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Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Werden Bodenschätze zusammen mit Land zum Eigentum?

Wenn bis jetzt von Bodenschätzen die Rede war, haben wir darunter solche verstanden, die sich in freiem Land befinden, das keiner einzelnen Person zugehörig ist. Die Erörterung führte zu Ergebnissen, die wir soeben zusammengefasst haben. Wir müssen nunmehr feststellen, ob diese Schlussfolgerungen auch für solche Lagerstätten gelten, die sich in dem Boden befinden, der einer bestimmten Person gehört, oder ob solche Lagerstätten zum Eigentum dieser Person werden, weil sie sich in deren Land befinden. Tatsache ist, dass es keinen Hinderungsgrund gibt, die Schlussfolgerungen, die sich aus der vorangehenden Erörterung ergaben, auch auf solche Lagerstätten anzuwenden – solange es keinen anderslautenden verbindlichen Konsens der Rechtsgelehrten gibt – denn deren Lage im Land einer bestimmten Person ist nach den Kriterien der Rechtswissenschaft kein ausreichender Grund dafür, dass sie zum Eigentum jener Person werden.

Wir haben in einem vorangehenden Kapitel festgestellt, dass die Zugehörigkeit von Land zu einer Person nur eine von zwei Ursachen haben kann, nämlich entweder dessen Urbarmachung, oder die Eingliederung des Landes in das Territorium des Islam durch freiwillige Bekehrung seiner Besitzer. Die Urbarmachung verschafft demjenigen, der sie ausführt, ein Recht an dem von ihm erschlossenen Land, und die freiwillige Bekehrung eines Landbesitzers zum Islam macht das Land zu seinem Eigentum, auch nach dem islamischen Gesetz. Aber die Relevanz beider Bedingungen erstreckt sich nicht auf die in den Tiefen der Erde vorhandenen Bodenschätze, sondern beschränkt sich auf das Land selbst, gemäß den gesetzeskräftigen Belegen, die für beide Arten von Zugehörigkeit angeführt werden. So besteht der gesetzeskräftige Beleg im Zusammenhang mit der Urbarmachung in dem gesetzgeberisch relevanten Überlieferungs-Text, der besagt: „Wer Land neu kultiviert, dem steht es zu, er hat das größte Anrecht darauf, aber er muss die entsprechende Steuer bezahlen.“ Es wird deutlich, dass der Text demjenigen, der das Land urbar gemacht hat, ein Recht an diesem gewährt, aber nicht an den Reichtümern, die dieses Land enthält, und die sich noch in den Tiefen der Erde befinden.

Was den gesetzeskräftigen Beleg für das Eigentum von Personen an dem Land betrifft, als dessen Besitzer sie sich freiwillig zum Islam bekehren, so besteht er darin, dass der Islam Leben und Vermögen garantiert. Wer also freiwillig und ohne äußeren Druck den Islam annimmt, dessen Leben wird geschont[1], und dessen Vermögen, das ihm bereits vor seiner Bekehrung gehörte, wird nicht angetastet. Dieser Grundsatz wird aber nur auf das Land selbst angewandt, und nicht auf die Bodenschätze, die es enthält, denn die betreffende Person, die zum Islam übergetreten ist, war auch vor ihrer Bekehrung nicht Eigentümer jener Bodenschätze, so dass ihr Eigentumsrecht daran bewahrt werden müsste. Mit anderen Worten: Das Prinzip der Verschonung von Leben und Vermögen im Islam schafft keine gesetzliche Grundlage für neues Eigentum, sondern belässt dem Einzelnen als Gegenleistung für seinen Übertritt zum Islam diejenigen Güter, die schon vorher sein Eigentum waren; und Lagerstätten von Bodenschätzen gehören nicht zu diesen Gütern, so dass sie durch den Übertritt zum Islam zum Eigentum der betreffenden Person würden, sondern der Islam bewahrt dieser nur das Land, das ihr bereits gehörte, so dass sich nach ihrem Übertritt zum Islam dessen Eigentümer bleibt, und es ihr nicht weggenommen wird. Und es befindet sich im islamischen Recht [scharia] keine Textquelle, die belegen würde, dass sich das Eigentum am Land auch auf alle darin enthaltenen Reichtümer an Bodenschätzen erstrecken würde. Somit wissen wir: Es ist uns nach den Kriterien der Rechtswissenschaft möglich – falls kein anderslautender verbindlicher Konsens der Rechtsgelehrten vorliegt – zu behaupten, dass Lagerstätten von Bodenschätzen, die sich auf Ländereien befinden, welche Privatpersonen als Eigentum oder mit einem anderen Status zugehörig sind, nicht Eigentum der jeweiligen Landbesitzer sind. Allerdings muss bei deren Nutzung das Recht des Besitzers an seinem Land berücksichtigt werden, denn die Erschließung und Förderung der Bodenschätze ist von der Verfügung über den Grund und Boden abhängig.

Es scheint, als ob Malik ibn Anas sich diese Auffassung zueigen gemacht und in einem Rechtsurteil [fatwa] verkündet hat, dass Bodenschätze, die in solchem Land, das Eigentum einer Person ist, entdeckt werden, nicht dem rechtlichen Status des Landes folgen, sondern dem Imam gehören. So steht in dem Buch “Mawahid al-Galil“ folgendes Zitat: „Ibn Baschir sagte: 'Wenn sich die Bodenschätze in solchem Land befinden, das einem bestimmten Eigentümer gehört, so gibt es über deren rechtlichen Status drei mögliche Auffassungen: Erstens, dass sie dem Imam gehören; zweitens, dass sie dem Landeigentümer gehören, und drittens, dass sie dem Imam gehören, falls es sich um gediegene Metalle usw. handelt, und dem Landeigentümer, falls es sonstige Substanzen sind.' Und al-Chummi sagte: 'Ich widerspreche dieser Auffassung hinsichtlich der Erze von Gold, Silber, Eisen, Kupfer und Blei, die auf dem Eigentum einer Person entdeckt werden.' Und Mali ibn Anas sagte: 'Der Imam hat darüber zu entscheiden, und er kann sie wem er will als Konzession zuteilen.'“[2]

[1] Damit ist gemeint, dass jemand, der sein Leben lang gegen den Islam gekämpft und dabei Muslime umgebracht hat, nach seiner Ergreifung dennoch geschont wird, falls er den Islam annimmt. Einer der berühmtesten Beispiele für diese Praxis ist der Mörder vom Hamza, dem Onkel des Propheten (s.).

[2] Mawahid al-Galil“ des al-Hattab, Band 2, Seite 335

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