Einundzwanzigstes KapitelLetzte Eindrücke von Tiflis -
Wanderung zu den Ländern am Schwarzen Meere
War ein Aufruf geschehen gen Daghestan,
Zogen die Krieger von Thal und Gebirg' heran,
Des Kaisers Armee vom Russenland,
Die Armenier in flatterndem Kriegsgewand,
Der Tataren rothbärtiger Räubertroß,
Die gepanzerten Reiter von Kachethos;
Die Stämme von Kolchis, vom Ararat,
Kamen alle gezogen zur Kyrosstadt.
Und die Horden halten – der greise Sardaar
Reitet auf und ab und mustert die Schaar.
Es ertönen die Hörner, die Trommel schallt,
Daß es laut von den Bergen rings wiederhallt.
Und auf den Dächern der Häuser stehen
Die Frauen und Kinder – im Morgenwind wehen
Die bunten Gewänder, und manch' Auge wird feucht,
Wie's hinab auf die Schaaren der Krieger steigt –
Weint die Mutter den Sohn, und das Weib den Mann,
Die zu Felde ziehen gen Daghestan . . .
Es war die letzte Musterung, welche der greise Sardaar
(General von Neidhart) in Tiflis hielt. Er wurde
abberufen, und nach ihm bezog Graf (jetzt Fürst) Woronzow
den Palast der Statthalter vom Kaukasus.
Bald darauf sagte auch ich der alten Kyrosstadt Lebewohl,
um durch die Wälder von Kolchis zu pilgern, die Küsten des
Schwarzen und Asow'schen Meeres zu besuchen, die Krim zu
durchwandern und mich dann von Odessa nach Konstantinopel
einzuschiffen. Selten, vielleicht nie mehr, hat Tiflis solch
zauberischen Glanz, solchen Zudrang von Menschen, solch
wunderbare Pracht in seinen Mauern gesehen, als während der
Festlichkeiten, welche zu Ehren der Ankunft des neuen
Statthalters und seiner Familie begangen wurden.
Das herrlichste Wetter begünstigte die Festlichkeiten. Die
Straßen waren trocken und der Himmel heiter.
Alle Häuser der wohlhabendern Einwohner waren behangen mit
kostbaren Stoffen, alle Bazars mit reichen Teppichen
ausgelegt, alle Straßen mit Blumen bestreut. Einige Fontainen
waren mit blutrothem Wein gefüllt, was besonders bei
abendlicher Beleuchtung ein zauberhaftes Farbenspiel erzeugte.
Am blendendsten aber war das Schauspiel in der Hauptstraße
der Stadt, wo der Sardaar seinen Einzug hielt. Nur in Rom,
während des Karnevals, habe ich Aehnliches gesehen. Auf den
Dächern, auf den Balkons und Gallerien leuchtete Kopf an Kopf
aus den schönen Gewändern hervor. Jedes Haus war zu einem
Piedestal lebender Bilder, jedes Fenster zum Rahmen der
Schönheit geworden.
Strahlender als alle übrigen aber war Dein Antlitz, Julia, Du wonniges Wesen! Du warst ein Fremdling in
diesem Lande, aber die Töchter des Gebirges beneideten Dich um
Deine Schöne, und sie nannten Dich »die Rose vom Kaukasus.«
Und nie haben zwei so kleine Füße so viel Schönheit, Tugend,
Hoheit und Anmuth getragen, als Deine Füßchen!
Wir werfen einen flüchtigen Blick auf die festliche
Abendbeleuchtung der Stadt und nehmen dann Abschied auf immer.
Ganz Tiflis schien in ein Feuermeer verwandelt; alle Berge
in der Runde schienen zu flammenden Vulkanen geworden; die
Erde athmete warm; auf allen Plätzen brannten bengalische
Feuer; auf allen Dächern loderten Fackeln; schimmernde
Lampenreihen durchzogen die Stadt in allen Richtungen, gleich
blitzenden Perlenschnüren, und dazwischen wandelten die
leichtfüßigen Töchter von Tiflis in lustigen Gewändern, und
die stattlichen Männer des Gebirges im silbernen
Waffengeschmeide.
Das schönste Mährchen der Tausend und Einen Nacht kam
dieser Wirklichkeit nicht gleich . . . Jetzt scheiden wir von
Tiflis, und in wenigen Tagebuchblättern erzähle ich Euch meine
Erlebnisse auf der Reise zum Schwarzen Meere.
I. April 1845.
Von Tiflis bis Mtzchetha bieten die Hügelketten, welche den Weg
begränzen, einen ziemlich einförmigen und kahlen Anblick. Von
dort bis Gori zeigt sich schon eine reichere, mannigfaltigere
Vegetation, und man fährt zwischen frühlingsbunten Hügelreihen
und üppig bewachsenen Fluren, welche nur hin und wieder durch
kahle, wüste Flächen unterbrochen werden.
Von der Herrlichkeit der alten Hauptstadt ist jetzt nichts
mehr zu sehen; nur einige zeitverwüstete Ruinen, eine schöne,
gut erhaltene Kirche und etwa hundert von armen Georgiern und
Armeniern bewohnte Häuser zeigen die Stelle, wo sie gestanden.
Wie in der Geschichte, so auch in den Sagen und Liedern des
Volks, spielt Mtzchetha eine große Rolle.
Interessant war es mir, in Bezug auf die alten Trümmer des
Schlosses von Mtzchetha unter dem Volke eine Sage zu finden,
wovon die meisten Völker Europa's Analoges aufzuweisen haben.
Sie erzählt von einer schönen, buhlerischen Königin, welche
vor Zeiten das Schloß bewohnte, und durch List oder Gewalt die
jungen Wanderer, die des Weges zogen, zu sich lockte, und,
wenn sie ihrer frechen Lust gefröhnt, die Betrogenen von den
Zinnen der Veste hinabstürzen ließ in der Aragua Fluth. Ein
grusischer Dichter hat die Sage poetisch bearbeitet; das
Gedicht ist zu lang und weitschweifig, als daß ich es hier
ganz wiedergeben könnte; ich werde nur einige Strophen davon
anführen:
»Zu der Schneegebirge Füßen,
Grusiens alter Hauptstadt nah',
Wo die gelben Ströme fließen,
Kyros und Aragua,
Steht ein Schloß – zerstört, zerfallen
Längst, im Sturmesschritt der Zeit;
Doch noch zeugen seine Hallen
Von vergang'ner Herrlichkeit;
Und noch blüht im blum'gen Duft es,
Um der Mauern grauen Kreis,
Aus den schatt'gen Bäumen ruft es,
Ruft es laut und flüstert's leis.
Nur zur mitternächt'gen Stunde
All' der bunte Zauber weicht,
Athmet's schaurig in der Runde;
Der Gesang der Vögel schweigt . . .
Dann beschreibt der Sänger die böse
Bewohnerin des Schlosses, und wie sie fortlebte im Fluche des
Volks:
»Schön war sie – doch ihre Schöne
Nie ein liebend Herz gewann;
Jung war sie – doch Grusiens Söhne
Sahen sie mit Schaudern an u.s.w
Nachdem er darauf lebhaft ihren
frevelhaften Lebenswandel geschildert, läßt er ihr die Strafe
auf dem Fuß folgen. Sie verliebt sich nämlich in einen Mann,
welcher trotz allen Versprechungen und Drohungen ihre Liebe
unerwiedert läßt. Der Dichter malt ihn also:
»Groß und schön sind Grusiens Söhne,
Aber nie betrat ihr Schloß
Je ein Mann, den solche Schöne,
Solcher stolze Muth umfloß.«
Und bei seinem Anblick steigen Gefühle in
ihrem Herzen auf, die sie nie gekannt; reuezerknirscht sieht
sie zurück auf ihr fluchbeladenes Leben und verspricht an der
Hand ihres neuen Geliebten auch in einem neuen Leben zu
wandeln. Aber der weist sie kalt zurück, und erwiedert ihre
Anträge mit stolzer Verachtung. Sie kämpft einen langen Kampf;
endlich trägt ihr Stolz den Sieg davon, und sie weiht den
jungen, unerbittlichen Grusier einem furchtbaren Tode. Der
Dichter fährt fort:
»Wird sich nie ein Rächer finden
Der dem Frevel Halt gebeut,
Und sie straft für ihre Sünden?
Doch der Rächer ist nicht weit,
Kennt nicht Gnade noch Verzeihung:
Selber rächt die Liebe sich,
Nimmer duldet sie Entweihung,
Ihr Gericht ist fürchterlich!«
Die Königin findet nach dem Tode ihres Geliebten nicht Ruhe
mehr; die alte Liebe taucht wieder auf mit all' ihrer Macht,
und verfolgt sie wie ein drohender Schatten. Und die
Gewissensbisse, der Sünde peinigende Kinder, foltern sie Tag
und Nacht, bis die Lebensmüde endlich durch ihren Tod die
strafenden Mächte versöhnt.
II. April 1845.
Gori, unser erster Anhaltpunkt, ist eine Stadt von
nur ein paar Tausend Einwohnern (die Garnison ausgenommen,
welche sich auf 5000 Mann beläuft), aber für Jemanden, der
grusisches (georgisches) Leben und Treiben kennen lernen will,
der wichtigste Punkt des Königreichs.
In Tiflis ist das russische Element schon seit zu langen
Jahren vorherrschend gewesen, als daß die armenische und
grusische Bevölkerung dieser Stadt von seinem Einfluß hätte
frei bleiben können. In Gori ist dies weniger der Fall,
weßhalb sich auch hier die Eigenthümlichkeiten und Sitten des
Volks in größerer Reinheit erhalten haben. Wir waren
gezwungen, hier bis zur Durchreise der Gräfin Woronzow,
welche in diesen Tagen erwartet wird, zu verweilen, da auf den
Stationen alle Pferde für die Gräfin und ihr Gefolge in
Bereitschaft gehalten werden mußten.
Die Reisenden in den russischen Landen befinden sich immer
in einer mißlichen Lage, wenn auf dem Wege, welchen sie zu
machen haben, zufällig irgend eine hohe Person erwartet wird.
Man muß in einem solchen Falle zuweilen ganze Wochen lang
vergeblich auf Pferde warten. In dem europäischen Rußland ist
dem Uebel leichter abzuhelfen, da man dort fast überall bei
den Bauern Miethpferde findet, welche man freilich oft mit dem
Dreifachen des gewöhnlichen Preises bezahlt, dafür aber auch
der Unannehmlichkeit überhoben wird, die Zeit nutzlos auf den
ungastlichen Stationen zu vergeuden.
Von dem Oberst Kapiow, Chef des hier stehenden
Regiments, wurden wir mit großer Freundlichkeit aufgenommen,
wie sich überhaupt Gastfreundschaft noch in hohem Grad bei den
Russen findet. Da das Haus des Obersten der Vereinigungspunkt
der vornehmern Gesellschaft von Gori ist, so haben wir
Gelegenheit, einige der vielgepriesenen Schönen der Stadt
etwas genauer kennen zu lernen. Zudem hatte der Oberst die
Güte, heute Morgen mit uns ein paar Fürstinnen in ihren
Wohnungen zu besuchen; wir wurden jedoch nur von der jungen
Fürstin Martha Eristaff empfangen, deren anmuthiger
Wuchs und üppiges Haar in ganz Georgien berühmt sind.
Der Oberst gebrauchte die Vorsicht, ehe er mit uns zur
Fürstin fuhr, sich eine Stunde vorher bei ihr anmelden zu
lassen, »denn,« sagte er kundig lächelnd, »eine schöne
Georgierin zeigt sich nie den Augen eines Fremden, wenn ihr
nicht Zeit gelassen wird, erst gehörig Toilette zu machen, und
besonders Schminke aufzulegen.«
Es ist hier, däucht mir, der Platz, noch einige ergänzende
Worte über die weltberühmte Schönheit der Georgierinnen zu
sagen. In Europa denkt man sich gewöhnlich unter einer
Georgierin ein hohes, schlankes Wesen, von üppiger
Leibesgestalt, in weite, reiche Gewänder gehüllt, mit dichtem,
schwarzem Haar, lang genug, um alle Männerherzen damit
fesselnd zu umschlingen, mit freier, edler Stirn, und ein paar
Augen, welche alle Geheimnisse von Sinnen- und Seelenlust in
ihren dunkeln, räthselhaften Zauberkreis festbannen. Ihr Gang
ist Wollust. Freude geht vor ihr her und Bewunderung folgt
ihr. Die Blumen, die sie zertritt, blicken noch sterbend,
lustzitternd empor, und senden der Schönen opfernd ihren Duft
nach.
Mit solchen Ideen kommen die Fremden gewöhnlich nach
Georgien und – finden sich seltsam enttäuscht. Die Reisenden,
welche mit so hochgespannten Erwartungen das durch Geschichte
und Sage mit einem Nimbus umgebene Wunderland betreten,
bleiben entweder hartnäckig bei ihrer vorgefaßten Meinung.
oder sie gehen flugs zum andern Extrem über, und finden Alles
schmutzig, häßlich, ekelhaft, zum Entsetzen. Die Wahrheit
liegt in der Mitte. Das Volk der Georgier ist im Ganzen
genommen unleugbar eines der schönsten Völker der Erde. Aber
obgleich ich ein großer Verehrer von Frauen bin, muß ich doch
hier den Männern unbedingt den Preis vor dem andern Geschlecht
zuerkennen. Hierin stimmen alle diejenigen gebildeten Bewohner
Georgiens mit mir überein, welche Auge, Geschmack und
unparteiisches Urtheil haben. Noch muß ich hinzufügen, daß von
jener höhern Schönheit, wo Herz, Geist und Gemüth sich im Auge
wiederspiegeln, am ganzen Kaukasus, unter Frauen wie Männern,
wenig Spuren zu finden. Ich habe so ziemlich Alles gesehen,
was Georgien von Weibern Schönes in sich schließt, aber kein
Gesicht ist mir vorgekommen, das mich ganz befriedigt hätte,
obgleich die anmuthige Tracht der Bewohnerinnen dieses Landes
sehr zur Erhöhung ihrer Reize beiträgt. Es fehlt dem Gesicht ganz jener edlere
geistige Ausdruck, welcher schönen Europäerinnen einen so
eigenthümlichen Zauber verleiht. Diese können noch Liebe
erwecken und Herzen gewinnen, selbst wenn die Zeit ihrer
Blüthe längst vorüber ist; bei einer Georgierin hingegen welkt
mit der Jugendfrische Alles dahin.
Das Auge, welches von jeher, trotz seines scheinbaren
Feuers, nichts als Ruhe und träge Wollust geathmet, nimmt
einen matten Ausdruck an; die an und für sich schon die
Schönheitsgränze etwas überschreitende Nase erscheint in Folge
der früheinfallenden Wangen in so unnatürlicher Größe, daß
viele Leute glauben, sie nehme mit den Jahren wirklich an
Umfang zu, und der Busen, welcher hier zu Land eben keine
versteckte Rolle spielt, nimmt gar zu früh einen schlottrigen
Charakter an – lauter Erscheinungen, welche bei Europäerinnen
seltener, unmerklicher und in weit geringerem Maß stattfinden.
Rechnet man dazu noch die in Georgien bei Jung und Alt
verbreitete Sitte des Auflegens weißer und rother Schminke, so
begreift man, daß solche und ähnliche zu sehr in die Augen
springende Toilettenkünste nur schmälernd auf die gute Meinung
des Beobachters einwirken können.
Die Wohnungen der Fürsten dieses Landes bieten einem, durch
europäische Pracht verwöhnten Auge wenig Anziehendes dar.
Ueberhaupt habe ich einen, sich in vielen Dichtungen und
Reisebeschreibungen oft wiederholenden Ausdruck nie verstehen
können; ich meine den Ausdruck: orientalischer Luxus.
Wo dieser weitgerühmte Luxus zu finden ist, weiß ich so wenig,
wie einer von den vielen mir bekannten Reisenden, welche das
Morgenland in allen Richtungen durchzogen haben. Die Perser,
Tataren und Georgier leben in ihren Wohnungen wie das liebe
Vieh; selbst die Häuser der Großen und Reichen unter ihnen
können sich mit denen unseres wohlhabenderen Mittelstandes
nicht messen.
Die einzigen werthvollen Gegenstände, welche man in den
Wohnungen der Reicheren dieser Länder findet, sind schöne
Teppiche, Waffen und Kleidungsstücke. Vorzüglich auf letztere
wird eine große Sorgfalt verwendet. Die Pracht der Kleider
steht in gar keinem Verhältniß mit den engen, schmutzigen, oft
ekelhaften Wohnungen.
Wir machten in Begleitung einiger Kosaken einen Ausflug
nach dem nur etwa sechzehn Werst von hier gelegenen, berühmten
Felsenschloß Uphlis-Ziche, wovon Dubois in seinem
trefflichen Reisewerk eine genaue Zeichnung und Beschreibung
gegeben hat. Eine kürzere, aber nicht minder richtige
Schilderung findet man in der alten georgischen Geographie des
Zaréwitsch (Königssohn) Wachuscht, wo es also heißt: »Ueber
der Ebene von Achurian, aus einem Berge, welcher unten mit dem
Felsen von Cwernak zusammenhängt, am Ufer des Mtcwar,
liegt Uphlis-Ziche, eine Burg, erbaut von Uphlos, dem
Sohn des Karthlos. Bis zu den Zeiten des
Tschingis-Chan stand hier eine Stadt; heutzutage sieht man
nur noch die Ruinen davon. Die Bauart und Einrichtung des
Ganzen war bewunderungswürdig. Es waren große, in den Felsen
gehauene Gemächer und Säle; man sah daselbst gleichfalls eine
in Stein gehöhlte, ungeheure Grotte, welche sich bis Mtcwar
hin erstreckte. Oestlich davon dehnt sich ein steiler Abgrund
aus, wo sich eine Menge in den Felsen gehauene, jetzt
unzugängliche Höhlen befinden &c.«
Von den Gemächern, Höhlen und Grotten sieht man heutiges
Tages immer noch genug, um zur Bewunderung des unbeugsamen
Willens und der eisernen Kraft hingerissen zu werden, welche
dem starren, unwirthlichen Felsen hier Wohnung und Schutz
abtrotzte. Die Gemächer sind mit einer Regelmäßigkeit und
Kunstfertigkeit gearbeitet, welche in Erstaunen setzen. Die
Decken sind mit Bildhauerarbeit, die Wände mit Inschriften
verziert. Von der Höhe des Felsens hinab genießt
man einer entzückenden Aussicht. Doch dies ist eine
abgedroschene Bemerkung, welche ebenso gut hätte wegbleiben
können, da in allen Reisebeschreibungen regelmäßig eine
entzückende Aussicht jeder Berg- oder Felserklimmung folgt.
In dem Saale, wo einst die große Königin Thamar
gewohnt haben soll, meckerte bei unserm Eintritt vergnügt eine
Heerde junger Ziegenböcklein. Aehnliches findet der Reisende
häufig, wenn er in Georgien oder Armenien die Ruinen der
Tempel und Paläste der Vorzeit besucht.
Der Weg von Gori nach Uphlis-Ziche bietet die großartigsten
Bilder und die mannigfaltigste Abwechselung dar. Die
grusischen Landschaften haben einen besondern Reiz für mich.
Ich sage für mich, da ich eine Menge Leute gefunden habe,
welche hier nichts Schönes entdecken können, und die grellen,
stark ausgeprägten Frühlingsfarben des Nordens, dem sanft
verschmolzenen Farbenspiel eines grusischen Frühlings
vorziehen. Nirgends gewahrt hier das Auge scharfe Umrisse:
alles ist so weich, so hingehaucht, farbenunbestimmt. Das Eine
verliert sich in dem Andern, gleich den umrißlosen Farben des
Regenbogens, und das Ganze erzeugt mehr eine große,
feierliche, als heitere Stimmung. Eine stille Wehmuth scheint
aus Wald und Gebirg herüberzuwehen; die Natur scheint hier für
den Menschen zu denken, bald stumm, im ruhigen Glanze des
Himmels und der Gletscher, bald laut im Gesange der Vögel, im
Murmeln der Wasser, im Rauschen der Wälder.
III. April 1845.
Kutaïs, an beiden Ufern des Rion gelegen, zeichnet
sich durch ihre herrliche Temperatur, ihr gutes Wasser und
ihre anmuthige Lage aus. Die Einwohner, deren Zahl sich ohne
die Garnison auf 2–3000 beläuft, sind ein Gemisch von Imariern,
Armeniern, Juden und Russen; hin und wieder sieht man auch
einige Türken und Griechen. Die Haupterwerbsquelle der Stadt
ist Handel. Eine genaue Schilderung aller hier befindlichen
Merkwürdigkeiten, Ruinen &c. findet man in Dubois de
Montpereux trefflichem Reisewerke. Die imerischen Häuser
unterscheiden sich durchaus von denen der Grusier, und nähern
sich in ihrer Bauart mehr unserm Geschmack. Sie sind klein,
von Holz, mit breiten, oben spitzzulaufenden Dächern. Obgleich
die Lage der Stadt reizend ist, bietet Kutaïs doch keinen so
großartigen Anblick dar, wie Gori, wo Alles jenen grauen,
alterthümlichen Anstrich trägt, der gefällt, ohne zu blenden,
der zum Nachdenken anregt und unwillkürlich Auge und Geist
zurückruft in das Dunkel vergangener Jahrhunderte.
Nach der Angabe des Kreishauptmanns zählt Imerethi heute
200,000 Einwohner, worunter sich 5000 Fürsten und ungefähr
11,000 Edelleute befinden! Diese Zahlen mögen genügen, eine
Idee von der heutigen imerischen Aristokratie zu geben, und
besonders die Bedeutung des Titels »Fürst« etwas anschaulicher
zu machen.
Die Adeligen dieses Landes sind, mit wenigen Ausnahmen,
nicht reich, sondern nur etwas weniger arm als die übrigen.
Wie ich mehrfach auf der Herreise von Beamten und Offizieren
gehört habe, soll die Volksarmuth in den letzten Jahren noch
bedeutend zugenommen haben, besonders in Folge von
Ueberschwemmungen und daraus entspringenden Mißernten. Im
Dezember vorigen Jahres trat die Quirila aus ihren
Ufern und überströmte das ganze umliegende Land, wodurch eine
förmliche Hungersnoth erzeugt wurde. Man zeigte mir noch auf
den letzten Stationen vor Kutaïs die Spuren der Verwüstung,
welche sich nicht allein in verödeten Aeckern und Gärten, in
umgerissenen Zäunen und Häusern, sondern auch in schrecklichen
Zügen auf dem Angesicht der Menschen kundthat.
Die Folgen so unglücklicher Ereignisse müssen um so
dauernder und furchtbarer sein in einem Lande, wo der Ackerbau
noch auf einer so niedrigen Stufe steht wie hier. Die
Einwohner Imerethi's wissen so wenig Vortheil aus dem reichen
und fruchtbaren Boden ihres Landes zu ziehen, daß selbst in
günstigen Jahren der Ertrag ihrer Aecker kaum zur Befriedigung
ihrer dringendsten Bedürfnisse ausreicht. Schon seit langen
Jahren halten sich eine Menge Imerier in Tiflis auf, wo sie
als Lastträger ihren Unterhalt verdienen. Der Imerier lebt,
wie die meisten Völker des Orients, nur für den Augenblick,
ohne sich um die Zukunft zu kümmern. Bei alledem ist er gut,
ehrlich und gastfrei. Diebstahl und Räubereien sind etwas
Unerhörtes in diesem Lande, wo man mit der vollkommensten
Sicherheit reist. Friedlich zu Hause, ist der Imerier
furchtbar im Kriege, und die Miliz dieses Volkes hat sich
immer durch ihre Tapferkeit in den Feldzügen der Russen gegen
die Bergvölker ausgezeichnet. Bei allen Sitten- und
Charakterschilderungen übrigens muß man immer eine Ausnahme
mit den Leuten machen, welche in großen Städten, oder an der
großen Heerstraße wohnen, denn dort findet man überall
Spitzbuben und gewissenloses Gesindel.
Die Haupt- und Lieblingsspeise der Imerier wie auch der
Mingrelier und Abchasen ist das Gomi, eine Art
Hirsebrod, für europäische Zungen fast ungenießbar. Sonstige
Lieblingsgenüsse des Volks sind Wein und Tabak, welche das
Land im Ueberfluß hervorbringt. Den Tabak finde ich gut, aber
der Wein ist schlecht; wahrscheinlich weil ihn die Leute nicht
zu behandeln wissen. Uebrigens wird hier, wie in allen
christlichen Ländern des Kaukasus, allgemein so viel Wein und
so wenig Wasser getrunken, daß ich mehr als einmal den
Ausdruck der Verwunderung gehört habe: »Er trinkt Wasser wie
Wein!« Gerade wie man bei uns umgekehrt sagt: »Er trinkt Wein
wie Wasser!«
Nichts ist schwieriger, unsicherer und undankbarer, als die
Würdigung eines solchen in der Uebergangsperiode stehenden
Volkes. Alles ist hier unstät, flüchtig, stets wechselnd;
nirgends findet man allgemeine, farbenbestimmte Umrisse, auf
welche man bei Darstellung des Einzelnen fußen könnte, und das
Urtheil des Reisenden, welcher bei seinen Betrachtungen den
ersten Eindrücken folgt, ohne die Geschichte zur Basis zu
nehmen, muß ein sehr ungünstiges und schwankendes werden. Am
schwierigsten wird die Betrachtung bei allen fremden, dem
russischen Scepter unterworfenen Völkern, deren Civilisation
Rußland unternommen hat, denn hier drängt sich dem
unbefangenen Beobachter unwillkürlich die Frage auf: »Sind die
Russen, welche selbst noch auf einer so wenig Anerkennung
findenden Stufe der Bildung stehen, auch schon befugt und
berufen, andere Völker zu civilisiren?«
Bis jetzt haben die Georgier durch ihre Berührung mit den
Russen nichts gelernt, als eine für ihr Land unzweckmäßige
Kleidung zu tragen, statt der bloßen Finger Messer und Gabeln
beim Essen zu gebrauchen, auf Stühlen und Bänken zu sitzen,
ohne die Beine unterzuschlagen &c. Trotz allen von der
Regierung angelegten Schulen und Anstalten, wird noch ein
ganzes Jahrhundert vergehen, ehe wahre Bildung in diesem Lande
Wurzel schlagen und dem Volke eine höhere Richtung geben kann.
Alle auf einer niedern Culturstufe stehenden Völker sind wie
Kinder, und nehmen von den sich ihnen zu Lehrern aufdringenden
Völkern erst alles Sonderbare, Auffallende an, ehe wahrhaft
Nützliches bei ihnen Eingang findet; sie müssen gleichsam erst
alles Schlechte durchmachen, um zum Guten zu gelangen. Und
eine solche Culturschule kann erst nach Jahrhunderten zu
erfreulichen Resultaten führen; in der ersten Zeit werden die
Lernenden immer scheinbar verlieren, da ihnen anfänglich
unmöglich Ersatz für die Opfer, welche sie bringen, geboten
werden kann, denn die größte Einfachheit kann nur durch die
größte Feinheit der Sitten aufgewogen werden: alles
Dazwischenliegende, einen Uebergang Bildende, steht weder dem
einen noch dem andern gleich.
IV.
Redut-Kalé, seit 1820 von den Russen gegründet, ist
der elendeste aller Hafenplätze, die ich im Leben gesehen. Die
Stadt – wenn anders der armselige Ort diese Benennung verdient
– besteht aus drei Häuserreihen, welche durch die
Chopi und eine lange, beinahe fußdick mit
kleinen Kieselsteinen überworfene Straße von einander getrennt
werden. Die Häuser sind alle von Holz gebaut und größtentheils
in schlechtem Zustande, unansehnlich von Außen und Innen.
Die Einwohner, ungefähr 1500 an der Zahl, bilden ein
Gemisch von Griechen, Türken, wenigen Russen und Armeniern.
Bis zur Aufhebung der früher hier herrschenden
Handelsfreiheit (1832) war Redut-Kalé der belebteste aller
Häfen an der Ostküste des Pontus; jetzt aber sieht hier Alles
wie abgestorben aus. Zwischen den Wundern der Tiefe des
Schwarzen Meeres und den immergrünen Wäldern von Kolchis,
liegt die einförmige, aschgraue Häusermasse mit ihrer kahlen
Umgebung, wie der Gegensatz zu einer Oasis in der Wüste.
Nach den örtlichen Verhältnissen zu urtheilen, muß dem
Beobachter nichts natürlicher erscheinen, als der
gegenwärtige, traurige Zustand der Stadt. Die Lage ist
unfreundlich, die Gegend ungesund und der Hafen im höchsten
Grade gefährlich und unbequem. Und doch war Redut-Kalé lange
Jahre hindurch der Mittelpunkt der Handelsoperationen zwischen
Persien und Europa!
Die Einwohner – nicht allein von Redut-Kalé, sondern von
ganz Transkaukasien – bauen mit Recht freudige Hoffnungen auf
das Versprechen des Fürsten Woronzow, all' seinen
Einfluß beim Kaiser anzuwenden, um die alte Handelsfreiheit
wieder herzustellen. Daß die Wohlfahrt und das Gedeihen des
Landes unendlich dadurch befördert werden würden, darin
stimmen die Ansichten aller Reisenden und Sachverständigen
überein . . . Kaum hatte ich acht Tage in Redut-Kalé
zugebracht, als das ungesunde Klima schon anfing, verderblich
auf meinen Körper zu wirken, so daß ich mit freudigem Eifer
eine sich mir darbietende Gelegenheit ergriff, der
ungastlichen Stadt, der ich auch nicht eine angenehme
Erinnerung zu verdanken habe, den Rücken zuzukehren, und auf
den weißen Wellen des Schwarzen Meeres – statt auf einem
langwierigen Krankenlager – Erholung von meinem Unwohlsein zu
suchen.
Der Kommandant von Redut-Kalé hatte nämlich einen
Barkaß, bemannt mit vierzehn Asowschen Kosaken unter
Anführung eines
Chorundschi,
nach der Festung Ardiller, an der Küste des Landes der
Dschighethen, auszurüsten, und ertheilte mir und meinen beiden
Leidensgefährten, bestehend aus einem jungen russischen
Gardekapitän und dem tapfern Tatarenhauptmann Gjül-Bassar,
gern die Erlaubniß, die im Monat April etwas gefährliche Fahrt
mitzumachen. Die Zwecke, welche das Reisekleeblatt verfolgte,
waren eben so verschieden wie die Persönlichkeiten, aus
welchen es zusammengesetzt war. Der Gardekapitän – ein
parfümirter Salonheld – hatte dem die Militärlinie an der
Ostküste des Schwarzen Meeres kommandirenden General von
Budberg Depeschen vom Oberbefehlshaber zu überbringen.
Gjül-Bassar – jedenfalls die interessanteste
Persönlichkeit von uns dreien – ein auf dem Wege der
russischen Civilisation begriffener Tatar, hatte sich, gelockt
durch Titel und Orden, dem in Warschau stehenden,
muselmännischen Reiterregiment zukommandiren lassen, um im
fremden Lande, im Glanze friedlicher Straßenparaden,
Auszeichnungen zu finden, deren Erringung ihm im Schooße der
kriegbedrohten Heimat zu schwer geschienen.
Gjül-Bassar (zu deutsch: Rosenhaupt), stand mit
seinem blumigen Namen in auffallend wunderbarem Einklange.
Sein mit ebenso starken wie zahlreichen Pockennarben
übersäetes Antlitz, sah aus wie eine Sammlung verwetterter
Rosenknospen, und seine etwas lang gerathene, schwammige Nase
glänzte darüber hin, wie ein durchsichtiger Behälter, dem
alles Blut der abgestorbenen Rosenknospen zugeflossen. Als
einzige Waffe trug der Rosenköpfige einen daghestanschen Dolch
im Gürtel, die übrigen Mordwerkzeuge: ein Gewehr mit doppeltem
Lauf, ein paar gewichtige, persische Pistolen und einen langen
Tscherkessensäbel hatte er seinem kleinen Diener Jussuff
aufgebürdet, dessen winziger, schmaler Körper die Waffenlast
mit Mühe zu tragen schien. Das Ergötzlichste an Gjül-Bassar
war seine fixe Idee: Warschau liege irgendwo am Schwarzen
Meer; wir ließen ihn ruhig gewähren, nachdem wir vergeblich
auf alle Weise versucht hatten, ihn von seinem Irrthume
abzubringen, zu welchem ein ihm befreundeter Mullah aus dem
Karabagh Veranlassung gegeben hatte.
Es war 8 Uhr Morgens am 19. April, als wir bei immer noch
umwölktem Himmel Redut-Kalé verließen. Der Barkaß war flott
gemacht, unsere Sachen waren bereits aufgepackt, und die
Kosaken standen am Ufer und harrten ihres Führers, sich nach
ihrer Gewohnheit die Zeit mit Singen heimatlicher Lieder
vertreibend.
Zwölf Kosaken hatten einen Kreis gebildet, der dreizehnte
stand in der Mitte und sang mit lauter, gewandter Stimme ein
lustiges Lied, dessen letzte Verse jeder Strophe die
Umstehenden immer halb schreiend, halb singend wiederholten.
Lied der Kosaken vom Schwarzen Meere:
»Was hängst Du das Köpfchen so traurig und schwer?«
– »Was ziehst, mein Kosak, fort zum Schwarzen Meer?« –
So sprach ich zum Mädel, so sprach sie zu mir –
Just war ich beim Mädel, und jetzt bin ich hier!
Chor: So sprach ich zum Mädel
&c.
Und weine nicht, Mädchen, hell' auf Deinen
Blick!
Wohl muß ich davon, doch bald kehr' ich zurück –
Der Kosak liebt das Meer und er liebt die Gefahr,
Doch er liebt auch, was Süßes beim Mädel ihm war!
Chor: Der Kosak liebt das Meer
&c.
Der Priester der spricht: Das ist Sünde,
mein Sohn! . . .
Doch beicht' ich die Sünd', da verzeiht er sie schon.
Ein Griff in die Tasch', ein geschmeidiger Mund,
Das macht uns beim Priester von Sünden gesund!
Chor: Ein Griff in die Tasch'
&c.
Es donnert zum Kampfe – da zagen wir
nicht,
Ob zu Meer, ob zu Lande, das fragen wir nicht;
Ob nah oder ferne, das messen wir nicht,
Und das Liebchen, das treue, vergessen wir nicht!
Chor: Ob nah oder ferne &c.
Drum frisch, ihr Kosaken, das Segel
gespannt!
Die
Schaschka zur Seite, den Kinshal zur Hand!
Und weine nicht, Mädchen, hell' auf Deinen Blick:
Der Kosak muß davon, doch bald kehrt er zurück!
Chor: Und weine nicht, Mädchen
&c.
Wer hat das hübsche Lied gedichtet? fragte ich, auf die
Sänger zugehend. Die Kosaken blieben mir die Antwort schuldig,
denn in diesem Augenblicke kam ihr Führer eiligen Schrittes
herbeigegangen, und im Nu saßen Alle bei ihren Rudern im
Fahrzeuge. Eine halbe Stunde später hatten wir schon die
heftige Strömung passirt, welche die Chopi bei ihrer Mündung
im Schwarzen Meere bildet.
Wir saßen mit dem Offizier und einem alten Urjädnik
(Unteroffizier), welcher als Steuermann fungirte, im
Hintertheile des Barkaß, der gerade groß genug war, die
Mannschaft, welche, uns und unsere Leute mitgerechnet, aus
zweiundzwanzig Personen bestand, zu fassen.
»Wo habt Ihr Türkisch gelernt?« – fragte ich einen Kosaken,
welcher sich eifrig in dieser Sprache mit Gjül-Bassar's
Diener unterhielt. »Was sollten wir nicht Türkisch sprechen
können?« entgegnete der Gefragte, »wir sind ja in der Türkei
groß geworden.« Durch weiteres Fragen gelangte ich zu der
Gewißheit, daß unsere Kosaken zu den Resten der tapferen
Saparoschzen gehörten, welche, vermehrt durch
eine Menge Ueberläufer und Vagabunden, unter der Regierung
Peters I. zu den Türken übergingen, und seit der Zeit
hartnäckige Feinde der Russen wurden. Nach der Einnahme von
Varna (1828) unterwarf sich ein Theil dieser Krieger, welche
im fremden Lande ihre Sprache, Religion und Sitten treu
bewahrt hatten, aufs Neue dem russischen Scepter, unter
Anführung ihres Atamans Gladkoi.
Die Kosaken, von welchen die meisten mit bei Varna gewesen
waren, erzählten mir in Bezug auf die oben angedeutete
Begebenheit eine Menge Geschichten zur Verherrlichung ihres
neuen Herrschers, unter anderm, wie er sich, nur von seinem
Adjutanten Orlow begleitet, auf einem Kriegsboote den
ihm bis dahin feindlichen Kriegern anvertraute, ohne, trotz
aller Warnungen seiner Umgebung, die mindeste Besorgniß noch
Furcht zu äußern; sechsundzwanzig Saparoschzen saßen am Ruder,
und der Ataman selbst fungirte als Steuermann.
Persönlicher Muth wird dem Kaiser von Niemand abgesprochen;
aber als Feldherr hat er sowohl, wie sein verstorbener Bruder,
der Großfürst Michael, während des Türkenkrieges sehr
geringe Beweise von höherer Befähigung gegeben. So erzählten
mir wenigstens hochgestellte Offiziere, welche den Türkenkrieg
mitgemacht und Gelegenheit hatten, den Kaiser in der Nähe zu
beobachten . . .
Die geschwätzigen Kosaken vertrieben uns durch ihre Lieder
und Sagen die Zeit ganz angenehm; wir ergötzten unsere Blicke
an den das Fahrzeug oft schaarenweise umspielenden Delphinen,
und langten gegen zwei Uhr Nachmittags glücklich in der alten
Festung Anaklea an.
Dieser, jetzt nur von wenigen Türken, Juden und Kosaken
bewohnte Ort (muthmaßlich das alte Heraklea der Griechen) am
linken Ufer des Ingur, welcher sich hier in's Schwarze
Meer ergießt, gelegen, bezeichnet an der Küste den Gränzpunkt
zwischen Mingrelien und dem Gebiete von
Samursachan.
Wir waren gezwungen, hier einige Stunden Rast zu halten,
damit die ermüdeten Kosaken, welche bei den ungünstigen, unser
Segel unnütz machenden Winden den ganzen Tag hatten das Ruder
schwingen müssen, neue Kräfte sammeln konnten.
Um sechs Uhr begaben wir uns wieder auf unser Fahrzeug, und
liefen bei einbrechender Nacht, die hier immer ohne die süße
Zwischenzeit der Dämmerung dem Tage folgt, in eine kleine
Bucht an der Küste von Samursachan ein.
Ein paar kleine, hinter Bäumen hervorlugende
Bretterhäuschen hatten uns zu der Meinung verleitet, es
befinde sich hier ein Dorf, wo wir Obdach für die Nacht finden
könnten; allein wir sahen uns bei näherem Recognosciren nicht
nur in unserer Erwartung getäuscht, sondern hatten noch
obendrein ein kleines Zusammentreffen mit türkischen
Kontrebandisten, welche sich mit ihren in oben erwähnten
Häuschen versteckten Waaren im Dunkel der Nacht wieder auf den
Weg machten, wahrscheinlich um einem andern Schlupfwinkel an
der Küste von Abchasien oder Dshighethistan
zuzusteuern. Wir brachten die Nacht unter freiem Himmel zu,
zündeten Wachtfeuer an, stellten Wachen aus und ließen uns von
nahem Wellengemurmel und fernem Schakalgeheul in Schlaf
singen.
Trotz unsers unbequemen Lagers schliefen wir vortrefflich,
ausgenommen Gjül-Bassar, welcher, die Pistole in der
Hand, mit gekreuzten Beinen auf seinem Teppich kauernd, die
ganze Nacht vor Unruhe und Besorgniß kein Auge schließen
konnte. Diese sich bei der kleinsten Gefahr äußernde Besorgniß
hatte keineswegs in angeborner Feigherzigkeit ihren Grund. Ein
gläubiger Muselmann, wie unser Tatar, fürchtet den Tod nicht,
auch bin ich überzeugt, daß sich Gjül-Bassar zu jeder
andern Zeit, ohne zu zittern, jeglicher Gefahr ausgesetzt
haben würde; für den Augenblick jedoch war ihm sein Leben
lieb, denn er hatte gehört, der Kaiser werde am 15. Mai in
Warschau eine Musterung der muselmännischen Regimenter halten,
bei welcher Gelegenheit jeder anwesende Offizier einen Orden
zu erwarten hätte.
Dieser zu erwartende Orden nun war der Anfang und das Ende
aller Wünsche Gjül-Bassars. Seit unserer Abreise von
Redut-Kalé hatte er von nichts weiter gesprochen; das Meer mit
seinen tausend Wundern, die stets wechselnden, großartigen
Naturschönheiten, welche uns umgaben, Alles ließ ihn
ungerührt; er dachte nur an seinen Orden.
Von einem mehrstündigen Regen durchnäßt, verließen wir bei
Tagesanbruch unser romantisches Lager und langten nach etwa
siebenstündiger Fahrt im Hafen von Utschamtschuri an.
Ich unterlasse es, mich in nichtssagenden Schilderungen der
herrlichen Naturschauspiele zu ergehen, welche die Küste, vom
Meere aus gesehen, in üppiger Fülle darbietet: die schäumende
Brandung, das steinige Ufer, die sich in endlose Ferne
verlierenden, undurchdringlichen Wälder, die baumgekrönten,
bunten Hügelreihen und dahinter die große Gebirgskette mit
ihrem nimmer beständigen Farbenspiel. Hier ist Alles in stetem
Wechsel begriffen, wenn nicht ein vollkommen heiterer Tag, wie
der April ihrer nur wenige bietet, einen sichern, klaren
Anblick gewährt.
Oft zieht sich eine Alles verhüllende, dichte Nebelmauer
vor den spähenden Blicken hin, und vergebens sucht dann das
Auge einen erquickenden Anhaltspunkt, bis plötzlich ein
Sonnenblick den aschgrauen Schleier zerreißt, und ein
leuchtender Strahl, wie ein goldener Zauberstab, Wald, Hügel
und Gletscher in neuem Glanze erschimmern läßt.
V. April 1845.
Utschamtschuri ist ein aus einer Straße und mehreren
dahinter zerstreut liegenden Häusern bestehender abchasischer
Hafenplatz mit etwa fünfhundert Einwohnern, deren
Hauptnahrungsquelle der Handel mit eingeschmuggelten Waaren
ist.
Ich fand auf dem, den größten Theil des Ortes einnehmenden
Bazar eine mannichfaltige, obschon weder reiche noch gesuchte
Auswahl von Stoffen und Fabrikaten aus dem Abend- und
Morgenlande. Viele, hier wohl selten oder nie gekaufte Waaren
liegen da aufgespeichert, denen man es gleichsam ansehen kann,
daß sie nicht Spekulationsgeist, sondern bloßer Zufall an
Abchasiens ungastliche Küste geschleudert.
Diese Muthmaßung wird zur Gewißheit, wenn man sich bei den
Kaufleuten nach den Preisen der betreffenden Waaren erkundigt,
welcher selten oder nie im Verhältniß mit ihrem Werthe steht.
So wurde mir z. B. ein Stück feines englisches Scharlachtuch
zu einem Preise angeboten, für welchen ich dasselbe in England
nicht hätte kaufen können.
Die Kaufleute sind ein Gemisch von Türken aus Trapezunt,
Griechen, Armeniern und Abchasen; der Handel der letztern
erstreckt sich lediglich auf Waffen und einheimische Produkte,
worunter besonders das treffliche, dem lesghischen an Stärke
fast gleichkommende Tuch und das äußerst zierlich und fein
gearbeitete Schuhwerk bemerkenswerth ist.
Der Bazar von Utschamtschuri trägt ein ganz eigenthümliches,
kriegerisches Gepräge. In jeder Bude, welche sich alle offen
vor den Augen des Zuschauers ausdehnen, steht ein geladenes
Gewehr; häufig findet man auch noch sonstige Waffen, wie
Dolche, Pistolen &c. Die Käufer, welche theils zu Fuß, theils
zu Pferde den Bazar durchziehen (größtentheils Abchasen aus
den umliegenden Dörfern), sind alle vollständig bewaffnet, die
Flinte auf dem Rücken, Dolch und Pistolen im Gürtel. Unter den
Männern erregten viele durch ihre schlanke und regelmäßige
Körperform und ihr ausdrucksvolles Gesicht unsere Bewunderung.
Was uns vom schönen Geschlechte zu Augen kam, war Alles alt
und häßlich.
Um keine von den Merkwürdigkeiten Utschamtschuri's
ungesehen zu lassen, besuchten wir, nachdem wir auf dem Bazar
verschiedene Einkäufe gemacht, das hier befindliche kleine
Kaffeehaus, ein luftiges, zeltartig aufgeschlagenes Gebäude,
dessen einziger Schmuck aus einer Art Kochofen zur Bereitung
des Kaffee's und einigen zur Bequemlichkeit der Gäste auf dem
Boden ausgebreiteten Matten besteht.
Wir ergötzten uns eine Weile an der herrlichen Aussicht,
welche man vom Balkon des Kaffeehauses nach dem Hafen zu hat,
sahen dem Treiben der Gäste zu, wovon die einen Schach
spielten und die andern Keef machten, und kehrten darauf nach unserm Barkaß
zurück, in der Hoffnung, noch vor der Nacht die nächste
russische Festung zu erreichen. Dem sollte jedoch nicht so
sein. Nachdem wir ein paar Stunden lang auf die
unbarmherzigste Weise in unserm zerbrechlichen Fahrzeug von
den tobenden Winden umhergeschleudert waren, mußten wir uns
bei der heftigen Brandung noch glücklich schätzen, vor Anbruch
der Dunkelheit einen einigermaßen günstigen Landungsplatz zu
erreichen.
Wir schlugen unser Lager am Eingange eines dichten, die
Küste begränzenden Waldes auf, dasselbe Verfahren, wie das
erstemal, dabei beobachtend.
Ueber die üppige Vegetation der Küste von Abchasien habe
ich schon oben andeutend gesprochen; man findet hier wildes
Stein- und Kernobst aller Art, Zwerglorbeer, Buchsbaum,
Nußbäume, Weinstöcke sieht man in großer Menge, besonders
letztere von bedeutender Dicke und Höhe. Anmuthig schlingt
sich der Weinstock um die hohen Bäume, deren Gipfel seine
hochaufstrebenden Ranken nicht erreichen. Welch ein Nutzen,
welche Schätze könnten bei gehöriger Kultur diesem gesegneten
Boden entlockt werden! Aber die Natur arbeitet hier für sich
allein, ohne daß der Mensch fördernd dabei mitwirkte. Kein
Auge ergötzt sich an den Blumen, die hier wachsen, keine Hand
pflückt die Früchte, die hier reifen, und kein Ohr hört hier
freudig dem Gemurmel der Quellen, dem Rauschen des Gießbachs
und dem walddurchjubelnden Gesange der Vögel zu.
Das von den Türken erbaute Suchum-Kalé, am Ausflusse
der Gumista gelegen, gehört zu den bedeutendern
Festungen der Russen an der Ostküste des Schwarzen Meeres. Die
Garnison besteht aus einer kleinen Abtheilung asowischer
Kosaken und einem Bataillon Infanterie unter den Befehlen
eines russischen Obersten.
Der Hafen von Suchum-Kalé ist seiner günstigen Lage und
seines großen Umfanges wegen ausgezeichnet. Gerade dem
Landungsplatze gegenüber liegt das Haus des die Aufsicht über
den Hafen führenden Capitäns; daneben breiten sich die Häuser
der verheiratheten Soldaten aus, welche eine ziemlich
bedeutende Militärkolonie bilden. Bei jedem Hause befindet
sich ein kleiner Garten, wodurch das Ganze einen recht
hübschen Anblick gewährt. Hat man die Kolonie passirt, so
gelangt man auf den ziemlich großen aber wenig belebten Bazar,
hinter welchem sich die Mauern der Festung ausdehnen, wo der
Kommandant seine Wohnung hat.
Interessant war es uns, auf dem Bazar unter den
größtentheils in Tscherkessenröcke und graue Soldatenkittel
gehüllten Käufern auch einige elegant gekleidete,
schleiergeschmückte Damen, Frauen der hiesigen Offiziere, zu
sehen.
Wir schlugen das Anerbieten des Kommandanten, in der
Festung zu wohnen, aus und suchten ein Obdach in der
Militärkolonie, um das Leben und Treiben der Soldaten, ihre
häusliche Einrichtung &c. besser beobachten zu können. Die
Häuser der Soldaten sind, Dank der Sorgfalt der handfesten
Weiber, reinlich von außen und innen, das schwer zu
vertilgende Ungeziefer abgerechnet, welches den Reisenden in
Rußland überall plagend verfolgt, ob er an den Ufern der Newa,
der Moskwa oder der Wolga weile.
Der russische Soldat trägt, möge er auch noch so weit dem
Schooße seiner Heimath entrissen und in fremde Welttheile
geschleudert werden, gleichsam immer sein Vaterland mit sich,
bewahrt treu seinen Glauben, seine Lebensweise, seine Sitten,
und überall, wo er sich ansiedelt, glaubt man ein Stück von
Altrußland zu sehen.
***
Durch Ausflüge, welche ich in das Innere der Gebirgsländer
unternahm, durch Bekanntschaft mit einigen der
hervorragendsten Häuptlinge der Ubychen und Dschigethen, durch
heftige Anfälle des Wechselfiebers und Umstände anderer Art,
wurde mein Aufenthalt an der Ostküste des Schwarzen Meeres um
einige Monate verlängert.
Zu jener Zeit bestand noch kein regelmäßiger Verkehr
zwischen Kolchis, der Krimm und den Festungen
der östlichen Pontuslinie, und die Reisenden mußten oft Wochen
lang auf irgend eine zufällige Gelegenheit zum Weiterkommen
warten, wenn sie nicht so glücklich waren, das
Inspectionsschiff – welches unter General von Budberg,
dem Befehlshaber der Festungslinie am Schwarzen Meere,
monatlich Einmal die Runde machte – anzutreffen und – was
immer noch in Frage stand – davon aufgenommen zu werden.
Wer das Schiff nur um Einen Tag verpaßte, mußte einen
ganzen Monat warten, bis es wiederkam.
So erging es mir an der Küste von Kolchis zum Erstenmale,
und ich trug Sorge, für das zweitemal einem ähnlichen Unfalle
vorzubeugen.
Das Wichtigste der Erfahrungen, welche ich während meines
halb unfreiwilligen Aufenthalts an der Ostküste des Pontus
sammelte, ist in meinem Werke »über die Völker des Kaukasus«
niedergelegt, und da ich einerseits alle Wiederholungen
vermeiden, und andrerseits auch bei Mittheilung des Neuen mich
möglichst kurz fassen möchte, so werde ich hier nur einzelne
Tagebuchblätter in gedrängter Zusammenstellung folgen lassen.
Denn das Leben in jenen entlegenen Festungen ist so
einförmiger Natur, daß die Schilderung einer einzigen im
Wesentlichen auf alle übrigen paßt.
Es war mein Schicksal, sie alle, der Reihe nach, und die
meisten zu wiederholten Malen zu besuchen, und meine
Tagebücher aus jener Zeit wären allein genügend, mehrere Bände
zu füllen. Ob aber der Leser viel dabei gewinnen würde, unter
den Beschränkungen, welche das Erscheinen vor der
Oeffentlichkeit mir auferlegt, – ist eine andere Frage.
Wenn ich z. B. die Schicksale eines einzigen Mannes, wie
ihrer Viele hier in der Verbannung leben, erzählen wollte, so
würde das für den Leser allerdings von großem Interesse, für
den Helden der Erzählung aber von unglücklichen Folgen sein,
denn selbst des Kaisers größte Anhänger sagen:
L'empereur sait tout, mais il ne sait pas pardonner!
Enthüllungen aus Rußland, welche sich an hervorragende
Personen knüpfen, kann ein Reisender, der die Gastfreundschaft
heilig hält, nur nach dem Tode der betreffenden Personen
machen.
Von diesem Standpunkte aus wünsche ich die folgenden
Aufzeichnungen, welche in treuen Auszügen aus meinen
Tagebüchern ein buntes Allerlei über das Leben und Treiben in
den russischen Festungen an der Ostküste des Pontus enthalten,
beurtheilt zu sehen.