Werden Bodenschätze zusammen mit Land zum Eigentum?
Wenn bis jetzt
von Bodenschätzen die Rede war, haben wir darunter solche
verstanden, die sich in freiem Land befinden, das keiner
einzelnen Person zugehörig ist. Die Erörterung führte zu
Ergebnissen, die wir soeben zusammengefasst haben. Wir müssen
nunmehr feststellen, ob diese Schlussfolgerungen auch für
solche Lagerstätten gelten, die sich in dem Boden befinden,
der einer bestimmten Person gehört, oder ob solche
Lagerstätten zum Eigentum dieser Person werden, weil sie sich
in deren Land befinden. Tatsache ist, dass es keinen
Hinderungsgrund gibt, die Schlussfolgerungen, die sich aus der
vorangehenden Erörterung ergaben, auch auf solche Lagerstätten
anzuwenden – solange es keinen anderslautenden verbindlichen
Konsens der Rechtsgelehrten gibt – denn deren Lage im Land
einer bestimmten Person ist nach den Kriterien der
Rechtswissenschaft kein ausreichender Grund dafür, dass sie
zum Eigentum jener Person werden.
Wir haben in
einem vorangehenden Kapitel festgestellt, dass die
Zugehörigkeit von Land zu einer Person nur eine von zwei
Ursachen haben kann, nämlich entweder dessen Urbarmachung,
oder die Eingliederung des Landes in das
Territorium des Islam durch
freiwillige Bekehrung seiner Besitzer. Die Urbarmachung
verschafft demjenigen, der sie ausführt, ein Recht an dem von
ihm erschlossenen Land, und die freiwillige Bekehrung eines
Landbesitzers zum Islam macht das Land zu seinem Eigentum,
auch nach dem islamischen Gesetz. Aber die Relevanz beider
Bedingungen erstreckt sich nicht auf die in den Tiefen der
Erde vorhandenen Bodenschätze, sondern beschränkt sich auf das
Land selbst, gemäß den gesetzeskräftigen Belegen, die für
beide Arten von Zugehörigkeit angeführt werden. So besteht der
gesetzeskräftige Beleg im Zusammenhang mit der Urbarmachung in
dem gesetzgeberisch relevanten Überlieferungs-Text, der
besagt: „Wer Land neu kultiviert, dem steht es zu, er
hat das größte Anrecht darauf, aber er muss die entsprechende
Steuer bezahlen.“ Es wird deutlich, dass der Text
demjenigen, der das Land urbar gemacht hat, ein Recht an
diesem gewährt, aber nicht an den Reichtümern, die dieses Land
enthält, und die sich noch in den Tiefen der Erde befinden.
Was den
gesetzeskräftigen Beleg für das Eigentum von Personen an dem
Land betrifft, als dessen Besitzer sie sich freiwillig zum
Islam bekehren, so besteht er darin, dass der Islam Leben und
Vermögen garantiert. Wer also freiwillig und ohne äußeren
Druck den Islam annimmt, dessen Leben wird geschont,
und dessen Vermögen, das ihm bereits vor seiner Bekehrung
gehörte, wird nicht angetastet. Dieser Grundsatz wird aber nur
auf das Land selbst angewandt, und nicht auf die Bodenschätze,
die es enthält, denn die betreffende Person, die zum Islam
übergetreten ist, war auch vor ihrer Bekehrung nicht
Eigentümer jener Bodenschätze, so dass ihr Eigentumsrecht
daran bewahrt werden müsste. Mit anderen Worten: Das Prinzip
der Verschonung von Leben und Vermögen im Islam schafft keine
gesetzliche Grundlage für neues Eigentum, sondern belässt dem
Einzelnen als Gegenleistung für seinen Übertritt zum Islam
diejenigen Güter, die schon vorher sein Eigentum waren; und
Lagerstätten von Bodenschätzen gehören nicht zu diesen Gütern,
so dass sie durch den Übertritt zum Islam zum Eigentum der
betreffenden Person würden, sondern der Islam bewahrt dieser
nur das Land, das ihr bereits gehörte, so dass sich nach ihrem
Übertritt zum Islam dessen Eigentümer bleibt, und es ihr nicht
weggenommen wird. Und es befindet sich im islamischen Recht [scharia]
keine Textquelle, die belegen würde, dass sich das Eigentum am
Land auch auf alle darin enthaltenen Reichtümer an
Bodenschätzen erstrecken würde. Somit wissen wir: Es ist uns
nach den Kriterien der Rechtswissenschaft möglich – falls kein
anderslautender verbindlicher Konsens der Rechtsgelehrten
vorliegt – zu behaupten, dass Lagerstätten von Bodenschätzen,
die sich auf Ländereien befinden, welche Privatpersonen als
Eigentum oder mit einem anderen Status zugehörig sind, nicht
Eigentum der jeweiligen Landbesitzer sind. Allerdings muss bei
deren Nutzung das Recht des Besitzers an seinem Land
berücksichtigt werden, denn die Erschließung und Förderung der
Bodenschätze ist von der Verfügung über den Grund und Boden
abhängig.
Es scheint,
als ob Malik ibn Anas sich diese Auffassung zueigen gemacht
und in einem Rechtsurteil [fatwa] verkündet hat, dass
Bodenschätze, die in solchem Land, das Eigentum einer Person
ist, entdeckt werden, nicht dem rechtlichen Status des Landes
folgen, sondern dem Imam gehören. So steht in dem Buch
“Mawahid al-Galil“ folgendes Zitat: „Ibn Baschir sagte:
'Wenn sich die Bodenschätze in solchem Land befinden, das
einem bestimmten Eigentümer gehört, so gibt es über deren
rechtlichen Status drei mögliche Auffassungen: Erstens, dass
sie dem Imam gehören; zweitens, dass sie dem Landeigentümer
gehören, und drittens, dass sie dem Imam gehören, falls es
sich um gediegene Metalle usw. handelt, und dem
Landeigentümer, falls es sonstige Substanzen sind.' Und
al-Chummi sagte: 'Ich widerspreche dieser Auffassung
hinsichtlich der Erze von Gold, Silber, Eisen, Kupfer und
Blei, die auf dem Eigentum einer Person entdeckt werden.' Und
Mali ibn Anas sagte: 'Der Imam hat darüber zu entscheiden, und
er kann sie wem er will als Konzession zuteilen.'“