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Muhammad Baqir al-Sadr

Begrenzung der privaten Verfügungsgewalt über Land

Wir können aus den vorangegangenen detaillierten Ausführungen zusammenfassen, dass die persönliche Zugehörigkeit von Land zu einem Einzelnen, bzw. sein persönliches Anrecht darauf, durch eine von drei Voraussetzungen bedingt wird:

1)    Der Betreffende erschließt Neuland aus dem Staatseigentum.

2)    Die Bewohner des betreffenden Landes erhören die Einladung zum Islam [dawa] freiwillig und bekehren sich zum Islam.

3)    Das Land wird dem Territorium des Islam nach Abschluss eines Friedensvertrages, in welchem den Vertragspartnern die Besitzrechte an dem Land ausdrücklich zuerkannt werden, angeschlossen.

Die erste Voraussetzung unterscheidet sich von den beiden anderen hinsichtlich der Art der Beziehung zum Land, die daraus entsteht. Denn die erste Bedingung, d.h. die Urbarmachung eines Stücks vom staatlichen Ödland, überführt das Land nicht in den Bereich des privaten Eigentums, nimmt ihm nicht den Charakter des staatlichen Eigentums, und hindert den Imam nicht daran, dem Land eine Steuer bzw. eine Gebühr aufzuerlegen. Vielmehr entsteht dem einzelnen durch die Urbarmachung lediglich ein Anrecht, das ihm erlaubt, das Land zu nutzen und andere daran zu hindern, ihn dabei zu stören, wie wir es bereits erwähnt haben. Dagegen erlauben die beiden letzteren Bedingungen dem Muslim oder dem nichtmuslimischen Vertragspartner der Muslime das Eigentum am Land, womit es dem Bereich des privaten Eigentums zugeordnet wird. Die persönliche Zugehörigkeit des Landes zu einem Einzelnen – ob auf der Ebene des Anrechts oder auf der Ebene des Eigentums – ist nicht zeitlich unbegrenzt, sondern eine delegierte Zugehörigkeit, und davon abhängig, dass die betreffende Person ihrer Verantwortung für das Land gerecht wird. Wenn sie ihrer Verantwortung nicht nachkommt, so wie das im Folgenden zitierten Überlieferungen verdeutlichen werden, dann verfällt ihr Anspruch auf das Land und sie darf es nicht monopolisieren und sich dort etablieren, und andere an dessen Nutzung hindern. Somit findet das Konzept des Eigentums als soziale Pflicht, die der Einzelne wahrnimmt, seinen deutlichsten Ausdruck beim Land und den Rechten der Einzelpersonen daran. Der Beleg der Scharia dafür manifestiert sich in einer Anzahl von gesetzgeberisch relevanten Textquellen. So heißt es in einer von Ahmad ibn Muhammad ibn Ali Nasr überlieferten Überlieferung des Imam Ali ibn Musa al-Ridha (a.):

Wer sich freiwillig zum Islam bekehrt, dem wird sein Land gelassen. Und für solches Land, das durch den Regen, der vom Himmel fällt, und durch Kanäle bewässert wird, wird der Zehntel [uschur] auferlegt bzw. die Hälfte des Zehntel [uschur] bei durch Brunnen bewässertem Land, wenn er es kultiviert. Und das, was er nicht kultiviert, nimmt ihm der Imam weg und übergibt es jemandem, der es bebaut. Es ist für die Muslime bestimmt, und diejenigen, die es anvertraut bekommen, zahlen für ihre Parzellen den Zehnte [uschur] oder den halben Zehntel [uschur].

In dem “Sahih“ des Muawiya ibn Wahb steht, dass Imam Dschafar al-Sadiq (s.) gesagt hat:

Wer auch immer zu einem Stück Ödland mit Grundwasser kommt und das Wasser an die Oberfläche holt, Kanäle gräbt und das Land kultiviert, der muss dafür die Spende [sadaka] bzw. die Allmosenabgabe [zakat] bezahlen. Und wenn es vorher einem anderen Mann gehört hat, der es im Stich und somit veröden ließ, und dann wieder auftaucht und es zurückfordert, so gehört es trotzdem Allah und demjenigen, der es kultiviert.

Und in dem “Sahih“ des al-Kabuli findet sich folgendes Zitat des Kalifen Ali:

Wer von den Muslimen Ödland urbar macht, der soll es weiter kultivieren und dem jeweiligen Imam aus meiner Familie die entsprechende Steuer bezahlen, während ihm das gehört, was er selbst verbraucht. Und wenn er es verlässt oder verfallen lässt, dann bekommt es (nach ihm) ein anderer Muslim, um es von neuem urbar zu machen und zu bebauen. Letzterer hat ein größeres Anrecht darauf als derjenige, der es verlassen hat, und er soll die Steuer an den Imam zahlen.[1]

Im Lichte dieser Textquellen erkennen wir, dass das Recht des Einzelnen an dem Land, das ihn ermächtigt, andere an dessen Nutzung zu hindern, mit dem Verfall des Landes, d.h. wenn er es vernachlässigt und versäumt, es zu kultivieren, endet; also steht es ihm, nachdem er das Land derart vernachlässigt hat, nicht mehr zu, andere von der Verfügung darüber und seiner Nutzung abzuhalten, (solange er selbst es vernachlässigt). Hierbei besteht kein Unterschied zwischen demjenigen, der die Urbarmachung des Landes selbst ausgeführt hat, und demjenigen, der das Land aus anderen Gründen bekommen hat, denn niemand darf das Land ausschließlich für sich beanspruchen, nachdem er es verkommen und veröden ließ, wie immer es auch in seinen Besitz gekommen sein mag. Wenn das Land zu den Ländereien des Staates bzw. des Imam gehört, und die Person, die es bisher kultiviert hat, es vernachlässigt, bis es verödet, wird es nach dem Verfall wieder völlig frei und unterliegt den gleichen Bestimmungen, die auf sonstiges Ödland, das dem Staat gehört, angewandt werden. Es besteht von neuem die Möglichkeit seiner Urbarmachung, und dafür gelten die gleichen Bestimmungen wie für seine erstmalige Erschließung. In dem Buch “al-Masalik“ des “zweiten Märtyrers“[2] findet sich ein Zitat, dass dieses Konzept verdeutlicht; so schreibt er: „Dieses Land – d.h. das Land, welches eine Person urbar gemacht hat und dann wieder verfallen ließ – ist im Prinzip frei verfügbar, denn wenn sie es verlässt, erhält es wieder seinen ursprünglichen Status und wird jedermann zugänglich, da die Ursache der Aneignung dieses Landes dessen Urbarmachung und Kultivierung gewesen ist, und wenn die Ursache nicht mehr besteht, dann wird auch die Wirkung hinfällig.“ Er will damit sagen, dass das Anrecht auf das Land, welches der Einzelne sich erwirbt, ein Ergebnis der Kultivierung, bzw. deren Wirkung ist. Sein Anrecht besteht also solange, wie die Ursache andauert und das Land kultiviert bleibt; wenn aber die Merkmale des Lebens auf dem Land zurückgehen, dann verfällt sein Anrecht, weil die Ursache dafür nicht mehr gegeben ist.[3]

Der Muhaqqiq al-Thani führt in seinem Buch “Dschami´al-Maqasid“ an, dass die Auffassung, die Zugehörigkeit des Landes zu demjenigen, der es kultiviert hat, ende mit seiner Verwahrlosung, und dann sei es zulässig, dass ein anderer es übernähme und für sich beanspruche, unter den Prophetengefährten die verbreitetste und am häufigsten geäußerte Rechtsmeinung gewesen sei.[4] Und Malik ibn Anas schreibt: „Angenommen jemand kultiviert ein Stück Ödland und kümmert sich danach nicht mehr darum, bis die Brunnen verfallen und die Bäume eingehen, und es nach langer Zeit aus dem Zustand, den ich beschrieben habe, in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird, und dann kultiviert es ein anderer, so gehört es dem, der es zuletzt kultiviert hat, genau wie seinerzeit dem, der es zuerst kultivierte.“[5] Einige hanafitische Rechtsgelehrte sind der gleichen Auffassung, und begründen das damit, dass der erste Besitzer über das Nutzungsrecht des Landes, aber nicht über dessen Kontrolle verfügte, so dass, wenn er es verlässt, der zweite ein größeres Anrecht habe.[6] Auch wenn das von seinen Besitzern vernachlässigte Land zum Bereich des privaten Eigentums gehörte, wie solche Ländereien, deren Besitzer freiwillig den Islam annahmen ... dann schließt dessen Eigentumsstatus nicht aus, dass das Anrecht der Eigentümer daran verfallen kann, wenn sie es vernachlässigen und versäumen, ihre Pflichten dem Land gegenüber zu erfüllen, wie wir erfahren haben. Und es wird – nach der Auffassung von Ibn al-Barradsch und Ibn Hamza und anderen Rechtsgelehrten – wieder zum Eigentum aller Muslime und dem Bereich des kollektiven Eigentums angeschlossen.

Wir wissen also, dass die persönliche Inanspruchnahme von Land – ob als Anrecht oder als Eigentum – davon abhängig ist, dass der Betreffende seine gesellschaftliche Pflicht hinsichtlich des Landes erfüllt. Wenn er es aber vernachlässigt, und versäumt, es zu kultivieren, bis es verwahrlost, wird seine Verbindung zum Land aufgelöst und er hat nichts mehr damit zu tun. Es wird wieder zum frei verfügbaren Eigentum des Staates, wenn es auch ursprünglich Ödland war, und es wird zum gemeinschaftlichen Eigentum aller Muslime, wenn derjenige, der es vernachlässigt hat und dessen Anrecht darauf verfallen ist, legitimer Eigentümer gewesen ist, wie bei dem Land, dessen Besitzer freiwillig zum Islam übergetreten waren.

[1] Die zitierte Überlieferung aus den beiden “Sahih“-Werken des al-Kabuli und des Muawiya ibn Wahb lassen sich auch nicht mit der folgenden Überlieferung des al-Halabi vom Imam al-Sadiq anfechten: „Ich fragte ihn (Imam Sadiq (a.)): „Welche Steuer muss ein Mann bezahlen, der zu einem Stück Ödland kommt, das Grundwasser an die Oberfläche befördert, Kanäle anlegt und das Land kultiviert und bebaut?“ Er sagte: „Die Spende [sadaka].“ Ich fragte: „Und wenn der Besitzer des Landes bekannt ist?“ Er sagte: „Dann soll er dem geben, was ihm zusteht.“ Bei der Antwort des Imam (a.) in der Überlieferung des al-Halabi wird nämlich nur vorausgesetzt, dass das Land verfallen und nicht mehr kultiviert ist, womit nicht unbedingt gesagt ist, dass die Verödung auf Vernachlässigung durch den Landbesitzer und dessen Versäumnis, seine Pflicht dem Land gegenüber zu erfüllen, zurückzuführen ist. Und da der “Sahih“ des Muawiya ibn Wahb ausdrücklich davon spricht, dass der vormalige Landbesitzer das Land im Stich und veröden ließ, ist er jedenfalls spezieller als die Überlieferung des al-Halabi. Die spezielle Aussage lautet: Die Beziehung des Landbesitzers zu seinem Land endet, wenn das Land verödet, und er versäumt, es belebt zu erhalten. (Fußnote des Autors)

[2] Zainudddin al-Dschubai al-Amili gilt gemäß der Auflistung der Fünf Märtyrer als der "Zweite Märtyrer".

[3] Bei einem Vergleich dieser Rechtsaussage mit den gesetzgeberischen Textquellen, die wir in den Überlieferungen des Muawiya ibn Wahb und des al-Kabuli vorfanden, fällt auf, dass der Text des Märtyrers (Zainudddin al-Dschubai al-Amili) unmissverständlich das endgültige “Abschneiden der Verbindung“ zwischen der Person und dem Land fordert, wenn es verödet und nicht mehr kultiviert wird, da mit der Ursache auch die Wirkung aufhört. Dagegen erlauben die zuvor angeführten gesetzgeberischen Textquellen zwar die Kultivierung des Landes durch eine beliebige andere Person, wenn sein Besitzer es vernachlässigt und es verkommt, und gestehen letzterer das Land anstelle des vormaligen Besitzers zu; aber sie belegen nicht, dass aufgrund der Verödung die Verbindung des Besitzers zu seinem Land endgültig abreißt. Im Rahmen des gesetzgeberischen Gehaltes dieser Texte wäre es also möglich, auch nach dem Verfall des Landes noch ein Anrecht des bisherigen Besitzers darauf und seine Verbundenheit mit dem Land anzunehmen, etwa dergestalt, dass er das vorrangige Recht der Neukultivierung hätte, wenn ihm ein anderer dies streitig machen will, und dass dieses Recht solange weiterbestünde, wie ihm keine andere Person mit der Neukultivierung des Bodens zuvorgekommen ist. Wenn es aber tatsächlich jemand neukultiviert hat, während sich der bisherige Besitzer nicht darum kümmerte, dann soll die Verbindung des Landes mit dem alten Besitzer enden. Nach dem religionsrechtlichen Text des Märtyrers (al-Amili) endet also das Recht einer Person an ihrem Land vollständig, wenn es verödet. Und auf der Grundlage der anderen Texte könnten wir theoretisch annehmen, dass nach dem Verfall des Landes die Beziehung der betreffenden Person dazu und ihr Anrecht darauf in einem gewissen Maße erhalten bleibt, und dass nur das Recht der ausschließlichen Beanspruchung, d.h. das Recht, andere an der Nutzung und Ausbeutung des Landes zu hindern, verfällt. Der Unterschied zwischen den beiden Hypothesen hat praktische Auswirkungen, wenn jemand sein Land vernachlässigt und verkommen lässt, und dann stirbt, bevor ein anderer es neukultiviert: Wenn man von der Auffassung des Märtyrers (al-Amili) ausgeht, führt das zu der Forderung, das Land nicht den Erben zu übergeben, denn mit dessen Verfall wäre die Beziehung des bisherigen Besitzer dazu endgültig aufgelöst, und seine Einbeziehung in den vererbten Nachlass würde keinen Sinn ergeben. Auf der Grundlage der zweiten Hypothese könnte das Land in dem Sinne weitervererbt werden, dass die Erben ein Anrecht in dem gleichen Umfang, wie es dem Verstorbenen nach dem Verfall des Landes noch verblieben war, genießen würden. Die folgenden Kapitel dieses Buches tendieren dazu, sich die Auffassung des “zweiten Märtyrers“ (al-Amili) zu eigen zu machen. (Fußnote des Autors)

[4] Bei dem Verfall des persönlichen Anspruchs aufgrund der Verödung und Vernachlässigung des Landes macht es keinen Unterschied, ob derjenige, der sich nicht mehr um das Land kümmert, derselbe ist, der es seinerzeit urbar gemacht hat, oder eine andere Person, der das Land von dem Erstkultivierer übergeben worden ist, denn der Beleg für die Enteignung ist allgemeingültig, wie bereits dargelegt wurde. Zu dieser Ansicht neigen auch die beiden Rechtsgelehrten, welche die Bücher “al-Kifaya“ und “al-Mafatih“ verfasst haben (Anm. d. A.).

[5] “Al-Mudawwana al-Kubra“, Band 15, Seite 195

[6] “Al-Hidaya“ des al-Marginani, Band 8, Seite 137

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