Allgemeine Einstellung des Islam zum Land
Im Lichte der
vielfältigen Bestimmungen, die der Islam für den Umgang mit
dem Land erlassen hat, und deren Details wir zur Kenntnis
genommen haben, können wir die allgemeine Einstellung des
Islam zum Land herausarbeiten, und erschließen, wie der
Prophet (s.) oder sein legitimer Nachfolger in der islamischen
Ordnung damit verfährt. Wir werden zunächst die allgemeine
Einstellung des Islam zum Land genauer umreißen, und wenn wir
danach die Bestimmungen des Islam im Zusammenhang mit
sonstigen natürlichen Reichtümern darlegen, kommen wir auf
diese allgemeine Einstellung des Islam zum Land zurück, um ihr
innerhalb der erweiterten und umfassenderen Sichtweise, die
das ideologische Fundament und Prinzip für die Verteilung der
Produktionsmittel bildet, ihren Platz zuzuweisen. Um diesen
Standpunkt klar herauszustellen zu können und um den
wirtschaftlich motivierten Gehalt der islamischen Einstellung
zum Land zu untersuchen und ihn von sonstigen Faktoren und
Erwägungen politischer Natur, die wir anschließend aufzeigen
werden, zu trennen ... um all dies zu erleichtern, tun wir gut
daran, wenn wir – bei der Definition der allgemeinen
Sichtweise des Islam – von einer Hypothese ausgehen, die uns
dabei hilft, den wirtschaftlichen Gehalt der islamischen
Theorie des Bodenrechtes, unabhängig von den politischen
Erwägungen, zu verdeutlichen.
Nehmen wir an,
eine Gruppe von Muslimen würde beschließen, sich in einem
Gebiet niederzulassen, das bisher noch von Menschen ungenutzt
wäre, um in diesem Gebiet eine islamische Gemeinschaft
entstehen zu lassen, um ihre Beziehung untereinander auf den
Prinzipien des Islam zu begründen, und stellen wir uns vor,
der legitime Herrscher, wie der Prophet (s.) oder der Kalif,
übernähme die Regelung dieser Beziehungen, und die Aufgabe,
den Islam mit allen seinen geistigen, kulturellen und
gesetzgeberischen Merkmalen und Wertemaßstäben sich in dieser
Gemeinschaft verkörpern zu lassen ... . Welchen Standpunkt
würden dann der Herrscher und die Gemeinschaft gegenüber dem
Land einnehmen, und wie würde dessen Eigentumsstatus geregelt
werden? Die Antwort auf diese Frage ist im Lichte der
detaillierten Ausführung, die wir im vorangehenden Kapitel
vorgebracht haben, schon gegeben, denn das Land, dem in
unserer Annahme bestimmt ist, dass es zur Heimat einer
muslimischen Gemeinschaft werden und dass auf seinem Boden
eine gottgesegnete Zivilisation entstehen soll, haben wir uns
als bisher ungenutztes Land in seinem Naturzustand
vorgestellt, das von Menschen noch unberührt wäre. Das hieße,
dieses Land würde in dem angenommenen historischen
Zeitabschnitt zum ersten Mal mit dem Menschen konfrontiert und
in dessen Leben eintreten.
Naturgemäß
teilt sich das Land meistens in zwei Teile auf, nämlich in
solche Flächen, die von der Natur mit den Voraussetzungen für
Leben und Produktivität ausgestattet sind, wie ausreichend
Wasser und Wärme, Weichheit des Bodens und dergleichen, die
also von Natur aus belebt sind, und solche Landflächen, die
von der Natur nicht die Vorzüge erhalten haben, sondern
menschlicher Anstrengung bedürfen, um jene Voraussetzungen zu
schaffen, und letzteres ist im Sprachgebrauch der
Rechtswissenschaft [fiqh] das “tote Land“ (Ödland). Das
Land, von dem wir annehmen, dass es die Geburt einer
islamischen Gesellschaft erleben soll, wäre also entweder von
Natur aus belebtes Land oder Ödland, eine dritte Kategorie
gäbe es nicht.
Das von Natur
aus belebte unter diesem Land wäre dann Eigentum des Staates,
oder anders ausgedrückt, Eigentum der Autorität, die durch den
Propheten (s.) und seine legitimen Nachfolger verkörpert wird,
wie wir das anhand der gesetzgeberischen Textquellen und
Schriften der Rechtswissenschaft [fiqh] dargelegt
haben. In der “Tadhkira“ des Allama al-Hilli heißt es sogar,
in dieser Frage bestünde ein Konsens der Rechtsgelehrten. Das
gleiche gilt auch für das Ödland, wie wir bereits erfahren
haben, und dies geht ebenfalls deutlich aus den
gesetzgeberischen Textquellen und den Schriften der
Rechtswissenschaft [fiqh] hervor. Der Scheich und Imam
al-Mudschadid al-Ansari führt sogar in seinem Buch
“al-Makasib“ an, dass die Überlieferungs-Texte, die dies
belegen, zahlreich sind. Es wird sogar gesagt, sie seien von
vielen zuverlässigen Gewährsmännern überliefert.
Der Islam
wendet also auf alles Land – wenn dessen Naturzustand
Ausgangspunkt der Betrachtung ist – das Prinzip des “Eigentums
des Imam“ an, d.h. ein Eigentum kollektiver Natur. In diesem
Sinne können wir solche gesetzgeberischen Zitate verstehen,
die mit zuverlässigen Ketten von Gewährmännern von den Imamen
der Ahl-ul-Bait (a.) überliefert werden, und die versichern,
dass alles Land Eigentum des Imam sei. Denn wenn sie das
Eigentum des Imam am Land bestätigen, dann betrachten sie das
Land in seinem natürlichen Urzustand, wie bereits erwähnt.
Wir wollen nun
betrachten, welche Art von Zugehörigkeit des Bodens zu
einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft – die wir theoretisch
vorausgesetzt haben – der Islam erlaubt. Wir müssen in diesem
Zusammenhang die bloße Beschlagnahmung oder Bemächtigung als
grundsätzliche Rechtfertigung dafür, dass eine Person, die ein
Stück Land beschlagnahmt oder sich dessen bemächtigt, dieses
zugesprochen bekommt, ausschließen, denn wir besitzen im
islamischen Recht [scharia] keinen authentischen
Textbeleg, der dieses bestätigen würde, worauf wir bereits
hingewiesen haben. Die einzige Sache, von der wir wissen, dass
sie nach dem islamischen Gesetz die Zugehörigkeit von Land zu
einer Person rechtfertigt, ist die Neukultivierung, d.h. die
von dem Einzelnen persönlich auf unkultiviertes Land
aufgewendete Mühe, um es zum Leben zu erwecken. Die
Verrichtung dieser Arbeit, oder auch schon die dafür
erforderlichen Vorarbeiten, werden im islamischen Recht [scharia]
als Grund für die Zugehörigkeit angesehen, aber sie führen
nicht zu einer Aneignung der Kontrolle über das Land durch die
betreffende Person als Privateigentum, womit es nicht mehr
seinem ursprünglichen Prinzip unterliegen würde, sondern sie
schaffen lediglich ein Anrecht für die Person, Kraft dessen
derjenige, der das Land urbar gemacht hat, vorrangig vor
anderen zu dessen Nutzung befugt wird, aufgrund der Mühen, die
er auf das Land aufgewendet hat. Dem Imam bleibt das Eigentum
an der Kontrolle über das Land, und das Recht, demjenigen, der
es urbar gemacht hat, eine Steuer aufzuerlegen, vorbehalten,
gemäß der Rechtsaussage, die der große Rechtsgelehrte Muhammad
ibn al-Hasan Tusi in dem Kapitel über die Anstrengung [dschihad]
seines Buches “al-Mabsut“ niederschrieb: „Das Ödland wird
nicht wie die sonstige Beute behandelt, sondern ist speziell
für den Imam bestimmt; und wenn ein Muslim es urbar macht,
dann hat er am meisten Anrecht auf dessen Nießbrauch, während
der Imam die darauf erhobene Steuer zusteht.“ Dieses Zitat
haben wir bereits an anderer Stelle angeführt. Dieses Anrecht,
das dem Einzelnen aufgrund der Urbarmachung gewährt wird,
besteht so lange fort, wie sich seine Arbeit auf das Land
auswirkt. Wenn sich also die vorteilhaften Auswirkungen seiner
Arbeit erschöpft haben, und das Land erneuter Anstrengung
bedarf, um kultiviert zu bleiben, dann kann der Betreffende
sein Anrecht nur bewahren, indem er die Kultivierungsarbeit
fortsetzt und die dafür erforderlichen Mühen auf sich nimmt.
Wenn er es aber vernachlässigt und versäumt, es zu
kultivieren, bis es verwahrlost, dann verfällt sein Anrecht
darauf.
Wir können
nunmehr das vollständige Bild erfassen und die allgemeine
Sichtweise des Islam definieren: Demnach ist das Land seiner
Natur nach Eigentum des Imam, kein Einzelner kann sich die
Kontrolle darüber aneignen, und nur auf der Grundlage von
Arbeit, die eine Person auf das Land verwendet, um es zu
erschließen und es zu nutzen, ist dessen individuelle
Beanspruchung zulässig. Diese Zugehörigkeit, bzw. das Anrecht,
das der Einzelne durch seine Arbeit am Land erwirbt, hindert
den Imam nicht daran, auch das neukultivierte Land zu
besteuern, so dass alle rechtschaffenen Menschen an dessen
Nutzung beteiligt werden. Dem widerspricht auch nicht die
Tatsache, dass diese Abgabe oder Steuer zeitweise aufgrund
außergewöhnlicher Umstände nicht erhoben wurde, worauf gewisse
Überlieferungen, die die Ausnahme legitimieren, hinweisen.
Dies ist die Haltung, die der Islam dem Land gegenüber
einnimmt, so wie sie sich uns – bis jetzt – darstellt, d.h.
bevor wir deren politischen Aspekt herausgearbeitet haben. Sie
ist in der Tat geeignet, die zwischen den Befürwortern und
Gegnern von Eigentum an Land bestehende Streitfrage zu
entscheiden; und der Eigentumsstatus von Grund und Boden
gehört angesichts der Bedeutung, die ihm als ein seit
Jahrtausende das menschliche Zusammenleben beeinflussendes
Phänomen zukommt, zu den sozialen Problemfragen, die eine
wichtige Rolle in menschlichen Denken spielen.
Höchstwahrscheinlich trat dieses Phänomen in der Geschichte
des Menschen erstmals in Erscheinung oder verbreitete sich,
nachdem dieser den Ackerbau erfunden hatte und seinen
Lebensunterhalt darauf stützte, denn der Ackerbau betreibende
Mensch sah sich wegen der Zeit, die diese Produktionsweise
erforderte, genötigt, eine zeitlang auf einem bestimmten Stück
Land auszuharren. So ergab es sich naturgemäß, dass er sich
mit einer bestimmten Landfläche bis zu einem gewissen Grade
verband, die er bearbeitete und auf der er sich einen
Zufluchts- oder Wohnplatz in der Nähe seiner Felder erbaute,
um in der Lage zu sein, diese zu beaufsichtigen und zu
beschützen. Und schließlich fand sich der Ackerbau betreibende
Mensch – d.h. jeder einzelne Ackerbau – fest an eine
Landfläche gebunden und durch eine Anzahl von Beziehungen mit
ihr verknüpft, die letztlich alle auf seine Arbeit, die er an
das Land gewandt, und seine Mühe, die sich mit dessen Boden
und jedem seiner Körnchen vermischt hatte, zurückging. Als
eine Folge dessen entstand die Idee der Zugehörigkeit, denn
diese spiegelt einerseits die Verbundenheit des Ackerbauern
mit seiner geleisteten Arbeit wider, die er auf dem Land
konkrete Gestalt annehmen und einen Teil davon werden ließ,
und anderseits wurde mit der Idee der Zugehörigkeit Stabilität
erreicht und sie führte zu einer Verteilung des Landes auf der
Grundlage von Fähigkeit, denn jeder Einzelne behielt die
Fläche für sich, auf der er arbeitete, und durch die Größe der
Fläche, die er nutzbar machen konnte, stellte sich bis zu
einem gewissen Grade seine Fähigkeit heraus. Ausgehend davon
sind wir der Meinung, dass persönliche Rechte am Land
historisch höchstwahrscheinlich als Ergebnis von eigener
Arbeit entstanden sind, wobei diese Rechte im Laufe der Zeit
die Form des Eigentums annahmen.