Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Siebzehntes Kapitel

Georgisches Allerlei

Ueber Chertwis, Zalka und Manglis kehrte ich nach Tiflis zurück, um den Winter dort zuzubringen.

Der Geleitspruch, welchen mir Omar-Effendi mit auf den Weg gab, war wieder aus dem Gjülistan des Saadi, und lautete:

»Ein neugepflanzter Baum kann durch einen starken Mann leicht wieder aus der Erde gezogen werden; so der Baum aber eine Zeitlang gestanden, und tiefe Wurzeln geschlagen, wird man ihn selbst mit einem Gespann Pferde nicht herausreißen können.«

***

Ich habe Euch bis jetzt Tiflis und seine Bewohner immer nur an schönen Frühlingstagen und aus verklärender Ferne gezeigt – laßt uns nun die Bilder einmal zu einer andern Jahreszeit, und in der Nähe betrachten.

Es ist Winter. Wir haben zur Nacht ein paar Grad Kälte gehabt; dem schon zu dicker Schicht angewachsenen Schnee droht noch anderer zu folgen; der Himmel ist grau umwölkt und benimmt alle Aussicht auf die Gebirge; kaum noch bemerkt man aus der Ferne die hohe Bergveste von Tiflis, die so unheimlich aussieht, als wolle sie mit ihrem Schneemantel alle die blutigen Erinnerungen verhüllen, welche vergangene Jahrhunderte in ihr zurückgelassen. Der Winterschmuck steht ihr schlecht, wie ihrer ganzen Umgebung.

Die Kälte ist hier für einen Nordländer doppelt empfindlich und unangenehm, weil er fast gar keine schützenden Vorkehrungen dagegen findet. Dennoch wünschte ich immer bei der steigenden Wärme des vorrückenden Tages die Kälte des Morgens zurück, denn wenn die Sonne auf ein paar Stunden den Wolkenschleier zerreißt, so wird die ganze Stadt in ein Schmutzmeer verwandelt.

Der Morgens von den Dächern der Häuser heruntergeschaufelte Schnee häuft sich in den engen, krummen Gassen zu förmlichen Hügeln an, und bildet, durchknetet von Sonnenblicken und Kameeltritten, eine so unergründliche Masse, daß ein Fußgänger bei jedem Schritte tief einsinkt, und selbst der bestbespannte Wagen Mühe hat, durchzukommen.

Aber dies ist noch die schönste Seite des Winters, die höchstens ein paar Wochen dauert, während welcher man doch wenigstens Morgens und Abends ausgehen kann, wenn durch die Kälte der Schmutz eine gewisse Festigkeit gewinnt.

Die eigentliche Dreck-Saison beginnt erst, wenn die Nachtfröste und Schneegestöber ganz aufgehört haben.

Die Luft ist warm, wo die Stadt von den sie umschließenden Bergen geschützt wird; aber dort, wo die Berge sich spalten, weht vom Kaukasus her, in selten unterbrochener Furchtbarkeit, ein schneidend kalter Wind, der die Hauptstraße von Tiflis durchheult, und auch auf dem Taurischen und Eriwan'schen Platze oft das Gehen unmöglich macht.

Durch den geschmolzenen Schnee und die häufigen Regengüsse sind die ungepflasterten Straßen oft zwei bis drei Fuß tief schmutzunterwühlt, und an tieferen Stellen ganz unter Wasser gesetzt. Während dieser Zeit – und man kann auf das Jahr immer ein paar Monate rechnen – wird jede Wanderung durch die Stadt zu einem gefährlichen Wagestück, denn selbst wer sich eines Pferdes, eines Esels, oder einer Droschke als Transportmittel bedient, kommt in Gefahr, ein unfreiwilliges Kothbad zu nehmen.

Daß unter solchen Umständen an Reinlichkeit in Kleidung und Wohnung bei der ärmeren Volksklasse, woraus doch die große Mehrzahl der Einwohner besteht, nicht zu denken ist, bedarf kaum der Erwähnung.

Ueberhaupt kennt man hier, selbst bei den höheren Ständen, mit Ausnahme derjenigen Georgier, welche sich schon ganz den europäischen Sitten anbequemt haben, keine Reinlichkeit in unserm Sinne des Wortes.

Die warmen, von Zeit zu Zeit genommenen Bäder müssen die in's Einzelne gehende Sauberkeit, wie häufigen Wechsel der Wäsche u. s. w. ersetzen.

Ich lasse es bei diesen allgemeinen Andeutungen genügen, denn so reizend es ist, eine feine und duftige Frauentoilette bis in ihre Innerlichkeiten zu verfolgen, so unerquicklich dürfte es sein, desgleichen zu thun, wo das Saubere und Feine sich blos nach Außen kehrt, wie bei der Mehrzahl der georgischen und armenischen Damen.

Die der Zahl nach schwer zu bestimmende, im Durchschnitt der verschiedenen Angaben etwa 35000 Menschen starke Bevölkerung von Tiflis, besteht in ihren Hauptelementen aus Georgiern, Armeniern, Russen, Deutschen und Persern. In geringerer Anzahl findet man Tataren, Juden, Zigeuner, Kurden, Lesghier, Osseten, Mingrelier, Imerier, Gurier, Tuschen, und viele andere Gebirgsvölker vertreten. Einzelne Franzosen und Schweizer haben sich am Eriwan'schen Platze und in den angrenzenden Straßen als Perückenmacher und Zuckerbäcker für die vornehme Welt, niedergelassen.

Diese vornehme Welt von Tiflis besteht wesentlich aus den russischen Beamten und Offizieren von höherem Range, um welche sich die reicheren georgischen und armenischen Fürstenfamilien, wie die Eristaff, Tumanow, Tschawtschewadsé, Karganow, Andronikow, Orbélian u. s. f, so wie die vielen nachgebliebenen Prinzen und Prinzessinnen des alten georgischen Königshauses schaaren.

(Wundere sich der sprachenkundige Leser nicht über die häufig vorkommende russische Endung ow bei den georgischen und armenischen Namen: die Russen treiben ihr Eroberungssystem gründlich, und unterwerfen selbst die Namen ihrer Vasallen gewaltsamen Veränderungen. Jene Endsylbe ow ist bei allen armenischen und georgischen Namen ein rein russisches Anhängsel, wo es ausgelassen ist, haben sich die betreffenden Familien der Russificirung ihres Namens widersetzt. So heißen z. B. einige Mitglieder des alten georgischen Fürstenhauses Orbélian: Orbelianow. Sogar der Fürstentitel der Herrscher von Mingrelien, Dadian, ist für einen in Rußland lebenden Zweig der Familie in Dadianow umgewandelt. Dasselbe gilt von einem Zweige der Familie v. Rosen: Rosenow u. s. w.)

Das Leben in den Salons von Tiflis unterscheidet sich in nichts Wesentlichem von dem Salonleben der größeren Städte Europa's. Nur bei feierlichen Gelegenheiten, an Gratulationstagen, auf großen Bällen im Palaste des Statthalters u. dergl. entfaltet sich eine Pracht und Mannigfaltigkeit der Kleidung, wie ich selbst in Konstantinopel und Paris nichts Aehnliches gesehen habe.

Zu den großen Bällen im Sardaarpalaste werden gewöhnlich ein paar tausend Personen geladen. Die georgischen Damen erscheinen dabei so reich geschmückt, daß sie buchstäblich ihr ganzes Vermögen in Perlen, Edelsteinen und kostbaren Stoffen zur Schau tragen. Ja, ich habe Damen gekannt, welche aus der ganzen Nachbarschaft Schmucksachen zusammenborgten, um recht glänzen zu können auf den großen Bällen von Tiflis.

Während die tanzende Welt sich in der Mitte des großen Saales bewegt, sitzen rund umher an den Wänden die stolzen nicht tanzenden asiatischen Gäste, im silbernen Gürtel die blitzenden Dolche, als ob es zum Kampfe ginge.

Hier, neben dem hochgewachsenen Tscherkessenhäuptling, der sich eine Zeitlang den Russen unterworfen, um bei günstiger Gelegenheit wieder loszuschlagen gegen seine Erbfeinde, sitzt, bedeckt mit der schwarzen, phrygischen Mütze, im blauen Talar der persische Muschtahid (Oberpriester), so feierlichen Antlitzes, als ob er die Gläubigen ermahnen wolle zum Gebet.

Jener langgewachsene Mann dort, mit den welken, gebräunten Wangen, und dem scharlachrothen Gewande, ist der Fürst der Truchmenen, der sich vor Kurzem ebenfalls mit seinem Stamme dem großen Padischah der Moskow unterworfen hat, und jetzt geblendet von dem ihm umgebenden Glanze nicht weiß, wohin er sein staunendes Auge wenden soll, inmitten der lustigen, von Juwelen schimmernden Peris, die so lieblich umherspringen und die Männer umfassen im Tanze, als wäre das ganze Haus ihr Harem und jeder Gast ihr Geliebter.

Der breitschultrige Mann dort, mit den geschlitzten Augen, dem rothgefärbten Barte, und dem silberumbrämten Waffenrocke, ist ein Tatarenchan aus dem Daghestan. Er hält seine, an den Fingerspitzen mit Chenna blaugefärbte Hand an den langen Kinshal (Dolch) und denkt, Allah ist groß, und seine Wege sind wunderbar, daß er meine Schritte geleitet in die Gemächer der Schönheit, wo die Frauen in den Gewändern der Pracht, auf den Füßen des Leichtsinns umherspringen, vor den Blicken der fremden Männer, ohne Schleier und Scham, als ob ihre eigenen Männer sie nichts kümmerten!

Jener schlanke, junge Mann dort, mit dem stolzen Gesichte und den dunklen Augen, der, sich über die Sitten seines Landes hinwegsetzend, mit der jungen Fürstin Orbelian den anmuthigen Nationaltanz, die Lesginka, tanzt, ist Daniel, der Sultan von Jelissui.

Die ganze Damenwelt betrachtet seine schöne Gestalt, seine leichten Bewegungen mit Freude und Wohlgefallen; die gläubigen Moslem aber sehen zornigen Blickes auf ihn und – dieser Eine Tanz hat ihm Land und Thron gekostet!

Ich hatte versprochen, ihn in Jelissui zu besuchen, und unterweges erfuhr ich, daß sein Volk ein furchtbares Blutbad angerichtet, die Russen aus dem Lande gejagt, und daß Sultan Daniel seine Zuflucht zu Schamyl genommen habe, dessen Erster Naïb er noch jetzt ist.

In meiner Geschichte der kaukasischen Kriege findet der Leser ausführlichere Notizen über diese Vorgänge.

Wir steigen jetzt herab aus den prachtvollen Sälen des Sardaarpalastes, um zu sehen, wie sich das Volk auf der Straße belustigt. Denn in Tiflis giebt es keine geschlossenen Lokale zur Belustigung der arbeitenden Klassen.

Nicht einmal Kaffeehäuser findet man hier, wie in Konstantinopel und Smyrna.

Die Duchans (Schenken) sind ganz kleine Winkelkneipen, welche nur von ärmeren Leuten besucht werden, und gerade Platz genug bieten für den Duchantschik (Schenkwirth), seine Weinkrüge und einige Kunden.

(Weinkrüge sage ich, weil der Wein in Georgien nicht in Fässern, sondern in Krügen aufbewahrt und in Burduks [Schläuchen], inwendig mit Naphtha bestrichen, transportirt wird.

Diese Krüge ähneln in Gestalt den etruskischen und kommen an Größe unsern Weinfässern gleich.

Besonders in Kacheti, dem eigentlichen Weinlande, findet man solche, in die Erde gemauerte Krüge, von ungeheurer Weite und Höhe. Die deutschen Einwanderer sind hierin, wie in Allem, dem Brauche der Heimath treu geblieben und bewahren ihren Wein in Fässern auf.)

Die eigentlichen Volksvergnügungen sind: der Dsherrid (das bekannte Scheinturnier), der Faustkampf, das Strickspiel, der Tanz und die Jagd.

Der Dsherrid und der Faustkampf, wobei die meist breitschultrigen und hochgewachsenen Georgier eine staunenswerthe Kraft und Gewandtheit des Körpers entwickeln, wurde während meines Aufenthalts in Tiflis von der russischen Regierung verboten, angeblich, weil zu häufig Verwundungen dabei vorfielen, in der That aber aus demselben Grunde, welcher früher bei uns das Turnen zu einem strafbaren Vergnügen machte.

Die beiden erstgenannten kriegerischen Ergötzlichkeiten wurden immer auf freiem Felde, vor den Thoren der Stadt, unter Zudrang der ganzen kampffähigen Männerwelt, mit Einschluß der Fürsten und Vornehmen des Volkes, abgehalten.

Das Strick- oder Prügelspiel hingegen ist ein bloßes Straßenvergnügen der ärmeren Volksklasse.

Die Spielenden theilen sich in Vertheidiger und Angreifende.

Von den Vertheidigern hat Jeder zwischen den weit ausgestreckten Beinen ein dickes, etwa drei Ellen langes Strick liegen, welches die Andern ihm durch List oder Gewalt zu entreißen suchen.

Die über den Stricken Stehenden wissen jedoch ihren Schatz so hartnäckig und ausdauernd zu vertheidigen, daß die Angreifenden eine Menge Rippenstöße und Fußtritte davon tragen, ehe sie, nach langem Ringen, zum Ziele kommen.

Haben sie sich jedoch endlich der Stricke bemächtigt, so steht ihnen das Recht zu, denen, welchen sie dieselben entrissen, den Rücken damit zu gerben, was denn auch auf die unbarmherzigste Weise, obschon unter lautem Gelächter von beiden Seiten, geschieht.

Sind alle Stricke geraubt, so geht das Spiel von Neuem an, indem die vertheidigende Partei sich alsdann in die angreifende verwandelt.

Es wird einem Europäer ganz seltsam zu Muthe, beim Anschauen dieses wilden Gezerrs und Geprügels.

Die Georgier vergessen dabei, wie beim Dsherrid und Faustkampfe, ganz die ihnen scheinbar angeborne Trägheit. Alles ist Leben und Feuer. Die Füße in den hochhackigen, enganschließenden Schnabelstiefeln, drehen und heben sich mit unnachahmbarer Schnelligkeit; die großen, meist dunklen Augen rollen spähend nach allen Seiten hin; der schlanke Körper biegt und hebt sich mit wunderbarer Elastizität, und die prügelaustheilenden, unter weitaufgeschlitzten Aermeln hervorragenden Arme ergehen sich in den anmuthigsten Bewegungen.

Bei abendlichen Spaziergängen auf dem Awlabar, oder nach der, vor der Stadt gelegenen, deutschen Kolonie Neu-Tiflis, hat man auch häufig Gelegenheit, den ganz dem griechischen Choros ähnlichen Lieblingstanz der Georgier zu sehen.

Eine Anzahl Männer bilden einen großen Kreis; Jeder legt die Hände auf die Schultern seiner Nachbaren, und so drehen sie sich singend in der Runde umher, unter lautem, taktmäßigem Händegeklatsch und Zurufen der Umstehenden.

Die Lieder, welche man bei solchen Gelegenheiten hört, stammen meist aus der alten Zeit und sind gewöhnlich weit werthvoller, als die Erzeugnisse der georgischen Kunstpoesie.

Z. B. der schmucke Bursch erzählt seinen Freunden, wie er heimkehren wollte Abends vom Trinkgelag, wo sie gesessen und sich ergötzt haben an Wein und Gesang, neun volle Stunden. Warum tranken sie so lange? Dumme Frage! Sie bezahlten nichts dafür, weil die Frau des Wirths einen Sohn bekommen; und es war große Freude im Hause über den Segen, der der Frau wiederfahren, denn sie hatte nur Töchter bis dahin. Und es wurde den Gästen Wein gespendet in Fülle; zehn Tunga's rother Kachetiner!

Und als der schmucke Bursch geschwankt kam vor das Haus der Liebsten, fiel er nieder. Und sie stand auf dem Dache und zürnte und schmähte ihn, denn es war Niemand in der Nähe. Und er antwortete:

»Trunken bin ich, Kind! aber trunken von Liebe!«

»Nein, der Wein hat Dich niedergeworfen, Du Trunkenbold!«

»So richte mich wieder auf durch die Liebe! Siehe, es war große Freude im Hause des Wirths, weil die Frau einen Sohn bekommen; denn sie hatte nur Töchter! Und wenn Du zürnst über solchen Segen, so wird der Himmel Dir wieder zürnen, und Dir solchen Segen versagen!«

Und sie lächelte und warf ein Kissen vom Dache, und verschwand. Wozu braucht man ein Kissen? Um darauf zu schlafen. Wozu warf sie es herunter? Weil das Kissen für ihr Köpfchen zu groß war; es verlangte ihr nach einem andern Kopfe dazu; zwei Köpfe aber auf Einem Kissen bedeuten Mann und Frau! –

Es muß hier ergänzend bemerkt werden, daß es bei den Georgiern, wie bei den Armeniern, als böse Vorbedeutung gilt, wenn das erste Kind in der Ehe ein Mädchen ist; ganz unglücklich aber fühlt sich das Ehepaar, wenn mehre Mädchen auf einander folgen. Eine Georgierin wagt sich kaum zu zeigen vor den Menschen, wenn sie nur Mutter von Töchtern ist. Wird aber ein Knabe geboren, so ist der Jubel groß, und Festgelage und Schmausereien werden gegeben zur Ehre des Kindes und der Mutter.

***

Die georgische Literatur, obgleich ebenfalls reich an theologischen, historischen und geographischen Werken, und besonders an Uebersetzungen aus alten und neuen Sprachen, unterscheidet sich wesentlich von der armenischen durch ihre vielen poetischen Denkmäler. Sie erreichte ihren höchsten Glanzpunkt, wie alles Große im Lande, unter der Regierung der berühmten Königin Thamar; die Zeit ihrer Blüthe beginnt im eilften, und endigt mit dem dreizehnten Jahrhundert.

Wir besitzen aus jener Zeit eine Menge, von den wenigen Kennern der georgischen Literatur vielgerühmter Dichtungen, wie z. B. den achttausend Verse langen Roman Tariel, von dem Dichter Rusthwel; den Roman von Omaïn, dem Großsohne Tariel's; den Roman Daredshaniani, von Moses von Choni; die Romane Dilariani und Wisramiani, von Sargis; ein langes, sehr kunstvoll von sechszehn Mal wiederkehrenden Reimen durchschlungenes Lobgedicht aus die Königin Thamar u. s. f.

Meine Kenntnisse der georgischen Literatur sind zu lückenhaft, als daß ich es wagen dürfte, ein selbständiges Urtheil darüber zu fällen. Dringendere Beschäftigungen zwangen mich, mein in Tiflis begonnenes Studium des Georgischen wieder aufzugeben, als ich kaum das zum Hausgebrauch Nothwendigste erlernt hatte. Deshalb war ich auch darauf angewiesen, bei der Benutzung der geographischen und historischen Werke des Landes mich der Brossetschen französischen Uebersetzungen zu bedienen.

Der Roman Tariel und das Lobgedicht auf die Königin Thamar, habe ich in russischer Uebersetzung, theilweise mit Vergleichung des Textes, gelesen, und wenn ich hiernach ein Urtheil fällen sollte, so würde dies nicht besonders günstig lauten.

Besser haben mir die kleinen georgischen Volkslieder gefallen, worunter sich manche Perle findet.

Doch kann, wie gesagt, mein Urtheil über die größeren georgischen Dichtungen nicht maßgebend sein, denn bei dem Mangel an Gedanken und Gestalten in diesen Werken, müssen ihre Hauptvorzüge wohl in der Schönheit der Sprache und Form bestehen, sonst wäre es unmöglich, daß die Georgier sich so daran begeistern könnten, wie wirklich der Fall ist.

Wollte man z. B. die Erzeugnisse mancher unserer gepriesenen Dichter ihrer schönen Form und Sprache entkleiden, so würde ebenfalls nicht viel übrig bleiben.

Die neuere Literatur der Georgier besteht größtentheils aus wundersamen Legenden, Heiligengeschichten u. dergl.

Zur näheren Veranschaulichung von Gehalt und Gestalt solcher Schriften lasse ich hier die Geschichte des Märtyrerthums des heiligen Dawith und Constantiné folgen, welche eins der besten Erzeugnisse dieser Art sein muß, da der Akademiker Brosset, der Hauptkenner des Georgischen, sie als Musterstück aufgenommen hat.

Leidensgeschichte der georgischen Heiligen Dawith und Constantiné.

Diese unbesiegbaren Märtyrer waren georgischer Herkunft, von den Grenzen Abchasiens, aus der Gegend von Argweth. Sie stammten aus einer Familie von Asnaours, waren verwandt mit einander, tapfere und glänzende Krieger, und berühmt durch ihre Heldenthaten auf dem Schlachtfelde.

Nun vernehmt, wie das Aeußere des heiligen und unbesiegbaren Märtyrers Dawith war: stark und wohlgeformt, war sein Körper weder sonderlich groß, noch lächerlich klein; angenehm und vollendet in jedem Punkte, war er unmaßen sanft. Die Züge seines Gesichts waren gleichmäßig schön, seine Augen grau, sein Bart kastanienbraun, seine Haut weiß, seine Nase leicht gebogen. Mit großer Willenskraft begabt, gläubig, von hoher Sittenreinheit, war er ungefähr acht und dreißig Jahre alt.

Auch der heilige Constantiné war schön von Körper, hatte röthlich graue Augen, kastanienbraunes, glänzendes und gekräuseltes Haar. Er besaß große Beredtsamkeit, und beantwortete ohne Zögern die ihm vorgelegten Fragen; sein Betragen war rein und rechtschaffen; seine Hüften waren umgürtet mit Sitte. Ungefähr siebzehn Jahr alt, beobachtete er strenge die Fasten, und ließ sich anschauen, ohne zu erzürnen [Fußnote]. Weder Lügen noch Schwüre kennend, wandelten sie beide einher, wahre Muster der Frommen, gaben den Hungrigen zu essen, vertheilten Almosen unter die Waisen; kurz: sie hatten die Vollkommenheit aller Tugenden.

Nun vernehmt, wie ihre Leidensgeschichte sich zutrug.

Es war in der Zeit, wo der Herr, um unser Volk zu prüfen, gegen uns den Degen der Perser sandte, und wo, um unsere Sünden zu strafen, Murwan Abu'l-Cassim der Taube, Sohn der Schwester des abscheulichen Betrügers Muhammed, welcher das ganze Land der Sarazenen verführte, und sein trügerisches Wort triumphiren machte, uns heimsuchte. Es geschah solches aber im Jahre 6223 nach Erschaffung der Weit, oder 777 nach der Kreuzigung unseres Heilandes.

Da dieser Gottlose (Murwan Abu'l-Cassim) die Sendung erhalten hatte, unser Land und noch andere Länder ganz zu verwüsten, so versammelte sich das Volk in der Zahl von 1330 Mann, unter Anführung der Heiligen Dawith und Constantiné, welche Alle ermahnten, Jesum Christum nicht zu verläugnen.

Die persischen Heerschaaren, zahlreich und kriegerisch, begannen mit einem Vortrab von 9000 Mann Abends den Angriff.

Die Schlacht dauerte bis zum Hahnenschrei; 1250 Mann fielen unter den Streichen der Perser; diejenigen aber, welche die Schlacht überlebt und sich zurückgezogen hatten, wurden unversehens überfallen und Alle hingeschlachtet als Opfer Christi. Nur Wenige blieben in den Wäldern versteckt. Die Heiligen aber, Dawith und Constantiné, wurden gefangen und vor den Tyrannen geführt; und da sie Jesum hartnäckig bekenneten, wurden sie stark mißhandelt von diesen ungläubigen Menschen, darum daß sie laut die Mysterien der Gewalt des Heilandes verkündet hatten. Sie wurden verdammt, umzukommen in den Wassern des Rion, weil sie die ihnen gewordenen Befehle und Verheißungen verachtet hatten.

Aber die Heiligen hörten ihr Urtheil mit Freude an, und baten Gott, daß er ihre Leiber bewahren möge vor der Verwesung des Grabes, und daß Alle, welche daran rührten und ihren Namen anriefen, frei würden von allen Schmerzen.

Und einige Gläubige bemerkten hiernach einen Heiligenschein ihre Häupter umschweben, und sie trugen die Leichen davon und bestatteten sie unter den Steinplatten der Kirche, und unter dem Altar.

Es ist aber dieser Ort Uthmini geheißen, und es geschehen daselbst zahllose Wunder zum Ruhme Gottes und Seiner Heiligen. Amen.

***

Wie dieses Buch in keiner Weise Anspruch darauf macht, erschöpfend zu sein, so liegt es auch nicht im Plane desselben, lange Schilderungen all der Ausflüge und Reisen zu geben, welche ich von Tiflis aus, theils in's Gebirge, theils zu den deutschen Ansiedlungen in den transkaukasischen Ländern machte.

Die schwäbischen Kolonien Marienfeld und Petersdorf in Kacheti; Katharinenfeld und Elisabeththal in Georgisch-Armenien, Helenendorf und Annenfeld im Kreise von Elisabethpol – sind schon so oft und ausführlich beschrieben worden, daß sie den meisten Lesern der Allgemeinen Zeitung fast eben so bekannt sein müssen, wie unsere heimathlichen Dörfer.

Ich bin nicht nach dem Kaukasus gepilgert, um deutsches – sondern um kaukasisches Leben und Treiben kennen zu lernen, und, irre ich nicht, werden die freundlichen Leser welche mir bis jetzt auf meinen Wanderungen gefolgt sind, einen gleichen Zweck vor Augen haben.

Es sollen deshalb die nächstfolgenden Kapitel einer Geschichte aus dem Dhagestan gewidmet werden, dem blutgetränkten Schauplatze der kaukasischen Kriege, wo außer dem offenen Kampfe des Volkes gegen die Russen, noch ein anderer, heimlicher Kampf ganze Geschlechter aufreibt, und seinen blutigen Arm durch die Jahrhunderte streckt.

Bunte und schreckliche Bilder werden an Euren Augen vorübergleiten; eines jedoch wird nach dem andern verschwinden, und sich auflösen im Mittelpunkte des Ganzen; diesen Mittelpunkt aber bildet die Blutrache, das mordlustige Ungeheuer.

Ich werde mich im Laufe meiner Erzählung alles Urtheils zu Gunsten der einen oder der andern Partei enthalten, und mich sorgfältig alles poetischen Schmucks in Bild und Wort entäußern, um der Wahrheit der Erzählung keinen Eintrag zu thun; was ich gebe, soll nichts sein, als ein klarer, zusammenhängender Bericht erwiesener Thatsachen.

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