlitz hatte
einem wohlthuenden Ausdruck der Freude und Zufriedenheit
Platz gemacht.
Meine Vermuthung, daß sein Herz sich auf's Neue der Liebe
erschlossen, und daß hinter jener nächtlichen
Mondscheinscene, wobei ich ihn überraschte, etwas mehr
stecke als eine flüchtige Leidenschaft, bestätigte sich
vollkommen.
Er war zerstreut, aber blieb immer bei guter Laune, wenn
ich ihn aus seinen Träumereien weckte und zur Tagesordnung
zurückrief. Jede Pause im Unterricht wurde durch Singen
ausgefüllt; jeder Wunsch, jede Erklärung durch ein paar
Verse ausgeschmückt.
Er griff nach der Flasche; die Flasche war leer. »Laß
Wein kommen! – rief er – was sagt Hafis:
Mädchen, bring' Wein
Denn es bricht herein
Uns die Zeit jetzt der Rosen!
Umgehn wir auf's Neue
Den Pfad der Reue
In der Mitte der Rosen. . . .«
»Mirza-Schaffy! – unterbrach ich ihn – Du bist verliebt
von Kopf bis zu Fuß; gesteh' es nur, ich merke es an Deinem
ganzen Wesen!«
»Du hast Recht – entgegnete er lächelnd – Die Welt
erscheint mir wieder im rosigen Lichte! Was sagt Hafis:
Auf dem stürmischen Meer
Lange schifft' ich umher,
Trotzte Gefahr und Tod –
Doch die Gefahr ist verschwunden;
Seit ich die Perle gefunden
Hab' ich des Meeres nicht Noth!«
Und wieder unterbrach ich ihn: »Warum singst Du nicht
Deine eigenen Lieder, o Mirza? Hafisens wonnige Gesänge kann
ich immer lesen, aber Deine Stimme kann ich nur hören, so
lange ich bei Dir bin!«
Er nickte einverstanden, bat mich, das Kalemdan zu
bereiten, und alsobald hub er zu singen an:
Nach einem hohen Ziele streben wir,
So ich wie Du!
Uns in Gefangenschaft begeben wir,
So ich wie Du!
In mein Herz sperr' ich Dich – Du mich in Deines;
Getrennt und doch vereint so leben wir,
So ich wie Du!
Dich fing mein Witz – und mich Dein schönes Auge,
Und wie zwei Fisch' am Angel schweben wir,
So ich wie Du!
Und doch den Fischen ungleich – durch die Lüfte
Uns wie ein Adlerpaar erheben wir,
So ich wie Du!
»Du schreibst doch nicht?« unterbrach er sich plötzlich.
»Allerdings schreib ich; Du hast mir's ja gesagt!«
»Aber nicht solchen Unsinn sollst Du schreiben! Ich
wollte mich nur erst ein Wenig austoben; denn nichts ist
schwieriger als vernünftige Verse zu machen, wenn man
verliebt ist!«
»Aber wenn es gelingt, so wird es auch etwas Besonderes!«
»Nach der Natur des Bodens darauf es wächst! jetzt
schreib', ich werde singen:«
So singt Mirza-Schaffy: wir wollen sorglos
In der Gefahr sein –
Im Bund mit Wein, mit Rosen und mit Frauen
Des Kummers baar sein!
Mag Heuchelei mit Hochmuth sich verbünden,
Bosheit mit Dummheit –
Wir aber wollen eine geisterles'ne
Geweihte Schaar sein!
Vorläufer der Erlösung, Tempelstürmer
Des Aberglaubens –
Verkündiger der Wahrheit, die einst Allen
Wird offenbar sein!
Ein Schwert ist unser, schärfer als das
schärfste
Schwert von Damaskus –
Und wo es trifft, da wird geheilt den Blinden
Der schwarze Staar sein!
Wir reißen Sonne, Mond und Sterne nieder,
Es soll ihr Feuer
Im Liede glüh'n und Opferflamme auf der
Schönheit Altar sein!
So wandeln wir einher mit froher Botschaft,
Und Nichts hinfort
Soll uns Verfängliches, als schöne Augen
Und schönes Haar sein!
***
Hier müssen wir den Vorhang fallen lassen über
Mirza-Schaffy, und die Schule der Weisheit schließen, um den
vorgezeichneten Raum nicht zu überschreiten, und auch den
übrigen Begegnungen unserer Wanderfahrt gerecht zu werden.
Wo eine Rundschau gehalten wird über so mannigfaltige und
fremdartige Erscheinungen, wie dieses Buch dem Leser sie
bieten soll, da kann jedes Bild nur auf einen kleinen Rahmen
Anspruch machen.
Sollte aber mein ehrwürdiger Lehrer, nach der leichten
Skizze die ich hier von ihm entworfen habe, viele Freunde
finden im Abendlande, so wäre ich gar nicht abgeneigt, ihn
der Welt einmal in seiner ganzen Größe vorzuführen, und dem
Weisen von Gjändsha ein besonderes Buch zu widmen. Stoff
dazu würden seine vielen, noch unübersetzten Gedichte, sein
»Schlüssel zur Weisheit,« seine lange Korrespondenz mit mir
und seine letzte Liebesgeschichte in Fülle bieten.
Auch im Verlauf dieser Blätter werden wir noch oft
Gelegenheit haben, Mirza-Schaffy's zu gedenken, da seine
Beziehungen zu mir auf alle meine späteren Erlebnisse im
Orient von Einfluß waren.
Er vermittelte meine Bekanntschaft mit den berühmtesten
Schriftgelehrten in den Ländern des Kaukasus, und besonders
mit dem Weisen Omar-Effendi, dessen schon in den frühern
Kapiteln dieses Buchs rühmend gedacht wurde, und mit dem ich
auf meiner Wanderung durch's Paschalick Achalzich einen
poetischen Wettkampf der Weisheit zu bestehen hatte, wovon
der Leser eine kurze Schilderung in den nachfolgenden
Aufzeichnungen finden wird.
Hier mögen zuvörderst noch ein paar kleine Lieder Platz
finden, als Nachklänge aus der Schule der Weisheit, und als
Uebergänge zu neuen Wanderungen.
1.
Gelb rollt mir zu Füßen der brausende
Kur
Im tanzenden Wellengetriebe;
Hell lächelt die Sonne, mein Herz und die Flur –
O, wenn es doch immer so bliebe!
Roth funkelt im Glas der kachetische Wein,
Es füllt mir das Glas meine Liebe –
Und ich saug' mit dem Wein ihre Blicke ein –
O, wenn es doch immer so bliebe!
Die Sonne geht unter, schon dunkelt die
Nacht,
Doch mein Herz, gleich dem Sterne der Liebe,
Flammt im tiefsten Dunkel in hellster Pracht –
O, wenn es doch immer so bliebe!
In das schwarze Meer Deiner Augen rauscht
Der reißende Strom meiner Liebe;
Komm, Mädchen! es dunkelt und Niemand lauscht –
O, wenn es doch immer so bliebe!
2.
Die helle Sonne leuchtet
Auf's weite Meer hernieder,
Und alle Wellen zittern
Von ihrem Glanze wieder.
Du spiegelst Dich, wie die Sonne,
Im Meere meiner Lieder;
Sie alle glüh'n und zittern
Von Deinem Glanze wieder!
3.
Ich fühle Deinen Odem
Mich überall umweh'n –
Wohin die Augen schweifen,
Wähn' ich, Dein Bild zu seh'n!
Im Meere meiner Gedanken
Kannst Du nur untergeh'n,
Um, wie die Sonne, Morgens
Schön wieder aufzusteh'n!