Musawi Lari

Westliche Zivilisation und Islam

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Ins Englische übersetzt von J.F. Goulding, hiernach ins Deutsche übertragen durch R.H. Sengler

Das folgende Manuskript ist eine geringfügig überarbeitete und sprachlich verfeinerte Version der 1995 in Qum erschienenen deutschen Übersetzung.

Delmenhorst 2004

Anti-Islamische Propaganda

Die Kirchenführer betrachten das Vorrücken des Islam mit Besorgnis. Damit die Harmonie der Wahrheit des Islam nicht ruchbar wird, haben sie sich auf weltweite Verleumdungen eingelassen, die vor nichts Halt machen.

Ein Beispiel davon sah ich im Deutschen Fernsehen. Ein Muslim aus dem Jemen beschrieb die dortigen Moscheen und deren Gottesdienste. Danach erläuterte der Fernsehinterviewer ausführlich die Armut und das Elend des Landes. Der Islam war der Sündenbock, weil er den Fortschnitt des Jemen behindere. „Ein bigottes Festhalten an den Lehren und Prinzipien des Islam“, sagte er “hielt den Jemen in primitiven Rückständigkeit und Schwäche, zwei Jahnhunderte hinter dem Voranschreiten der Zivilisation in der übrigen Welt.“ Er nannte dies ein Beispiel dafür, wie „der Islam es nicht fertig bringt, mit den Wandlungen Schritt zu halten, deren sich der größte Teil der Menschheit erfreut.“

Stellen Sie sich die Wirkungen solcher Giftpropaganda, getragen von sorgfältig ausgewählten Filmen, auf europäische Gemüter vor, die über die Eigenart des Islam entweder gar nicht, spärlich oder vollständig fehl informiert sind! Sicher sind solche Verdrehungen ein Verrat an der Menschlichkeit.

Man sollte solche Propagandaquellen fragen: „Wenn der mangelnde Fort­schnitt des Jemen auf dem Hinterngrund seiner Religion zu erklären ist, warum. ist dann Süditalien so rückständig, wo doch der Papst den Ton angibt? Warum kehren so viele Süditalien den Rücken, um in reicheren Ländern untergeordnete Arbeiten zu suchen? Warum steht das christliche Griechenland so weit zurück hinter vielen muslimischen Ländern? Warum verfiel Griechenland, der Pionier der Menschheit auf ihrem Weg nach oben in vorchristlichen Zeit, in Niedergang, nachdem es christlich geworden war - bis es unter türkische Herrschaft geriet und sich wieder nach oben entwickelte? Wiederum - warum leiden die nichtmuslimischen Völker Asiens eine Not, wie sie kein muslimisches Land kennt?“

In Bosnien, wo Muslime, Orthodoxe und Katholiken Schulter an Schulter Wohnen, geht es den Muslimen am besten. In Russland sind die Muslime ihren christlichen Nachbarn keinen Deut unterlegen. In China sind die Muslime den Buddhisten voraus. Den Arabern in Singspore geht es materiell weit besser als irgendwem sonst dort, die Engländer mit eingeschlossen.

Die meisten Abendländer stellen den Islam in einem falschen Licht dar und Wiederholen grundlose Erfindungen, welche glattes Unwissen über das Wissen des Islam verraten; und die Kirchen unterstützen derartige Irrtümer.

Muhammad Qutb schreibt in „Der Islam und die Fehldeutungen aufgeklärter Den­ker“ (S. 298 der persischen Ausgabe):  „Ich sprach in Kairo einige Stunden mit einem UN-Delegierten über islamische Fragen. Plötzlich rief er: ,Alles in Ordnung! Ihr Plädoyer für die Richtigkeit und Wahrheit des Islam ist erstklassig. Aber ich kann die Wohltaten modernen Fortschnitts nicht entbehren. Zum Beispiel liege ich gern in Überschallflugzeugen.’ Es folgten einige weitere technologische Vorzüge, bis ich ihn verblüfft unter­brach: ‚Aber was hindert Sie denn, sich an modernem Komfort zu erfreuen?’ Er erwiderte: ‚Ja, ich dachte, die Muslime befürworteten ein Zurück ins Wüstenzelt und wollten, das ich wie ein Nomade, wie ein Wilder lebe!’“

In Deutschland wohnte ich in einem Hotel, dessen Manager ein Mann war, der an englischen und französischen Universitäten studiert hatte, deren Titel besaß und sogar Arabisch gelernt hatte. Er sagte mir: „Als Unitarier kenne ich meinen Gott gut und glaube unbedingt an Ihn. Aber ich kann einen Gott nicht akzeptieren, dem man, laut religiösem Establishment, in seinen Bauten zu dienen und Verehrung darzubringen hat. Es scheint mir der Vernünftigkeit eines Schöpfens völlig fremd zu sein, von seinen Geschöpfen zu erwarten, das sie einen Pfad befolgen, der aufgeklärtem Denken und der menschlichen Natur selbst zuwiderläuft.“ Und er fügte hinzu, wobei ihm die Tiefe seiner Gefühle auf dem Gesicht geschrieben stand: „Die Anbetung des Einen Gottes muss das Geschick des Menschen entscheiden, die bösen Folgen irreführender Ideen ausrotten und die menschliche Kultur auf die Höhe eines reinen Monotheismus heben.“ Diesen hochgebildete Europäer wusste nichts vom Glauben des Islam an die reine Einheit Gottes, nichts vom Wesensunterschied zwischen dem Heiligen Qur’an einerseits und dem Alten und Neuen Testament andererseits.

Er meinte, der Qur’an ähnele der Thora des Alten Testamentes und den Evangelien des Neuen Testamentes, so wie sie Gott darstellten. Ich gab ihm natürlich ein Buch über den Islam auf Deutsch, um ihn zu befähigen, sich dessen Prinzipien anzueignen. Unglücklicherweise legen einige unserer Landsleute, wenn sie im Ausland sind, ein Verhalten an den Tag, welches die Abendländer den Muslimen schlechthin ankreiden, und beurteilen danach den Islam - wo doch der Übeltäter a) als einzelner handelte und b) gegen seine Religion.

Tatsächlich hatte mein Hotelier, aufgrund des Benehmens einiger Iraner, es abgelehnt, noch Iraner aufzunehmen und machte nur in meinem Fall eine Ausnahme, weil ein alter Freund, dem er traute, darauf bestand. Selbst so wollte er mich nur ein paar Tage behalten. Im Verlaufe meines Aufenthaltes nahm sein Vertrauen zu ihm zu, einfach deshalb, weil er mich nie die Grenzen des Anstands und Rechts überschreiten sah; nicht, weil ich mich besonders angestrengt hätte, seine Achtung zu gewinnen. Er pries mich (Bescheidenheit hindert mich, ihn genau zu zitieren) und zeigte mir seine Bewegung und Zuneigung mit Geschenken. Manchmal gab er einem Gast, wenn das Hotel besetzt war, mein Zimmer und Überließ mir dafür sein eigenes; dabei beließ er sein Schreibpult darin, offen und mit aufgeschichteten wertvollen Papieren!

Schließlich kam der Tag, da ich anderswohin reisen musste. Er schrieb sich meine Adresse auf und von da an rief er mich immer wieder an, wenn Iraner ihn um Zimmer baten und erbat meine „Charaktergarantie“. Ich verbürgte mich für ihr gutes Benehmen, um Mit-Iranern Schwierigkeiten zu ersparen (denn Ausländer finden es, wenn sie nicht gescheit genug sind, ein Zimmer vorher zu bestellen, recht schwierig, nach Einbruch der Dunkelheit eine Bleibe zu finden).

Eines Nachts rief der Hotelier an und fragte wegen einiger frisch ange­kommenen Iraner auf deren erstem Deutschlandbesuch. Ich gab ihm meine gewohnheitsmäßige Garantie für ihr Benehmen. Aber am nächsten Morgen rief er wieder an, seine Stimme verriet Aufregung, ja Bestürzung. Er klagte: „Diese Leute, für die Sie gestern Abend gutstanden, haben sich schockierend schlecht benommen.“ Vollen Scham entschuldigte ich mich und beschloss: „Nie wieder!“

Die gegenwärtige Weltkrise gibt den Muslimen eine erstklassige Gelegenheit, die Herzen der zivilisierten Welt für die inspirierenden Leitsätze und Programme des Islam zu öffnen. Die Voraussetzungen, um diesen heiligen Glauben in weiten Kreisen bekannt zu machen, sind günstig. Natürlich ist es die Übereinstimmung einer Religion mit den innersten Anliegen der menschlichen Natur, welche die Ausbreitung dieses Glaubens sichert, aber die Umstände und örtlichen Bedürfnisse verdienen, das man sie ebenfalls, und zwar weltweit, studiert, um psychologische Momente für seine Verkün­dung klar zu erkennen. Und dieses Studium, diese Verkündung haben wir leider noch nicht, wie wir gesollt hätten, unternommen. Aber ohne dies können vereinzelte Ansätze, unzulängliche Aktionen, angezielte Anstrengungen, planlose Propaganda und unkoordinierte Organe nie ein zufriedenstellendes Resultat erreichen und nicht in Bereiche vorstoßen, wo überlieferte und tiefverwurzelte Gegnerschaft am Werk ist.

Wir gehen fehl wenn wir die überragende Bedeutung einer klugen Verkündigung und einer gesunden Organisation nicht begreifen. Trotz der bewundernswerten Kraft, die der islamischen Kultur für einen revolutionären Vormarsch innewohnt, trotz ihrer sehr speziellen Überlieferung von der Gesellschaft, sind die Faktoren, die dies zustandebringen sollten, aus unseren Mitte verschwunden. Allem Erbe der gesündesten Lehrsätze, der lohnend­sten Ideologie zum Trotz ist unsere Lage schrecklich und öffnet ganz von selbst den Feinden des Islam ein weites Feld zum Handeln.

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