Begrenzung der privaten Verfügungsgewalt über Land
Wir können aus
den vorangegangenen detaillierten Ausführungen zusammenfassen,
dass die persönliche Zugehörigkeit von Land zu einem
Einzelnen, bzw. sein persönliches Anrecht darauf, durch eine
von drei Voraussetzungen bedingt wird:
1)
Der
Betreffende erschließt Neuland aus dem Staatseigentum.
2)
Die
Bewohner des betreffenden Landes erhören die Einladung zum
Islam [dawa] freiwillig und bekehren sich zum Islam.
3)
Das Land
wird dem Territorium des Islam nach Abschluss eines
Friedensvertrages, in welchem den Vertragspartnern die
Besitzrechte an dem Land ausdrücklich zuerkannt werden,
angeschlossen.
Die erste
Voraussetzung unterscheidet sich von den beiden anderen
hinsichtlich der Art der Beziehung zum Land, die daraus
entsteht. Denn die erste Bedingung, d.h. die Urbarmachung
eines Stücks vom staatlichen Ödland, überführt das Land nicht
in den Bereich des privaten Eigentums, nimmt ihm nicht den
Charakter des staatlichen Eigentums, und hindert den Imam
nicht daran, dem Land eine Steuer bzw. eine Gebühr
aufzuerlegen. Vielmehr entsteht dem einzelnen durch die
Urbarmachung lediglich ein Anrecht, das ihm erlaubt, das Land
zu nutzen und andere daran zu hindern, ihn dabei zu stören,
wie wir es bereits erwähnt haben. Dagegen erlauben die beiden
letzteren Bedingungen dem Muslim oder dem nichtmuslimischen
Vertragspartner der Muslime das Eigentum am Land, womit es dem
Bereich des privaten Eigentums zugeordnet wird. Die
persönliche Zugehörigkeit des Landes zu einem Einzelnen – ob
auf der Ebene des Anrechts oder auf der Ebene des Eigentums –
ist nicht zeitlich unbegrenzt, sondern eine delegierte
Zugehörigkeit, und davon abhängig, dass die betreffende Person
ihrer Verantwortung für das Land gerecht wird. Wenn sie ihrer
Verantwortung nicht nachkommt, so wie das im Folgenden
zitierten Überlieferungen verdeutlichen werden, dann verfällt
ihr Anspruch auf das Land und sie darf es nicht monopolisieren
und sich dort etablieren, und andere an dessen Nutzung
hindern. Somit findet das Konzept des Eigentums als soziale
Pflicht, die der Einzelne wahrnimmt, seinen deutlichsten
Ausdruck beim Land und den Rechten der Einzelpersonen daran.
Der Beleg der Scharia dafür manifestiert sich in einer Anzahl
von gesetzgeberisch relevanten Textquellen. So heißt es in
einer von Ahmad ibn Muhammad ibn Ali Nasr überlieferten
Überlieferung des Imam Ali ibn Musa al-Ridha (a.):
„Wer
sich freiwillig zum Islam bekehrt, dem wird sein Land
gelassen. Und für solches Land, das durch den Regen, der vom
Himmel fällt, und durch Kanäle bewässert wird, wird der
Zehntel [uschur] auferlegt bzw. die Hälfte des
Zehntel [uschur] bei durch Brunnen bewässertem Land,
wenn er es kultiviert. Und das, was er nicht kultiviert, nimmt
ihm der Imam weg und übergibt es jemandem, der es bebaut. Es
ist für die Muslime bestimmt, und diejenigen, die es
anvertraut bekommen, zahlen für ihre Parzellen den Zehnte
[uschur] oder den halben Zehntel [uschur].“
In dem “Sahih“
des Muawiya ibn Wahb steht, dass Imam Dschafar al-Sadiq (s.)
gesagt hat:
„Wer
auch immer zu einem Stück Ödland mit Grundwasser kommt und das
Wasser an die Oberfläche holt, Kanäle gräbt und das Land
kultiviert, der muss dafür die
Spende
[sadaka]
bzw. die
Allmosenabgabe
[zakat]
bezahlen. Und wenn es vorher einem anderen Mann gehört hat,
der es im Stich und somit veröden ließ, und dann wieder
auftaucht und es zurückfordert, so gehört es trotzdem Allah
und demjenigen, der es kultiviert.“
Und in dem
“Sahih“ des al-Kabuli findet sich folgendes Zitat des Kalifen
Ali:
„Wer von
den Muslimen Ödland urbar macht, der soll es weiter
kultivieren und dem jeweiligen Imam aus meiner Familie die
entsprechende Steuer bezahlen, während ihm das gehört, was er
selbst verbraucht. Und wenn er es verlässt oder verfallen
lässt, dann bekommt es (nach ihm) ein anderer Muslim, um es
von neuem urbar zu machen und zu bebauen. Letzterer hat ein
größeres Anrecht darauf als derjenige, der es verlassen hat,
und er soll die Steuer an den Imam zahlen.“
Im Lichte
dieser Textquellen erkennen wir, dass das Recht des Einzelnen
an dem Land, das ihn ermächtigt, andere an dessen Nutzung zu
hindern, mit dem Verfall des Landes, d.h. wenn er es
vernachlässigt und versäumt, es zu kultivieren, endet; also
steht es ihm, nachdem er das Land derart vernachlässigt hat,
nicht mehr zu, andere von der Verfügung darüber und seiner
Nutzung abzuhalten, (solange er selbst es vernachlässigt).
Hierbei besteht kein Unterschied zwischen demjenigen, der die
Urbarmachung des Landes selbst ausgeführt hat, und demjenigen,
der das Land aus anderen Gründen bekommen hat, denn niemand
darf das Land ausschließlich für sich beanspruchen, nachdem er
es verkommen und veröden ließ, wie immer es auch in seinen
Besitz gekommen sein mag. Wenn das Land zu den Ländereien des
Staates bzw. des Imam gehört, und die Person, die es bisher
kultiviert hat, es vernachlässigt, bis es verödet, wird es
nach dem Verfall wieder völlig frei und unterliegt den
gleichen Bestimmungen, die auf sonstiges Ödland, das dem Staat
gehört, angewandt werden. Es besteht von neuem die Möglichkeit
seiner Urbarmachung, und dafür gelten die gleichen
Bestimmungen wie für seine erstmalige Erschließung. In dem
Buch “al-Masalik“ des “zweiten Märtyrers“
findet sich ein Zitat, dass dieses Konzept verdeutlicht; so
schreibt er: „Dieses Land – d.h. das Land, welches eine
Person urbar gemacht hat und dann wieder verfallen ließ – ist
im Prinzip frei verfügbar, denn wenn sie es verlässt, erhält
es wieder seinen ursprünglichen Status und wird jedermann
zugänglich, da die Ursache der Aneignung dieses Landes dessen
Urbarmachung und Kultivierung gewesen ist, und wenn die
Ursache nicht mehr besteht, dann wird auch die Wirkung
hinfällig.“ Er will damit sagen, dass das Anrecht auf das
Land, welches der Einzelne sich erwirbt, ein Ergebnis der
Kultivierung, bzw. deren Wirkung ist. Sein Anrecht besteht
also solange, wie die Ursache andauert und das Land kultiviert
bleibt; wenn aber die Merkmale des Lebens auf dem Land
zurückgehen, dann verfällt sein Anrecht, weil die Ursache
dafür nicht mehr gegeben ist.
Der Muhaqqiq
al-Thani führt in seinem Buch “Dschami´al-Maqasid“ an, dass
die Auffassung, die Zugehörigkeit des Landes zu demjenigen,
der es kultiviert hat, ende mit seiner Verwahrlosung, und dann
sei es zulässig, dass ein anderer es übernähme und für sich
beanspruche, unter den Prophetengefährten die verbreitetste
und am häufigsten geäußerte Rechtsmeinung gewesen sei.
Und Malik ibn Anas schreibt: „Angenommen jemand kultiviert
ein Stück Ödland und kümmert sich danach nicht mehr darum, bis
die Brunnen verfallen und die Bäume eingehen, und es nach
langer Zeit aus dem Zustand, den ich beschrieben habe, in
seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird, und dann
kultiviert es ein anderer, so gehört es dem, der es zuletzt
kultiviert hat, genau wie seinerzeit dem, der es zuerst
kultivierte.“
Einige hanafitische Rechtsgelehrte sind der gleichen
Auffassung, und begründen das damit, dass der erste Besitzer
über das Nutzungsrecht des Landes, aber nicht über dessen
Kontrolle verfügte, so dass, wenn er es verlässt, der zweite
ein größeres Anrecht habe.
Auch wenn das von seinen Besitzern vernachlässigte Land zum
Bereich des privaten Eigentums gehörte, wie solche Ländereien,
deren Besitzer freiwillig den Islam annahmen ... dann schließt
dessen Eigentumsstatus nicht aus, dass das Anrecht der
Eigentümer daran verfallen kann, wenn sie es vernachlässigen
und versäumen, ihre Pflichten dem Land gegenüber zu erfüllen,
wie wir erfahren haben. Und es wird – nach der Auffassung von
Ibn al-Barradsch und Ibn Hamza und anderen Rechtsgelehrten –
wieder zum Eigentum aller Muslime und dem Bereich des
kollektiven Eigentums angeschlossen.
Wir wissen
also, dass die persönliche Inanspruchnahme von Land – ob als
Anrecht oder als Eigentum – davon abhängig ist, dass der
Betreffende seine gesellschaftliche Pflicht hinsichtlich des
Landes erfüllt. Wenn er es aber vernachlässigt, und versäumt,
es zu kultivieren, bis es verwahrlost, wird seine Verbindung
zum Land aufgelöst und er hat nichts mehr damit zu tun. Es
wird wieder zum frei verfügbaren Eigentum des Staates, wenn es
auch ursprünglich Ödland war, und es wird zum
gemeinschaftlichen Eigentum aller Muslime, wenn derjenige, der
es vernachlässigt hat und dessen Anrecht darauf verfallen ist,
legitimer Eigentümer gewesen ist, wie bei dem Land, dessen
Besitzer freiwillig zum Islam übergetreten waren.