Warentausch [tadawwul]
Der Warentausch ist eines der
Grundelemente des wirtschaftlichen Lebens und nicht weniger
wichtig, als die Produktion und die Güterverteilung, auch wenn
er historisch später in Erscheinung getreten ist. In jeder
historischen menschlichen Gesellschaft gab es Produktion und
Verteilung von Gütern, denn wann immer sich eine menschliche
Gemeinschaft herausbildete, war sie gezwungen – um zu
überleben und ihren Lebensunterhalt zu sichern – in
irgendeiner Form produktiv zu sein und die produzierten Güter
an ihre Mitglieder zu verteilen, nach irgendeinem
Verteilungssystem, auf das sie sich geeignet hatte. Es gibt
also kein gesellschaftliches Zusammenleben von Menschen ohne
Produktion und Verteilung.
Dagegen muss der Warentausch nicht
notwendigerweise von Beginn an zum gesellschaftlichen Leben
gehören, denn die Gesellschaften praktizieren in ihrer
Anfangsphase meistens eine Art von primitiver geschlossener
Wirtschaftsweise, dergestalt, dass jede Familie produziert,
was sie selbst benötigt, ohne die Erzeugnisse der Anderen in
Anspruch zu nehmen. Die Art der geschlossenen Wirtschaft
eröffnet dem Warentausch keinen Raum, da jeder seine
sämtlichen primitiven Eigenbedürfnisse durch die von ihm
selbst produzierten Dinge befriedigen kann. Der Warentausch
spielt erst dann eine aktive Rolle in der Wirtschaft, wenn
sich die Bedürfnisse des Menschen differenzieren und
weiterentwickeln, und sich die Anzahl der Waren, die er im
täglichen Leben benötigt, vervielfacht, so dass jeder auf sich
allein gestellt seinen Bedarf an Waren verschiedenster Art
nicht mehr herstellen kann. Dann ist die Gesellschaft
gezwungen, die Arbeit unter ihren einzelnen Mitgliedern
aufzuteilen, und jeder Produzent – oder jede Gruppe von
Produzenten – beginnt sich auf die Herstellung irgendeiner
bestimmten Ware, die ihm besser gelingt als sonst etwas, zu
spezialisieren, und befriedigt die Bedürfnisse der Anderen,
indem er seine überschüssige Produktion gegen die von anderen
produzierten Waren eintauscht. Der Warentausch hat im
Wirtschaftsleben also zunächst den Effekt, die Bedürfnisse
aller Produzenten zu befriedigen, ohne dass jeder Einzelne
gezwungen wäre, mit den eigenhändig produzierten Dingen
auszukommen. So entstand der Warentausch zur Erleichterung des
Lebens und um den sich ausweitenden Bedürfnissen und der
Tendenz, die Produktion zu spezialisieren und
weiterzuentwickeln, gerecht zu werden.
Dies vorausgesetzt wissen wir, dass der
Warentausch in Wahrheit dem Wirtschaftsleben als Vermittlung
zwischen Produktion und Konsum dient, oder anders ausgedrückt,
zwischen den Produzenten und den Konsumenten. Auf dem Wege des
Warentausches findet der Produzent immer den Konsumenten, der
die von ihm produzierten Waren benötigt, und dieser Konsument
produziert seinerseits eine andere Ware, die ebenfalls durch
Austausch einen Kunden findet. Aber die Ungerechtigkeit des
Menschen – wie es der edle Qur´an ausdrückt – die der
Menschheit die Segnungen und guten Dinge des Lebens zunichte
macht und sich zu Lasten dieser oder jener Rechte im Bereich
der Güterverteilung bemerkbar macht, durchsetzte auch den
Warentausch, bis sie ihn von einem Instrument der Befriedigung
allgemeiner Bedürfnisse und der Erleichterung des Lebens zu
einem Instrument der Ausbeutung und der Komplizierung des
Lebens, und von einem Bindeglied zwischen Produktion und
Verbrauch zu einem Bindeglied zwischen Produktion und Hortung
[iddichar] verwandelte. Und die menschlichen Tragödien
und Spielarten der Ausbeutung, die aus ungerechten Bedingungen
des Warentausches entstanden, sind den Folgen ungerechter
Verteilungssysteme, wie in den Sklavenhalter- und
Feudalgesellschaften, oder in den kapitalistischen und
kommunistischen Gesellschaften, vergleichbar.
Um die Haltung des Islam zum Warentausch
verständlich zu machen, müssen wir wissen, was nach
islamischer Ansicht die Grundursache dafür ist, falls aus dem
Warentausch ein ungerechtes Instrument der Ausbeutung wird,
und was für Folgen sie mit sich bringt. Danach untersuchen wir
die Lösungen, die der Islam für das Problem bereithält, d.h.
wie der Warentausch in gerechter Art und Weise erfolgen, und
mit welchen gesetzlichen Regeln er seiner wahren
Zweckbestimmung im Leben angepasst werden kann. Zunächst
müssen wir berücksichtigen, dass es zwei Formen von
Warentausch gibt:
·
Erstens: Tauschhandel.
·
Zweitens: Warentausch auf der
Grundlage von Geld.
Der Tauschhandel “Ware gegen Ware“ ist
die geschichtlich ältere Form des Warentausches. So erhielt
jeder Produzent – in den Gesellschaften, die mit der
Spezialisierung und Arbeitsteilung begannen – Waren, die er
nicht selbst herstellte im Gegenwert des Überschusses an
Waren, auf deren Produktion er sich spezialisiert hatte. Wer
hundert Kilo Weizen produziert hatte, behielt z.B. die Hälfte
davon zurück für den eigenen Bedarf und tauschte fünfzig Kilo
Weizen gegen ein bestimmte Menge Baumwolle aus der Produktion
eines Anderen.
Aber diese Form des Handels (der
Tauschhandel) konnte den für das Wirtschaftsleben notwendigen
Warentausch nicht erleichtern, sondern wurde im Laufe der Zeit
immer schwieriger und komplizierter, je mehr die
Spezialisierung zunahm und die Bedürfnisse sich
differenzierten; denn der Tauschhandel zwingt beispielsweise
den Produzenten von Weizen dazu, seinen Bedarf an Baumwolle
bei einer Person zu finden, die Weizen zu erwerben wünscht.
Wenn aber der Besitzer von Baumwolle Obst und nicht Weizen
benötigt und der Besitzer von Weizen kein Obst hat, dann wird
es für den Besitzer von Weizen schwierig sein, seinen Bedarf
an Baumwolle zu decken. So entstehen Schwierigkeiten, weil die
Bedürfnisse von Käufer und Verkäufer selten aufeinander
abgestimmt sind. Hinzu kommt die Schwierigkeit, den jeweiligen
Wert der zum Austausch angebotenen Dinge in Übereinstimmung zu
bringen. Denn wer z.B. ein Pferd besitzt, kann durch dessen
Austausch kein Huhn erwerben, da der Wert des Huhns geringer
ist, als der des Pferdes, und er wird nicht bereit sein, für
ein einziges Huhn ein ganzes Pferd herzugeben, und er kann es
auch nicht zerteilen, um ein Huhn für einen Teil davon
einzutauschen. Und der Prozess des Warentausches ist noch mit
einem weiteren Problem konfrontiert, nämlich der
Schwierigkeit, den Wert der zum Austausch angebotenen Waren
abzuschätzen, denn um den Wert einer Sache im Verhältnis zu
allen anderen zu erfahren, ist es erforderlich, sie mit allen
jeweils einzeln zu vergleichen. Aus diesen Gründen begannen
die auf Warentausch angewiesenen Gesellschaften über eine
Umwandlung des Tauschhandels in eine Form, die diese
Schwierigkeiten beheben könnte, nachzudenken, und es entstand
die Idee, Geld anstelle der Ware selbst als Instrument des
Warentausches zu verwenden.
So entstand die zweite Form des
Warentausches, nämlich der Warentausch auf der Grundlage von
Geld, und das Geld wurde zum Stellvertreter [wakil] der
Ware, die der Käufer zu Zeiten des Tauschhandels dem Verkäufer
aushändigen musste. Anstatt dass der Besitzer von Weizen – in
unserem Beispiel – gezwungen war, dem Besitzer von Baumwolle
den Gegenwert an Früchten für die gekaufte Menge Baumwolle
vorzulegen, konnte er nun seinen Weizen für Geld verkaufen und
mit dem Geld die gewünschte Menge Baumwolle kaufen, und der
Besitzer von Baumwolle seinerseits kaufte die Früchte mit dem
erhaltenen Geld. Die Verwendung von Geld anstelle von waren im
Warentausch löste die Probleme, die sich aus dem Tauschhandel
ergaben, und überwand dessen Schwierigkeiten. Die
Schwierigkeit, die Bedürfnisse von Käufer und Verkäufer in
Einklang zu bringen, bestand nicht mehr, denn der Käufer war
nicht mehr gezwungen, dem Verkäufer die Ware zu bringen, die
dieser benötigte, sondern brauchte nur noch das Geld
vorzulegen, um die Ware von den verschiedenen Produzenten zu
kaufen. Und die Schwierigkeit, den jeweiligen Wert der
Handelswaren miteinander in Einklang zu bringen, wurde
überwunden, denn der Wert wurde im Verhältnis zum Geld
festgesetzt, und dies ließ sich aufteilen. Ebenso wurde es ein
Leichtes, den jeweiligen Wert der Waren abzuschätzen, denn
alle wurden am Geld als dem allgemeinen Maßstab gemessen. Alle
diese Erleichterungen waren Ergebnisse der Verwendung von Geld
anstelle von Waren im Warentausch. Dies ist der positive
Aspekt der Verwendung von Geld anstelle von Waren, der zeigt,
wie diese Stellvertreterschaft die Aufgabe, für die sie
geschaffen wurde, nämlich den Warentausch zu erledigen,
richtig erfüllt.
Aber im Laufe der Zeit hielt sich diese
Stellvertreterschaft nicht mehr in den genannten Grenzen,
sondern begann eine schwerwiegende Rolle im wirtschaftlichen
Leben zu spielen, bis sich daraus Schwierigkeiten und Probleme
ergaben, die denen des Tauschhandels nicht nachstanden, nur
dass letztere natürlichen Ursprungs waren, während es sich bei
den neuen Problemen, die durch die stellvertretende Verwendung
von Geld entstanden, um menschliche Probleme handelte, die
sich in verschiedenen Spielarten der Ungerechtigkeit und der
Ausbeutung äußerten, denen die Verwendung von Geld anstelle
von waren im Warentausch Vorschub geleistet hatte.
Um dies zu verstehen, müssen wir uns die
Entwicklung vor Augen halten, die der Prozess des
Warentausches durchmachte, nachdem man seine Form verändert
und auf der Geldwirtschaft anstelle des direkten Tauschhandels
aufgebaut hatte. Unter den Bedingungen des Austausches nach
dem Prinzip des Tauschhandels existierte keine Trennungslinie
zwischen dem Verkäufer und dem Käufer, denn beide
Vertragspartner waren gleichzeitig Verkäufer und Käufer, d.h.
jeder händigte seinem Gegenüber eine Ware aus und erhielt den
Gegenwert in Form einer anderen Ware. So befriedigte der
Tauschhandel auf direkte Weise die Bedürfnisse beider Partner,
und nach erfolgtem Austausch hatte jeder von beiden die Ware
erhalten, die er zum Eigenverbrauch oder für die Produktion
benötigte, wie etwa Weizen oder einen Pflug. Wir wissen also:
Im Zeitalter des Tauschhandels konnte es keinen Verkäufer
geben, der nicht gleichzeitig Käufer war, und keinen Verkauf
ohne Kauf. Man händigte einerseits in der Eigenschaft des
Verkäufers eine Ware an den Kunden aus, um anderseits eine
neue Ware als Käufer in Empfang zu nehmen. Verkauf und Kauf
waren in einer einzigen Transaktion kombiniert. Beim
Warentausch auf der Grundlage von Geld liegen die Dinge ganz
anders. Die Geldwirtschaft setzt eine Trennungslinie zwischen
Verkäufer und Käufer, denn der Verkäufer verfügt über die
Ware, und der Käufer gibt Geld aus, um diese Ware zu erhalten.
Während jemand, der Weizen verkauft, um Baumwolle zu erhalten,
unter den Bedingungen des Tauschhandels in einer einzigen
Transaktion seinen Weizen verkaufen und seinen Bedarf an
Baumwolle decken konnte, ist er nun gezwungen, dafür zwei
Transaktionen durchzuführen: Eine in der Eigenschaft des
Verkäufers, indem er seinen Weizen für einen bestimmten
Geldbetrag verkauft, und eine weitere als Käufer, indem er für
dieses Geld Baumwolle erwirbt. Dies bedeutet eine Trennung von
Verkauf und Kauf, während beim Tauschhandel beide kombiniert
sind. Und die Trennung von Verkauf und Kauf bei dem auf
Geldwirtschaft basierenden Vorgang des Warentausches schafft
die Möglichkeit, den Kauf gegenüber dem Verkauf zu verzögern.
Der Verkäufer ist nicht mehr gezwungen, um seinen Weizen zu
verkaufen die von dem Kunden produzierte Baumwolle sofort zu
kaufen, sondern er kann den Weizen für einen bestimmten
Geldbetrag verkaufen und das Geld für sich behalten, und den
Kauf der Baumwolle auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Diese neue Möglichkeit, die den Verkäufer
damit zur Verfügung steht –die Möglichkeit, den Kauf gegenüber
dem Verkauf zu verzögern – verändert den allgemeinen Charakter
von Verkauf und Warentausch. Denn während der Verkauf im
Zeitalter des Tauschhandels immer den Kauf irgendeiner Ware,
die der Verkäufer benötigte, zum Ziel hatte, bekam der Verkauf
im Zeitalter der Geldwirtschaft ein neues Ziel: Der Verkäufer
entledigte sich seiner Ware nicht mehr im Austausch, um eine
andere Ware zu erhalten, sondern um mehr Geld, d.h. das
allgemeine Austauschmittel für Waren, zu erhalten, das ihn in
die Lage versetzte, jede gewünschte Ware zu jeder Zeit zu
kaufen. So wandelte sich der Verkauf zum Zweck des Kaufes in
den Verkauf zwecks Ansammlung von Geld um, und es entstand das
Phänomen der Hortung von Vermögen und seiner Blockierung in
Form von Geld.
Das Geld – und wir meinen insbesondere
Metall- und Papiergeld – zeichnete sich vor allen anderen
Waren aus, denn keine andere Ware eignete sich so gut zum
Horten, da die meisten Waren im Laufe der Zeit an Wert
verlieren, und es unter Umständen großen Aufwand erfordert,
sie neuwertig zu erhalten. Weiterhin ist es für den Eigentümer
unter Umständen nicht leicht, seine gehortete Ware gegen von
ihm selbst benötigte Waren einzutauschen, wenn er darauf
angewiesen ist. Die Hortung von Waren bietet also keine
Sicherheit, jederzeit die verschiedenen Artikel des eigenen
Bedarfs zu erhalten. Diese Probleme gibt es mit dem Geld
nicht, es ist wertbeständig und kann aufbewahrt werden, seine
Hortung verursacht keinerlei Kosten, und als allgemeines
Austauschmittel für Waren sichert es dem, der es hortet, die
Möglichkeit, jederzeit jede gewünschte Ware zu kaufen.
So sprechen in den Gesellschaften, die
ihren Warentausch auf Geldwirtschaft umstellen, eine Vielzahl
von Motiven für dessen Hortung, insbesondere, wenn es sich um
Gold- oder Silbergeld handelt. Die Folge ist, dass der
Warentausch seine angemessene Funktion im wirtschaftlichen
Leben als Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch
verliert und zum Bindeglied zwischen Produktion und Hortung
wird. Der Verkäufer produziert und verkauft, bzw. er tauscht
seine Produkte gegen Geld ein, um dieses Geld zu horten und
seinem angehäuften Reichtum hinzuzufügen, und der Käufer gibt
das Geld, um die Ware des Verkäufers zu erhalten, und kann
dann seinerseits seine Waren nicht verkaufen, weil der
Verkäufer das Geld hortet und aus dem Umlauf zieht. Eine
weitere Folge ist eine bedeutende Störung des Gleichgewichts
zwischen Angebot und Nachfrage: So tendierten Angebot und
Nachfrage zur Zeit des Tauschhandels zum Gleichgewicht, denn
jeder Erzeuger produzierte für seinen eigenen Bedarf und
tauschte das, was darüber hinausging, gegen Waren, die er
benötigte aber nicht selbst herstellte. Die Produktion
entsprach immer dem Umfang seiner Bedürfnisse, d.h. das
Angebot fand immer eine gleich große Nachfrage. Daher
tendierten die Preise auf dem Markt dazu, ihre natürliche Höhe
beizubehalten, die dem tatsächlichen Wert der Waren und deren
realer Wichtigkeit für das Leben der Verbraucher entsprachen;
doch nachdem das Zeitalter der Geldwirtschaft angebrochen war
und das Geld über den Handel herrschte, orientierten sich
Produktion und Verkauf neu, bis beide schließlich mehr der
Hortung von Geld und der Vermehrung von Vermögen dienten, als
der Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse. Damit wurde
natürlich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage
gestört, und die Anreize zur Monopolisierung von Waren trugen
in hohem Maße dazu bei, das Missverhältnis zwischen Angebot
und Nachfrage zu vertiefen. Ein Monopolist schafft unter
Umständen sogar eine künstliche Nachfrage und kauft alle Waren
des Marktes auf, nicht weil er sie benötigt, sondern um die
Preise zu erhöhen, oder er bietet eine Ware zu Preisen
unterhalb der Entstehungskosten an, um andere Produzenten und
Verkäufer zum Ausstieg aus dem Wettbewerb und in den Bankrott
zu treiben. So entstehen unnatürliche Preise, und der Markt
gerät unter die Kontrolle des Monopols, während ständig
tausende von kleinen Verkäufern und Produzenten durch die
Machenschaften der großen Monopolisten, die den Markt
beherrschen, ruiniert werden. Was geschieht dann?! Nichts
dagegen, als dass (wir sehen, wie) die wirtschaftlich
Mächtigen die Gelegenheit wahrnehmen, die ihnen die
Geldwirtschaft bietet, und ihre ganze Kraft für die Hortung,
bzw. für die Produktion zum Zwecke der Kapitalanhäufung
einsetzen, und fortfahren, zu produzieren und zu verkaufen, um
das in der Gesellschaft umlaufende Geld aus dem Verkehr zu
ziehen und in ihren Geldschränken anzuhäufen. So reißen sie es
allmählich an sich und setzen die Funktion des Warentausches
als Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch außer Kraft,
und zwingen die große Mehrheit der Bevölkerung, in den
Abgründen von Elend und Armut ihr Leben zu fristen.
Schließlich kommt aufgrund des absinkenden wirtschaftlichen
Standards und der fehlenden Kaufkraft der Masse des Volkes
auch der Konsum zum Stillstand, ebenso wie der
Produktionsprozess, denn die Vernichtung bzw. das Absinken der
Kaufkraft bei den Verbrauchern macht auch die Produktion nicht
mehr gewinnbringend, und eine allgemeine Stagnation erfasst
alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens.
Und dies sind noch nicht alle Probleme
der Geldwirtschaft, sondern sie verursacht noch ein weiteres
Problem, das möglicherweise ernster als die bereits erwähnten
ist. Denn das Geld ist nicht nur ein Mittel zur Hortung,
sondern durch die Zinsen, welche die Kreditgeber von den
Schuldnern verlangen, bzw. die Geldanleger von den
kapitalistischen Banken, denen sie ihr Vermögen anvertrauen,
wird es zu einem Instrument der Kapitalvermehrung. So bedingt
die Hortung anstelle der Produktivität in der kapitalistischen
Umwelt ein Anwachsen des Reichtums, und viele Kapitalien
werden dem Bereich der Produktion entzogen und landen in den
Tresoren der Banken, und kein Geschäftsmann lässt sich auf
irgendeine Investition im Bereich der Produktion und des
Handels ein, wenn er nicht sicher ist, dass das Projekt
normalerweise mehr Gewinn bringt, als die Zinsen, die er
erhalten kann, wenn er sein Geld verleiht oder einer Bank
anvertraut. Seit Beginn des kapitalistischen Zeitalters
begannen die Kapitalien aufgrund der Zinsnahme den
Geldverleihern zuzufließen, denn diese zogen die von
verschiedenen Personen gehorteten Geldmengen mit dem
Lockmittel der jährlichen Zinsen an sich, auf welche die
Kunden für ihr den Banken anvertrautes Vermögen Anspruch
haben. So wurden diese Geldmengen verschiedener Herkunft in
den Tresoren der Geldverleiher angehäuft, anstatt für
produktive Investitionen verwendet zu werden, und es
entstanden auf der Grundlage dieser Kapitalanhäufung die
großen Banken und Finanzhäuser, die den Reichtum des
jeweiligen Landes kontrollierten und jeden Ansatz zu
wirtschaftlichem Gleichgewicht zunichte machten.
Diese kurze Darstellung der Probleme des
Warentausches oder Handels macht ganz deutlich, dass alle
diese Probleme durch das Geld und seinen Missbrauch im Bereich
des Warentausches entstehen, nämlich wenn es zum Mittel der
Hortung und schließlich der Vermehrung von Vermögen wird. Dies
wirft ein Licht auf eine Überlieferung von Allahs Gesandtem
Muhammad (s.), der gesagt hat:
„Die goldenen Dinare und die
silbernen Dirhams
richten euch zugrunde, wie sie eure Vorfahren zugrunde
gerichtet haben.“
Auf jeden Fall verfügt der Islam über
Gegenmittel gegen diese aus der Geldwirtschaft entstehenden
Probleme, und konnte den Warentausch wieder zu seiner
natürlichen Bestimmungen als Bindeglied zwischen der
Produktion und dem Verbrauch zurückführen. Die Kernpunkte des
islamischen Standpunktes zu den Problemen des Warentausches
lassen sich wie folgt zusammenfassen:
·
Erstens: Der Islam verhindert
die Hortung von Geld, und zwar indem er auf das angesammelte
Geld die jährlich zu entrichtende Steuer der
Almosenabgabe [zakat]
auferlegt, so dass das gehortete Geld fast aufgebraucht wird,
wenn es viele Jahre lang nicht ausgegeben wird. Daher
betrachtet der Qur´an das Horten von Gold und Silber als ein
Verbrechen, das mit dem Höllenfeuer bestraft wird, denn die
Hortung bedeutet natürlicherweise Unterschlagung der
gesetzlich vorgeschriebenen Steuer, da die Steuer keine
Möglichkeit lässt, das Geld zu horten oder anzuhäufen. So ist
es nicht verwunderlich, wenn der Qur´an denjenigen, die Gold
und Silber anhäufen, das Höllenfeuer androht, indem er sagt:
„Und verkünde denen, die Gold und Silber anhäufen und es
nicht für Allahs Sache ausgeben, eine schmerzliche Strafe an
dem Tag, an dem über ihnen das Feuer der Hölle entzündet wird.
Dann verbrennt es sie von vorn, von den Seiten und von hinten,
und es wird ihnen zugerufen: Dies ist es, was ihr gehortet
habt, so kostet nun, was ihr anzuhäufen pflegtet.“Auf
diese Weise sorgt der Islam dafür, dass das Kapital im Bereich
der Produktion, des Warentausches und des Verbrauchs bleibt,
und verhindert, dass es zur Hortung und Anhäufung in den
Tresoren verschwindet.
·
Zweitens: Der Islam verbietet
den Zinsgewinn kategorisch und ohne Ausnahme. Dadurch macht er
den Zinsen und deren ernsten Folgen für den Bereich der
Einkommensverteilung, sowie der von ihnen verursachten
Störungen des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts, ein
Ende. Außerdem nimmt er dem Geld seine Eigenschaft als für
sich unabhängiges Instrument zur Vermehrung des Eigentums, und
weist ihm wieder seine natürliche Rolle als allgemeiner
Stellvertreter der Waren, als Maßstab für deren Wert und als
Mittel zur Erleichterung des Warentausches zu. Vielleicht
denken viele, die unter dem kapitalistischen System leben und
sich an dessen Erscheinungsformen und Spielarten gewöhnt
haben, dass die Abschaffung der Zinsen das Ende der Banken,
die Stilllegung der für das Wirtschaftsleben unverzichtbaren
Einrichtungen und die Lähmung des ganzen wirtschaftlichen
Kreislaufes, den diese Banken am Laufen halten, bedeuten
würde. So eine Ansicht entsteht aus Unwissenheit über die
wahre Rolle, welche die Banken im wirtschaftlichen Leben
spielen, und über die wahre Gestalt der islamischen
Wirtschaftsordnung, die gewährleistet, dass sämtliche
Probleme, welche die Abschaffung der Zinsen mit sich bringen,
gemeistert werden, und dies werden wir ausführlich in einem
späteren Kapitel untersuchen.
·
Drittens: Dem verantwortlichen
Befehlshaber [wali-ul-amr]
werden Kompetenzen verliehen, den ordnungsgemäßen Ablauf des
Warentausches vollständig zu überwachen und die Märkte
beaufsichtigen zu lassen, um jede Art von Aktivitäten zu
verhindern, die zur Schädigung oder Erschütterung des
Wirtschaftslebens führen oder der illegalen Marktbeherrschung
durch eine Person Vorschub leisten würden. Wir werden diese
drei Punkte in späteren Kapiteln dieses Buches, in denen wir
die Einzelheiten der islamischen Wirtschaftslehre darlegen,
noch ausführlicher untersuchen und erläutern.