Neunzehntes KapitelAdel-Chan, der letzte Utzméy von
Kaitach
(Fortsetzung)
Nach dem Tode des Utzméy war
Mohammed-Chan der Aelteste seiner Familie. Die
Schwierigkeiten der Unterhaltung derselben waren inzwischen
immer größer geworden, und da Mohammed nicht wußte, wie er
der Noth abhelfen sollte, so entschlossen sich seine Mutter
und seine Gemahlin Hülfe bei dem mit den Russen befreundeten
Schamchal von Tarki zu suchen, um durch Vermittelung dieses
Fürsten von dem damaligen Oberbefehlshaber des Kaukasus,
Yermolow, Begnadigung und die Erlaubniß nach Kaitach
zurückzukehren, zu erwirken. Dem Einfluß des alten
Schamchals Mechti gelang es in der That den General Yermolow
zu bewegen, die Erlaubniß zur Rückkehr der verarmten Familie
des Utzméy zu geben, und derselben zur Bestreitung ihrer
nothwendigsten Ausgaben die Einkünfte eines Auls anzuweisen.
Uebrigens blieb das ganze Land nach wie vor unter der
Verwaltung des Emir-Hamsa.
Durch die unbedeutenden Einkünfte eines einzigen Auls war
der unglücklichen Fürstenfamilie leider wenig geholfen; ihre
Noth nahm von Tag zu Tag zu; der unternehmende Mohammed
faßte daher den Entschluß, durch Erzeigung irgend eines
wichtigen Dienstes die Freundschaft und das Vertrauen der
Russen wieder zu gewinnen, und sie wo möglich zur Abtretung
seines väterlichen Erbes zu bewegen. Eine Gelegenheit zur
Ausführung dieses Planes fand sich bald.
Es hauste zu jener Zeit in den Schluchten von Kaitach ein
mächtiger und furchtbarer Räuber, Namens Abdullah-Beg, Sohn
des Kadi von Tabassaran. Er hatte der Räubereien und Morde
so viele begangen, daß man weit und breit seinen Namen mit
Grausen nannte, und daß von der russischen Regierung ein
hoher Preis auf seinen Kopf gesetzt war.
In den letzten zwei Jahren hatten, in Folge der zu
Kaitach herrschenden Unruhen, die Räubereien so überhand
genommen und der Anhang Abdullahs hatte sich so vermehrt,
daß die Russen zu wiederholten Malen Jagd auf ihn machten,
ohne daß es ihnen jedoch gelungen wäre, den kühnen
Räuberfürsten aus seinem Schlupfwinkel zu verscheuchen. Der
beherzte Mohammed-Chan, auf seine List und Gewandtheit
bauend, theilt dem Herrn von Ascheberg seinen Plan mit, und
verspricht, über kurz oder lang den Räuber auszuliefern,
wenn ihm dafür von der russischen Regierung Rückerstattung
seines väterlichen Erbtheils zugesichert werde. Die
Bedingungen werden angenommen.
Der junge Fürst gesellt sich alsobald persönlich der
Bande des Abdullah-Beg bei, um in der Nähe des gefürchteten
Räubers seine Schlupfwinkel und Lebensweise besser kennen zu
lernen, und wo möglich eine Gelegenheit zu erspähen, ihn
lebendig in die Hände der Russen zu liefern. Durch einige
kühn ausgeführte Streiche sucht er sich das Vertrauen
Abdullah-Begs zu erwerben, lernt aber bald einsehen, daß er
auf diese Weise niemals sein Ziel erreichen werde, da alle
noch so fein angelegten Plane und Entwürfe an der Vorsicht
und Wachsamkeit des daghestanischen Räuberfürsten
scheiterten.
Mohammed-Chan kehrt zurück zum Kommandanten von Derbent,
theilt ihm mit, daß es unmöglich sei, den Räuber lebendig zu
fangen; er habe jetzt aber einen neuen und sicherern Plan,
ihn in seine Gewalt zu bekommen, ersonnen, und bitte sich
zur Ausführung desselben vier Pud Pulver aus. Das Pulver
wird ausgeliefert, und Mohammed macht sich von neuem auf den
Weg, nimmt dießmal jedoch zur Sicherheit einige zuverlässige
Gefährten: Dshänka-Albury, Gjül-Machmet, Urutsch-Machmet und
mehrere Kulis mit zu Hülfe.
Die Reiter machen gegen Abend im Dickicht eines
unabsehbaren Waldes Halt – in der Nähe eines kleinen
daghestanischen Auls gelegen, wo sich die Wohnung
Abdullah-Begs befand. Dort werden die klugen Pferde im
Gebüsch verborgen gehalten, und die wachsamen Reiter
verstecken sich im dichten Laubwerk der hohen Bäume.
Erst um Mitternacht führt Mohammed seine Gefährten auf
wohlbekannten Pfaden zu einem, inmitten des Waldes
gelegenen, freien Platz, wo sich etwa zwanzig Schritte von
ihnen die zerstreuten, kleinen Festungen gleich gebauten,
Häuser des Auls ausbreiten. Schon lagen, nach der ringsum
herrschenden Stille und Dunkelheit zu schließen, alle
Einwohner in tiefem Schlafe; nur im Hause des Abdullah-Beg
schien man noch nicht an Ruhe zu denken. Durch die Spalten
der geschlossenen Fensterläden schimmerte hell der Schein
eines Lichtes; mehrere Personen schienen dort noch in
eifrigem Gespräche begriffen; hin und wieder drang der
Schall von unverständlichen Worten zu den lauschenden
Spähern hinüber. Ruhte Abdallah-Beg aus beim heitern Mahle
in der Mitte der Seinen nach mühsam vollbrachtem Tagwerk?
Oder war er beschäftigt, neue Plane für den kommenden Tag zu
schmieden? Oder vertheilte er eben die zuletzt gemachte
Beute unter seine gierigen Raubgenossen? Genug, er war
beschäftigt; weiter brauchte Mohammed nichts zu wissen;
welcher sich beeilte, die nöthigen Vorbereitungen zur
Ausführung seines Plans zu treffen. Er nimmt Albury und
Urutsch-Machmet, welche das Pulver tragen, mit sich ins
Dorf, schleicht in das erste Stockwerk des Hauses
Abdullah-Begs; angelangt in der Mitte des Stalles,
schüttet er das mitgenommene Pulver aus und bedeckt es mit
einem aus der Küche herbeigeschafften, großen Kessel,
welchen er am Boden zu befestigen sucht, indem er zwischen
die äußere Wölbung desselben und die niedrige Stalldecke
eine dicke hölzerne Stange klemmt. Dann führt er,
vermittelst einer kleinen, unter dem Kessel gelassenen
Oeffnung, dem Pulver eine präparirte Lunte zu, zündet die
Lunte an und flieht eiligen Schrittes mit seinen Gefährten
wieder dem Dickicht des Waldes zu. Dort sehen alle mit
unaussprechlicher Spannung der zu erwartenden Explosion
entgegen.
Eine halbe Stunde war so bereits vergangen und noch hatte
man nicht das leiseste Geräusch vernommen, das Licht
flimmerte immer noch oben durch die Spalten der
Fensterläden, und das Gespräch dauerte lebhaft fort wie
früher. Mohammed kann sich nicht mehr halten vor Ungeduld;
er vermuthet, die Lunte müsse verglommen sein, und will
selbst nach dem Hause gehen, um andere Anstalten zur
Beschleunigung der Explosion zu treffen. Von diesem
tollkühnen Schritt hält ihn jedoch sein treuer Urutsch
zurück, der lieber selbst sein Leben daran wagen, als seinen
Herrn solcher Gefahr aussetzen will. Er nimmt ein Feuerzeug
zu sich, geht auf das Haus los, und hat beinahe schon die
Stallthüre erreicht, als plötzlich unter furchtbarem Gekrach
die Explosion erfolgt.
Erst schlug es wie ein hochauf gescheuchtes Feuermeer
zischend nach allen Seiten hin, dann erfolgte ein Getöse,
einer seltsamen Mischung von Kanonendonner, Regengeprassel
und Sturm gleich. Der obere Theil des Hauses wurde hoch in
die Luft geschleudert, und begrub alle, die es in sich
geschlossen, unter seinen Trümmern.
Abdullah-Beg mit seiner ganzen Familie, mit seinen
Dienern und Gästen – zusammen siebenzehn Menschen – kamen
dabei um's Leben, nur ein kleines Kind, der jüngste von
Abdullahs Söhnen, ward wie durch ein Wunder gerettet . . .
Voll Entsetzen sahen selbst die Urheber der Unthat den
Folgen ihres frevelhaften Beginnens zu. Die durch den
nächtlichen Lärm von ihren Lagern aufgescheuchten Bewohner
des Auls waren bei dem Anblick des ebenso grauenhaften, wie
ihnen unerklärbaren Schauspiels so von Furcht ergriffen, daß
keiner wagte seine Hütte zu verlassen. Mohammed-Chan allein
war unerschüttert geblieben; seine einzige Sorge war, den
treuen Urutsch wieder zu finden, der für ihn sein Leben
gewagt hatte. Er befürchtet, daß der tollkühne Urutsch bei
der Explosion zu Tode gekommen, aber ob er todt oder
lebendig, Mohammed will ihn nicht zurücklassen und
wenigstens seine Leiche mitnehmen. Nach langem sorgfältigem
Suchen findet er endlich den Unglücklichen, halb verbrannt,
zwischen den rauchenden Trümmern des Hauses liegen. Er rafft
ihn unter freundlichem Zusprechen auf, verbindet seine
Wunden so gut es die Umstände erlauben, vertraut ihn dann
der Sorgfalt seiner Leute an, und führt die Genossen seiner
Gräuelthat auf demselben Wege durch das Dickicht des Waldes
zurück, woher sie gekommen waren.
Angelangt in Derbent macht er dem Kommandanten einen
getreuen Bericht von der Ausführung seines gefahrvollen
Unternehmens. Herr von Ascheberg berichtet seinerseits der
Oberbehörde über das Vorgegangene, und stellt, seinem Wort
gemäß, Mohammed-Chan die verheißene Belohnung zu. Nach der
darauf erfolgenden Verfügung wurden Mohammed-Chan im Jahr
1825 drei Aule: Kola, Welikent und Sselich, zusammen
250 Häuser enthaltend, aus dem Besitzthum seines
verstorbenen Vaters zuerkannt.
Dshänka-Albury, Gjül-Machmet und der glücklich wieder
hergestellte Urutsch-Machmet erhielten jeder eine goldene
Medaille mit der Schleife des St. Annenordens.
Die Kulis jedoch blieben unbelohnt, weshalb sie im Jahre
1832, als der General-Adjutant Baron von Rosen, der
Daghestan besuchte, demselben ein Belohnungsgesuch
einreichten, als Theilnehmer an der Ausrottung der Familie
Abdullah-Begs. Die Bittschrift wurde dem Kaiser eingesandt,
welcher jedem der Kulis 75 Rubel Silber auszahlen ließ, für
ähnliche etwa wiederkehrende Fälle jedoch eine strenge
Verordnung erließ, in welcher er seine höchste
Unzufriedenheit über die Zerstörung des Hauses Abdullahs
äußert, wo, um einen Schuldigen zu bestrafen, sechzehn
Unschuldige mit in's Verderben gestürzt wurden. Er befiehlt
in Zukunft bei ähnlichen Fällen vorsichtiger zu Werke zu
gehen und niemals wieder so grausame Maßregeln zu ergreifen,
welche künftig statt Gnadenbezeugungen und Belohnungen nur
seinen Unwillen und Strafe nach sich ziehen würden . . .
Ich bin, um Mohammed-Chans Mordanschlag mit allen seinen
Folgen ohne Unterbrechung darzustellen, in unserer Erzählung
ein paar Jahre zu weit vorausgeeilt, und muß hier ergänzend
bemerken, daß bei einer im Jahr 1826 vom Oberst Düsterloh
befehligten Expedition gegen Tabassaran, Emir-Hamsa in der
blutigen Schlacht bei Bent-Mescha um's Leben kam.
Das Gerücht ging, er sei heimlich während des Gefechts
durch die Hand Dshamow-Begs, des jüngern Bruders
Mohammed-Chans, als ein Opfer der Blutrache gefallen; doch
fehlt diesem Gerüchte alle weitere Bestätigung. Nach dem
Tode des Emirs kam das Utzméilik Kaitach an seine beiden
jüngern Brüder Bey-Bala und Elder-Beg. Nicht lange sollte
Mohammed-Chan seinen Vetter Emir-Hamsa überleben. Bei der
Belagerung der Festung Burnaja im Jahr 1832, zu welcher Zeit
er im Detachement des General-Majors Kachanow diente, kam der junge Prinz plötzlich
in Folge einer kurzen aber heftigen Krankheit um's Leben. Es
verlautete, er sei auf Anstiften der Brüder Emir-Hamsa's
vergiftet; doch auch diesem Gerüchte fehlen alle Beweise.
Bey-Bala und Elder-Beg hatten, dem Beispiele ihres
verstorbenen Bruders folgend, immer die bewährteste Treue
und Ergebenheit den Russen gegenüber gezeigt; auch gelang es
dem Einflusse dieser beiden Fürsten, die Freiheit des
unglücklichen Bala-Chan zu erwirken, welcher, wie wir zu
Anfang dieser Erzählung gesehen haben, in Folge der
Verleumdungen Adel-Chans, unschuldig in Sibirien in der
Verbannung schmachtete.
Im Jahr 1831 kehrte Bala-Chan nach langjähriger Trennung
in seine Heimat Kaitach zurück. Hier erwartete seiner ein
neuer Schmerz. Er entbrannte in heftiger Liebe zu der
schönen Bela, der verwittweten Tochter seines als Opfer der
Blutrache gefallenen Feindes und Oheims Adel-Chan. Sie hatte
ihren jungen Gemahl, den Sohn des Schamchal-Mechti, durch
den Tod verloren, und Bala-Chan hielt, als die Zeit der
Trauer vorüber war, um ihre Hand an. Ihr gegen den Bewerber
feindlich gesinnter Bruder aber wollte die Einwilligung dazu
nicht geben, und verheirathete seine Schwester an
Schach-Abbaß, den jüngern Bruder ihres frühern Gemahls. Das
glückliche Ehepaar lebt heute noch im Aul Buynach, im
Schamchalischen Gebiete. Hier in den wilden Ländern des
Kaukasus, wo man den Werther noch nicht gelesen hat, ist die
Liebe auch nicht so sentimentaler Art wie bei uns zu Lande.
Der Asiat schießt sich nicht aus Liebe todt, sondern tödtet
lieber die, welche ihn hindern, den Gegenstand seiner
Neigung zu besitzen. Bala-Chan wußte sich bald Ersatz für
seinen Verlust zu verschaffen, indem er das Herz einer
schönen Fürstentochter aus dem Aul Kjüsteck gewann. Mit
größtmöglicher Eile wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit
getroffen. Schon war der zur Festlichkeit bestimmte Tag
gekommen, und der Käbin entrichtet. Die reichen Geschenke des
Bräutigams waren der Sitte gemäß bereits auf Lastthieren in
die Wohnung der Braut geschickt, während im Hause Bala-Chans
die in großer Anzahl geladenen Gäste lustig zechten und
jubelten.
Wer im Daghestan gewesen, weiß, wie leicht die Fürsten
und Edlen dieses Landes, dem Beispiel ihrer Priester
folgend, sich an den Genuß des Weins gewöhnen, trotz des
großen Propheten und seiner heiligen Gebote.
Das Unglück schien Bala-Chan noch nicht genug verfolgt zu
haben: während er fröhlich und guter Dinge dasitzt in der
Mitte seiner Gäste, sinkt er plötzlich, zum Schrecken aller
Anwesenden, wie vom Schlage getroffen, todt zu Boden nieder.
Wir überlassen die Gäste ihrem Schreck und die Braut
ihrer Verzweiflung, um, ehe wir den Lauf unserer Erzählung
weiter verfolgen, zuvor die Ursache des plötzlichen Todes
Bala-Chans zu erforschen. Es wurden Gerüchte laut, daß seine
Brüder, welche fürchteten, von ihm, dem älteren Bruder,
verdrängt zu werden, ihn vergiftet hätten. Bei den
sorgfältigen Erkundigungen, welche ich darüber eingezogen
habe, glaube ich jedoch diesen Gerüchten mit einiger
Sicherheit widersprechen zu können, und nehme an, daß der
unzeitige Tod Bala-Chans eine natürliche Folge seines
unmäßigen Genusses geistiger Getränke war. Schon im kalten
Sibirien hatte er sich, aus leicht erklärlichen Gründen, dem
Laster des Trinkens ergeben, und bei seiner Rückkehr nur
allzugern den feurigen Rebensaft seines Heimatlandes gegen
den Branntwein von Tobolsk vertauscht.