Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Vierzehntes Kapitel

Die Schule der Weisheit

(Schluß)

Wir sind wieder in Tiflis, und sitzen versammelt um Mirza-Schaffy, im Divan der Weisheit.

Wie hatte der Weise geseufzt nach unserer Rückkehr aus dem Lande der Häïghk! (Armenier) und wie erfreut war er, uns wieder zu sehen nach langer Trennung!

Mehrere Wochen vergingen, ehe der Unterricht wieder seinen gewöhnlichen Gang nahm; so viel gab es zu fragen, zu erzählen und zu erklären.

Wir entzifferten gemeinschaftlich die auf der Reise gesammelten Inschriften, sowie die tatarischen Lieder des blinden Barden Keschi-Oglu, wovon mir Obowian eine kleine Sammlung verschafft hatte.

Einige kleine Geschenke, welche wir dem Mirza vom Bazar zu Eriwan mitgebracht hatten, wurden erwiedert durch ein von seiner eigenen Hand geschriebenes Heft, betitelt: »Der Schlüssel der Weisheit,« und unsers Lehrers ganze Weltanschauung, theils in kurzen Kernsprüchen, theils in längern Abhandlungen, enthaltend.

Bevor wir begannen, dieses Heft unter seiner Anleitung zu lesen, mußten wir ihm eine kurze Beschreibung unserer Reise liefern. Außerordentlich ergötzten ihn die Stellen, wo wir der lustigen Trinkgelage in Eriwan und der Tugenden des armenischen Weines (der etwa dem Monte Pulciano, wie man ihn in Rom trinkt, vergleichbar) rühmend gedachten.

»Was sagt Hafis?« rief er –

»Labe Dich der freudenreiche
Wein, der Kuß der jungen Maid –
Manche wunderliche Streiche
Ziemen wohl der Jugendzeit!«

Bei der Stelle, wo wir von den unreinlichen Beschäftigungen der armenischen Dorfbewohnerinnen, vom Bau der Kisljak-Pyramiden, sprachen, verfinsterte sich sein Gesicht, und er meinte, diese Pyramiden seien Denkmäler der Schande für die Männer, die ihre Frauen zu solcher Arbeit herabwürdigten.

»Schmutz auf ihr Haupt!« schloß er seine lange Randglosse, worin er nachwies, daß man die Frauen niemals hoch genug stellen könne, und daß die Männer immer und überall an den Schwächen und Auswüchsen des schönen Geschlechts selbst Schuld seien.

»Wie kann die Rose gedeihen – rief er – ohne Sonnenschein! Wie kann das Veilchen blühen auf salzigem Boden! Siehe, wie Blumen sind die Frauen, die immer schöner und duftiger werden, je mehr man sie pflegt und hütet. Die Männer aber sollen Wärter sein im Garten der Schönheit; sie mögen sich erfreuen am Duft der Blumen, aber sie sollen sie nicht zerdrücken mit den Händen der Rohheit. Gleichwie man das Unkraut ausjätet vom Blumenbeet, also soll alles Schlechte und Gemeine entfernt werden aus der Nähe der Frauen!

»Tritt die Rose mit Füßen – und ihre Stacheln verwunden Dich; pflege sie mit Liebe und Sorgfalt – und sie wird blühen und duften, Dir und sich selbst eine Zierde!

»Mach' Dich freiwillig zum Sklaven einer Frau – und sie wird es nicht dulden, sondern sich selbst vor Dir beugen und in dankbarer Liebe zu Dir emporblicken als zu ihrem Herrn; mache die Frau gewaltsam zu Deiner Sklavin – und sie wird es noch weniger dulden, sondern durch List und Schlauheit die Herrschaft über Dich zu erringen suchen. Denn das Reich der Liebe ist das Reich der Widersprüche; der Weise aber merkt sich das und handelt danach!«

Er schlürfte ein Glas Wein herunter, ließ sich eine frische Pfeife bringen, und begann von andern Dingen zu sprechen. Ich aber unterbrach ihn und sprach: Deine Worte klingen lieblich, o Mirza-Schaffy! auch ich lese gern im Koran der Schönheit; darum fahre fort in Deiner Belehrung über die Frauen!

»Deine Bitte athmet Weisheit – erwiederte der Mirza – darum leih' ich Dir gern das Ohr der Gewährung. Denn je mehr man sich mit den Frauen beschäftigt, desto mehr lernt man sie kennen; und je mehr man sie kennen lernt, desto mehr lernt man sie lieben; und je mehr man sie liebt, desto mehr wird man wieder geliebt – denn jegliche wahre Liebe findet ihre Erwiederung, und die höchste Liebe ist die höchste Weisheit.

»Was giebt es Höheres in der Welt, als die Frauen? Was sind alle lustigen Träume von den Houris im Paradiese gegen diese schönen Wirklichkeiten auf Erden?

»Frage die Völker von Rumeli: was ist das Höchste in der Welt? und sie antworten: der Sultan! Richte dieselbe Frage an die Völker von Farsistan, und sie antworten: der Schach! Denn die Sunniten halten den Sultan, und die Schiiten halten den Schach für den Schatten Allah's auf Erden. Aber was ist der Schein gegen die Wirklichkeit? Was ist der Schatten gegen das Wesen? Und wahrlich, ich sage Dir: die Frauen sind das Wesen Allah's auf Erden! Sie sind die Trägerinnen des Lebens, die Säulen der Anmuth, die Edelsteine in der Krone des Glücks. Wer es mit ihnen hält, der ist wohlberathen. Ein Kuß auf die Hand einer Schönen ist besseres Labsal als der Genuß der köstlichsten Speisen. . . .«

»Aber die Hand muß reinlicher sein als die Hände der schönen Dorfbewohnerinnen Armeniens, o Mirza!«

»Du redest unweise, o Jünger! denn das ist eben das Wunderbare in der Natur der Frauen, daß der kluge Mann Alles aus ihnen machen kann. Darum fließen alle Untugenden der Frauen nur aus der falschen Behandlung der Männer. Gewöhne eine Frau daran, ihr die Hand zu küssen, und ihre Hand wird immer sauber und rein sein; küß ihr den Fuß – und sie wird ihre Füße pflegen mit der weiblichsten Sorgfalt!«

So begeistert hatte ich den Weisen niemals gesehen, wie diesen Abend. Es war des Rühmens der Frauen kein Ende. Schon seit einiger Zeit war mir sein gänzlich verändertes Wesen aufgefallen. Der alte Trübsinn aus seinem Antlitz hatte einem wohlthuenden Ausdruck der Freude und Zufriedenheit Platz gemacht.

Meine Vermuthung, daß sein Herz sich auf's Neue der Liebe erschlossen, und daß hinter jener nächtlichen Mondscheinscene, wobei ich ihn überraschte, etwas mehr stecke als eine flüchtige Leidenschaft, bestätigte sich vollkommen.

Er war zerstreut, aber blieb immer bei guter Laune, wenn ich ihn aus seinen Träumereien weckte und zur Tagesordnung zurückrief. Jede Pause im Unterricht wurde durch Singen ausgefüllt; jeder Wunsch, jede Erklärung durch ein paar Verse ausgeschmückt.

Er griff nach der Flasche; die Flasche war leer. »Laß Wein kommen! – rief er – was sagt Hafis:

      Mädchen, bring' Wein
      Denn es bricht herein
Uns die Zeit jetzt der Rosen!
      Umgehn wir auf's Neue
      Den Pfad der Reue
In der Mitte der Rosen. . . .«

»Mirza-Schaffy! – unterbrach ich ihn – Du bist verliebt von Kopf bis zu Fuß; gesteh' es nur, ich merke es an Deinem ganzen Wesen!«

»Du hast Recht – entgegnete er lächelnd – Die Welt erscheint mir wieder im rosigen Lichte! Was sagt Hafis:

      Auf dem stürmischen Meer
      Lange schifft' ich umher,
Trotzte Gefahr und Tod –
      Doch die Gefahr ist verschwunden;
      Seit ich die Perle gefunden
Hab' ich des Meeres nicht Noth!«

Und wieder unterbrach ich ihn: »Warum singst Du nicht Deine eigenen Lieder, o Mirza? Hafisens wonnige Gesänge kann ich immer lesen, aber Deine Stimme kann ich nur hören, so lange ich bei Dir bin!«

Er nickte einverstanden, bat mich, das Kalemdan zu bereiten, und alsobald hub er zu singen an:

Nach einem hohen Ziele streben wir,
                        So ich wie Du!
Uns in Gefangenschaft begeben wir,
                        So ich wie Du!
In mein Herz sperr' ich Dich – Du mich in Deines;
Getrennt und doch vereint so leben wir,
                        So ich wie Du!
Dich fing mein Witz – und mich Dein schönes Auge,
Und wie zwei Fisch' am Angel schweben wir,
                        So ich wie Du!
Und doch den Fischen ungleich – durch die Lüfte
Uns wie ein Adlerpaar erheben wir,
                        So ich wie Du!

»Du schreibst doch nicht?« unterbrach er sich plötzlich.

»Allerdings schreib ich; Du hast mir's ja gesagt!«

»Aber nicht solchen Unsinn sollst Du schreiben! Ich wollte mich nur erst ein Wenig austoben; denn nichts ist schwieriger als vernünftige Verse zu machen, wenn man verliebt ist!«

»Aber wenn es gelingt, so wird es auch etwas Besonderes!«

»Nach der Natur des Bodens darauf es wächst! jetzt schreib', ich werde singen:«

So singt Mirza-Schaffy: wir wollen sorglos
              In der Gefahr sein –
Im Bund mit Wein, mit Rosen und mit Frauen
              Des Kummers baar sein!

Mag Heuchelei mit Hochmuth sich verbünden,
              Bosheit mit Dummheit –
Wir aber wollen eine geisterles'ne
              Geweihte Schaar sein!

Vorläufer der Erlösung, Tempelstürmer
              Des Aberglaubens –
Verkündiger der Wahrheit, die einst Allen
              Wird offenbar sein!

Ein Schwert ist unser, schärfer als das schärfste
              Schwert von Damaskus –
Und wo es trifft, da wird geheilt den Blinden
              Der schwarze Staar sein!

Wir reißen Sonne, Mond und Sterne nieder,
              Es soll ihr Feuer
Im Liede glüh'n und Opferflamme auf der
              Schönheit Altar sein!

So wandeln wir einher mit froher Botschaft,
              Und Nichts hinfort
Soll uns Verfängliches, als schöne Augen
              Und schönes Haar sein!

 

***

Hier müssen wir den Vorhang fallen lassen über Mirza-Schaffy, und die Schule der Weisheit schließen, um den vorgezeichneten Raum nicht zu überschreiten, und auch den übrigen Begegnungen unserer Wanderfahrt gerecht zu werden.

Wo eine Rundschau gehalten wird über so mannigfaltige und fremdartige Erscheinungen, wie dieses Buch dem Leser sie bieten soll, da kann jedes Bild nur auf einen kleinen Rahmen Anspruch machen.

Sollte aber mein ehrwürdiger Lehrer, nach der leichten Skizze die ich hier von ihm entworfen habe, viele Freunde finden im Abendlande, so wäre ich gar nicht abgeneigt, ihn der Welt einmal in seiner ganzen Größe vorzuführen, und dem Weisen von Gjändsha ein besonderes Buch zu widmen. Stoff dazu würden seine vielen, noch unübersetzten Gedichte, sein »Schlüssel zur Weisheit,« seine lange Korrespondenz mit mir und seine letzte Liebesgeschichte in Fülle bieten.

Auch im Verlauf dieser Blätter werden wir noch oft Gelegenheit haben, Mirza-Schaffy's zu gedenken, da seine Beziehungen zu mir auf alle meine späteren Erlebnisse im Orient von Einfluß waren.

Er vermittelte meine Bekanntschaft mit den berühmtesten Schriftgelehrten in den Ländern des Kaukasus, und besonders mit dem Weisen Omar-Effendi, dessen schon in den frühern Kapiteln dieses Buchs rühmend gedacht wurde, und mit dem ich auf meiner Wanderung durch's Paschalick Achalzich einen poetischen Wettkampf der Weisheit zu bestehen hatte, wovon der Leser eine kurze Schilderung in den nachfolgenden Aufzeichnungen finden wird.

Hier mögen zuvörderst noch ein paar kleine Lieder Platz finden, als Nachklänge aus der Schule der Weisheit, und als Uebergänge zu neuen Wanderungen.

1.

Gelb rollt mir zu Füßen der brausende Kur
Im tanzenden Wellengetriebe;
Hell lächelt die Sonne, mein Herz und die Flur –
        O, wenn es doch immer so bliebe!

Roth funkelt im Glas der kachetische Wein,
Es füllt mir das Glas meine Liebe –
Und ich saug' mit dem Wein ihre Blicke ein –
        O, wenn es doch immer so bliebe!

Die Sonne geht unter, schon dunkelt die Nacht,
Doch mein Herz, gleich dem Sterne der Liebe,
Flammt im tiefsten Dunkel in hellster Pracht –
        O, wenn es doch immer so bliebe!

In das schwarze Meer Deiner Augen rauscht
Der reißende Strom meiner Liebe;
Komm, Mädchen! es dunkelt und Niemand lauscht –
        O, wenn es doch immer so bliebe!

2.

Die helle Sonne leuchtet
    Auf's weite Meer hernieder,
Und alle Wellen zittern
    Von ihrem Glanze wieder.

Du spiegelst Dich, wie die Sonne,
    Im Meere meiner Lieder;
Sie alle glüh'n und zittern
    Von Deinem Glanze wieder!

3.

Ich fühle Deinen Odem
    Mich überall umweh'n –
Wohin die Augen schweifen,
    Wähn' ich, Dein Bild zu seh'n!

Im Meere meiner Gedanken
    Kannst Du nur untergeh'n,
Um, wie die Sonne, Morgens
    Schön wieder aufzusteh'n!

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