Islamische Verteilungstheorie und deren Vergleich mit
entsprechender kapitalistischer Theorie
Der Islam lehnt die grundsätzliche
Sichtweise der kapitalistischen Ideologie ganz und gar ab und
unterscheidet sich prinzipiell von ihr, denn er stellt die
zahlreichen Faktoren der Produktion nicht auf eine Ebene, und
betrachtet sie nicht als einander gleichwertig, so dass die
Verteilung der produzierten Güter auf jene Faktoren in einem
Verhältnis erfolgen müsste, welches die Gesetze von Angebot
und Nachfrage bestimmen, wie es im Kapitalismus geschieht.
Vielmehr betrachtet die allgemeine islamische Theorie über die
Verteilung “dessen, was nach der Produktion existiert“, den
Reichtum, der aus den “rohen“ Ressourcen der Natur gewonnen
wird, als alleiniges Eigentum des produzierenden Menschen –
des Arbeitenden – während die materiellen Produktionsmittel,
deren sich der Mensch bei einer produktiven Tätigkeit bedient,
wie Land, Kapital und verschiedene Hilfsmittel und Geräte,
keinen Anteil an den produzierten Gütern selbst haben, sondern
nur Mittel sind, die dem Menschen bei der Unterwerfung und
Nutzbarmachung der Natur für seine produktiven Zwecke Dienste
erweisen. Wenn also jene Hilfsmittel einer anderen Person als
dem produzierenden Arbeiter gehören, dann muss letzterer dem
Eigentümer den Nutzen, den er aus diesen Hilfsmitteln gezogen
hat, vergüten. Die Bezahlung, welche dem Besitzer des Landes
oder dem Eigentümer des Gerätes, bzw. der Maschine, die
jeweils bei den Arbeiten der Produktion miteinbezogen sind,
ausgehändigt wird, gilt nicht als Anteil des Landes, des
Gerätes oder der Maschine selbst an dem produzierten Gut – in
deren Eigenschaft als Faktoren seiner Produktion – sondern
bedeutet eine Entschädigung der jeweiligen Eigentümer jener
Produktionsmittel für die Dienste, welche sie leisten, indem
sie dem produktiv tätigen Menschen gestatten, ihre Hilfsmittel
zu benutzen. Wenn es aber keinen bestimmten Eigentümer dieser
Produktionsmittel außer dem produzierenden Menschen selbst
gibt, wird die Entschädigung gegenstandslos, denn dann sind
die Mittel von der Natur und nicht von einem anderen Menschen
zur Verfügung gestellt.
Der produzierende Mensch ist nach der
islamischen Theorie über die Verteilung produzierter Güter der
prinzipielle Eigentümer der aus den rohen Ressourcen der Natur
geschaffenen Werte, und die materiellen Elemente der
Produktion haben keinen Anteil an diesen Werten, sondern der
produzierende Mensch gilt lediglich als den Besitzern der
Hilfsmittel, welche er benutzt, gegenüber verpflichtet, und
ist gehalten, seiner Verpflichtung nachzukommen und ihnen die
Dienste zu vergüten, welche deren Hilfsmittel ihm geleistet
haben. Der Anteil der materiellen Hilfsmittel, die am
Produktionsprozess beteiligt sind, hat also den Charakter der
Vergütung einer Dienstleistung und manifestiert sich in einer
Verbindlichkeit zu Lasten des produzierenden Menschen, aber
bedeutet nicht, dass die materiellen Produktionsmittel mit der
menschlichen Arbeit gleichgesetzt, oder dass beide auf
einheitlicher Grundlage an den produzierten Gütern beteiligt
würden.
Im Verlauf unserer weiteren Untersuchung
der allgemeinen Theorie über die Verteilung der produzierten
Güter werden wir die theoretische Rechtfertigung jener
Vergütung erfahren, welche die Besitzer der materiellen
Produktionsmittel von dem produzierenden Menschen dafür
erhalten, dass er die ihnen gehörenden Hilfsmittel bei der
produktiven Tätigkeit verwendet. Der Unterschied zwischen der
islamischen Theorie über die Verteilung der produzierten Güter
und der entsprechenden kapitalistischen Theorie ist also groß.
Dieser Gegensatz geht auf die unterschiedliche Definition der
Stellung des Menschen und seiner Rolle beim Produktionsprozess
in den beiden Theorien zurück. So ist nach der
kapitalistischen Sichtweise die Rolle des Menschen die eines
Mittels, welches der Produktion dient, und nicht die eines
Zieles, dem die Produktion dient. Er wird auf eine Stufe mit
den sonstigen Potentialen, die an der Produktion beteiligt
sind, wie die natürlichen Ressourcen und das Kapital,
gestellt, daher erhält der produzierende Mensch seinen Anteil
an den produzierten Gütern in seiner Eigenschaft als
Beteiligter an der Produktion und deren Diener, und die
Verteilung an den arbeitenden Menschen wie auch an die
materiellen Hilfsmittel, die mit ihm zusammen am
Produktionsvorgang beteiligt sind, erfolgt auf einheitlicher
theoretischer Grundlage. Dagegen ist der Stellenwert des
Menschen in der islamischen Theorie der des Zieles und nicht
des Mittels. Er befindet sich nicht auf einer Ebene mit den
materiellen Produktionsmitteln, so dass der produzierte
Reichtum nach einheitlichem Schema unter dem Menschen und
sämtlichen jener Hilfsmittel aufgeteilt würde, sondern die
materiellen Mittel gelten als Diener des Menschen bei der
Durchführung der produktiven Tätigkeit, denn der
Produktionsvorgang selbst geschieht nur für den Menschen.
Daher werden der Anteil des produzierenden Menschen und der
Anteil der materiellen Produktionsmittel unterschiedlich
theoretisch begründet.
Wenn die materiellen Produktionsmittel
einem anderen als dem Arbeitenden gehören, und der Besitzer
sie für die Produktion zur Verfügung stellt, dann ist der
produzierende Mensch ihm gegenüber verpflichtet, seinen Dienst
zu vergüten; die Vergütung ist hier also eine Verbindlichkeit
zu Lasten des produzierenden Arbeiters, die er als
Gegenleistung für einen Dienst entrichtet, und hat nicht die
theoretische Bedeutung einer Beteiligung der materiellen
Produktionsmittel an den produzierten Gütern. Somit macht es
die Stellung der materiellen Produktionsmittel –nach der
islamischen Sichtweise – erforderlich, dass sie ihre Vergütung
seitens des produktiv tätigen Menschen, in ihrer Eigenschaft
als Mittel, die ihm dienen, erhalten, und nicht als Anteil von
den produzierten Gütern, in ihrer Eigenschaft als an deren
Produktion beteiligte Faktoren. Ebenso macht es die Stellung
des Menschen beim Produktionsprozess, in seiner Eigenschaft
als dessen Ziel, erforderlich, dass er allein Rechte an dem
Reichtum der Natur besitzt, den Allah der Erhabene in seinen
Dienst gestellt hat.
Zu den wichtigsten Phänomenen, der sich
aus diesem grundsätzlichen Widerspruch der beiden Theorien –
der islamischen und der kapitalistischen – ergeben, gehören
die unterschiedlichen Standpunkte der beiden Ideologien zur
kapitalistischen Produktionsweise im Bereich der Ausbeutung
roher natürlicher Reichtümer. Denn der ideologische
Kapitalismus erlaubt es dem Kapital, bei dieser Art von
Produktion tätig zu werden, so dass das Kapital die
Möglichkeit hat, Lohnarbeiter in den Dienst zu stellen, die
z.B. von den Bäumen des Waldes Holz schlagen oder Erdöl aus
seinen Quellen zutage fördern, und ihnen ihre Löhne
auszuzahlen, welche aus der Sicht der kapitalistischen
Verteilungstheorie den ganzen rechtmäßigen Anteil des
Arbeiters ausmachen, womit das Kapital zum Eigentümer des
gesamten von den Lohnarbeitern gewonnenen Holzes bzw.
natürlichen Rohstoffes wird, und das Recht hat, diese Güter zu
einem beliebigen Preis zu verkaufen. Dagegen gibt es in der
islamischen Verteilungstheorie keinen Raum für diese Art der
Produktion,
denn nach ihren Prinzipien erwirbt das Kapital keinerlei
Anspruch, indem es Lohnarbeiter, z.B. für das Schlagen von
Holz oder das Fördern von Bodenschätzen, in den Dienst stellt
und ihnen die nötigen Arbeitsgeräte zur Verfügung stellt, da
die islamische Theorie die eigenhändige Ausführung der
entsprechenden Arbeit zur Vorbedingung für die Aneignung
natürlichen Reichtums macht, und allein dem Arbeitenden das
Eigentumsrecht an dem Holz, das er fällt, und an dem
Bodenschatz, den er zutage fördert, gewährt. Damit wird die
Aneignung roher natürlicher Reichtümer auf dem Wege der
Beschäftigung von Lohnarbeitern unterbunden, und die Macht des
Kapitals über jene Güter, welche diesem im Einflussbereich der
kapitalistischen Ideologie durch seine bloße Fähigkeit, den
Arbeiter zu entlohnen und ihm die nötigen Geräte zur Verfügung
zu stellen, zukommt, besteht nicht, sondern an deren Stelle
tritt die Macht des Menschen über die natürlichen Reichtümer.
Diese Ablehnung der kapitalistischen Produktionsweise im
Bereich der Nutzbarmachung roher natürlicher Reichtümer ist
kein oberflächliches oder vorübergehendes Phänomen, und kein
nebensächlicher Unterschied zwischen der islamischen
Verteilungstheorie und der kapitalistischen Ideologie, sondern
zeigt in deutlicher Form und theoretisch begründet – wie wir
zur Kenntnis genommen haben – den diametralen Gegensatz
zwischen beiden, sowie die Originalität des theoretischen
Gehaltes der islamischen Wirtschaftsideologie.