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Muhammad Baqir al-Sadr

Allgemeine Einstellung des Islam zum Land

Im Lichte der vielfältigen Bestimmungen, die der Islam für den Umgang mit dem Land erlassen hat, und deren Details wir zur Kenntnis genommen haben, können wir die allgemeine Einstellung des Islam zum Land herausarbeiten, und erschließen, wie der Prophet (s.) oder sein legitimer Nachfolger in der islamischen Ordnung damit verfährt. Wir werden zunächst die allgemeine Einstellung des Islam zum Land genauer umreißen, und wenn wir danach die Bestimmungen des Islam im Zusammenhang mit sonstigen natürlichen Reichtümern darlegen, kommen wir auf diese allgemeine Einstellung des Islam zum Land zurück, um ihr innerhalb der erweiterten und umfassenderen Sichtweise, die das ideologische Fundament und Prinzip für die Verteilung der Produktionsmittel bildet, ihren Platz zuzuweisen. Um diesen Standpunkt klar herauszustellen zu können und um den wirtschaftlich motivierten Gehalt der islamischen Einstellung zum Land zu untersuchen und ihn von sonstigen Faktoren und Erwägungen politischer Natur, die wir anschließend aufzeigen werden, zu trennen ... um all dies zu erleichtern, tun wir gut daran, wenn wir – bei der Definition der allgemeinen Sichtweise des Islam – von einer Hypothese ausgehen, die uns dabei hilft, den wirtschaftlichen Gehalt der islamischen Theorie des Bodenrechtes, unabhängig von den politischen Erwägungen, zu verdeutlichen.

Nehmen wir an, eine Gruppe von Muslimen würde beschließen, sich in einem Gebiet niederzulassen, das bisher noch von Menschen ungenutzt wäre, um in diesem Gebiet eine islamische Gemeinschaft entstehen zu lassen, um ihre Beziehung untereinander auf den Prinzipien des Islam zu begründen, und stellen wir uns vor, der legitime Herrscher, wie der Prophet (s.) oder der Kalif[1], übernähme die Regelung dieser Beziehungen, und die Aufgabe, den Islam mit allen seinen geistigen, kulturellen und gesetzgeberischen Merkmalen und Wertemaßstäben sich in dieser Gemeinschaft verkörpern zu lassen ... . Welchen Standpunkt würden dann der Herrscher und die Gemeinschaft gegenüber dem Land einnehmen, und wie würde dessen Eigentumsstatus geregelt werden? Die Antwort auf diese Frage ist im Lichte der detaillierten Ausführung, die wir im vorangehenden Kapitel vorgebracht haben, schon gegeben, denn das Land, dem in unserer Annahme bestimmt ist, dass es zur Heimat einer muslimischen Gemeinschaft werden und dass auf seinem Boden eine gottgesegnete Zivilisation entstehen soll, haben wir uns als bisher ungenutztes Land in seinem Naturzustand vorgestellt, das von Menschen noch unberührt wäre. Das hieße, dieses Land würde in dem angenommenen historischen Zeitabschnitt zum ersten Mal mit dem Menschen konfrontiert und in dessen Leben eintreten.

Naturgemäß teilt sich das Land meistens in zwei Teile auf, nämlich in solche Flächen, die von der Natur mit den Voraussetzungen für Leben und Produktivität ausgestattet sind, wie ausreichend Wasser und Wärme, Weichheit des Bodens und dergleichen, die also von Natur aus belebt sind, und solche Landflächen, die von der Natur nicht die Vorzüge erhalten haben, sondern menschlicher Anstrengung bedürfen, um jene Voraussetzungen zu schaffen, und letzteres ist im Sprachgebrauch der Rechtswissenschaft [fiqh] das “tote Land“ (Ödland). Das Land, von dem wir annehmen, dass es die Geburt einer islamischen Gesellschaft erleben soll, wäre also entweder von Natur aus belebtes Land oder Ödland, eine dritte Kategorie gäbe es nicht.

Das von Natur aus belebte unter diesem Land wäre dann Eigentum des Staates, oder anders ausgedrückt, Eigentum der Autorität, die durch den Propheten (s.) und seine legitimen Nachfolger verkörpert wird, wie wir das anhand der gesetzgeberischen Textquellen und Schriften der Rechtswissenschaft [fiqh] dargelegt haben. In der “Tadhkira“ des Allama al-Hilli heißt es sogar, in dieser Frage bestünde ein Konsens der Rechtsgelehrten. Das gleiche gilt auch für das Ödland, wie wir bereits erfahren haben, und dies geht ebenfalls deutlich aus den gesetzgeberischen Textquellen und den Schriften der Rechtswissenschaft [fiqh] hervor. Der Scheich und Imam al-Mudschadid al-Ansari führt sogar in seinem Buch “al-Makasib“ an, dass die Überlieferungs-Texte, die dies belegen, zahlreich sind. Es wird sogar gesagt, sie seien von vielen zuverlässigen Gewährsmännern überliefert.

Der Islam wendet also auf alles Land – wenn dessen Naturzustand Ausgangspunkt der Betrachtung ist – das Prinzip des “Eigentums des Imam“ an, d.h. ein Eigentum kollektiver Natur. In diesem Sinne können wir solche gesetzgeberischen Zitate verstehen, die mit zuverlässigen Ketten von Gewährmännern von den Imamen der Ahl-ul-Bait (a.) überliefert werden, und die versichern, dass alles Land Eigentum des Imam sei. Denn wenn sie das Eigentum des Imam am Land bestätigen, dann betrachten sie das Land in seinem natürlichen Urzustand, wie bereits erwähnt.[2]

Wir wollen nun betrachten, welche Art von Zugehörigkeit des Bodens zu einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft – die wir theoretisch vorausgesetzt haben – der Islam erlaubt. Wir müssen in diesem Zusammenhang die bloße Beschlagnahmung oder Bemächtigung als grundsätzliche Rechtfertigung dafür, dass eine Person, die ein Stück Land beschlagnahmt oder sich dessen bemächtigt, dieses zugesprochen bekommt, ausschließen, denn wir besitzen im islamischen Recht [scharia] keinen authentischen Textbeleg, der dieses bestätigen würde, worauf wir bereits hingewiesen haben. Die einzige Sache, von der wir wissen, dass sie nach dem islamischen Gesetz die Zugehörigkeit von Land zu einer Person rechtfertigt, ist die Neukultivierung, d.h. die von dem Einzelnen persönlich auf unkultiviertes Land aufgewendete Mühe, um es zum Leben zu erwecken. Die Verrichtung dieser Arbeit, oder auch schon die dafür erforderlichen Vorarbeiten, werden im islamischen Recht [scharia] als Grund für die Zugehörigkeit angesehen, aber sie führen nicht zu einer Aneignung der Kontrolle über das Land durch die betreffende Person als Privateigentum, womit es nicht mehr seinem ursprünglichen Prinzip unterliegen würde, sondern sie schaffen lediglich ein Anrecht für die Person, Kraft dessen derjenige, der das Land urbar gemacht hat, vorrangig vor anderen zu dessen Nutzung befugt wird, aufgrund der Mühen, die er auf das Land aufgewendet hat. Dem Imam bleibt das Eigentum an der Kontrolle über das Land, und das Recht, demjenigen, der es urbar gemacht hat, eine Steuer aufzuerlegen, vorbehalten, gemäß der Rechtsaussage, die der große Rechtsgelehrte Muhammad ibn al-Hasan Tusi in dem Kapitel über die Anstrengung [dschihad] seines Buches “al-Mabsut“ niederschrieb: „Das Ödland wird nicht wie die sonstige Beute behandelt, sondern ist speziell für den Imam bestimmt; und wenn ein Muslim es urbar macht, dann hat er am meisten Anrecht auf dessen Nießbrauch, während der Imam die darauf erhobene Steuer zusteht.“ Dieses Zitat haben wir bereits an anderer Stelle angeführt. Dieses Anrecht, das dem Einzelnen aufgrund der Urbarmachung gewährt wird, besteht so lange fort, wie sich seine Arbeit auf das Land auswirkt. Wenn sich also die vorteilhaften Auswirkungen seiner Arbeit erschöpft haben, und das Land erneuter Anstrengung bedarf, um kultiviert zu bleiben, dann kann der Betreffende sein Anrecht nur bewahren, indem er die Kultivierungsarbeit fortsetzt und die dafür erforderlichen Mühen auf sich nimmt. Wenn er es aber vernachlässigt und versäumt, es zu kultivieren, bis es verwahrlost, dann verfällt sein Anrecht darauf.

Wir können nunmehr das vollständige Bild erfassen und die allgemeine Sichtweise des Islam definieren: Demnach ist das Land seiner Natur nach Eigentum des Imam, kein Einzelner kann sich die Kontrolle darüber aneignen, und nur auf der Grundlage von Arbeit, die eine Person auf das Land verwendet, um es zu erschließen und es zu nutzen, ist dessen individuelle Beanspruchung zulässig. Diese Zugehörigkeit, bzw. das Anrecht, das der Einzelne durch seine Arbeit am Land erwirbt, hindert den Imam nicht daran, auch das neukultivierte Land zu besteuern, so dass alle rechtschaffenen Menschen an dessen Nutzung beteiligt werden. Dem widerspricht auch nicht die Tatsache, dass diese Abgabe oder Steuer zeitweise aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht erhoben wurde, worauf gewisse Überlieferungen, die die Ausnahme legitimieren, hinweisen. Dies ist die Haltung, die der Islam dem Land gegenüber einnimmt, so wie sie sich uns – bis jetzt – darstellt, d.h. bevor wir deren politischen Aspekt herausgearbeitet haben. Sie ist in der Tat geeignet, die zwischen den Befürwortern und Gegnern von Eigentum an Land bestehende Streitfrage zu entscheiden; und der Eigentumsstatus von Grund und Boden gehört angesichts der Bedeutung, die ihm als ein seit Jahrtausende das menschliche Zusammenleben beeinflussendes Phänomen zukommt, zu den sozialen Problemfragen, die eine wichtige Rolle in menschlichen Denken spielen. Höchstwahrscheinlich trat dieses Phänomen in der Geschichte des Menschen erstmals in Erscheinung oder verbreitete sich, nachdem dieser den Ackerbau erfunden hatte und seinen Lebensunterhalt darauf stützte, denn der Ackerbau betreibende Mensch sah sich wegen der Zeit, die diese Produktionsweise erforderte, genötigt, eine zeitlang auf einem bestimmten Stück Land auszuharren. So ergab es sich naturgemäß, dass er sich mit einer bestimmten Landfläche bis zu einem gewissen Grade verband, die er bearbeitete und auf der er sich einen Zufluchts- oder Wohnplatz in der Nähe seiner Felder erbaute, um in der Lage zu sein, diese zu beaufsichtigen und zu beschützen. Und schließlich fand sich der Ackerbau betreibende Mensch – d.h. jeder einzelne Ackerbau – fest an eine Landfläche gebunden und durch eine Anzahl von Beziehungen mit ihr verknüpft, die letztlich alle auf seine Arbeit, die er an das Land gewandt, und seine Mühe, die sich mit dessen Boden und jedem seiner Körnchen vermischt hatte, zurückging. Als eine Folge dessen entstand die Idee der Zugehörigkeit, denn diese spiegelt einerseits die Verbundenheit des Ackerbauern mit seiner geleisteten Arbeit wider, die er auf dem Land konkrete Gestalt annehmen und einen Teil davon werden ließ, und anderseits wurde mit der Idee der Zugehörigkeit Stabilität erreicht und sie führte zu einer Verteilung des Landes auf der Grundlage von Fähigkeit, denn jeder Einzelne behielt die Fläche für sich, auf der er arbeitete, und durch die Größe der Fläche, die er nutzbar machen konnte, stellte sich bis zu einem gewissen Grade seine Fähigkeit heraus. Ausgehend davon sind wir der Meinung, dass persönliche Rechte am Land historisch höchstwahrscheinlich als Ergebnis von eigener Arbeit entstanden sind, wobei diese Rechte im Laufe der Zeit die Form des Eigentums annahmen.

[1] Gemeint ist ein rechtmäßiger Kalif.

[2] Somit wissen wir, dass man das Eigentum des Imam an allem Land – von dem in diesen Textquellen die Rede ist – als gesetzliche Bestimmung und tatsächliches Eigentum interpretieren kann, nämlich sofern es sich auf den natürlichen Urzustand des Landes bezieht. Dann widerspricht es auch nicht der möglichen Aneignung von einem Stück Land durch eine andere Person als den Imam aufgrund gesetzlich vorgeschriebener Voraussetzungen, die den natürlichen Zustand des Landes verändert haben, etwa aufgrund der Neukultivierung oder dergleichen. Es besteht also auch keine Notwendigkeit, den Begriff “Eigentum“ in diesen Texten umzuinterpretieren, und als eine ideelle Angelegenheit anstatt als eine gesetzliche Bestimmung anzusehen, wo doch eine solche Deutelei ohnehin dem Kontext dieser Textstellen offensichtlich widersprechen würde. Man beachte die Überlieferung des al-Kabuli, die feststellt, dass alles Land dem Imam gehört, und daraus folgert, dass der Imam das Recht hat, jeden, der etwas von dem Land urbar macht, zu besteuern. Der Erhebung einer Steuer oder Gebühr zugunsten des Imam, die aus dessen Eigentum am Land abgeleitet wird, belegt deutlich, dass das Eigentum hier in seiner gesetzgeberischen Bedeutung, die derartige Konsequenzen nach sich zieht, zu verstehen ist, und nicht in einem anderen, lediglich ideellen Sinn. (Fußnote des Autors)

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