Negativer Aspekt des Prinzips
Die negative Aussage, die jeden Gewinn
für nichtig erklärt, der nicht durch eine im Verlaufe des
gewinnbringenden Vorgangs aufgewendete Arbeit gerechtfertigt
wird, wird aus verschiedenen der zitierten Texte und
Bestimmungen deutlich. So heißt es in dem gesetzgeberischen
Text h) des Abschnitts 12), dass ein Hirte, der für fünfzig
Dirhams Weiderechte erwirbt, diese nicht für mehr als fünfzig
Dirhams weiterveräußern darf, es sei denn, er hätte an dem
Weideland eine Arbeit vorgenommen, etwa einen Brunnen gegraben
oder einen Kanal angelegt, und sich mit dem Einverständnis
seiner Besitzer um dessen Verbesserung bemüht; dann wäre
nichts dagegen einzuwenden, wenn er es für einen höheren
Betrag weiterveräußert, denn er hätte daran gearbeitet, womit
er dazu berechtigt würde. Dieser Text bestätigt mit
Deutlichkeit die negative Aussage des Prinzips, denn er
verbietet dem Hirten, einen Profit zu machen, indem er das
Weideland zu einem Preis weiterverpachtet, der die von ihm
selbst an dessen Besitzer bezahlte Pacht übersteigt, ohne dass
er an das Weideland Arbeit gewendet hätte, und er erlaubt ihm
dieses Einkommen bzw. diese Gebühr nicht, solange nicht von
ihm geleistete Mühe, wie das Graben eines Brunnens, das
Anlegen eines Kanals oder dergleichen Arbeiten, es
rechtfertigen. Und am Schluss bekräftigt der Text, dass der
Betreffende, wenn er an dem Weideland eine Arbeit verrichtet,
aus der von ihm geleisteten Arbeit die Rechtfertigung für
seinen Profit, bzw. für den Differenzbetrag, den er erhält,
herleitet, mit den Worten: „...denn er hätte daran
gearbeitet, womit er dazu berechtigt wird.“ Mit dieser
Argumentation, und indem er den Gewinn von der Arbeit abhängig
macht, will der Text die negative Aussage des Prinzips
bestätigen; denn durch die Arbeit wird es für den Hirten
zulässig, neue Einkünfte aus seinem Weiderecht zu erhalten,
während ihm das ohne eigene Arbeit nicht erlaubt ist. Es wird
deutlich, dass diese Argumentation dem Text die Bedeutung
einer Regel verleiht, dass es sich also nicht nur um eine den
Hirten und das Weideland betreffende Bestimmung handelt,
sondern dass seine Aussagekraft darüber hinaus geht, und ein
allgemeines Prinzip hinsichtlich der Legitimität von Gewinn
beschreibt.
Diesem Text zufolge sind ohne direkte
Arbeit, wie die Arbeit eines Lohnarbeiters, oder die
Beisteuerung indirekter, gespeicherter Arbeit, wie im Falle
der Vermietung von Produktionsgeräten, Immobilien und
dergleichen, keine Einkünfte zulässig. Eben diese Tatsache
geht auch aus dem Text b) des Abschnitt 12) hervor, wo einer
Person, die Land für 1000 Dirhams gepachtet hat, verboten
wird, es für 2000 Dirhams weiterzuverpachten, ohne daran eine
Arbeit aufgewendet zu haben, und dem Verbot der Grundsatz
hinzugefügt wird, der es erklärt, bzw. das allgemeine
Argument, auf welches sich das Verbot stützt, indem gesagt
wird: „Weil dies garantierter Gewinn ist...“ Kraft
dieser Begründung und Erklärung, welche die betreffende
Bestimmung über den Rahmen einer Rechtsentscheidung in einer
bestimmten Situation hinaus in den Rang einer allgemeinen
Regel erhebt, darf sich niemand ein garantiertes Einkommen
ohne Arbeit verschaffen, da die Arbeit in der Theorie die
grundsätzliche Rechtfertigung für Einkünfte darstellt. Die
negative Aussage des Prinzips wird also von einigen Texten
direkt bestätigt, wie auch eine Anzahl weiterer im Überbau
angeführter Bestimmungen damit im Zusammenhang stehen. Zu
diesen Bestimmungen gehört das die Pächter von Land, bzw. die
Mieter eines Hauses oder irgendeines Produktionsgerätes,
betreffende Verbot, das Objekt gegen eine höhere als die
selbst bezahlte Gebühr weiterzuvermieten, ohne zuvor eine
Arbeit daran gewendet zu haben. Denn damit würde er den
Differenzbetrag erwerben, ohne eine direkte oder indirekte
Arbeit aufgewendet zu haben. Wenn also eine Person ein Haus
für zehn Dinare mietet und für zwanzig weitervermietet,
erhielte sie damit ohne aufgewendete Arbeit einen Reingewinn
von zehn Dinaren, daher ist es natürlich, dass dieser Gewinn
aufgrund des von uns herausgefundenen Prinzips nicht
zugelassen wird.
Zu den Bestimmungen, die ebenfalls mit
diesem Prinzip im Zusammenhang stehen, gehört das Verbot für
einen Lohnarbeiter, eine andere Person für die Aufgabe zu
engagieren, mit welcher er selbst beauftragt wurde, und ihr
dafür einen geringeren Lohn zu zahlen, als er selbst erhält,
das im Abschnitt 12) angeführt wurde. Wer z.B. für zehn
Dirhams mit dem Nähen eines Gewandes beauftragt wurde, darf
für diese Aufgabe keine andere Person für ein Entgelt von acht
Dirhams engagieren, denn das würde dazu führen, dass er den
Differenzbetrag für sich behielte und ohne Arbeit zwei Dirhams
bekäme. Daher verbietet es das
islamische Recht [scharia] in Anwendung der
negativen Aussage des Prinzips, die jede Art von Einkommen
verweigert, das nicht auf Arbeit beruht. Der Schneider, der
von dem Besitzer des Gewandes für zehn Dirhams engagiert
wurde, darf nur unter einer Voraussetzung einen anderen für
acht Dirhams mit der Aufgabe betrauen und zwei Dirhams für
sich behalten, nämlich wenn er bereits selbst einen Teil der
Arbeit ausgeführt und eine Arbeitsstufe der Schneiderei, mit
der er beauftragt wurde, erledigt hat, so dass er als Ergebnis
von Arbeit, die von ihm für das Gewand aufgewendet wurde, zwei
Dirhams erhält.
Eine dritte Bestimmung aus dem Überbau,
die auch im Zusammenhang mit dem Prinzip und seiner negativen
Aussage steht, finden wir in dem im Abschnitt 6) angeführten
Verbot für den Kapitalgeber, seinen Agenten bei einem
Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] haftbar zu
machen. Das bedeutet, wenn ein Händler sein Handelskapital –
Geld oder Ware – einem Agenten für Handelsgeschäfte
anvertrauen will, wobei sich beide die Gewinne teilen sollen,
dann hat er nicht das Recht, den Agenten für etwaige Verluste
aufkommen zu lassen. Genauer gesagt bedeutet es, dass der
Kapitalgeber auf zweierlei Art mit seinem Agenten verfahren
kann:
Erstens: Er kann das Eigentum an dem
Handelskapital dem Agenten für ein bestimmtes Entgelt, das der
Agent nach Abschluss seiner Handelsgeschäfte zahlen muss,
übertragen. In diesem Fall wird der Agent für das vereinbarte
Entgelt haftbar und für dessen Zahlung verantwortlich –wenn
die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen des Vertrages
erfüllt sind – gleichgültig, ob seine Handelstätigkeit zu
Gewinn oder Verlust führt. Aber der Kapitalgeber wird in
diesem Fall nicht an den Gewinnen des Agenten beteiligt, und
hat nur ein Recht auf das vereinbarte Entgelt, denn das
Handelskapital wird zum Eigentum des Agenten, so dass der
ganze Gewinn ihm zufällt, weil ihm der “Grundstoff“ gehört.
Daher heißt es in der im Abschnitt 6) angeführten
Überlieferung: „Wer einen Händler (d.h. einen
Agenten, der mit dem eigenen Kapital Geschäfte macht)
für Verluste haftbar macht, dem steht nur sein Kapital zu.“
Die andere Methode besteht darin, dass der Kapitalgeber sich
selbst das Eigentum an dem Handelskapital vorbehält, und den
Agenten auf der Basis von Gewinnaufteilung in den Dienst
stellt, um damit Geschäfte zu tätigen. In diesem Fall entsteht
dem Kapitalgeber ein Anrecht auf einen Anteil vom Gewinn, weil
ihm das dem Vorgang zugrunde liegende Gut gehört, aber er darf
den Agenten in dem Vertrag nicht dazu verpflichten, für
Verluste aufzukommen. Wir weisen speziell auf den Zusammenhang
dieser Bestimmungen mit dem Prinzip, welches wir gerade aus
dem Überbau herausarbeiten, hin, weil der Verlust beim Handel
nicht bedeutet, dass der Agent während seiner
Handelsaktivitäten indirekte Arbeit des Kapitalgebers, welche
in seinem Kapital gespeichert ist, aufbrauchen würde, wie das
im Hinblick auf den Besitzer eines Hauses oder
Produktionsgerätes zuträfe, der dir erlauben kann, sein Haus
oder sein Gerät zu benutzen, und dich für das haftbar machen
kann, was du während der Nutzung verbrauchst. Denn wenn du das
Haus oder das Gerät einer anderen Person eine Zeit lang
benutzt, wirst du etwas davon verbrauchen, also einen Teil der
darin gespeicherten Arbeit aufbrauchen, daher hat der Besitzer
des Hauses oder Gerätes das Recht, eine Vergütung dessen, was
du aufgebraucht hast, zu fordern, und diese Vergütung, die der
Eigentümer von dir bekommt, begründet sich auf “aufgewendeter
Arbeit“. Wenn du aber von einem Kapitalgeber unter der
Voraussetzung, dass er an deinem Gewinn beteiligt wird, 100
Dinare erhältst, um damit Geschäfte zu tätigen, und dafür 100
Schreibfedern kaufst, und dann wegen des Preis- oder
Wertverfalls der Federn oder aus sonst irgendeinem Grund
gezwungen bist, sie für 90 Dinare zu verkaufen, so bist du
nicht für diesen Verlust verantwortlich und nicht gehalten,
für den Betrag, der von dem Kapital abhanden gekommen ist,
aufzukommen. Denn diese Verringerung entstand nicht, weil du
während deiner Handelstätigkeit etwas von dem Gut, bzw. von
der darin gespeicherten Arbeit, verbraucht hast, sondern ergab
sich aus dem Sinken des Tauschwertes der Federn, bzw. aus dem
Verfall von deren Preis auf dem Markt. Es handelt sich hier
also nicht um die gespeicherte Arbeit einer Person, die du
während deiner Nutzung des zu Verfügung gestellten Gutes
aufgebraucht und “aufgewendet“ hast, so dass du sie vergüten
müsstest, sondern die in dem Handelskapital gespeicherte
Arbeit blieb unverändert erhalten und kam weder abhanden, noch
wurde sie aufgebraucht, nur dass sich ihr Wert bzw. Preis
verringerte. Du schuldest dem Kapitaleigner also keine
Entschädigung, denn wenn er in diesem Sinne etwas von dir
bekäme, wäre das ein Einkommen ohne “aufgewendete Arbeit“,
d.h. er würde von dir Einkünfte beziehen, ohne dass du während
der Nutzung seines Kapitals etwas von seiner “Arbeit“
verbraucht hättest, und dies widerspräche dem besagten Prinzip
in seiner negativen Bedeutung.