Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Negativer Aspekt des Prinzips

Die negative Aussage, die jeden Gewinn für nichtig erklärt, der nicht durch eine im Verlaufe des gewinnbringenden Vorgangs aufgewendete Arbeit gerechtfertigt wird, wird aus verschiedenen der zitierten Texte und Bestimmungen deutlich. So heißt es in dem gesetzgeberischen Text h) des Abschnitts 12), dass ein Hirte, der für fünfzig Dirhams Weiderechte erwirbt, diese nicht für mehr als fünfzig Dirhams weiterveräußern darf, es sei denn, er hätte an dem Weideland eine Arbeit vorgenommen, etwa einen Brunnen gegraben oder einen Kanal angelegt, und sich mit dem Einverständnis seiner Besitzer um dessen Verbesserung bemüht; dann wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn er es für einen höheren Betrag weiterveräußert, denn er hätte daran gearbeitet, womit er dazu berechtigt würde. Dieser Text bestätigt mit Deutlichkeit die negative Aussage des Prinzips, denn er verbietet dem Hirten, einen Profit zu machen, indem er das Weideland zu einem Preis weiterverpachtet, der die von ihm selbst an dessen Besitzer bezahlte Pacht übersteigt, ohne dass er an das Weideland Arbeit gewendet hätte, und er erlaubt ihm dieses Einkommen bzw. diese Gebühr nicht, solange nicht von ihm geleistete Mühe, wie das Graben eines Brunnens, das Anlegen eines Kanals oder dergleichen Arbeiten, es rechtfertigen. Und am Schluss bekräftigt der Text, dass der Betreffende, wenn er an dem Weideland eine Arbeit verrichtet, aus der von ihm geleisteten Arbeit die Rechtfertigung für seinen Profit, bzw. für den Differenzbetrag, den er erhält, herleitet, mit den Worten: „...denn er hätte daran gearbeitet, womit er dazu berechtigt wird.“ Mit dieser Argumentation, und indem er den Gewinn von der Arbeit abhängig macht, will der Text die negative Aussage des Prinzips bestätigen; denn durch die Arbeit wird es für den Hirten zulässig, neue Einkünfte aus seinem Weiderecht zu erhalten, während ihm das ohne eigene Arbeit nicht erlaubt ist. Es wird deutlich, dass diese Argumentation dem Text die Bedeutung einer Regel verleiht, dass es sich also nicht nur um eine den Hirten und das Weideland betreffende Bestimmung handelt, sondern dass seine Aussagekraft darüber hinaus geht, und ein allgemeines Prinzip hinsichtlich der Legitimität von Gewinn beschreibt.[1]

Diesem Text zufolge sind ohne direkte Arbeit, wie die Arbeit eines Lohnarbeiters, oder die Beisteuerung indirekter, gespeicherter Arbeit, wie im Falle der Vermietung von Produktionsgeräten, Immobilien und dergleichen, keine Einkünfte zulässig. Eben diese Tatsache geht auch aus dem Text b) des Abschnitt 12) hervor, wo einer Person, die Land für 1000 Dirhams gepachtet hat, verboten wird, es für 2000 Dirhams weiterzuverpachten, ohne daran eine Arbeit aufgewendet zu haben, und dem Verbot der Grundsatz hinzugefügt wird, der es erklärt, bzw. das allgemeine Argument, auf welches sich das Verbot stützt, indem gesagt wird: „Weil dies garantierter Gewinn ist...“ Kraft dieser Begründung und Erklärung, welche die betreffende Bestimmung über den Rahmen einer Rechtsentscheidung in einer bestimmten Situation hinaus in den Rang einer allgemeinen Regel erhebt, darf sich niemand ein garantiertes Einkommen ohne Arbeit verschaffen, da die Arbeit in der Theorie die grundsätzliche Rechtfertigung für Einkünfte darstellt. Die negative Aussage des Prinzips wird also von einigen Texten direkt bestätigt, wie auch eine Anzahl weiterer im Überbau angeführter Bestimmungen damit im Zusammenhang stehen. Zu diesen Bestimmungen gehört das die Pächter von Land, bzw. die Mieter eines Hauses oder irgendeines Produktionsgerätes, betreffende Verbot, das Objekt gegen eine höhere als die selbst bezahlte Gebühr weiterzuvermieten, ohne zuvor eine Arbeit daran gewendet zu haben. Denn damit würde er den Differenzbetrag erwerben, ohne eine direkte oder indirekte Arbeit aufgewendet zu haben. Wenn also eine Person ein Haus für zehn Dinare mietet und für zwanzig weitervermietet, erhielte sie damit ohne aufgewendete Arbeit einen Reingewinn von zehn Dinaren, daher ist es natürlich, dass dieser Gewinn aufgrund des von uns herausgefundenen Prinzips nicht zugelassen wird.

Zu den Bestimmungen, die ebenfalls mit diesem Prinzip im Zusammenhang stehen, gehört das Verbot für einen Lohnarbeiter, eine andere Person für die Aufgabe zu engagieren, mit welcher er selbst beauftragt wurde, und ihr dafür einen geringeren Lohn zu zahlen, als er selbst erhält, das im Abschnitt 12) angeführt wurde. Wer z.B. für zehn Dirhams mit dem Nähen eines Gewandes beauftragt wurde, darf für diese Aufgabe keine andere Person für ein Entgelt von acht Dirhams engagieren, denn das würde dazu führen, dass er den Differenzbetrag für sich behielte und ohne Arbeit zwei Dirhams bekäme. Daher verbietet es das islamische Recht [scharia] in Anwendung der negativen Aussage des Prinzips, die jede Art von Einkommen verweigert, das nicht auf Arbeit beruht. Der Schneider, der von dem Besitzer des Gewandes für zehn Dirhams engagiert wurde, darf nur unter einer Voraussetzung einen anderen für acht Dirhams mit der Aufgabe betrauen und zwei Dirhams für sich behalten, nämlich wenn er bereits selbst einen Teil der Arbeit ausgeführt und eine Arbeitsstufe der Schneiderei, mit der er beauftragt wurde, erledigt hat, so dass er als Ergebnis von Arbeit, die von ihm für das Gewand aufgewendet wurde, zwei Dirhams erhält.

Eine dritte Bestimmung aus dem Überbau, die auch im Zusammenhang mit dem Prinzip und seiner negativen Aussage steht, finden wir in dem im Abschnitt 6) angeführten Verbot für den Kapitalgeber, seinen Agenten bei einem Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] haftbar zu machen. Das bedeutet, wenn ein Händler sein Handelskapital – Geld oder Ware – einem Agenten für Handelsgeschäfte anvertrauen will, wobei sich beide die Gewinne teilen sollen, dann hat er nicht das Recht, den Agenten für etwaige Verluste aufkommen zu lassen. Genauer gesagt bedeutet es, dass der Kapitalgeber auf zweierlei Art mit seinem Agenten verfahren kann:

Erstens: Er kann das Eigentum an dem Handelskapital dem Agenten für ein bestimmtes Entgelt, das der Agent nach Abschluss seiner Handelsgeschäfte zahlen muss, übertragen. In diesem Fall wird der Agent für das vereinbarte Entgelt haftbar und für dessen Zahlung verantwortlich –wenn die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen des Vertrages erfüllt sind – gleichgültig, ob seine Handelstätigkeit zu Gewinn oder Verlust führt. Aber der Kapitalgeber wird in diesem Fall nicht an den Gewinnen des Agenten beteiligt, und hat nur ein Recht auf das vereinbarte Entgelt, denn das Handelskapital wird zum Eigentum des Agenten, so dass der ganze Gewinn ihm zufällt, weil ihm der “Grundstoff“ gehört. Daher heißt es in der im Abschnitt 6) angeführten Überlieferung: „Wer einen Händler (d.h. einen Agenten, der mit dem eigenen Kapital Geschäfte macht) für Verluste haftbar macht, dem steht nur sein Kapital zu.“ Die andere Methode besteht darin, dass der Kapitalgeber sich selbst das Eigentum an dem Handelskapital vorbehält, und den Agenten auf der Basis von Gewinnaufteilung in den Dienst stellt, um damit Geschäfte zu tätigen. In diesem Fall entsteht dem Kapitalgeber ein Anrecht auf einen Anteil vom Gewinn, weil ihm das dem Vorgang zugrunde liegende Gut gehört, aber er darf den Agenten in dem Vertrag nicht dazu verpflichten, für Verluste aufzukommen. Wir weisen speziell auf den Zusammenhang dieser Bestimmungen mit dem Prinzip, welches wir gerade aus dem Überbau herausarbeiten, hin, weil der Verlust beim Handel nicht bedeutet, dass der Agent während seiner Handelsaktivitäten indirekte Arbeit des Kapitalgebers, welche in seinem Kapital gespeichert ist, aufbrauchen würde, wie das im Hinblick auf den Besitzer eines Hauses oder Produktionsgerätes zuträfe, der dir erlauben kann, sein Haus oder sein Gerät zu benutzen, und dich für das haftbar machen kann, was du während der Nutzung verbrauchst. Denn wenn du das Haus oder das Gerät einer anderen Person eine Zeit lang benutzt, wirst du etwas davon verbrauchen, also einen Teil der darin gespeicherten Arbeit aufbrauchen, daher hat der Besitzer des Hauses oder Gerätes das Recht, eine Vergütung dessen, was du aufgebraucht hast, zu fordern, und diese Vergütung, die der Eigentümer von dir bekommt, begründet sich auf “aufgewendeter Arbeit“. Wenn du aber von einem Kapitalgeber unter der Voraussetzung, dass er an deinem Gewinn beteiligt wird, 100 Dinare erhältst, um damit Geschäfte zu tätigen, und dafür 100 Schreibfedern kaufst, und dann wegen des Preis- oder Wertverfalls der Federn oder aus sonst irgendeinem Grund gezwungen bist, sie für 90 Dinare zu verkaufen, so bist du nicht für diesen Verlust verantwortlich und nicht gehalten, für den Betrag, der von dem Kapital abhanden gekommen ist, aufzukommen. Denn diese Verringerung entstand nicht, weil du während deiner Handelstätigkeit etwas von dem Gut, bzw. von der darin gespeicherten Arbeit, verbraucht hast, sondern ergab sich aus dem Sinken des Tauschwertes der Federn, bzw. aus dem Verfall von deren Preis auf dem Markt. Es handelt sich hier also nicht um die gespeicherte Arbeit einer Person, die du während deiner Nutzung des zu Verfügung gestellten Gutes aufgebraucht und “aufgewendet“ hast, so dass du sie vergüten müsstest, sondern die in dem Handelskapital gespeicherte Arbeit blieb unverändert erhalten und kam weder abhanden, noch wurde sie aufgebraucht, nur dass sich ihr Wert bzw. Preis verringerte. Du schuldest dem Kapitaleigner also keine Entschädigung, denn wenn er in diesem Sinne etwas von dir bekäme, wäre das ein Einkommen ohne “aufgewendete Arbeit“, d.h. er würde von dir Einkünfte beziehen, ohne dass du während der Nutzung seines Kapitals etwas von seiner “Arbeit“ verbraucht hättest, und dies widerspräche dem besagten Prinzip in seiner negativen Bedeutung.

[1] Hierbei verhält es sich wie mit dem Ausspruch: „Richte dich nur dann nach dem Rechtsurteil [fatwa] von Zaid (der Name Zaid steht hier für eine beliebige Person), wenn er ein Rechtsgelehrter [mudschtahid] ist. Wenn er ein Rechtsgelehrter [mudschtahid] ist, dann darfst du dich aus diesem Grunde seiner Rechtsauffassung orientieren, d.h. aufgrund seiner Befähigung zur selbständige Rechtsfindung [idschtihad] darfst du dich nach ihm richten.“ Nach allgemeinem Verständnis soll damit gesagt sein, dass die Zulässigkeit der Orientierung an der Rechtsmeinung einer Person immer an deren Befähigung zur selbständigen Rechtsfindung [idschtihad] gebunden ist. Ebenso wenig wie man der Meinung von Zaid folgen darf, wenn er kein Rechtsgelehrter [mudschtahid] ist, darf man sich in so einem Fall nach der Meinung eines anderen richten. Mit anderen Worten: Wenn eine Bestimmung zusammen mit einer Begründung dafür vorliegt, dann bezieht sie sich nach allgemeinem Verständnis nicht nur auf den speziellen Fall. Die Verknüpfung von Einkommen und Arbeit, oder von Orientierung an der Rechtsauffassung einer Person und deren Befähigung zur selbständigen Rechtsfindung [idschtihad], wird mithin jeweils zur allgemeinen Regel erhoben (Fußnote des Autors).

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de