Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Natürliche Wasservorkommen

Es gibt zwei Kategorien natürlicher Wasservorkommen: Einmal die offenen Vorkommen, die Allah für den Menschen auf der Oberfläche der Erde bereitgestellt hat, wie die Meere, Flüsse und natürliche Quellen; und anderseits die in den Tiefen der Erde gespeicherten Vorkommen, die sich der Mensch nur durch Mühe und Arbeit zugänglich machen kann, wie das Wasser der Brunnen, die der Mensch gräbt, um zu den Wasseradern in der Tiefe vorzustoßen. Die erstere Kategorie von Wasservorkommen gehört zu den Gütern, an denen alle Menschen Anteil haben, und gemeinschaftliche Güter sind solche natürlichen Reichtümer, deren ausschließliche Aneignung der Islam keiner Privatperson gestattet. Er erlaubt lediglich jedem Einzelnen davon zu profitieren, bei gleichzeitiger Bewahrung des prinzipiell kollektiven Rechtsstatus des Gutes. Das Meer oder natürliche Wasserläufe können also nicht zum privaten Eigentum Einzelner werden, sondern stehen jedermann zur Nutzung frei, mithin können wir feststellen, dass die offenen natürlichen Wasservorkommen dem Prinzip des “Eigentums der Gemeinschaft“ unterliegen.[1] Wenn eine Person eine beliebige Menge in einem Gefäß, gleich welcher Art, auffängt dann gehört ihr die aufgefangene Menge. Ob sie es mit einem Gefäß aus dem Fluss schöpft, oder mit einem Gerät diesem entzieht, oder in legitimer Art und Weise eine Grube aushebt und diese mit dem Fluss verbindet, das Wasser, welches das Gefäß aufnimmt, oder welches das Gerät dem Fluss entzieht, oder welches sich in der Grube ansammelt, wird durch die Inbesitznahme zum Eigentum der betreffenden Person. Ohne das Auffangen und die dazu erforderliche Arbeit gehört ihr dagegen nichts von dem Wasser, was Scheich Tusi in dem Buch “al-Mabsut“ bestätigt, in dem er schreibt: „Das Wasser des Meeres und der großen Flüsse, wie etwa des Tigris und des Euphrat, oder das der Quellen, die auf dem Ödland des Gebirges und der Ebene entspringen, steht alles jedermann frei, und jeder Einzelne kann davon, soviel er will und wie er will, verwenden, worüber es keine Meinungsverschiedenheiten der Rechtsgelehrten gibt, denn man beruft sich auf den von Ibn Abbas überlieferten Ausspruch von Allahs Gesandtem (s.): 'Den Menschen gehören drei Dinge gemeinsam: Wasser, Feuer und Weideland.': Und auch wenn dieses Wasser reichlich vorhanden ist, so dass es auf die Besitztümer einzelner Menschen überfließt und sich dort ansammelt, wird es nicht zu deren Eigentum.

Die Grundlage der Aneignung von soviel Wasser, wie eine Person sich aus diesen Quellen verschaffen kann, ist also die Arbeit; wenn aber etwas von diesem Wasser in die Gewalt einer Person gelangt, indem es ohne deren Zutun von einem Fluss auf ihr Gebiet überfließt, so rechtfertigt das nicht, dass sie es aneignet, vielmehr bleibt das Wasser solange jedermann zugänglich, wie zu einer Inbesitznahme keine Arbeit aufgewendet worden ist. Auch die natürlichen Wasservorkommen der zweiten Kategorie, nämlich solche, die im Inneren der Erde gespeichert und verborgen sind, kann niemand für sich beanspruchen, der nicht Arbeit verrichtet, um sie zu erhalten, bzw. um sie durch Ausgrabung von Brunnen zu erhalten. Dann entsteht für ihn ein Anrecht auf die entdeckte Quelle, das ihm erlaubt, sie zu nutzen und andere davon abzuhalten, ihn dabei zu stören. Denn er ist es, der durch seine Arbeit die Gelegenheit zur Nutzung dieser Quelle geschaffen hat, also hat er das Recht, von dieser Gelegenheit zu profitieren, und ein anderer, der an seiner Arbeit zur Schaffung dieser Gelegenheit keinen Anteil hatte, darf ihm deren Nutzung nicht streitig machen. Daher wird er vorrangig befugt, die Quelle zu nutzen, und alles Wasser, was er daraus hervorholt, gehört ihm, denn dies ist eine Art von aktiver Inbesitznahme. Aber ihm gehört nicht die Quelle selbst in den Tiefen der Erde, bevor er deren Wasser nicht durch seine Arbeit in seinen Besitz gebracht hat, deshalb ist er verpflichtet, das überzählige Wasser anderen zur Verfügung zu stellen, wenn er seinen Bedarf gedeckt hat, und er darf von ihnen keinerlei materielle Vergütung dafür verlangen, wenn sie es trinken oder ihre Tiere damit tränken; denn das Wasser gehört auch dann zu den gemeinschaftlichen Gütern, während derjenige, der es durch seine Arbeit entdeckt hat, nur das vorrangige Nutzungsrecht erhält. Wenn er also seinen Bedarf gedeckt hat, haben auch andere ein Recht auf dessen Nutzung. So heißt es in einer Überlieferung, den Abu Baschir unter Berufung auf Imam al-Sadiq (a.) überliefert hat, dass Allahs Gesandter (s.) die Praktiken des “Nitaf“ und des “Arba´a“ verboten und gesagt habe: „Verkaufe das Wasser nicht, sondern stelle es deinem Nachbarn oder deinem Bruder unentgeltlich zur Verfügung.“ Unter “Arba´a“ versteht man, dass man ein Speicherbecken anlegt, welches das Wasser aufnimmt, so dass man sein Land bewässert, und danach auf den Überschuss verzichtet. Und “Nitaf“ bedeutet, dass der, der eine Quelle erschlossen hat, davon trinkt, und dann auf den Überschuss verzichtet. In einer anderen Überlieferung, die ebenfalls auf Imam al-Sadiq (a.) zurückgeht, heißt es:

Nitaf“ bedeutet, von dem Wasser zu trinken; und wenn man nicht mehr davon braucht, dann hat man nicht das Recht, es seinem Nachbarn, dem man es überlässt, zu verkaufen. Und was das gespeicherte “Arba´a“-Wasser betrifft, welches sein Besitzer entbehren kann, so sagte der Prophet: 'Er soll es seinem Nachbarn kostenlos überlassen und es ihm nicht verkaufen'.

Auch Scheich Tusi bestätigt in seinem “Mabsut“ was wir angeführt haben, und erläutert, dass die Beziehung der Person zu der Wasserquelle, die sie entdeckt hat, die eines Anrechtes und nicht des Eigentums ist, obwohl ihr nach seiner Meinung der Brunnen, d.h. die Ausgrabung, die sie vorgenommen hat, um damit das Wasser zu erreichen, gehört. So schreibt er: „Immer wenn wir sagen, dass jemandem ein Brunnen gehört, so bedeutet das, er hat das Vorrecht auf soviel von dessen Wasser, wie er zum Trinken, zum Tränken seines Viehs und für die Bewässerung seiner Felder benötigt, und wenn danach etwas übrig bleibt, ist er verpflichtet, es jedem, der es für sich selbst zum Trinken und zum Tränken seines Viehs braucht, unentgeltlich zur Verfügung stellen ... Aber von all dem Wasser, das er in Besitz genommen und in seinen Gefäßen und Töpfen, in seinem Teich oder Brunnen – d.h. einer Grube, die nicht der Förderung des Rohstoffes Wasser dient – oder in seinem Speicherbecken oder dergleichen gesammelt hat, braucht er nichts abzugeben, auch wenn es seinen eigenen Bedarf übersteigt. Darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit der Rechtsgelehrten, denn solches Wasser gilt nicht mehr als Rohstoff.“ Der Rohstoff Wasser in seiner Eigenschaft als natürliche Produktionsquelle kann also von einem Einzelnen nicht anderen vorenthalten werden, solange sich die Nutzung der anderen in Grenzen hält, die sein eigenes Recht nicht beeinträchtigen, denn auch nach der letztgenannten Auffassung wird er nicht zum Eigentümer des gesamten entdeckten Rohstoffes, sondern hat nur ein vorrangiges Anrecht darauf, weil er die Gelegenheit zur Nutzung dieses Rohstoffes geschaffen hat. Er muss also den anderen die Nutzung des Rohstoffes Wasser in dem Maße gestatten, wie sein eigenes Recht nicht verletzt wird.

[1] Es gibt eine bekannte Rechtsmeinung in der Rechtswissenschaft [fiqh], die von diesen Quellen solche ausnimmt, die auf Land entspringen, das einer Privatperson zugehörig ist. (Fußnote des Autors)

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