Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Einundzwanzigstes Kapitel

Letzte Eindrücke von Tiflis - Wanderung zu den Ländern am Schwarzen Meere

War ein Aufruf geschehen gen Daghestan,
Zogen die Krieger von Thal und Gebirg' heran,
Des Kaisers Armee vom Russenland,
Die Armenier in flatterndem Kriegsgewand,
Der Tataren rothbärtiger Räubertroß,
Die gepanzerten Reiter von Kachethos;
Die Stämme von Kolchis, vom Ararat,
Kamen alle gezogen zur Kyrosstadt.
Und die Horden halten – der greise Sardaar
Reitet auf und ab und mustert die Schaar.
Es ertönen die Hörner, die Trommel schallt,
Daß es laut von den Bergen rings wiederhallt.
Und auf den Dächern der Häuser stehen
Die Frauen und Kinder – im Morgenwind wehen
Die bunten Gewänder, und manch' Auge wird feucht,
Wie's hinab auf die Schaaren der Krieger steigt –
Weint die Mutter den Sohn, und das Weib den Mann,
Die zu Felde ziehen gen Daghestan . . .

Es war die letzte Musterung, welche der greise Sardaar (General von Neidhart) in Tiflis hielt. Er wurde abberufen, und nach ihm bezog Graf (jetzt Fürst) Woronzow den Palast der Statthalter vom Kaukasus.

Bald darauf sagte auch ich der alten Kyrosstadt Lebewohl, um durch die Wälder von Kolchis zu pilgern, die Küsten des Schwarzen und Asow'schen Meeres zu besuchen, die Krim zu durchwandern und mich dann von Odessa nach Konstantinopel einzuschiffen. Selten, vielleicht nie mehr, hat Tiflis solch zauberischen Glanz, solchen Zudrang von Menschen, solch wunderbare Pracht in seinen Mauern gesehen, als während der Festlichkeiten, welche zu Ehren der Ankunft des neuen Statthalters und seiner Familie begangen wurden.

Das herrlichste Wetter begünstigte die Festlichkeiten. Die Straßen waren trocken und der Himmel heiter.

Alle Häuser der wohlhabendern Einwohner waren behangen mit kostbaren Stoffen, alle Bazars mit reichen Teppichen ausgelegt, alle Straßen mit Blumen bestreut. Einige Fontainen waren mit blutrothem Wein gefüllt, was besonders bei abendlicher Beleuchtung ein zauberhaftes Farbenspiel erzeugte.

Am blendendsten aber war das Schauspiel in der Hauptstraße der Stadt, wo der Sardaar seinen Einzug hielt. Nur in Rom, während des Karnevals, habe ich Aehnliches gesehen. Auf den Dächern, auf den Balkons und Gallerien leuchtete Kopf an Kopf aus den schönen Gewändern hervor. Jedes Haus war zu einem Piedestal lebender Bilder, jedes Fenster zum Rahmen der Schönheit geworden.

Strahlender als alle übrigen aber war Dein Antlitz, Julia, Du wonniges Wesen! Du warst ein Fremdling in diesem Lande, aber die Töchter des Gebirges beneideten Dich um Deine Schöne, und sie nannten Dich »die Rose vom Kaukasus.« Und nie haben zwei so kleine Füße so viel Schönheit, Tugend, Hoheit und Anmuth getragen, als Deine Füßchen!

Wir werfen einen flüchtigen Blick auf die festliche Abendbeleuchtung der Stadt und nehmen dann Abschied auf immer.

Ganz Tiflis schien in ein Feuermeer verwandelt; alle Berge in der Runde schienen zu flammenden Vulkanen geworden; die Erde athmete warm; auf allen Plätzen brannten bengalische Feuer; auf allen Dächern loderten Fackeln; schimmernde Lampenreihen durchzogen die Stadt in allen Richtungen, gleich blitzenden Perlenschnüren, und dazwischen wandelten die leichtfüßigen Töchter von Tiflis in lustigen Gewändern, und die stattlichen Männer des Gebirges im silbernen Waffengeschmeide.

Das schönste Mährchen der Tausend und Einen Nacht kam dieser Wirklichkeit nicht gleich . . . Jetzt scheiden wir von Tiflis, und in wenigen Tagebuchblättern erzähle ich Euch meine Erlebnisse auf der Reise zum Schwarzen Meere.

I. April 1845.    

Von Tiflis bis Mtzchetha [Fußnote] bieten die Hügelketten, welche den Weg begränzen, einen ziemlich einförmigen und kahlen Anblick. Von dort bis Gori zeigt sich schon eine reichere, mannigfaltigere Vegetation, und man fährt zwischen frühlingsbunten Hügelreihen und üppig bewachsenen Fluren, welche nur hin und wieder durch kahle, wüste Flächen unterbrochen werden.

Von der Herrlichkeit der alten Hauptstadt ist jetzt nichts mehr zu sehen; nur einige zeitverwüstete Ruinen, eine schöne, gut erhaltene Kirche und etwa hundert von armen Georgiern und Armeniern bewohnte Häuser zeigen die Stelle, wo sie gestanden. Wie in der Geschichte, so auch in den Sagen und Liedern des Volks, spielt Mtzchetha eine große Rolle.

Interessant war es mir, in Bezug auf die alten Trümmer des Schlosses von Mtzchetha unter dem Volke eine Sage zu finden, wovon die meisten Völker Europa's Analoges aufzuweisen haben. Sie erzählt von einer schönen, buhlerischen Königin, welche vor Zeiten das Schloß bewohnte, und durch List oder Gewalt die jungen Wanderer, die des Weges zogen, zu sich lockte, und, wenn sie ihrer frechen Lust gefröhnt, die Betrogenen von den Zinnen der Veste hinabstürzen ließ in der Aragua Fluth. Ein grusischer Dichter hat die Sage poetisch bearbeitet; das Gedicht ist zu lang und weitschweifig, als daß ich es hier ganz wiedergeben könnte; ich werde nur einige Strophen davon anführen:

»Zu der Schneegebirge Füßen,
Grusiens alter Hauptstadt nah',
Wo die gelben Ströme fließen,
Kyros und Aragua,
Steht ein Schloß – zerstört, zerfallen
Längst, im Sturmesschritt der Zeit;
Doch noch zeugen seine Hallen
Von vergang'ner Herrlichkeit;

Und noch blüht im blum'gen Duft es,
Um der Mauern grauen Kreis,
Aus den schatt'gen Bäumen ruft es,
Ruft es laut und flüstert's leis.
Nur zur mitternächt'gen Stunde
All' der bunte Zauber weicht,
Athmet's schaurig in der Runde;
Der Gesang der Vögel schweigt . . .

 

Dann beschreibt der Sänger die böse Bewohnerin des Schlosses, und wie sie fortlebte im Fluche des Volks:

»Schön war sie – doch ihre Schöne
Nie ein liebend Herz gewann;
Jung war sie – doch Grusiens Söhne
Sahen sie mit Schaudern an u.s.w

Nachdem er darauf lebhaft ihren frevelhaften Lebenswandel geschildert, läßt er ihr die Strafe auf dem Fuß folgen. Sie verliebt sich nämlich in einen Mann, welcher trotz allen Versprechungen und Drohungen ihre Liebe unerwiedert läßt. Der Dichter malt ihn also:

»Groß und schön sind Grusiens Söhne,
Aber nie betrat ihr Schloß
Je ein Mann, den solche Schöne,
Solcher stolze Muth umfloß.«

Und bei seinem Anblick steigen Gefühle in ihrem Herzen auf, die sie nie gekannt; reuezerknirscht sieht sie zurück auf ihr fluchbeladenes Leben und verspricht an der Hand ihres neuen Geliebten auch in einem neuen Leben zu wandeln. Aber der weist sie kalt zurück, und erwiedert ihre Anträge mit stolzer Verachtung. Sie kämpft einen langen Kampf; endlich trägt ihr Stolz den Sieg davon, und sie weiht den jungen, unerbittlichen Grusier einem furchtbaren Tode. Der Dichter fährt fort:

»Wird sich nie ein Rächer finden
Der dem Frevel Halt gebeut,
Und sie straft für ihre Sünden?
Doch der Rächer ist nicht weit,
Kennt nicht Gnade noch Verzeihung:
Selber rächt die Liebe sich,
Nimmer duldet sie Entweihung,
Ihr Gericht ist fürchterlich!«

Die Königin findet nach dem Tode ihres Geliebten nicht Ruhe mehr; die alte Liebe taucht wieder auf mit all' ihrer Macht, und verfolgt sie wie ein drohender Schatten. Und die Gewissensbisse, der Sünde peinigende Kinder, foltern sie Tag und Nacht, bis die Lebensmüde endlich durch ihren Tod die strafenden Mächte versöhnt.

II. April 1845.    

Gori, unser erster Anhaltpunkt, ist eine Stadt von nur ein paar Tausend Einwohnern (die Garnison ausgenommen, welche sich auf 5000  Mann beläuft), aber für Jemanden, der grusisches (georgisches) Leben und Treiben kennen lernen will, der wichtigste Punkt des Königreichs.

In Tiflis ist das russische Element schon seit zu langen Jahren vorherrschend gewesen, als daß die armenische und grusische Bevölkerung dieser Stadt von seinem Einfluß hätte frei bleiben können. In Gori ist dies weniger der Fall, weßhalb sich auch hier die Eigenthümlichkeiten und Sitten des Volks in größerer Reinheit erhalten haben. Wir waren gezwungen, hier bis zur Durchreise der Gräfin Woronzow, welche in diesen Tagen erwartet wird, zu verweilen, da auf den Stationen alle Pferde für die Gräfin und ihr Gefolge in Bereitschaft gehalten werden mußten.

Die Reisenden in den russischen Landen befinden sich immer in einer mißlichen Lage, wenn auf dem Wege, welchen sie zu machen haben, zufällig irgend eine hohe Person erwartet wird. Man muß in einem solchen Falle zuweilen ganze Wochen lang vergeblich auf Pferde warten. In dem europäischen Rußland ist dem Uebel leichter abzuhelfen, da man dort fast überall bei den Bauern Miethpferde findet, welche man freilich oft mit dem Dreifachen des gewöhnlichen Preises bezahlt, dafür aber auch der Unannehmlichkeit überhoben wird, die Zeit nutzlos auf den ungastlichen Stationen zu vergeuden.

Von dem Oberst Kapiow, Chef des hier stehenden Regiments, wurden wir mit großer Freundlichkeit aufgenommen, wie sich überhaupt Gastfreundschaft noch in hohem Grad bei den Russen findet. Da das Haus des Obersten der Vereinigungspunkt der vornehmern Gesellschaft von Gori ist, so haben wir Gelegenheit, einige der vielgepriesenen Schönen der Stadt etwas genauer kennen zu lernen. Zudem hatte der Oberst die Güte, heute Morgen mit uns ein paar Fürstinnen in ihren Wohnungen zu besuchen; wir wurden jedoch nur von der jungen Fürstin Martha Eristaff empfangen, deren anmuthiger Wuchs und üppiges Haar in ganz Georgien berühmt sind.

Der Oberst gebrauchte die Vorsicht, ehe er mit uns zur Fürstin fuhr, sich eine Stunde vorher bei ihr anmelden zu lassen, »denn,« sagte er kundig lächelnd, »eine schöne Georgierin zeigt sich nie den Augen eines Fremden, wenn ihr nicht Zeit gelassen wird, erst gehörig Toilette zu machen, und besonders Schminke aufzulegen.«

Es ist hier, däucht mir, der Platz, noch einige ergänzende Worte über die weltberühmte Schönheit der Georgierinnen zu sagen. In Europa denkt man sich gewöhnlich unter einer Georgierin ein hohes, schlankes Wesen, von üppiger Leibesgestalt, in weite, reiche Gewänder gehüllt, mit dichtem, schwarzem Haar, lang genug, um alle Männerherzen damit fesselnd zu umschlingen, mit freier, edler Stirn, und ein paar Augen, welche alle Geheimnisse von Sinnen- und Seelenlust in ihren dunkeln, räthselhaften Zauberkreis festbannen. Ihr Gang ist Wollust. Freude geht vor ihr her und Bewunderung folgt ihr. Die Blumen, die sie zertritt, blicken noch sterbend, lustzitternd empor, und senden der Schönen opfernd ihren Duft nach.

Mit solchen Ideen kommen die Fremden gewöhnlich nach Georgien und – finden sich seltsam enttäuscht. Die Reisenden, welche mit so hochgespannten Erwartungen das durch Geschichte und Sage mit einem Nimbus umgebene Wunderland betreten, bleiben entweder hartnäckig bei ihrer vorgefaßten Meinung. oder sie gehen flugs zum andern Extrem über, und finden Alles schmutzig, häßlich, ekelhaft, zum Entsetzen. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Das Volk der Georgier ist im Ganzen genommen unleugbar eines der schönsten Völker der Erde. Aber obgleich ich ein großer Verehrer von Frauen bin, muß ich doch hier den Männern unbedingt den Preis vor dem andern Geschlecht zuerkennen. Hierin stimmen alle diejenigen gebildeten Bewohner Georgiens mit mir überein, welche Auge, Geschmack und unparteiisches Urtheil haben. Noch muß ich hinzufügen, daß von jener höhern Schönheit, wo Herz, Geist und Gemüth sich im Auge wiederspiegeln, am ganzen Kaukasus, unter Frauen wie Männern, wenig Spuren zu finden. Ich habe so ziemlich Alles gesehen, was Georgien von Weibern Schönes in sich schließt, aber kein Gesicht ist mir vorgekommen, das mich ganz befriedigt hätte, obgleich die anmuthige Tracht der Bewohnerinnen dieses Landes sehr zur Erhöhung ihrer Reize beiträgt [Fußnote]. Es fehlt dem Gesicht ganz jener edlere geistige Ausdruck, welcher schönen Europäerinnen einen so eigenthümlichen Zauber verleiht. Diese können noch Liebe erwecken und Herzen gewinnen, selbst wenn die Zeit ihrer Blüthe längst vorüber ist; bei einer Georgierin hingegen welkt mit der Jugendfrische Alles dahin.

Das Auge, welches von jeher, trotz seines scheinbaren Feuers, nichts als Ruhe und träge Wollust geathmet, nimmt einen matten Ausdruck an; die an und für sich schon die Schönheitsgränze etwas überschreitende Nase erscheint in Folge der früheinfallenden Wangen in so unnatürlicher Größe, daß viele Leute glauben, sie nehme mit den Jahren wirklich an Umfang zu, und der Busen, welcher hier zu Land eben keine versteckte Rolle spielt, nimmt gar zu früh einen schlottrigen Charakter an – lauter Erscheinungen, welche bei Europäerinnen seltener, unmerklicher und in weit geringerem Maß stattfinden. Rechnet man dazu noch die in Georgien bei Jung und Alt verbreitete Sitte des Auflegens weißer und rother Schminke, so begreift man, daß solche und ähnliche zu sehr in die Augen springende Toilettenkünste nur schmälernd auf die gute Meinung des Beobachters einwirken können.

Die Wohnungen der Fürsten dieses Landes bieten einem, durch europäische Pracht verwöhnten Auge wenig Anziehendes dar. Ueberhaupt habe ich einen, sich in vielen Dichtungen und Reisebeschreibungen oft wiederholenden Ausdruck nie verstehen können; ich meine den Ausdruck: orientalischer Luxus. Wo dieser weitgerühmte Luxus zu finden ist, weiß ich so wenig, wie einer von den vielen mir bekannten Reisenden, welche das Morgenland in allen Richtungen durchzogen haben. Die Perser, Tataren und Georgier leben in ihren Wohnungen wie das liebe Vieh; selbst die Häuser der Großen und Reichen unter ihnen können sich mit denen unseres wohlhabenderen Mittelstandes nicht messen.

Die einzigen werthvollen Gegenstände, welche man in den Wohnungen der Reicheren dieser Länder findet, sind schöne Teppiche, Waffen und Kleidungsstücke. Vorzüglich auf letztere wird eine große Sorgfalt verwendet. Die Pracht der Kleider steht in gar keinem Verhältniß mit den engen, schmutzigen, oft ekelhaften Wohnungen.

Wir machten in Begleitung einiger Kosaken einen Ausflug nach dem nur etwa sechzehn Werst von hier gelegenen, berühmten Felsenschloß Uphlis-Ziche [Fußnote], wovon Dubois in seinem trefflichen Reisewerk eine genaue Zeichnung und Beschreibung gegeben hat. Eine kürzere, aber nicht minder richtige Schilderung findet man in der alten georgischen Geographie des Zaréwitsch (Königssohn) Wachuscht, wo es also heißt: »Ueber der Ebene von Achurian, aus einem Berge, welcher unten mit dem Felsen von Cwernak zusammenhängt, am Ufer des Mtcwar, liegt Uphlis-Ziche, eine Burg, erbaut von Uphlos, dem Sohn des Karthlos. Bis zu den Zeiten des Tschingis-Chan stand hier eine Stadt; heutzutage sieht man nur noch die Ruinen davon. Die Bauart und Einrichtung des Ganzen war bewunderungswürdig. Es waren große, in den Felsen gehauene Gemächer und Säle; man sah daselbst gleichfalls eine in Stein gehöhlte, ungeheure Grotte, welche sich bis Mtcwar hin erstreckte. Oestlich davon dehnt sich ein steiler Abgrund aus, wo sich eine Menge in den Felsen gehauene, jetzt unzugängliche Höhlen befinden &c.«

Von den Gemächern, Höhlen und Grotten sieht man heutiges Tages immer noch genug, um zur Bewunderung des unbeugsamen Willens und der eisernen Kraft hingerissen zu werden, welche dem starren, unwirthlichen Felsen hier Wohnung und Schutz abtrotzte. Die Gemächer sind mit einer Regelmäßigkeit und Kunstfertigkeit gearbeitet, welche in Erstaunen setzen. Die Decken sind mit Bildhauerarbeit, die Wände mit Inschriften verziert. Von der Höhe des Felsens hinab genießt

man einer entzückenden Aussicht. Doch dies ist eine abgedroschene Bemerkung, welche ebenso gut hätte wegbleiben können, da in allen Reisebeschreibungen regelmäßig eine entzückende Aussicht jeder Berg- oder Felserklimmung folgt.

In dem Saale, wo einst die große Königin Thamar gewohnt haben soll, meckerte bei unserm Eintritt vergnügt eine Heerde junger Ziegenböcklein. Aehnliches findet der Reisende häufig, wenn er in Georgien oder Armenien die Ruinen der Tempel und Paläste der Vorzeit besucht.

Der Weg von Gori nach Uphlis-Ziche bietet die großartigsten Bilder und die mannigfaltigste Abwechselung dar. Die grusischen Landschaften haben einen besondern Reiz für mich. Ich sage für mich, da ich eine Menge Leute gefunden habe, welche hier nichts Schönes entdecken können, und die grellen, stark ausgeprägten Frühlingsfarben des Nordens, dem sanft verschmolzenen Farbenspiel eines grusischen Frühlings vorziehen. Nirgends gewahrt hier das Auge scharfe Umrisse: alles ist so weich, so hingehaucht, farbenunbestimmt. Das Eine verliert sich in dem Andern, gleich den umrißlosen Farben des Regenbogens, und das Ganze erzeugt mehr eine große, feierliche, als heitere Stimmung. Eine stille Wehmuth scheint aus Wald und Gebirg herüberzuwehen; die Natur scheint hier für den Menschen zu denken, bald stumm, im ruhigen Glanze des Himmels und der Gletscher, bald laut im Gesange der Vögel, im Murmeln der Wasser, im Rauschen der Wälder.

III. April 1845.    

Kutaïs, an beiden Ufern des Rion gelegen, zeichnet sich durch ihre herrliche Temperatur, ihr gutes Wasser und ihre anmuthige Lage aus. Die Einwohner, deren Zahl sich ohne die Garnison auf 2–3000 beläuft, sind ein Gemisch von Imariern, Armeniern, Juden und Russen; hin und wieder sieht man auch einige Türken und Griechen. Die Haupterwerbsquelle der Stadt ist Handel. Eine genaue Schilderung aller hier befindlichen Merkwürdigkeiten, Ruinen &c. findet man in Dubois de Montpereux trefflichem Reisewerke. Die imerischen Häuser unterscheiden sich durchaus von denen der Grusier, und nähern sich in ihrer Bauart mehr unserm Geschmack. Sie sind klein, von Holz, mit breiten, oben spitzzulaufenden Dächern. Obgleich die Lage der Stadt reizend ist, bietet Kutaïs doch keinen so großartigen Anblick dar, wie Gori, wo Alles jenen grauen, alterthümlichen Anstrich trägt, der gefällt, ohne zu blenden, der zum Nachdenken anregt und unwillkürlich Auge und Geist zurückruft in das Dunkel vergangener Jahrhunderte.

Nach der Angabe des Kreishauptmanns zählt Imerethi heute 200,000 Einwohner, worunter sich 5000 Fürsten und ungefähr 11,000 Edelleute befinden! Diese Zahlen mögen genügen, eine Idee von der heutigen imerischen Aristokratie zu geben, und besonders die Bedeutung des Titels »Fürst« etwas anschaulicher zu machen.

Die Adeligen dieses Landes sind, mit wenigen Ausnahmen, nicht reich, sondern nur etwas weniger arm als die übrigen. Wie ich mehrfach auf der Herreise von Beamten und Offizieren gehört habe, soll die Volksarmuth in den letzten Jahren noch bedeutend zugenommen haben, besonders in Folge von Ueberschwemmungen und daraus entspringenden Mißernten. Im Dezember vorigen Jahres trat die Quirila aus ihren Ufern und überströmte das ganze umliegende Land, wodurch eine förmliche Hungersnoth erzeugt wurde. Man zeigte mir noch auf den letzten Stationen vor Kutaïs die Spuren der Verwüstung, welche sich nicht allein in verödeten Aeckern und Gärten, in umgerissenen Zäunen und Häusern, sondern auch in schrecklichen Zügen auf dem Angesicht der Menschen kundthat.

Die Folgen so unglücklicher Ereignisse müssen um so dauernder und furchtbarer sein in einem Lande, wo der Ackerbau noch auf einer so niedrigen Stufe steht wie hier. Die Einwohner Imerethi's wissen so wenig Vortheil aus dem reichen und fruchtbaren Boden ihres Landes zu ziehen, daß selbst in günstigen Jahren der Ertrag ihrer Aecker kaum zur Befriedigung ihrer dringendsten Bedürfnisse ausreicht. Schon seit langen Jahren halten sich eine Menge Imerier in Tiflis auf, wo sie als Lastträger ihren Unterhalt verdienen. Der Imerier lebt, wie die meisten Völker des Orients, nur für den Augenblick, ohne sich um die Zukunft zu kümmern. Bei alledem ist er gut, ehrlich und gastfrei. Diebstahl und Räubereien sind etwas Unerhörtes in diesem Lande, wo man mit der vollkommensten Sicherheit reist. Friedlich zu Hause, ist der Imerier furchtbar im Kriege, und die Miliz dieses Volkes hat sich immer durch ihre Tapferkeit in den Feldzügen der Russen gegen die Bergvölker ausgezeichnet. Bei allen Sitten- und Charakterschilderungen übrigens muß man immer eine Ausnahme mit den Leuten machen, welche in großen Städten, oder an der großen Heerstraße wohnen, denn dort findet man überall Spitzbuben und gewissenloses Gesindel.

Die Haupt- und Lieblingsspeise der Imerier wie auch der Mingrelier und Abchasen ist das Gomi, eine Art Hirsebrod, für europäische Zungen fast ungenießbar. Sonstige Lieblingsgenüsse des Volks sind Wein und Tabak, welche das Land im Ueberfluß hervorbringt. Den Tabak finde ich gut, aber der Wein ist schlecht; wahrscheinlich weil ihn die Leute nicht zu behandeln wissen. Uebrigens wird hier, wie in allen christlichen Ländern des Kaukasus, allgemein so viel Wein und so wenig Wasser getrunken, daß ich mehr als einmal den Ausdruck der Verwunderung gehört habe: »Er trinkt Wasser wie Wein!« Gerade wie man bei uns umgekehrt sagt: »Er trinkt Wein wie Wasser!«

Nichts ist schwieriger, unsicherer und undankbarer, als die Würdigung eines solchen in der Uebergangsperiode stehenden Volkes. Alles ist hier unstät, flüchtig, stets wechselnd; nirgends findet man allgemeine, farbenbestimmte Umrisse, auf welche man bei Darstellung des Einzelnen fußen könnte, und das Urtheil des Reisenden, welcher bei seinen Betrachtungen den ersten Eindrücken folgt, ohne die Geschichte zur Basis zu nehmen, muß ein sehr ungünstiges und schwankendes werden. Am schwierigsten wird die Betrachtung bei allen fremden, dem russischen Scepter unterworfenen Völkern, deren Civilisation Rußland unternommen hat, denn hier drängt sich dem unbefangenen Beobachter unwillkürlich die Frage auf: »Sind die Russen, welche selbst noch auf einer so wenig Anerkennung findenden Stufe der Bildung stehen, auch schon befugt und berufen, andere Völker zu civilisiren?«

Bis jetzt haben die Georgier durch ihre Berührung mit den Russen nichts gelernt, als eine für ihr Land unzweckmäßige Kleidung zu tragen, statt der bloßen Finger Messer und Gabeln beim Essen zu gebrauchen, auf Stühlen und Bänken zu sitzen, ohne die Beine unterzuschlagen &c. Trotz allen von der Regierung angelegten Schulen und Anstalten, wird noch ein ganzes Jahrhundert vergehen, ehe wahre Bildung in diesem Lande Wurzel schlagen und dem Volke eine höhere Richtung geben kann. Alle auf einer niedern Culturstufe stehenden Völker sind wie Kinder, und nehmen von den sich ihnen zu Lehrern aufdringenden Völkern erst alles Sonderbare, Auffallende an, ehe wahrhaft Nützliches bei ihnen Eingang findet; sie müssen gleichsam erst alles Schlechte durchmachen, um zum Guten zu gelangen. Und eine solche Culturschule kann erst nach Jahrhunderten zu erfreulichen Resultaten führen; in der ersten Zeit werden die Lernenden immer scheinbar verlieren, da ihnen anfänglich unmöglich Ersatz für die Opfer, welche sie bringen, geboten werden kann, denn die größte Einfachheit kann nur durch die größte Feinheit der Sitten aufgewogen werden: alles Dazwischenliegende, einen Uebergang Bildende, steht weder dem einen noch dem andern gleich.

IV.

Redut-Kalé, seit 1820 von den Russen gegründet, ist der elendeste aller Hafenplätze, die ich im Leben gesehen. Die Stadt – wenn anders der armselige Ort diese Benennung verdient – besteht aus drei Häuserreihen, welche durch die Chopi und eine lange, beinahe fußdick mit kleinen Kieselsteinen überworfene Straße von einander getrennt werden. Die Häuser sind alle von Holz gebaut und größtentheils in schlechtem Zustande, unansehnlich von Außen und Innen.

Die Einwohner, ungefähr 1500 an der Zahl, bilden ein Gemisch von Griechen, Türken, wenigen Russen und Armeniern.

Bis zur Aufhebung der früher hier herrschenden Handelsfreiheit (1832) war Redut-Kalé der belebteste aller Häfen an der Ostküste des Pontus; jetzt aber sieht hier Alles wie abgestorben aus. Zwischen den Wundern der Tiefe des Schwarzen Meeres und den immergrünen Wäldern von Kolchis, liegt die einförmige, aschgraue Häusermasse mit ihrer kahlen Umgebung, wie der Gegensatz zu einer Oasis in der Wüste.

Nach den örtlichen Verhältnissen zu urtheilen, muß dem Beobachter nichts natürlicher erscheinen, als der gegenwärtige, traurige Zustand der Stadt. Die Lage ist unfreundlich, die Gegend ungesund und der Hafen im höchsten Grade gefährlich und unbequem. Und doch war Redut-Kalé lange Jahre hindurch der Mittelpunkt der Handelsoperationen zwischen Persien und Europa!

Die Einwohner – nicht allein von Redut-Kalé, sondern von ganz Transkaukasien – bauen mit Recht freudige Hoffnungen auf das Versprechen des Fürsten Woronzow, all' seinen Einfluß beim Kaiser anzuwenden, um die alte Handelsfreiheit wieder herzustellen. Daß die Wohlfahrt und das Gedeihen des Landes unendlich dadurch befördert werden würden, darin stimmen die Ansichten aller Reisenden und Sachverständigen überein . . . Kaum hatte ich acht Tage in Redut-Kalé zugebracht, als das ungesunde Klima schon anfing, verderblich auf meinen Körper zu wirken, so daß ich mit freudigem Eifer eine sich mir darbietende Gelegenheit ergriff, der ungastlichen Stadt, der ich auch nicht eine angenehme Erinnerung zu verdanken habe, den Rücken zuzukehren, und auf den weißen Wellen des Schwarzen Meeres – statt auf einem langwierigen Krankenlager – Erholung von meinem Unwohlsein zu suchen.

Der Kommandant von Redut-Kalé hatte nämlich einen Barkaß, bemannt mit vierzehn Asowschen Kosaken unter Anführung eines Chorundschi, nach der Festung Ardiller, an der Küste des Landes der Dschighethen, auszurüsten, und ertheilte mir und meinen beiden Leidensgefährten, bestehend aus einem jungen russischen Gardekapitän und dem tapfern Tatarenhauptmann Gjül-Bassar, gern die Erlaubniß, die im Monat April etwas gefährliche Fahrt mitzumachen. Die Zwecke, welche das Reisekleeblatt verfolgte, waren eben so verschieden wie die Persönlichkeiten, aus welchen es zusammengesetzt war. Der Gardekapitän – ein parfümirter Salonheld – hatte dem die Militärlinie an der Ostküste des Schwarzen Meeres kommandirenden General von Budberg Depeschen vom Oberbefehlshaber zu überbringen.

Gjül-Bassar – jedenfalls die interessanteste Persönlichkeit von uns dreien – ein auf dem Wege der russischen Civilisation begriffener Tatar, hatte sich, gelockt durch Titel und Orden, dem in Warschau stehenden, muselmännischen Reiterregiment zukommandiren lassen, um im fremden Lande, im Glanze friedlicher Straßenparaden, Auszeichnungen zu finden, deren Erringung ihm im Schooße der kriegbedrohten Heimat zu schwer geschienen.

Gjül-Bassar (zu deutsch: Rosenhaupt), stand mit seinem blumigen Namen in auffallend wunderbarem Einklange. Sein mit ebenso starken wie zahlreichen Pockennarben übersäetes Antlitz, sah aus wie eine Sammlung verwetterter Rosenknospen, und seine etwas lang gerathene, schwammige Nase glänzte darüber hin, wie ein durchsichtiger Behälter, dem alles Blut der abgestorbenen Rosenknospen zugeflossen. Als einzige Waffe trug der Rosenköpfige einen daghestanschen Dolch im Gürtel, die übrigen Mordwerkzeuge: ein Gewehr mit doppeltem Lauf, ein paar gewichtige, persische Pistolen und einen langen Tscherkessensäbel hatte er seinem kleinen Diener Jussuff aufgebürdet, dessen winziger, schmaler Körper die Waffenlast mit Mühe zu tragen schien. Das Ergötzlichste an Gjül-Bassar war seine fixe Idee: Warschau liege irgendwo am Schwarzen Meer; wir ließen ihn ruhig gewähren, nachdem wir vergeblich auf alle Weise versucht hatten, ihn von seinem Irrthume abzubringen, zu welchem ein ihm befreundeter Mullah aus dem Karabagh Veranlassung gegeben hatte.

Es war 8 Uhr Morgens am 19. April, als wir bei immer noch umwölktem Himmel Redut-Kalé verließen. Der Barkaß war flott gemacht, unsere Sachen waren bereits aufgepackt, und die Kosaken standen am Ufer und harrten ihres Führers, sich nach ihrer Gewohnheit die Zeit mit Singen heimatlicher Lieder vertreibend.

Zwölf Kosaken hatten einen Kreis gebildet, der dreizehnte stand in der Mitte und sang mit lauter, gewandter Stimme ein lustiges Lied, dessen letzte Verse jeder Strophe die Umstehenden immer halb schreiend, halb singend wiederholten.

Lied der Kosaken vom Schwarzen Meere:

»Was hängst Du das Köpfchen so traurig und schwer?«
– »Was ziehst, mein Kosak, fort zum Schwarzen Meer?« –
So sprach ich zum Mädel, so sprach sie zu mir –
Just war ich beim Mädel, und jetzt bin ich hier!

    Chor: So sprach ich zum Mädel &c.

Und weine nicht, Mädchen, hell' auf Deinen Blick!
Wohl muß ich davon, doch bald kehr' ich zurück –
Der Kosak liebt das Meer und er liebt die Gefahr,
Doch er liebt auch, was Süßes beim Mädel ihm war!

    Chor: Der Kosak liebt das Meer &c.

Der Priester der spricht: Das ist Sünde, mein Sohn! . . .
Doch beicht' ich die Sünd', da verzeiht er sie schon.
Ein Griff in die Tasch', ein geschmeidiger Mund,
Das macht uns beim Priester von Sünden gesund!

    Chor: Ein Griff in die Tasch' &c.

Es donnert zum Kampfe – da zagen wir nicht,
Ob zu Meer, ob zu Lande, das fragen wir nicht;
Ob nah oder ferne, das messen wir nicht,
Und das Liebchen, das treue, vergessen wir nicht!

    Chor: Ob nah oder ferne &c.

Drum frisch, ihr Kosaken, das Segel gespannt!
Die Schaschka zur Seite, den Kinshal zur Hand!
Und weine nicht, Mädchen, hell' auf Deinen Blick:
Der Kosak muß davon, doch bald kehrt er zurück!

    Chor: Und weine nicht, Mädchen &c.

 

Wer hat das hübsche Lied gedichtet? fragte ich, auf die Sänger zugehend. Die Kosaken blieben mir die Antwort schuldig, denn in diesem Augenblicke kam ihr Führer eiligen Schrittes herbeigegangen, und im Nu saßen Alle bei ihren Rudern im Fahrzeuge. Eine halbe Stunde später hatten wir schon die heftige Strömung passirt, welche die Chopi bei ihrer Mündung im Schwarzen Meere bildet.

Wir saßen mit dem Offizier und einem alten Urjädnik (Unteroffizier), welcher als Steuermann fungirte, im Hintertheile des Barkaß, der gerade groß genug war, die Mannschaft, welche, uns und unsere Leute mitgerechnet, aus zweiundzwanzig Personen bestand, zu fassen.

»Wo habt Ihr Türkisch gelernt?« – fragte ich einen Kosaken, welcher sich eifrig in dieser Sprache mit Gjül-Bassar's Diener unterhielt. »Was sollten wir nicht Türkisch sprechen können?« entgegnete der Gefragte, »wir sind ja in der Türkei groß geworden.« Durch weiteres Fragen gelangte ich zu der Gewißheit, daß unsere Kosaken zu den Resten der tapferen Saparoschzen gehörten, welche, vermehrt durch eine Menge Ueberläufer und Vagabunden, unter der Regierung Peters I. zu den Türken übergingen, und seit der Zeit hartnäckige Feinde der Russen wurden. Nach der Einnahme von Varna (1828) unterwarf sich ein Theil dieser Krieger, welche im fremden Lande ihre Sprache, Religion und Sitten treu bewahrt hatten, aufs Neue dem russischen Scepter, unter Anführung ihres Atamans Gladkoi [Fußnote].

Die Kosaken, von welchen die meisten mit bei Varna gewesen waren, erzählten mir in Bezug auf die oben angedeutete Begebenheit eine Menge Geschichten zur Verherrlichung ihres neuen Herrschers, unter anderm, wie er sich, nur von seinem Adjutanten Orlow begleitet, auf einem Kriegsboote den ihm bis dahin feindlichen Kriegern anvertraute, ohne, trotz aller Warnungen seiner Umgebung, die mindeste Besorgniß noch Furcht zu äußern; sechsundzwanzig Saparoschzen saßen am Ruder, und der Ataman selbst fungirte als Steuermann.

Persönlicher Muth wird dem Kaiser von Niemand abgesprochen; aber als Feldherr hat er sowohl, wie sein verstorbener Bruder, der Großfürst Michael, während des Türkenkrieges sehr geringe Beweise von höherer Befähigung gegeben. So erzählten mir wenigstens hochgestellte Offiziere, welche den Türkenkrieg mitgemacht und Gelegenheit hatten, den Kaiser in der Nähe zu beobachten . . .

Die geschwätzigen Kosaken vertrieben uns durch ihre Lieder und Sagen die Zeit ganz angenehm; wir ergötzten unsere Blicke an den das Fahrzeug oft schaarenweise umspielenden Delphinen, und langten gegen zwei Uhr Nachmittags glücklich in der alten Festung Anaklea an.

Dieser, jetzt nur von wenigen Türken, Juden und Kosaken bewohnte Ort (muthmaßlich das alte Heraklea der Griechen) am linken Ufer des Ingur, welcher sich hier in's Schwarze Meer ergießt, gelegen, bezeichnet an der Küste den Gränzpunkt zwischen Mingrelien und dem Gebiete von Samursachan.

Wir waren gezwungen, hier einige Stunden Rast zu halten, damit die ermüdeten Kosaken, welche bei den ungünstigen, unser Segel unnütz machenden Winden den ganzen Tag hatten das Ruder schwingen müssen, neue Kräfte sammeln konnten.

Um sechs Uhr begaben wir uns wieder auf unser Fahrzeug, und liefen bei einbrechender Nacht, die hier immer ohne die süße Zwischenzeit der Dämmerung dem Tage folgt, in eine kleine Bucht an der Küste von Samursachan ein.

Ein paar kleine, hinter Bäumen hervorlugende Bretterhäuschen hatten uns zu der Meinung verleitet, es befinde sich hier ein Dorf, wo wir Obdach für die Nacht finden könnten; allein wir sahen uns bei näherem Recognosciren nicht nur in unserer Erwartung getäuscht, sondern hatten noch obendrein ein kleines Zusammentreffen mit türkischen Kontrebandisten, welche sich mit ihren in oben erwähnten Häuschen versteckten Waaren im Dunkel der Nacht wieder auf den Weg machten, wahrscheinlich um einem andern Schlupfwinkel an der Küste von Abchasien oder Dshighethistan zuzusteuern. Wir brachten die Nacht unter freiem Himmel zu, zündeten Wachtfeuer an, stellten Wachen aus und ließen uns von nahem Wellengemurmel und fernem Schakalgeheul in Schlaf singen.

Trotz unsers unbequemen Lagers schliefen wir vortrefflich, ausgenommen Gjül-Bassar, welcher, die Pistole in der Hand, mit gekreuzten Beinen auf seinem Teppich kauernd, die ganze Nacht vor Unruhe und Besorgniß kein Auge schließen konnte. Diese sich bei der kleinsten Gefahr äußernde Besorgniß hatte keineswegs in angeborner Feigherzigkeit ihren Grund. Ein gläubiger Muselmann, wie unser Tatar, fürchtet den Tod nicht, auch bin ich überzeugt, daß sich Gjül-Bassar zu jeder andern Zeit, ohne zu zittern, jeglicher Gefahr ausgesetzt haben würde; für den Augenblick jedoch war ihm sein Leben lieb, denn er hatte gehört, der Kaiser werde am 15. Mai in Warschau eine Musterung der muselmännischen Regimenter halten, bei welcher Gelegenheit jeder anwesende Offizier einen Orden zu erwarten hätte.

Dieser zu erwartende Orden nun war der Anfang und das Ende aller Wünsche Gjül-Bassars. Seit unserer Abreise von Redut-Kalé hatte er von nichts weiter gesprochen; das Meer mit seinen tausend Wundern, die stets wechselnden, großartigen Naturschönheiten, welche uns umgaben, Alles ließ ihn ungerührt; er dachte nur an seinen Orden.

Von einem mehrstündigen Regen durchnäßt, verließen wir bei Tagesanbruch unser romantisches Lager und langten nach etwa siebenstündiger Fahrt im Hafen von Utschamtschuri an.

Ich unterlasse es, mich in nichtssagenden Schilderungen der herrlichen Naturschauspiele zu ergehen, welche die Küste, vom Meere aus gesehen, in üppiger Fülle darbietet: die schäumende Brandung, das steinige Ufer, die sich in endlose Ferne verlierenden, undurchdringlichen Wälder, die baumgekrönten, bunten Hügelreihen und dahinter die große Gebirgskette mit ihrem nimmer beständigen Farbenspiel. Hier ist Alles in stetem Wechsel begriffen, wenn nicht ein vollkommen heiterer Tag, wie der April ihrer nur wenige bietet, einen sichern, klaren Anblick gewährt.

Oft zieht sich eine Alles verhüllende, dichte Nebelmauer vor den spähenden Blicken hin, und vergebens sucht dann das Auge einen erquickenden Anhaltspunkt, bis plötzlich ein Sonnenblick den aschgrauen Schleier zerreißt, und ein leuchtender Strahl, wie ein goldener Zauberstab, Wald, Hügel und Gletscher in neuem Glanze erschimmern läßt.

V. April 1845.    

Utschamtschuri ist ein aus einer Straße und mehreren dahinter zerstreut liegenden Häusern bestehender abchasischer Hafenplatz mit etwa fünfhundert Einwohnern, deren Hauptnahrungsquelle der Handel mit eingeschmuggelten Waaren ist.

Ich fand auf dem, den größten Theil des Ortes einnehmenden Bazar eine mannichfaltige, obschon weder reiche noch gesuchte Auswahl von Stoffen und Fabrikaten aus dem Abend- und Morgenlande. Viele, hier wohl selten oder nie gekaufte Waaren liegen da aufgespeichert, denen man es gleichsam ansehen kann, daß sie nicht Spekulationsgeist, sondern bloßer Zufall an Abchasiens ungastliche Küste geschleudert.

Diese Muthmaßung wird zur Gewißheit, wenn man sich bei den Kaufleuten nach den Preisen der betreffenden Waaren erkundigt, welcher selten oder nie im Verhältniß mit ihrem Werthe steht. So wurde mir z. B. ein Stück feines englisches Scharlachtuch zu einem Preise angeboten, für welchen ich dasselbe in England nicht hätte kaufen können.

Die Kaufleute sind ein Gemisch von Türken aus Trapezunt, Griechen, Armeniern und Abchasen; der Handel der letztern erstreckt sich lediglich auf Waffen und einheimische Produkte, worunter besonders das treffliche, dem lesghischen an Stärke fast gleichkommende Tuch und das äußerst zierlich und fein gearbeitete Schuhwerk bemerkenswerth ist.

Der Bazar von Utschamtschuri trägt ein ganz eigenthümliches, kriegerisches Gepräge. In jeder Bude, welche sich alle offen vor den Augen des Zuschauers ausdehnen, steht ein geladenes Gewehr; häufig findet man auch noch sonstige Waffen, wie Dolche, Pistolen &c. Die Käufer, welche theils zu Fuß, theils zu Pferde den Bazar durchziehen (größtentheils Abchasen aus den umliegenden Dörfern), sind alle vollständig bewaffnet, die Flinte auf dem Rücken, Dolch und Pistolen im Gürtel. Unter den Männern erregten viele durch ihre schlanke und regelmäßige Körperform und ihr ausdrucksvolles Gesicht unsere Bewunderung. Was uns vom schönen Geschlechte zu Augen kam, war Alles alt und häßlich.

Um keine von den Merkwürdigkeiten Utschamtschuri's ungesehen zu lassen, besuchten wir, nachdem wir auf dem Bazar verschiedene Einkäufe gemacht, das hier befindliche kleine Kaffeehaus, ein luftiges, zeltartig aufgeschlagenes Gebäude, dessen einziger Schmuck aus einer Art Kochofen zur Bereitung des Kaffee's und einigen zur Bequemlichkeit der Gäste auf dem Boden ausgebreiteten Matten besteht.

Wir ergötzten uns eine Weile an der herrlichen Aussicht, welche man vom Balkon des Kaffeehauses nach dem Hafen zu hat, sahen dem Treiben der Gäste zu, wovon die einen Schach spielten und die andern Keef machten [Fußnote], und kehrten darauf nach unserm Barkaß zurück, in der Hoffnung, noch vor der Nacht die nächste russische Festung zu erreichen. Dem sollte jedoch nicht so sein. Nachdem wir ein paar Stunden lang auf die unbarmherzigste Weise in unserm zerbrechlichen Fahrzeug von den tobenden Winden umhergeschleudert waren, mußten wir uns bei der heftigen Brandung noch glücklich schätzen, vor Anbruch der Dunkelheit einen einigermaßen günstigen Landungsplatz zu erreichen.

Wir schlugen unser Lager am Eingange eines dichten, die Küste begränzenden Waldes auf, dasselbe Verfahren, wie das erstemal, dabei beobachtend.

Ueber die üppige Vegetation der Küste von Abchasien habe ich schon oben andeutend gesprochen; man findet hier wildes Stein- und Kernobst aller Art, Zwerglorbeer, Buchsbaum, Nußbäume, Weinstöcke sieht man in großer Menge, besonders letztere von bedeutender Dicke und Höhe. Anmuthig schlingt sich der Weinstock um die hohen Bäume, deren Gipfel seine hochaufstrebenden Ranken nicht erreichen. Welch ein Nutzen, welche Schätze könnten bei gehöriger Kultur diesem gesegneten Boden entlockt werden! Aber die Natur arbeitet hier für sich allein, ohne daß der Mensch fördernd dabei mitwirkte. Kein Auge ergötzt sich an den Blumen, die hier wachsen, keine Hand pflückt die Früchte, die hier reifen, und kein Ohr hört hier freudig dem Gemurmel der Quellen, dem Rauschen des Gießbachs und dem walddurchjubelnden Gesange der Vögel zu.

Das von den Türken erbaute Suchum-Kalé, am Ausflusse der Gumista gelegen, gehört zu den bedeutendern Festungen der Russen an der Ostküste des Schwarzen Meeres. Die Garnison besteht aus einer kleinen Abtheilung asowischer Kosaken und einem Bataillon Infanterie unter den Befehlen eines russischen Obersten.

Der Hafen von Suchum-Kalé ist seiner günstigen Lage und seines großen Umfanges wegen ausgezeichnet. Gerade dem Landungsplatze gegenüber liegt das Haus des die Aufsicht über den Hafen führenden Capitäns; daneben breiten sich die Häuser der verheiratheten Soldaten aus, welche eine ziemlich bedeutende Militärkolonie bilden. Bei jedem Hause befindet sich ein kleiner Garten, wodurch das Ganze einen recht hübschen Anblick gewährt. Hat man die Kolonie passirt, so gelangt man auf den ziemlich großen aber wenig belebten Bazar, hinter welchem sich die Mauern der Festung ausdehnen, wo der Kommandant seine Wohnung hat.

Interessant war es uns, auf dem Bazar unter den größtentheils in Tscherkessenröcke und graue Soldatenkittel gehüllten Käufern auch einige elegant gekleidete, schleiergeschmückte Damen, Frauen der hiesigen Offiziere, zu sehen.

Wir schlugen das Anerbieten des Kommandanten, in der Festung zu wohnen, aus und suchten ein Obdach in der Militärkolonie, um das Leben und Treiben der Soldaten, ihre häusliche Einrichtung &c. besser beobachten zu können. Die Häuser der Soldaten sind, Dank der Sorgfalt der handfesten Weiber, reinlich von außen und innen, das schwer zu vertilgende Ungeziefer abgerechnet, welches den Reisenden in Rußland überall plagend verfolgt, ob er an den Ufern der Newa, der Moskwa oder der Wolga weile.

Der russische Soldat trägt, möge er auch noch so weit dem Schooße seiner Heimath entrissen und in fremde Welttheile geschleudert werden, gleichsam immer sein Vaterland mit sich, bewahrt treu seinen Glauben, seine Lebensweise, seine Sitten, und überall, wo er sich ansiedelt, glaubt man ein Stück von Altrußland zu sehen.

***

Durch Ausflüge, welche ich in das Innere der Gebirgsländer unternahm, durch Bekanntschaft mit einigen der hervorragendsten Häuptlinge der Ubychen und Dschigethen, durch heftige Anfälle des Wechselfiebers und Umstände anderer Art, wurde mein Aufenthalt an der Ostküste des Schwarzen Meeres um einige Monate verlängert.

Zu jener Zeit bestand noch kein regelmäßiger Verkehr zwischen Kolchis, der Krimm und den Festungen der östlichen Pontuslinie, und die Reisenden mußten oft Wochen lang auf irgend eine zufällige Gelegenheit zum Weiterkommen warten, wenn sie nicht so glücklich waren, das Inspectionsschiff – welches unter General von Budberg, dem Befehlshaber der Festungslinie am Schwarzen Meere, monatlich Einmal die Runde machte – anzutreffen und – was immer noch in Frage stand – davon aufgenommen zu werden.

Wer das Schiff nur um Einen Tag verpaßte, mußte einen ganzen Monat warten, bis es wiederkam.

So erging es mir an der Küste von Kolchis zum Erstenmale, und ich trug Sorge, für das zweitemal einem ähnlichen Unfalle vorzubeugen.

Das Wichtigste der Erfahrungen, welche ich während meines halb unfreiwilligen Aufenthalts an der Ostküste des Pontus sammelte, ist in meinem Werke »über die Völker des Kaukasus« niedergelegt, und da ich einerseits alle Wiederholungen vermeiden, und andrerseits auch bei Mittheilung des Neuen mich möglichst kurz fassen möchte, so werde ich hier nur einzelne Tagebuchblätter in gedrängter Zusammenstellung folgen lassen.

Denn das Leben in jenen entlegenen Festungen ist so einförmiger Natur, daß die Schilderung einer einzigen im Wesentlichen auf alle übrigen paßt.

Es war mein Schicksal, sie alle, der Reihe nach, und die meisten zu wiederholten Malen zu besuchen, und meine Tagebücher aus jener Zeit wären allein genügend, mehrere Bände zu füllen. Ob aber der Leser viel dabei gewinnen würde, unter den Beschränkungen, welche das Erscheinen vor der Oeffentlichkeit mir auferlegt, – ist eine andere Frage.

Wenn ich z. B. die Schicksale eines einzigen Mannes, wie ihrer Viele hier in der Verbannung leben, erzählen wollte, so würde das für den Leser allerdings von großem Interesse, für den Helden der Erzählung aber von unglücklichen Folgen sein, denn selbst des Kaisers größte Anhänger sagen: L'empereur sait tout, mais il ne sait pas pardonner!

Enthüllungen aus Rußland, welche sich an hervorragende Personen knüpfen, kann ein Reisender, der die Gastfreundschaft heilig hält, nur nach dem Tode der betreffenden Personen machen.

Von diesem Standpunkte aus wünsche ich die folgenden Aufzeichnungen, welche in treuen Auszügen aus meinen Tagebüchern ein buntes Allerlei über das Leben und Treiben in den russischen Festungen an der Ostküste des Pontus enthalten, beurtheilt zu sehen.

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