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Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Kapitalistische Rechtfertigungen für Zinsen und deren Kritik

Wir haben soeben erfahren, dass das Risiko, dem gegenüber der Islam eine negative Haltung einnimmt, eine der Rechtfertigungen darstellt, auf die sich der Kapitalismus bei der Erklärung von Zinsen und dem Recht des Kapitalgebers, diese von dem Schuldner zu verlangen, beruft. Wir erfuhren weiterhin, dass es nach der Sichtweise des Islam ein grundsätzlicher Fehler ist, die Zinsen mit dem Element des Risikos zu rechtfertigen, denn der Islam hält das Risiko nicht für eine legitime Grundlage von Einkünften, sondern macht Einkünfte von direkter oder gespeicherter Arbeit abhängig. Außerdem scheint der Kapitalismus bei seiner Rechtfertigung der Zinsen die Rolle der Verpfändung als Garantie für das Kapital des Gläubigers zu vergessen, womit das Element des Risikos bei der Kreditvergabe hinfällig wird. Denn wie steht er zu Krediten, die durch ausreichende Hypotheken und Sicherheiten gedeckt sind? Aber die kapitalistischen Denker begnügen sich nicht damit, die Zinsen mit dem Element des Risikos in Zusammenhang zu bringen und sie in diesem Sinne zu erklären, sondern bringen eine Anzahl weiterer Interpretationen vor, um sie ideologisch zu rechtfertigen. So behaupten einige kapitalistische Denker, dass der Schuldner dem Kapitalgeber Zinsen als Entschädigung dafür zahlt, dass letzterem die Nutzung des verliehenen Kapitals vorenthalten wird, und als Belohnung dafür, dass er während der ganzen vereinbarten Zeitspanne auf dessen Rückerstattung wartet, oder als Gebühr, die der Kapitalgeber dafür verlangt, dass der Schuldner das von ihm geliehene Kapital benutzt, vergleichbar der Miete, die ein Hauseigentümer von einem Mieter dafür erhält, dass letzterer es bewohnt und nutzt.

Wir erkennen im Lichte der islamischen Theorie – so wie wir sie definiert haben – den Widerspruch zwischen diesem Rechtfertigungsversuch und dem islamischen Konzept der Güterverteilung. Denn wir erfuhren, dass der Islam als Gebühr oder Vergütung bezeichnete Einkünfte nur auf der Grundlage von Aufwendung direkter oder gespeicherter Arbeit anerkennt. Und es gibt keine direkte oder gespeicherte Arbeit des Kapitalgebers, die er aufwendet und die der Schuldner verbraucht, so dass er dafür eine Gebühr zahlen müsste, da das verliehene Kapital zu dem Kapitalgeber zurückkehren wird, ohne dass es sich verringert hat oder etwas davon verbraucht wurde. Es gibt also nach islamischen Maßstäben keine Rechtfertigung, das Nehmen von Zinsen anzuerkennen, denn Einkünfte ohne aufgewendete Arbeit widersprechen den Vorstellungen des Islam von Gerechtigkeit. Manche rechtfertigen die Zinsen als Ausdruck des Anrechts des Kapitalgebers auf einen Anteil an den Gewinnen, die der Schuldner unter Verwendung des ihm zur Verfügung gestellten Kapitals erzielt. Diese Auffassung hat keine Relevanz für solche Kredite, die der Schuldner für seine persönlichen Bedürfnisse verwendet, sondern belegt nur, dass es zulässig ist, wenn der Kapitalgeber etwas von den Gewinnen erhält, falls er sein Kapital jemanden übergibt, der damit Geschäfte macht und es gewinnbringend nutzt. In diesem Fall bestätigt der Islam ein solches Anrecht des Kapitalgebers, aber damit ist eine Aufteilung der Gewinne zwischen dem Kapitalgeber und demjenigen, der die Geschäfte ausführt, und die Verknüpfung vom Recht des Kapitalgebers mit den Ergebnissen der geschäftlichen Aktivität gemeint. Eine solche Bedeutung hat im Islam die Kapitalbeteiligung [mudaraba], bei welcher der Kapitalgeber etwaige Verluste allein trägt, während er an den Gewinnen des Agenten beteiligt wird, indem er einen Prozentanteil, auf den sich beide im Vertrag einigen, erhält. Dieses Verfahren unterscheidet sich grundsätzlich von der Zinsnahme in ihrem kapitalistischen Bedeutungsgehalt, die dem Kapitalgeber eine feststehende Gebühr unabhängig von der geschäftlichen Tätigkeit dessen, der Kapital zur Verfügung gestellt bekommt, garantiert.

Und schließlich bringt der Kapitalismus aus der Feder einiger seiner bedeutenden Verfechter seine stärksten Argumente für die Zinsen vor, indem er sie als Ausdruck des Unterschieds zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Wert der Waren interpretiert, wobei er glaubt, dass die Zeit eine positive Rolle bei dem Zustandekommen des Wertes spielt. So soll der Tauschwert eines Dinars heute größer sein, als der Tauschwert eines Dinars in der Zukunft, und wenn man einem anderen einen Dinar für ein Jahr verleiht, habe man nach Ablauf des Jahres das Recht, mehr als einen Dinar zu erhalten, um so das Äquivalent vom Tauschwert des verliehenen Dinars erstattet zu bekommen. Auch sollen sich die dem Kapitalgeber zustehenden Zinsen mit jedem Fälligkeitstermin vermehren, entsprechend des Unterschieds zwischen dem ehemaligen und dem derzeitigen Wert des Dinars, der mit dem zeitlichen Abstand zwischen Verleihung und Rückerstattung zunimmt.

Der Gedanke bei diesem kapitalistischen Argument geht von einem falschen Ansatz aus, nämlich der Verknüpfung der Verteilung produzierter Güter mit der Wert-Theorie. Hingegen ist die Theorie der Verteilung produzierter Güter im Islam von der Wert-Theorie losgelöst, und daher sahen wir, dass nach der islamischen Verteilungstheorie vielen der Elemente, die an der Schaffung des Wertes einer produzierten Ware beteiligt sind, kein Anteil an dieser Ware zusteht, sondern dass als Gegenleistung für deren Dienste beim Produktionsvorgang eine Gebühr vom Besitzer der Ware verlangt werden kann. Die Verteilung produzierter Güter beruht also im Islam nicht auf dem Tauschwert, dergestalt, dass jedem Element der Produktion ein Anteil an dem Produkt zustünde, der seiner Rolle bei der Schaffung von dessen Tauschwert entspricht, sondern die Verteilung der produzierten Güter richtet sich im Islam nach dessen speziellen ideologischen Konzepten und Vorstellungen von Gerechtigkeit. Nach islamischer Auffassung braucht dem Kapitalgeber auch dann kein Zins auf den Kredit bezahlt werden, wenn es zutrifft, dass der gegenwärtige Wert der Ware höher als der zukünftige Wert der Ware ist. Denn dies ist in der ideologischer Hinsicht keine ausreichende Rechtfertigung für die Zinsnahme, welche sich auf den Unterschied zwischen den beiden Werten beruft, da die Zinsen nicht mit den Vorstellungen von Gerechtigkeit zu vereinbaren sind, welche sich die Ideologie zu eigen macht.

Wir haben an früherer Stelle erfahren, dass der Islam in ideologischer Hinsicht keinem Einkommen zustimmt, das nicht durch die Aufwendung von direkter oder gespeicherter Arbeit gerechtfertigt wird. Dazu gehören die Zinsen, denn diese ergeben sich gemäß der letztgenannten kapitalistischen Interpretation allein aus dem Faktor Zeit, ohne aufgewendete Arbeit, und die Ideologie hat das Recht, dem Kapitaleigner die Ausnutzung der Zeit für Einkünfte durch Zinsen zu verbieten, selbst wenn sie die positive Rolle des Faktors Zeit bei der Schaffung des Wertes von Sachen eingesteht. So erkennen wir, dass es ein Fehler ist, die Gerechtigkeit bei der Güterverteilung von der Wert-Theorie abhängig zu machen, und dieser Fehler besteht in einer mangelnden Differenzierung zwischen einer ideologischen und einer wissenschaftlichen Aussage.

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