Ghazalis Werk
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Über Intention, reine Absicht und Wahrhaftigkeit

كتاب النية والإخلاص والصدق

Das 37. Buch von Ghazalis Hauptwerk

Übersetzt von Hans Bauer, Halle 1916

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Von der Intention

Über den eigentlichen Sinn des Ausspruches des Hochbeneideten[1]:

„Die Absicht des Gläubigen ist besser als sein Tun.“ (Tabarani)

Man hat gemeint, der Grund dieses Vorranges der Absicht liege darin, dass sie etwas Innerliches ist, das nur Allah ta’ala wahrnimmt, die Handlung hingegen etwas Äusserliches, und dass die innere Tätigkeit die vorzüglichere ist. Das ist wohl richtig, aber hier nicht gemeint. Sonst würde aus diesem Ausspruch folgen, dass, wenn jemand beabsichtigt, innerlich Allahs zu „gedenken“ (dikr) oder in religiöse Dinge „sich zu versenken“ (fikr), die Absicht des Sichversenkens besser sei als das Sichversenken selbst. Andere meinten, der Grund dieses Vorranges liege darin, dass die Absicht bis zum Ende der Handlung ununterbrochen fortdauert, die Handlung aber nicht. Diese Ansicht jedoch ist schwach; denn sie läuft darauf hinaus, dass viel Betätigung besser sei als wenig. Das ist aber nicht der Fall. Denn die Intention währt bei den gottesdienstlichen Handlungen oft nur wenige Augenblicke, während die Handlungen selbst fortdauern. Der Ausspruch verlangt aber, dass ganz allgemein die Absicht besser sei als die Handlung.

Wieder andere meinten, der Sinn sei der, dass die Absicht für sich allein besser sei als die Ausführung für sich allein ohne die Absicht. Auch das ist richtig, aber keineswegs hier gemeint. Denn an dem Handeln ohne Absicht oder aufs geradewohl ist überhaupt nichts Gutes, die Absicht hingegen ist an und für sich gut. Von einem „Vorrang“ kann aber nur dann die Rede sein, wenn beiden Vergleichsobjekten das Prädikat „gut“ zukommt. Der Sinn ist vielmehr der:

Jedes gottgefällige Werk besteht aus Absicht und Ausführung, dabei ist sowohl die Absicht etwas Gutes als auch die Ausführung etwas Gutes. Aber an dem guten Werk als Ganzem ist die Absicht besser als die Ausführung, d.h. beide wirken auf das Ziel hin, aber die Wirkung der Absicht ist bedeutender als die der Ausführung. Der Sinn ist also: Bei dem guten Werk als Ganzes genommen ist die Absicht des Gläubigen dabei etwas Besseres als seine Ausführung desselben, d.h. der freie Wille des Menschen betätigt sich sowohl bei der Absicht als auch bei der Ausführung, es sind also zwei Betätigungen, aber die Absicht ist bei dem Ganzen die bessere Betätigung. Das also ist der Sinn. Warum die Absicht besser ist als die Ausführung und ihr gegenüber den Vorrang hat, versteht nur derjenige, welcher das Ziel der Religion kennt und den Weg dahin, sowie die Bedeutung des Weggeleises für die Erreichung des Zieles, und der die einzelnen Geleise mit einander vergleicht, um so zu erkennen, welchem hinsichtlich der Erreichung des Zieles der Vorrang gebührt.

Wenn z.B.: jemand sagt: „Brot ist besser als Obst“, so meint er damit nur, dass es besser sei mit Hinsicht auf den Zweck der Ernährung, und das versteht nur derjenige, welcher weiß, dass die Ernährung einen weiteren Zweck hat, nämlich die Gesundheit und Erhaltung des Lebens, und dass die Wirkung der Speisen darauf eine verschiedene ist, und der die Wirkung jeder einzelnen Speise kennt und sie untereinander vergleicht. Nun sind aber die guten Werke eine Nahrung für die Seele und das Ziel ist deren Heilung, Erhaltung und ihr Wohlbefinden im Jenseits, ihre Seligkeit und ihre Wonne in der Vereinigung mit Allah ta’ala. Das Ziel ist also allein der Genuss der Glückseligkeit in der Vereinigung mit Allah. Dieser Vereinigung wird aber nur derjenige teilhaftig, der in der Liebe und der Erkenntnis Allah ta’alas gestorben ist. Niemand kann aber Allah lieben außer wer ihn kennt und niemand ist vertraut mit ihm außer wer dauernd Seiner „gedenkt“. Die Vertrautheit entsteht also durch das fortwäh-rende Gedenken (dikr), und die Erkenntnis des fortwährenden Sichversenkens (fikr), und die Liebe folgt notwendigerweise der Erkenntnis.

Das Herz kann aber nur dann ganz dem „Gedenken“ und „Sichversenken“ leben, wenn es frei ist von weltlichen Zerstreuungen, und es ist nur dann von ihnen frei, wenn es die Begierde nach der Welt von sich abgetan hat, so dass seine Richtung und sein Streben auf das Gute geht, während er das Böse flieht und verabscheut.

Es wird aber nur dann auf die guten und gottgefälligen Werke gerichtet sein, wenn er weiß, dass davon seine Seligkeit im Jenseits abhängt, so wie der Verständige den Aderlass begehrt, weil er weiß, dass sein Wohlbefinden davon abhängt. Ist die Neigung selbst aber erst einmal durch die Erkenntnis ge-wonnen, so wird sie durch das der Neigung entsprechende Handeln und die Übung darin gefördert. Denn die den Eigenschaften der Seele entsprechende Übung und die auf sie abzielende Betätigung verhält sich zu dieser Eigenschaft selbst wie eine Nahrung, so dass dadurch die Eigenschaft wächst und erstarkt. Denn die Neigung dessen, der die Wissenschaft oder eine politische Stellung anstrebt, ist im Anfang nur schwach, wenn er aber der Neigung folgt, sich mit der Wissenschaft, der Ausbildung der politischen Tätigkeit und den dazu erforderlichen Handlungen abgibt, so erstarkt und vertieft sich die Neigung, so dass es ihm schwer wird, sie aufzugeben. Wenn er aber der Neigung entgegen handelt, so wird sie schwach und kraftlos und manchmal verschwindet und verflüchtigt sie sich ganz.

Nehmen wir z.B.: an, es erblicke jemand ein schönes Antlitz und er empfinde zu ihm eine schwache natürliche Neigung; wenn er nun ihr folgt und ihr entsprechend handelt, die betreffende Person viel ansieht, viel mit ihr zusammen ist und mit ihr verkehrt, so wird die Neigung immer stärker werden, bis die Sache sich seinem Willen entzieht, und er gar nicht mehr anders kann. Wenn er aber seine Seele von Anfang an entwöhnt und seiner Neigung entgegen handelt, so wirkt das auf die Neigung wie die Entziehung der Nahrung und wie eine Zurückstoßung und ein Schlag ins Gesicht, so dass sie infolge davon schwach und kraftlos wird und ganz verschwindet.

So verhält es sich mit allen Eigenschaften und gottgefälligen Werken, die auf das Jenseits gerichtet sind, und auch mit den schlechten Handlungen, die auf die Welt und nicht das Jenseits gerichtet sind. Die Neigung der Seele zu den für das Jenseits verdienstlichen guten Werken und ihre Abkehr von den weltlichen Dingen führt sie zur Beschäftigung mit dem Dikr und Fikr, und diese Verfassung wird nur gekräftigt durch die Übungen in gottgefälligen Werken und die Unterlassung der Sünden der Glieder; dann zwischen den Gliedern und dem „Herzen“ besteht ein enger Zusammenhang, so dass sie beiden einander beeinflussen. Wenn ein Glied verwundet wird, leidet bekanntlich auch das Herz, und wenn das Herz durch die Nachricht vom Tode eines verehrten Freundes oder vom Hereinbrechen eines Unheils Schmerz empfindet, so werden auch die Glieder in Mitleidenschaft gezogen, die Flanken beben und die Farbe verändert sich. Das Herz ist allerdings das maßgebende Prinzip, sozusagen der Emir und der Hirte, die Glieder hingegen verhalten sich wie die Dienerschaft, die Herde und das Gefolge. Die Glieder dienen also dem Herzen, um dessen Eigenschaften in ihm zu befestigen; das Herz ist das Ziel, die Glieder sind Mittel, die zum Ziele führen. Darum sagt der Prophet (s)[2]: „Es gibt im Körper ein Klümpchen, ist dieses gesund, so ist es dadurch auch der übrige Körper“,

und weiter, „O Allah, lass gedeihen den Hirten und die Herde!“

Mit dem Hirten meint er das Herz. Und Allah ta’ala sagt:

لَن يَنَالَ اللَّهَ لُحُومُهَا وَلَا دِمَاؤُهَا وَلَكِن يَنَالُهُ التَّقْوَى مِنكُمْ

„Nicht erreicht Allah ihr Fleisch und Blut, sondern es erreicht ihn eure Frömmigkeit“ (Sure 22 Aya 37),

und diese ist die Eigenschaft des Herzens.

Unter diesem Gesichtspunkt müssen ohne Zweifel die Tätigkeiten des „Herzens“ im Allgemeinen vorzüglicher sein als die Bewegungen der Glieder, daher muss auch die Absicht als zu jenen gehörig den Vorrang haben, denn sie bezeichnet die Richtung des Herzens auf das Gute und das Streben danach; die Handlungen der Glieder haben für uns nur den Zweck, das Herz an das Streben nach dem Guten zu gewöhnen und die Richtungen darauf in ihm zu befestigen, damit es sich von den weltlichen Begierden befreie und mit dem Dikr und Fikr sich beschäftige.

Letzteres ist also notwendigerweise besser hinsichtlich des Zweckes, denn es befindet sich in dem Endzweck selbst. Es verhält sich damit so, wie man den Magenschmerz entweder dadurch kuriert, dass man eine Salbe auf die Brust legt, oder durch einen Trank und eine Medizin, die (direkt) in den Magen geht. Hier ist das Einnehmen besser als die Salbe auf der Brust, denn auch diese hat nur den Zweck, eine Wirkung auf den Magen auszuüben. Demnach ist das, was mit dem Magen selbst in Berührung kommt, besser und nutzbringender. In diesem Sinne muss auch die Wirkung der gottgefälligen Werke überhaupt verstanden werden. Denn sie haben lediglich den Zweck, das Herz umzuändern und seine Eigenschaften umzuwandeln, nicht die der Glieder. Man meine also nicht, dass das Hinlegen der Stirne auf den Boden insofern einen Zweck habe, als eine Vereinigung der Stirne mit dem Boden ist, der Zweck ist vielmehr der, durch diese wiederholte Übung die Eigenschaft der Demut im Herzen zu befestigen. Denn wenn jemand sich im Besitz der Demut findet, dann mit den Gliedern eine unterwürfige Haltung einnimmt und ihnen das Gepräge der Demut aufdrückt, so erstarkt seine Demut. Und wenn jemand in seinem Herzen Mitleid mit einem Waisenkind fühlt, so wird dadurch,  dass er ihm Kopf und Gesicht streichelt, das Mitgefühl in ihm gestärkt. Das Handeln ohne Absicht ist aber dafür völlig unnütz. Denn wenn jemand einem Waisenkind den Kopf streichelt, dabei aber an nichts denkt oder ein Kleid zu streicheln meint, so strömt von seinen Glieder keine Wirkung auf das Herz über, um darin das Mitgefühl zu stärken.

Desgleichen wenn jemand in Zerstreutheit oder mit dem Gedanken an irdische Dinge beschäftigt eine Prostration macht, so geht von seiner Stirne und der Berührung derselben mit dem Boden keine Wirkung auf sein Herz über, um die Demut darin zu stärken; sie ist vielmehr, als wäre sie nicht vorhanden. Was aber nur eine solche Existenz hat, die hinsichtlich des zu erreichenden Zieles seiner Nichtexistenz gleichkommt, das heißt nicht (batil). Darum nennt man eine religiöse Handlung ohne Intention nichtig. Das Gesagte gilt für den Fall, dass jemand aufs Geradewohl handelt. Wenn er aber dabei auf Augendienerei oder die Ehrung einer anderen Person ausgeht, so kommt dessen Existenz nicht einfach seiner Nichtexistenz gleich, sondern er fügt noch ein Übel hinzu. Indem er nämlich die Eigenschaft, die zu kräftigen ist, kräftigt, kräftigt er zugleich eine andere, die zu bändigen ist, nämlich die Augendienerei, die eine weltliche Bestrebung darstellt. In diesem Sinne also ist die Absicht besser als das Werk. So ist auch der Ausspruch des Gesandten (s)[3] zu verstehen: „Wer eine gute Tat anstrebt, sie aber nicht zur Ausführung bringt, dem wird sie (trotzdem) als solche angerechnet.“

Denn das Streben des Herzens bedeutet seine Richtung auf das Gute und seine Abkehr von der Begier-lichkeit und der Liebe zur Welt, und das ist die höchste Stufe des Guten; die Ausführung der Handlung fügt nur eine Verstärkung hinzu. So ist auch der Zweck beim Ausgießen des Opferblutes nicht das Blut und das Fleisch, sondern die Abwendung des Herzens von der Liebe zur Welt und die Hingabe dieser Dinge dem Schöpfer zuliebe. Diese Verfassung kommt durch eine entschiedene Absicht und Gesinnung zustande, auch wenn sich der Ausführung ein Hindernis entgegenstellt.

لَن يَنَالَ اللَّهَ لُحُومُهَا وَلَا دِمَاؤُهَا وَلَكِن يَنَالُهُ التَّقْوَى مِنكُمْ

„Nicht erreicht Allah ihr Fleisch und Blut, sondern es erreicht ihn eure Frömmigkeit“ (Sure 22 Aya 38)

Abu Huraira überliefert, dass der Prophet (s) sagte: „Die Gottesfurcht ist aber hier“, diesen Satz wiederholte er dreimal und zeigt dabei auf sein Herz.

Deshalb sagte der Gesandte (s): „Es gibt Leute in der Stadt (Medina), die an unserem heiligen Krieg teilnehmen“, wie oben ausgeführt wurde.

Denn ihre Herzen wollen ernstlich das Gute und die Hingabe von Gut und Blut, sie verlangen nach dem Martyrium und darnach, dass Allahs Wort erhöht werde, wie die Herzen derjenigen, die in den heiligen Kampf ziehen. Sie sind nur körperlich von ihnen getrennt, Hindernisse halber, welche die außerhalb des Herzens liegenden Mittel betreffen. Die äußeren Dinge haben aber nur den Zweck, die betreffenden Eigenschaften zu kräftigen. In diesem Sinne sind alle Traditionen zu verstehen, die wir über die Vortrefflichkeit der Absicht angeführt haben. Man wende das Gesagte auf sie an, damit ihr eigentlicher Sinn klar werde. Wir wollen uns nicht mit einer Wiederholung aufhalten.

Fußnoten

[1] Berichtet von Sahl bin Sa’d

[2] Berichtet von Nu’man Ibn Baschir

[3] Berichtet von Abu Naim

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