Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Neunzehntes Kapitel

Adel-Chan, der letzte Utzméy von Kaitach

(Fortsetzung)

Nach dem Tode des Utzméy war Mohammed-Chan der Aelteste seiner Familie. Die Schwierigkeiten der Unterhaltung derselben waren inzwischen immer größer geworden, und da Mohammed nicht wußte, wie er der Noth abhelfen sollte, so entschlossen sich seine Mutter und seine Gemahlin Hülfe bei dem mit den Russen befreundeten Schamchal von Tarki zu suchen, um durch Vermittelung dieses Fürsten von dem damaligen Oberbefehlshaber des Kaukasus, Yermolow, Begnadigung und die Erlaubniß nach Kaitach zurückzukehren, zu erwirken. Dem Einfluß des alten Schamchals Mechti gelang es in der That den General Yermolow zu bewegen, die Erlaubniß zur Rückkehr der verarmten Familie des Utzméy zu geben, und derselben zur Bestreitung ihrer nothwendigsten Ausgaben die Einkünfte eines Auls anzuweisen. Uebrigens blieb das ganze Land nach wie vor unter der Verwaltung des Emir-Hamsa.

Durch die unbedeutenden Einkünfte eines einzigen Auls war der unglücklichen Fürstenfamilie leider wenig geholfen; ihre Noth nahm von Tag zu Tag zu; der unternehmende Mohammed faßte daher den Entschluß, durch Erzeigung irgend eines wichtigen Dienstes die Freundschaft und das Vertrauen der Russen wieder zu gewinnen, und sie wo möglich zur Abtretung seines väterlichen Erbes zu bewegen. Eine Gelegenheit zur Ausführung dieses Planes fand sich bald.

Es hauste zu jener Zeit in den Schluchten von Kaitach ein mächtiger und furchtbarer Räuber, Namens Abdullah-Beg, Sohn des Kadi von Tabassaran. Er hatte der Räubereien und Morde so viele begangen, daß man weit und breit seinen Namen mit Grausen nannte, und daß von der russischen Regierung ein hoher Preis auf seinen Kopf gesetzt war.

In den letzten zwei Jahren hatten, in Folge der zu Kaitach herrschenden Unruhen, die Räubereien so überhand genommen und der Anhang Abdullahs hatte sich so vermehrt, daß die Russen zu wiederholten Malen Jagd auf ihn machten, ohne daß es ihnen jedoch gelungen wäre, den kühnen Räuberfürsten aus seinem Schlupfwinkel zu verscheuchen. Der beherzte Mohammed-Chan, auf seine List und Gewandtheit bauend, theilt dem Herrn von Ascheberg seinen Plan mit, und verspricht, über kurz oder lang den Räuber auszuliefern, wenn ihm dafür von der russischen Regierung Rückerstattung seines väterlichen Erbtheils zugesichert werde. Die Bedingungen werden angenommen.

Der junge Fürst gesellt sich alsobald persönlich der Bande des Abdullah-Beg bei, um in der Nähe des gefürchteten Räubers seine Schlupfwinkel und Lebensweise besser kennen zu lernen, und wo möglich eine Gelegenheit zu erspähen, ihn lebendig in die Hände der Russen zu liefern. Durch einige kühn ausgeführte Streiche sucht er sich das Vertrauen Abdullah-Begs zu erwerben, lernt aber bald einsehen, daß er auf diese Weise niemals sein Ziel erreichen werde, da alle noch so fein angelegten Plane und Entwürfe an der Vorsicht und Wachsamkeit des daghestanischen Räuberfürsten scheiterten.

Mohammed-Chan kehrt zurück zum Kommandanten von Derbent, theilt ihm mit, daß es unmöglich sei, den Räuber lebendig zu fangen; er habe jetzt aber einen neuen und sicherern Plan, ihn in seine Gewalt zu bekommen, ersonnen, und bitte sich zur Ausführung desselben vier Pud Pulver aus. Das Pulver wird ausgeliefert, und Mohammed macht sich von neuem auf den Weg, nimmt dießmal jedoch zur Sicherheit einige zuverlässige Gefährten: Dshänka-Albury, Gjül-Machmet, Urutsch-Machmet und mehrere Kulis mit zu Hülfe.

Die Reiter machen gegen Abend im Dickicht eines unabsehbaren Waldes Halt – in der Nähe eines kleinen daghestanischen Auls gelegen, wo sich die Wohnung Abdullah-Begs befand. Dort werden die klugen Pferde im Gebüsch verborgen gehalten, und die wachsamen Reiter verstecken sich im dichten Laubwerk der hohen Bäume.

Erst um Mitternacht führt Mohammed seine Gefährten auf wohlbekannten Pfaden zu einem, inmitten des Waldes gelegenen, freien Platz, wo sich etwa zwanzig Schritte von ihnen die zerstreuten, kleinen Festungen gleich gebauten, Häuser des Auls ausbreiten. Schon lagen, nach der ringsum herrschenden Stille und Dunkelheit zu schließen, alle Einwohner in tiefem Schlafe; nur im Hause des Abdullah-Beg schien man noch nicht an Ruhe zu denken. Durch die Spalten der geschlossenen Fensterläden schimmerte hell der Schein eines Lichtes; mehrere Personen schienen dort noch in eifrigem Gespräche begriffen; hin und wieder drang der Schall von unverständlichen Worten zu den lauschenden Spähern hinüber. Ruhte Abdallah-Beg aus beim heitern Mahle in der Mitte der Seinen nach mühsam vollbrachtem Tagwerk? Oder war er beschäftigt, neue Plane für den kommenden Tag zu schmieden? Oder vertheilte er eben die zuletzt gemachte Beute unter seine gierigen Raubgenossen? Genug, er war beschäftigt; weiter brauchte Mohammed nichts zu wissen; welcher sich beeilte, die nöthigen Vorbereitungen zur Ausführung seines Plans zu treffen. Er nimmt Albury und Urutsch-Machmet, welche das Pulver tragen, mit sich ins Dorf, schleicht in das erste Stockwerk des Hauses Abdullah-Begs [Fußnote]; angelangt in der Mitte des Stalles, schüttet er das mitgenommene Pulver aus und bedeckt es mit einem aus der Küche herbeigeschafften, großen Kessel, welchen er am Boden zu befestigen sucht, indem er zwischen die äußere Wölbung desselben und die niedrige Stalldecke eine dicke hölzerne Stange klemmt. Dann führt er, vermittelst einer kleinen, unter dem Kessel gelassenen Oeffnung, dem Pulver eine präparirte Lunte zu, zündet die Lunte an und flieht eiligen Schrittes mit seinen Gefährten wieder dem Dickicht des Waldes zu. Dort sehen alle mit unaussprechlicher Spannung der zu erwartenden Explosion entgegen.

Eine halbe Stunde war so bereits vergangen und noch hatte man nicht das leiseste Geräusch vernommen, das Licht flimmerte immer noch oben durch die Spalten der Fensterläden, und das Gespräch dauerte lebhaft fort wie früher. Mohammed kann sich nicht mehr halten vor Ungeduld; er vermuthet, die Lunte müsse verglommen sein, und will selbst nach dem Hause gehen, um andere Anstalten zur Beschleunigung der Explosion zu treffen. Von diesem tollkühnen Schritt hält ihn jedoch sein treuer Urutsch zurück, der lieber selbst sein Leben daran wagen, als seinen Herrn solcher Gefahr aussetzen will. Er nimmt ein Feuerzeug zu sich, geht auf das Haus los, und hat beinahe schon die Stallthüre erreicht, als plötzlich unter furchtbarem Gekrach die Explosion erfolgt.

Erst schlug es wie ein hochauf gescheuchtes Feuermeer zischend nach allen Seiten hin, dann erfolgte ein Getöse, einer seltsamen Mischung von Kanonendonner, Regengeprassel und Sturm gleich. Der obere Theil des Hauses wurde hoch in die Luft geschleudert, und begrub alle, die es in sich geschlossen, unter seinen Trümmern.

Abdullah-Beg mit seiner ganzen Familie, mit seinen Dienern und Gästen – zusammen siebenzehn Menschen – kamen dabei um's Leben, nur ein kleines Kind, der jüngste von Abdullahs Söhnen, ward wie durch ein Wunder gerettet . . .

Voll Entsetzen sahen selbst die Urheber der Unthat den Folgen ihres frevelhaften Beginnens zu. Die durch den nächtlichen Lärm von ihren Lagern aufgescheuchten Bewohner des Auls waren bei dem Anblick des ebenso grauenhaften, wie ihnen unerklärbaren Schauspiels so von Furcht ergriffen, daß keiner wagte seine Hütte zu verlassen. Mohammed-Chan allein war unerschüttert geblieben; seine einzige Sorge war, den treuen Urutsch wieder zu finden, der für ihn sein Leben gewagt hatte. Er befürchtet, daß der tollkühne Urutsch bei der Explosion zu Tode gekommen, aber ob er todt oder lebendig, Mohammed will ihn nicht zurücklassen und wenigstens seine Leiche mitnehmen. Nach langem sorgfältigem Suchen findet er endlich den Unglücklichen, halb verbrannt, zwischen den rauchenden Trümmern des Hauses liegen. Er rafft ihn unter freundlichem Zusprechen auf, verbindet seine Wunden so gut es die Umstände erlauben, vertraut ihn dann der Sorgfalt seiner Leute an, und führt die Genossen seiner Gräuelthat auf demselben Wege durch das Dickicht des Waldes zurück, woher sie gekommen waren.

Angelangt in Derbent macht er dem Kommandanten einen getreuen Bericht von der Ausführung seines gefahrvollen Unternehmens. Herr von Ascheberg berichtet seinerseits der Oberbehörde über das Vorgegangene, und stellt, seinem Wort gemäß, Mohammed-Chan die verheißene Belohnung zu. Nach der darauf erfolgenden Verfügung wurden Mohammed-Chan im Jahr 1825 drei Aule: Kola, Welikent und Sselich, zusammen 250 Häuser enthaltend, aus dem Besitzthum seines verstorbenen Vaters zuerkannt.

Dshänka-Albury, Gjül-Machmet und der glücklich wieder hergestellte Urutsch-Machmet erhielten jeder eine goldene Medaille mit der Schleife des St. Annenordens.

Die Kulis jedoch blieben unbelohnt, weshalb sie im Jahre 1832, als der General-Adjutant Baron von Rosen, der Daghestan besuchte, demselben ein Belohnungsgesuch einreichten, als Theilnehmer an der Ausrottung der Familie Abdullah-Begs. Die Bittschrift wurde dem Kaiser eingesandt, welcher jedem der Kulis 75 Rubel Silber auszahlen ließ, für ähnliche etwa wiederkehrende Fälle jedoch eine strenge Verordnung erließ, in welcher er seine höchste Unzufriedenheit über die Zerstörung des Hauses Abdullahs äußert, wo, um einen Schuldigen zu bestrafen, sechzehn Unschuldige mit in's Verderben gestürzt wurden. Er befiehlt in Zukunft bei ähnlichen Fällen vorsichtiger zu Werke zu gehen und niemals wieder so grausame Maßregeln zu ergreifen, welche künftig statt Gnadenbezeugungen und Belohnungen nur seinen Unwillen und Strafe nach sich ziehen würden . . .

Ich bin, um Mohammed-Chans Mordanschlag mit allen seinen Folgen ohne Unterbrechung darzustellen, in unserer Erzählung ein paar Jahre zu weit vorausgeeilt, und muß hier ergänzend bemerken, daß bei einer im Jahr 1826 vom Oberst Düsterloh befehligten Expedition gegen Tabassaran, Emir-Hamsa in der blutigen Schlacht bei Bent-Mescha um's Leben kam.

Das Gerücht ging, er sei heimlich während des Gefechts durch die Hand Dshamow-Begs, des jüngern Bruders Mohammed-Chans, als ein Opfer der Blutrache gefallen; doch fehlt diesem Gerüchte alle weitere Bestätigung. Nach dem Tode des Emirs kam das Utzméilik Kaitach an seine beiden jüngern Brüder Bey-Bala und Elder-Beg. Nicht lange sollte Mohammed-Chan seinen Vetter Emir-Hamsa überleben. Bei der Belagerung der Festung Burnaja im Jahr 1832, zu welcher Zeit er im Detachement des General-Majors Kachanow [Fußnote] diente, kam der junge Prinz plötzlich in Folge einer kurzen aber heftigen Krankheit um's Leben. Es verlautete, er sei auf Anstiften der Brüder Emir-Hamsa's vergiftet; doch auch diesem Gerüchte fehlen alle Beweise.

Bey-Bala und Elder-Beg hatten, dem Beispiele ihres verstorbenen Bruders folgend, immer die bewährteste Treue und Ergebenheit den Russen gegenüber gezeigt; auch gelang es dem Einflusse dieser beiden Fürsten, die Freiheit des unglücklichen Bala-Chan zu erwirken, welcher, wie wir zu Anfang dieser Erzählung gesehen haben, in Folge der Verleumdungen Adel-Chans, unschuldig in Sibirien in der Verbannung schmachtete.

Im Jahr 1831 kehrte Bala-Chan nach langjähriger Trennung in seine Heimat Kaitach zurück. Hier erwartete seiner ein neuer Schmerz. Er entbrannte in heftiger Liebe zu der schönen Bela, der verwittweten Tochter seines als Opfer der Blutrache gefallenen Feindes und Oheims Adel-Chan. Sie hatte ihren jungen Gemahl, den Sohn des Schamchal-Mechti, durch den Tod verloren, und Bala-Chan hielt, als die Zeit der Trauer vorüber war, um ihre Hand an. Ihr gegen den Bewerber feindlich gesinnter Bruder aber wollte die Einwilligung dazu nicht geben, und verheirathete seine Schwester an Schach-Abbaß, den jüngern Bruder ihres frühern Gemahls. Das glückliche Ehepaar lebt heute noch im Aul Buynach, im Schamchalischen Gebiete. Hier in den wilden Ländern des Kaukasus, wo man den Werther noch nicht gelesen hat, ist die Liebe auch nicht so sentimentaler Art wie bei uns zu Lande. Der Asiat schießt sich nicht aus Liebe todt, sondern tödtet lieber die, welche ihn hindern, den Gegenstand seiner Neigung zu besitzen. Bala-Chan wußte sich bald Ersatz für seinen Verlust zu verschaffen, indem er das Herz einer schönen Fürstentochter aus dem Aul Kjüsteck gewann. Mit größtmöglicher Eile wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen. Schon war der zur Festlichkeit bestimmte Tag gekommen, und der Käbin [Fußnote] entrichtet. Die reichen Geschenke des Bräutigams waren der Sitte gemäß bereits auf Lastthieren in die Wohnung der Braut geschickt, während im Hause Bala-Chans die in großer Anzahl geladenen Gäste lustig zechten und jubelten.

Wer im Daghestan gewesen, weiß, wie leicht die Fürsten und Edlen dieses Landes, dem Beispiel ihrer Priester folgend, sich an den Genuß des Weins gewöhnen, trotz des großen Propheten und seiner heiligen Gebote.

Das Unglück schien Bala-Chan noch nicht genug verfolgt zu haben: während er fröhlich und guter Dinge dasitzt in der Mitte seiner Gäste, sinkt er plötzlich, zum Schrecken aller Anwesenden, wie vom Schlage getroffen, todt zu Boden nieder.

Wir überlassen die Gäste ihrem Schreck und die Braut ihrer Verzweiflung, um, ehe wir den Lauf unserer Erzählung weiter verfolgen, zuvor die Ursache des plötzlichen Todes Bala-Chans zu erforschen. Es wurden Gerüchte laut, daß seine Brüder, welche fürchteten, von ihm, dem älteren Bruder, verdrängt zu werden, ihn vergiftet hätten. Bei den sorgfältigen Erkundigungen, welche ich darüber eingezogen habe, glaube ich jedoch diesen Gerüchten mit einiger Sicherheit widersprechen zu können, und nehme an, daß der unzeitige Tod Bala-Chans eine natürliche Folge seines unmäßigen Genusses geistiger Getränke war. Schon im kalten Sibirien hatte er sich, aus leicht erklärlichen Gründen, dem Laster des Trinkens ergeben, und bei seiner Rückkehr nur allzugern den feurigen Rebensaft seines Heimatlandes gegen den Branntwein von Tobolsk vertauscht.

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