Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Warentausch [tadawwul]

Der Warentausch ist eines der Grundelemente des wirtschaftlichen Lebens und nicht weniger wichtig, als die Produktion und die Güterverteilung, auch wenn er historisch später in Erscheinung getreten ist. In jeder historischen menschlichen Gesellschaft gab es Produktion und Verteilung von Gütern, denn wann immer sich eine menschliche Gemeinschaft herausbildete, war sie gezwungen – um zu überleben und ihren Lebensunterhalt zu sichern – in irgendeiner Form produktiv zu sein und die produzierten Güter an ihre Mitglieder zu verteilen, nach irgendeinem Verteilungssystem, auf das sie sich geeignet hatte. Es gibt also kein gesellschaftliches Zusammenleben von Menschen ohne Produktion und Verteilung.

Dagegen muss der Warentausch nicht notwendigerweise von Beginn an zum gesellschaftlichen Leben gehören, denn die Gesellschaften praktizieren in ihrer Anfangsphase meistens eine Art von primitiver geschlossener Wirtschaftsweise, dergestalt, dass jede Familie produziert, was sie selbst benötigt, ohne die Erzeugnisse der Anderen in Anspruch zu nehmen. Die Art der geschlossenen Wirtschaft eröffnet dem Warentausch keinen Raum, da jeder seine sämtlichen primitiven Eigenbedürfnisse durch die von ihm selbst produzierten Dinge befriedigen kann. Der Warentausch spielt erst dann eine aktive Rolle in der Wirtschaft, wenn sich die Bedürfnisse des Menschen differenzieren und weiterentwickeln, und sich die Anzahl der Waren, die er im täglichen Leben benötigt, vervielfacht, so dass jeder auf sich allein gestellt seinen Bedarf an Waren verschiedenster Art nicht mehr herstellen kann. Dann ist die Gesellschaft gezwungen, die Arbeit unter ihren einzelnen Mitgliedern aufzuteilen, und jeder Produzent – oder jede Gruppe von Produzenten – beginnt sich auf die Herstellung irgendeiner bestimmten Ware, die ihm besser gelingt als sonst etwas, zu spezialisieren, und befriedigt die Bedürfnisse der Anderen, indem er seine überschüssige Produktion gegen die von anderen produzierten Waren eintauscht. Der Warentausch hat im Wirtschaftsleben also zunächst den Effekt, die Bedürfnisse aller Produzenten zu befriedigen, ohne dass jeder Einzelne gezwungen wäre, mit den eigenhändig produzierten Dingen auszukommen. So entstand der Warentausch zur Erleichterung des Lebens und um den sich ausweitenden Bedürfnissen und der Tendenz, die Produktion zu spezialisieren und weiterzuentwickeln, gerecht zu werden.

Dies vorausgesetzt wissen wir, dass der Warentausch in Wahrheit dem Wirtschaftsleben als Vermittlung zwischen Produktion und Konsum dient, oder anders ausgedrückt, zwischen den Produzenten und den Konsumenten. Auf dem Wege des Warentausches findet der Produzent immer den Konsumenten, der die von ihm produzierten Waren benötigt, und dieser Konsument produziert seinerseits eine andere Ware, die ebenfalls durch Austausch einen Kunden findet. Aber die Ungerechtigkeit des Menschen – wie es der edle Qur´an ausdrückt – die der Menschheit die Segnungen und guten Dinge des Lebens zunichte macht und sich zu Lasten dieser oder jener Rechte im Bereich der Güterverteilung bemerkbar macht, durchsetzte auch den Warentausch, bis sie ihn von einem Instrument der Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse und der Erleichterung des Lebens zu einem Instrument der Ausbeutung und der Komplizierung des Lebens, und von einem Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch zu einem Bindeglied zwischen Produktion und Hortung [iddichar] verwandelte. Und die menschlichen Tragödien und Spielarten der Ausbeutung, die aus ungerechten Bedingungen des Warentausches entstanden, sind den Folgen ungerechter Verteilungssysteme, wie in den Sklavenhalter- und Feudalgesellschaften, oder in den kapitalistischen und kommunistischen Gesellschaften, vergleichbar.

Um die Haltung des Islam zum Warentausch verständlich zu machen, müssen wir wissen, was nach islamischer Ansicht die Grundursache dafür ist, falls aus dem Warentausch ein ungerechtes Instrument der Ausbeutung wird, und was für Folgen sie mit sich bringt. Danach untersuchen wir die Lösungen, die der Islam für das Problem bereithält, d.h. wie der Warentausch in gerechter Art und Weise erfolgen, und mit welchen gesetzlichen Regeln er seiner wahren Zweckbestimmung im Leben angepasst werden kann. Zunächst müssen wir berücksichtigen, dass es zwei Formen von Warentausch gibt:

·       Erstens: Tauschhandel.

·       Zweitens: Warentausch auf der Grundlage von Geld.

Der Tauschhandel “Ware gegen Ware“ ist die geschichtlich ältere Form des Warentausches. So erhielt jeder Produzent – in den Gesellschaften, die mit der Spezialisierung und Arbeitsteilung begannen – Waren, die er nicht selbst herstellte im Gegenwert des Überschusses an Waren, auf deren Produktion er sich spezialisiert hatte. Wer hundert Kilo Weizen produziert hatte, behielt z.B. die Hälfte davon zurück für den eigenen Bedarf und tauschte fünfzig Kilo Weizen gegen ein bestimmte Menge Baumwolle aus der Produktion eines Anderen.

Aber diese Form des Handels (der Tauschhandel) konnte den für das Wirtschaftsleben notwendigen Warentausch nicht erleichtern, sondern wurde im Laufe der Zeit immer schwieriger und komplizierter, je mehr die Spezialisierung zunahm und die Bedürfnisse sich differenzierten; denn der Tauschhandel zwingt beispielsweise den Produzenten von Weizen dazu, seinen Bedarf an Baumwolle bei einer Person zu finden, die Weizen zu erwerben wünscht. Wenn aber der Besitzer von Baumwolle Obst und nicht Weizen benötigt und der Besitzer von Weizen kein Obst hat, dann wird es für den Besitzer von Weizen schwierig sein, seinen Bedarf an Baumwolle zu decken. So entstehen Schwierigkeiten, weil die Bedürfnisse von Käufer und Verkäufer selten aufeinander abgestimmt sind. Hinzu kommt die Schwierigkeit, den jeweiligen Wert der zum Austausch angebotenen Dinge in Übereinstimmung zu bringen. Denn wer z.B. ein Pferd besitzt, kann durch dessen Austausch kein Huhn erwerben, da der Wert des Huhns geringer ist, als der des Pferdes, und er wird nicht bereit sein, für ein einziges Huhn ein ganzes Pferd herzugeben, und er kann es auch nicht zerteilen, um ein Huhn für einen Teil davon einzutauschen. Und der Prozess des Warentausches ist noch mit einem weiteren Problem konfrontiert, nämlich der Schwierigkeit, den Wert der zum Austausch angebotenen Waren abzuschätzen, denn um den Wert einer Sache im Verhältnis zu allen anderen zu erfahren, ist es erforderlich, sie mit allen jeweils einzeln zu vergleichen. Aus diesen Gründen begannen die auf Warentausch angewiesenen Gesellschaften über eine Umwandlung des Tauschhandels in eine Form, die diese Schwierigkeiten beheben könnte, nachzudenken, und es entstand die Idee, Geld anstelle der Ware selbst als Instrument des Warentausches zu verwenden.

So entstand die zweite Form des Warentausches, nämlich der Warentausch auf der Grundlage von Geld, und das Geld wurde zum Stellvertreter [wakil] der Ware, die der Käufer zu Zeiten des Tauschhandels dem Verkäufer aushändigen musste. Anstatt dass der Besitzer von Weizen – in unserem Beispiel – gezwungen war, dem Besitzer von Baumwolle den Gegenwert an Früchten für die gekaufte Menge Baumwolle vorzulegen, konnte er nun seinen Weizen für Geld verkaufen und mit dem Geld die gewünschte Menge Baumwolle kaufen, und der Besitzer von Baumwolle seinerseits kaufte die Früchte mit dem erhaltenen Geld. Die Verwendung von Geld anstelle von waren im Warentausch löste die Probleme, die sich aus dem Tauschhandel ergaben, und überwand dessen Schwierigkeiten. Die Schwierigkeit, die Bedürfnisse von Käufer und Verkäufer in Einklang zu bringen, bestand nicht mehr, denn der Käufer war nicht mehr gezwungen, dem Verkäufer die Ware zu bringen, die dieser benötigte, sondern brauchte nur noch das Geld vorzulegen, um die Ware von den verschiedenen Produzenten zu kaufen. Und die Schwierigkeit, den jeweiligen Wert der Handelswaren miteinander in Einklang zu bringen, wurde überwunden, denn der Wert wurde im Verhältnis zum Geld festgesetzt, und dies ließ sich aufteilen. Ebenso wurde es ein Leichtes, den jeweiligen Wert der Waren abzuschätzen, denn alle wurden am Geld als dem allgemeinen Maßstab gemessen. Alle diese Erleichterungen waren Ergebnisse der Verwendung von Geld anstelle von Waren im Warentausch. Dies ist der positive Aspekt der Verwendung von Geld anstelle von Waren, der zeigt, wie diese Stellvertreterschaft die Aufgabe, für die sie geschaffen wurde, nämlich den Warentausch zu erledigen, richtig erfüllt.

Aber im Laufe der Zeit hielt sich diese Stellvertreterschaft nicht mehr in den genannten Grenzen, sondern begann eine schwerwiegende Rolle im wirtschaftlichen Leben zu spielen, bis sich daraus Schwierigkeiten und Probleme ergaben, die denen des Tauschhandels nicht nachstanden, nur dass letztere natürlichen Ursprungs waren, während es sich bei den neuen Problemen, die durch die stellvertretende Verwendung von Geld entstanden, um menschliche Probleme handelte, die sich in verschiedenen Spielarten der Ungerechtigkeit und der Ausbeutung äußerten, denen die Verwendung von Geld anstelle von waren im Warentausch Vorschub geleistet hatte.

Um dies zu verstehen, müssen wir uns die Entwicklung vor Augen halten, die der Prozess des Warentausches durchmachte, nachdem man seine Form verändert und auf der Geldwirtschaft anstelle des direkten Tauschhandels aufgebaut hatte. Unter den Bedingungen des Austausches nach dem Prinzip des Tauschhandels existierte keine Trennungslinie zwischen dem Verkäufer und dem Käufer, denn beide Vertragspartner waren gleichzeitig Verkäufer und Käufer, d.h. jeder händigte seinem Gegenüber eine Ware aus und erhielt den Gegenwert in Form einer anderen Ware. So befriedigte der Tauschhandel auf direkte Weise die Bedürfnisse beider Partner, und nach erfolgtem Austausch hatte jeder von beiden die Ware erhalten, die er zum Eigenverbrauch oder für die Produktion benötigte, wie etwa Weizen oder einen Pflug. Wir wissen also: Im Zeitalter des Tauschhandels konnte es keinen Verkäufer geben, der nicht gleichzeitig Käufer war, und keinen Verkauf ohne Kauf. Man händigte einerseits in der Eigenschaft des Verkäufers eine Ware an den Kunden aus, um anderseits eine neue Ware als Käufer in Empfang zu nehmen. Verkauf und Kauf waren in einer einzigen Transaktion kombiniert. Beim Warentausch auf der Grundlage von Geld liegen die Dinge ganz anders. Die Geldwirtschaft setzt eine Trennungslinie zwischen Verkäufer und Käufer, denn der Verkäufer verfügt über die Ware, und der Käufer gibt Geld aus, um diese Ware zu erhalten. Während jemand, der Weizen verkauft, um Baumwolle zu erhalten, unter den Bedingungen des Tauschhandels in einer einzigen Transaktion seinen Weizen verkaufen und seinen Bedarf an Baumwolle decken konnte, ist er nun gezwungen, dafür zwei Transaktionen durchzuführen: Eine in der Eigenschaft des Verkäufers, indem er seinen Weizen für einen bestimmten Geldbetrag verkauft, und eine weitere als Käufer, indem er für dieses Geld Baumwolle erwirbt. Dies bedeutet eine Trennung von Verkauf und Kauf, während beim Tauschhandel beide kombiniert sind. Und die Trennung von Verkauf und Kauf bei dem auf Geldwirtschaft basierenden Vorgang des Warentausches schafft die Möglichkeit, den Kauf gegenüber dem Verkauf zu verzögern. Der Verkäufer ist nicht mehr gezwungen, um seinen Weizen zu verkaufen die von dem Kunden produzierte Baumwolle sofort zu kaufen, sondern er kann den Weizen für einen bestimmten Geldbetrag verkaufen und das Geld für sich behalten, und den Kauf der Baumwolle auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Diese neue Möglichkeit, die den Verkäufer damit zur Verfügung steht –die Möglichkeit, den Kauf gegenüber dem Verkauf zu verzögern – verändert den allgemeinen Charakter von Verkauf und Warentausch. Denn während der Verkauf im Zeitalter des Tauschhandels immer den Kauf irgendeiner Ware, die der Verkäufer benötigte, zum Ziel hatte, bekam der Verkauf im Zeitalter der Geldwirtschaft ein neues Ziel: Der Verkäufer entledigte sich seiner Ware nicht mehr im Austausch, um eine andere Ware zu erhalten, sondern um mehr Geld, d.h. das allgemeine Austauschmittel für Waren, zu erhalten, das ihn in die Lage versetzte, jede gewünschte Ware zu jeder Zeit zu kaufen. So wandelte sich der Verkauf zum Zweck des Kaufes in den Verkauf zwecks Ansammlung von Geld um, und es entstand das Phänomen der Hortung von Vermögen und seiner Blockierung in Form von Geld.

Das Geld – und wir meinen insbesondere Metall- und Papiergeld – zeichnete sich vor allen anderen Waren aus, denn keine andere Ware eignete sich so gut zum Horten, da die meisten Waren im Laufe der Zeit an Wert verlieren, und es unter Umständen großen Aufwand erfordert, sie neuwertig zu erhalten. Weiterhin ist es für den Eigentümer unter Umständen nicht leicht, seine gehortete Ware gegen von ihm selbst benötigte Waren einzutauschen, wenn er darauf angewiesen ist. Die Hortung von Waren bietet also keine Sicherheit, jederzeit die verschiedenen Artikel des eigenen Bedarfs zu erhalten. Diese Probleme gibt es mit dem Geld nicht, es ist wertbeständig und kann aufbewahrt werden, seine Hortung verursacht keinerlei Kosten, und als allgemeines Austauschmittel für Waren sichert es dem, der es hortet, die Möglichkeit, jederzeit jede gewünschte Ware zu kaufen.

So sprechen in den Gesellschaften, die ihren Warentausch auf Geldwirtschaft umstellen, eine Vielzahl von Motiven für dessen Hortung, insbesondere, wenn es sich um Gold- oder Silbergeld handelt. Die Folge ist, dass der Warentausch seine angemessene Funktion im wirtschaftlichen Leben als Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch verliert und zum Bindeglied zwischen Produktion und Hortung wird. Der Verkäufer produziert und verkauft, bzw. er tauscht seine Produkte gegen Geld ein, um dieses Geld zu horten und seinem angehäuften Reichtum hinzuzufügen, und der Käufer gibt das Geld, um die Ware des Verkäufers zu erhalten, und kann dann seinerseits seine Waren nicht verkaufen, weil der Verkäufer das Geld hortet und aus dem Umlauf zieht. Eine weitere Folge ist eine bedeutende Störung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage: So tendierten Angebot und Nachfrage zur Zeit des Tauschhandels zum Gleichgewicht, denn jeder Erzeuger produzierte für seinen eigenen Bedarf und tauschte das, was darüber hinausging, gegen Waren, die er benötigte aber nicht selbst herstellte. Die Produktion entsprach immer dem Umfang seiner Bedürfnisse, d.h. das Angebot fand immer eine gleich große Nachfrage. Daher tendierten die Preise auf dem Markt dazu, ihre natürliche Höhe beizubehalten, die dem tatsächlichen Wert der Waren und deren realer Wichtigkeit für das Leben der Verbraucher entsprachen; doch nachdem das Zeitalter der Geldwirtschaft angebrochen war und das Geld über den Handel herrschte, orientierten sich Produktion und Verkauf neu, bis beide schließlich mehr der Hortung von Geld und der Vermehrung von Vermögen dienten, als der Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse. Damit wurde natürlich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gestört, und die Anreize zur Monopolisierung von Waren trugen in hohem Maße dazu bei, das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zu vertiefen. Ein Monopolist schafft unter Umständen sogar eine künstliche Nachfrage und kauft alle Waren des Marktes auf, nicht weil er sie benötigt, sondern um die Preise zu erhöhen, oder er bietet eine Ware zu Preisen unterhalb der Entstehungskosten an, um andere Produzenten und Verkäufer zum Ausstieg aus dem Wettbewerb und in den Bankrott zu treiben. So entstehen unnatürliche Preise, und der Markt gerät unter die Kontrolle des Monopols, während ständig tausende von kleinen Verkäufern und Produzenten durch die Machenschaften der großen Monopolisten, die den Markt beherrschen, ruiniert werden. Was geschieht dann?! Nichts dagegen, als dass (wir sehen, wie) die wirtschaftlich Mächtigen die Gelegenheit wahrnehmen, die ihnen die Geldwirtschaft bietet, und ihre ganze Kraft für die Hortung, bzw. für die Produktion zum Zwecke der Kapitalanhäufung einsetzen, und fortfahren, zu produzieren und zu verkaufen, um das in der Gesellschaft umlaufende Geld aus dem Verkehr zu ziehen und in ihren Geldschränken anzuhäufen. So reißen sie es allmählich an sich und setzen die Funktion des Warentausches als Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch außer Kraft, und zwingen die große Mehrheit der Bevölkerung, in den Abgründen von Elend und Armut ihr Leben zu fristen. Schließlich kommt aufgrund des absinkenden wirtschaftlichen Standards und der fehlenden Kaufkraft der Masse des Volkes auch der Konsum zum Stillstand, ebenso wie der Produktionsprozess, denn die Vernichtung bzw. das Absinken der Kaufkraft bei den Verbrauchern macht auch die Produktion nicht mehr gewinnbringend, und eine allgemeine Stagnation erfasst alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens.

Und dies sind noch nicht alle Probleme der Geldwirtschaft, sondern sie verursacht noch ein weiteres Problem, das möglicherweise ernster als die bereits erwähnten ist. Denn das Geld ist nicht nur ein Mittel zur Hortung, sondern durch die Zinsen, welche die Kreditgeber von den Schuldnern verlangen, bzw. die Geldanleger von den kapitalistischen Banken, denen sie ihr Vermögen anvertrauen, wird es zu einem Instrument der Kapitalvermehrung. So bedingt die Hortung anstelle der Produktivität in der kapitalistischen Umwelt ein Anwachsen des Reichtums, und viele Kapitalien werden dem Bereich der Produktion entzogen und landen in den Tresoren der Banken, und kein Geschäftsmann lässt sich auf irgendeine Investition im Bereich der Produktion und des Handels ein, wenn er nicht sicher ist, dass das Projekt normalerweise mehr Gewinn bringt, als die Zinsen, die er erhalten kann, wenn er sein Geld verleiht oder einer Bank anvertraut. Seit Beginn des kapitalistischen Zeitalters begannen die Kapitalien aufgrund der Zinsnahme den Geldverleihern zuzufließen, denn diese zogen die von verschiedenen Personen gehorteten Geldmengen mit dem Lockmittel der jährlichen Zinsen an sich, auf welche die Kunden für ihr den Banken anvertrautes Vermögen Anspruch haben. So wurden diese Geldmengen verschiedener Herkunft in den Tresoren der Geldverleiher angehäuft, anstatt für produktive Investitionen verwendet zu werden, und es entstanden auf der Grundlage dieser Kapitalanhäufung die großen Banken und Finanzhäuser, die den Reichtum des jeweiligen Landes kontrollierten und jeden Ansatz zu wirtschaftlichem Gleichgewicht zunichte machten.

Diese kurze Darstellung der Probleme des Warentausches oder Handels macht ganz deutlich, dass alle diese Probleme durch das Geld und seinen Missbrauch im Bereich des Warentausches entstehen, nämlich wenn es zum Mittel der Hortung und schließlich der Vermehrung von Vermögen wird. Dies wirft ein Licht auf eine Überlieferung von Allahs Gesandtem Muhammad (s.), der gesagt hat:

Die goldenen Dinare und die silbernen Dirhams[1] richten euch zugrunde, wie sie eure Vorfahren zugrunde gerichtet haben.“

Auf jeden Fall verfügt der Islam über Gegenmittel gegen diese aus der Geldwirtschaft entstehenden Probleme, und konnte den Warentausch wieder zu seiner natürlichen Bestimmungen als Bindeglied zwischen der Produktion und dem Verbrauch zurückführen. Die Kernpunkte des islamischen Standpunktes zu den Problemen des Warentausches lassen sich wie folgt zusammenfassen:

·       Erstens: Der Islam verhindert die Hortung von Geld, und zwar indem er auf das angesammelte Geld die jährlich zu entrichtende Steuer der Almosenabgabe [zakat] auferlegt, so dass das gehortete Geld fast aufgebraucht wird, wenn es viele Jahre lang nicht ausgegeben wird. Daher betrachtet der Qur´an das Horten von Gold und Silber als ein Verbrechen, das mit dem Höllenfeuer bestraft wird, denn die Hortung bedeutet natürlicherweise Unterschlagung der gesetzlich vorgeschriebenen Steuer, da die Steuer keine Möglichkeit lässt, das Geld zu horten oder anzuhäufen. So ist es nicht verwunderlich, wenn der Qur´an denjenigen, die Gold und Silber anhäufen, das Höllenfeuer androht, indem er sagt: Und verkünde denen, die Gold und Silber anhäufen und es nicht für Allahs Sache ausgeben, eine schmerzliche Strafe an dem Tag, an dem über ihnen das Feuer der Hölle entzündet wird. Dann verbrennt es sie von vorn, von den Seiten und von hinten, und es wird ihnen zugerufen: Dies ist es, was ihr gehortet habt, so kostet nun, was ihr anzuhäufen pflegtet.“[2]Auf diese Weise sorgt der Islam dafür, dass das Kapital im Bereich der Produktion, des Warentausches und des Verbrauchs bleibt, und verhindert, dass es zur Hortung und Anhäufung in den Tresoren verschwindet.

·       Zweitens: Der Islam verbietet den Zinsgewinn kategorisch und ohne Ausnahme. Dadurch macht er den Zinsen und deren ernsten Folgen für den Bereich der Einkommensverteilung, sowie der von ihnen verursachten Störungen des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts, ein Ende. Außerdem nimmt er dem Geld seine Eigenschaft als für sich unabhängiges Instrument zur Vermehrung des Eigentums, und weist ihm wieder seine natürliche Rolle als allgemeiner Stellvertreter der Waren, als Maßstab für deren Wert und als Mittel zur Erleichterung des Warentausches zu. Vielleicht denken viele, die unter dem kapitalistischen System leben und sich an dessen Erscheinungsformen und Spielarten gewöhnt haben, dass die Abschaffung der Zinsen das Ende der Banken, die Stilllegung der für das Wirtschaftsleben unverzichtbaren Einrichtungen und die Lähmung des ganzen wirtschaftlichen Kreislaufes, den diese Banken am Laufen halten, bedeuten würde. So eine Ansicht entsteht aus Unwissenheit über die wahre Rolle, welche die Banken im wirtschaftlichen Leben spielen, und über die wahre Gestalt der islamischen Wirtschaftsordnung, die gewährleistet, dass sämtliche Probleme, welche die Abschaffung der Zinsen mit sich bringen, gemeistert werden, und dies werden wir ausführlich in einem späteren Kapitel untersuchen.[3]

·       Drittens: Dem verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] werden Kompetenzen verliehen, den ordnungsgemäßen Ablauf des Warentausches vollständig zu überwachen und die Märkte beaufsichtigen zu lassen, um jede Art von Aktivitäten zu verhindern, die zur Schädigung oder Erschütterung des Wirtschaftslebens führen oder der illegalen Marktbeherrschung durch eine Person Vorschub leisten würden. Wir werden diese drei Punkte in späteren Kapiteln dieses Buches, in denen wir die Einzelheiten der islamischen Wirtschaftslehre darlegen, noch ausführlicher untersuchen und erläutern.

[1] Dinar und Dirham waren altarabische Zahlungseinheiten.

[2] Heiliger Qur´an 9:34-35

[3] Siehe Kapitel: „Die Entwicklung der Produktion“

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