Der Islam und der Fortschritt des Geistes
Die meisten Abendländer
wissen nichts davon, wie viel ihre Kultur dem Islam schuldet,
sogar hinsichtlich der industriellen Umgestaltung, des
wissenschaftlichen Fortschritts und des philosophischen
Neulands unserer Zeit. Der Islam kam inmitten eines der
rückständigsten Völker zur Welt. In sehr kurzer Zeit hatte er
diesen Völkern einen Vorsprung auf jedem Gebiet verschafft.
Das größte Wunder war, das er
als ein Erwachsener des Geistes in einer so verdorbenen und
armseligen Umwelt auftrat. Sein zweites Wunder war, das er
diese Umwelt durch die schiere Kraft der Eingebung ohne jede
Unterstützung von außen zu einer Bestimmung ohnegleichen
erhob. Sein drittes war, einen kulturellen Brennpunkt zu
errichten, von dem starke Wellen ausstrahlten, die eine
Renaissance in anderen Völkern verschiedenster Herkunft
anregten. Die Wandlungen, die er bewirkte, umfassen die bis
dahin größte Revolution in der Geschichte: eine Revolution
der Vernunft und Aufnahmefähigkeit, in Denken und Verstand, in
den Beziehungen zwischen Individuen und Gemeinschaften,
überhaupt in jedem Bereich menschlichen Lebens.
Am Ende seines ersten
Jahrtausends erstreckte sich der Islam von der Atlantikküste
Afrikas im Westen bis zur Großen Chinesischen Mauer im Osten,
vom Mittelmeer bis zur Sahara in Afrika. In Spanien eroberten
seine Truppen zuerst Andalusien, dann ganz Spanien bis zu den
Pyrenäen und drangen sogar durch Südfrankreich weit nördlich
bis Tours vor. Der ganze „Jezirat-ul’Arab“ wurde natürlich
muslimisch. Vom muslimischen Iran und Afghanistan aus
eroberten andere Truppen den Sind, Pandschab und die Gobi -
und dies in ein paar kurzen Jahrhunderten. In allen seinen
Bereichen wurden die in der arabischen Heimat erarbeiteten
Prinzipien auf die neuen Gemeinschaften unter seiner
Herrschaft angewandt. Im besonderen seine Gerechtigkeit,
Gleichheit und Brüderlichkeit, die humanen Früchte seiner
peinlich genauen Sorge für das Individuum und dessen Stellung
in der Gesellschaft, welches die eigentlichen Kennzeichen des
Islam sind und die den Gemeinschaften auf dieser ungeheuren
weiten Fläche ihren Stempel aufgedruckt haben.
Die erste Aufgabe war der
Sturz von Tyranneien; die zweite die Begründung einer gesunden
islamischen Herrschaft mit Respekt vor den Menschenrechten;
die dritte die Aufklärung von Verstand, Forschung und Denken;
die vierte die Propagierung des Glaubens dank seiner ruhigen
Anziehungskraft für Vernunft und Logik und durch die Tiefe
und Weite seiner Schau; die fünfte, vielleicht ruhmvollste von
allen, weil ohne jede Namensnennung; das Völker aller
Glaubensrichtungen von seiner eigenen überlegenen Auffassung
von Moral, Geist und Seele angesteckt wurden.
Diese letzte Errungenschaft
hob nicht nur das allgemeine Niveau der Völker jeglicher
Religion überall in der Welt, sondern zog auch viele
Proselyten aus den Götzenanbetern Arabiens, Animisten Afrikas,
Magier und Anhängern des Zoroaster im Iran und Christen
Ägyptens und Syriens an sich.
Das vor-muslimische Arabien
besaß keine Spur von Kultur. Wissenschaft, Gelehrsamkeit oder
Volkswirtschaft; aus geographischen Gründen lebten die Araber
in Unwissenheit und Elend, ein Opfer abergläubischer
Vorstellungen, isoliert von dem, was in der Welt vor sich
ging. Der Islam änderte dies alles und ging weiter: Er öffnete
Herz und Verstand der Menschen überall für neue
Möglichkeiten.
Im weit entfernten Andalusien
erwuchs, vom Islam inspiriert, eine Schule von Gelehrten,
Schriftstellern, Mathematikern, Forschern und Philosophen, die
das von den Griechen 1500 Jahre zuvor erreichte gedankliche
Niveau wiederbelebte und darauf aufbauend zu Höhen
fortschritt, die der Mensch nie zuvor erreicht hatte.
Moderne Wissenschaftler jedes
Landes, selbst solche, deren Vorurteile sie lieber an einer
kritischen, ja feindseligen Haltung gegenüber dem Islam
festhalten ließen, wurden immer aufmerksamer, wie schnell
sich der Muslimglaube ausbreitete, welche wohltätigen
Resultate er für ein kühnes Denken und Forschen der Menschheit
und die fortschrittlichen Ideen bewirkte, die er anderen
stehen gebliebenen Kulturen brachte.
Es sollte von unseren
„Progressiven“ allerwärts festgehalten werden, das dieser
glanzvolle Fortschritt für die gesamte Menschheit der
Begleitumstand moralischer Selbstdisziplin, einer Vermeidung
von Ausschweifungen, die auf eine Lockerung der Zügel
gegenüber heftigen Begierden folgen und einer bewussten
Steuerung der schöpferischen Instinkte war - was diese in
künstlerische, geistige und gesellschaftliche Kreativität
einmünden ließ, die reifer Menschen würdig ist. Diese innere
Disziplin, welche der Mensch braucht, fordert die innere
Freiheit, nach der er sich sehnt, und das ist einer der
Gründe, warum der Islam den Menschengeist im frühen
Mittelalter weithin beherrschte. Denn er bot ihnen nicht nur
gesündere äußere Lebensformen, sondern auch Bestätigung für
den Kern der Seele. Er schaffte die wilden Verfolgungen ab,
die durch kurzsichtige Bigotterie und kleinkarierten
Fanatismus entstanden waren.
Aus diesem Grund sprach
Sultan Kemal-ul-Mulk, der Neffe Saladins, als Mann zu Mann und
als Abkömmling desselben Geistes zu Franz von Assisi, als der
Heilige aus dem Lager der Kreuzfahrer unter König Ludwig die
Reiehn überschritt, welche die Muslime vor Damietta zum Stehen
gebracht hatten. Es war dieselbe universale Menschlichkeit,
welche den weiten Kontrast zwischen Omars barmherziger
Behandlung der Christen bei der Eroberung Jerusalems und dem
barbarischen Hinschlachten der muslimischen Bewohner
Jerusalems durch die europäischen Kreutzfahrer bewirkte, die
es für kurze Zeit 300 Jahre später zurückeroberten. An die
Stelle solcher Grausamkeit setzte der Islam eine
verfassungsmäßige Regierung, eine menschlich geordnete
Gesellschaft, eine übergreifende Denkweise, die die gesamte
Menschheit umfasste.
Im finsteren Mittelalter
Europas, als die Kirche ihre Macht über die verschiedenen
Völker begründete und sie in die einschnürenden Bande des
status quo einschloss, baute der Islam eine vielseitige Kultur
auf, welche die Basis abgab für jene Blüte der Wissenschaft,
des Wissens, der künstlerischen und handwerklichen
Schöpferkraft, welche wir die „Renaissance“ nennen. Dies
geschah, während die Kirche Galilei verdammte, weil er des
Kopernikus’ Lehre vom Kreisen der Erde um die Sonne bestätigte
und ihn zu seinem berüchtigten Widerruf zwang: „Ich,
Galileo Galilei, im 70. Jahr meines Lebens (1633 n. Chr.),
liege vor Euren Hochwürden (dem Papst und den Bischöfen) auf
den Knien, die Heiligen Schriften vor meinen Augen, und küsse
sie, wobei ich die törichte Behauptung, die Erde bewege sich,
bereue und widerrufe. Ich betrachte diese Behauptung als eine
hassenswerte Ketzerei“. Und doch murmelte er halblaut und
rebellisch: „Eppure si muove (dennoch bewegt sie sich) .“
Dabei hatte bereits 500 Jahre
vorher unser eigener großer Astronom und Mathematiker Omar
Khayyam aus Nischapur (er wirkte in der 2. Hälfte des 11. Jh.
n.Chr., als Wilhelm der Bastard England eroberte), dem Iran
den Jalali-Kalender geschenkt, welcher es bis zum heutigen Tag
ermöglicht, unser neues Jahr nicht nur mit dem Tag, sondern
mit der genauen Stunde, Minute und Sekunde zu beginnen, wann
die Erde einen Umlauf beendet und einen neuen um die Sonne zur
Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche beginnt! Wie wenige Abendländer
wissen das! Sie halten ihn für einen Dichter, obwohl er darin
bedeutungslos war, sehen aber nicht, dass hätten sie seine
Weisheit begriffen, sie sich all ihre gregorianischen
Änderungen des Julianischen Kalenders hätten ersparen können,
mitsamt dem Verlust ihrer „11 Tage“.
Roger Bacon (1214 - 1292 n.
Chr.), der Franziskanische „Doktor Mirabilis“, musste während
der Regierung Eduards I. von England seine experimentellen
Untersuchungen einstellen, wozu ihn seine Vorlesungen in Paris
über Aristoteles, insbesondere dessen „Liber de causis“
geführt hatten, und wurde von Oxford zurück nach Paris gejagt,
um unter den Augen der Kirche zu bleiben, - Augen, die zu eng
und zu scheinheilig waren, als das sie den Reichtum an
wissenschaftlichen Schätzen begriffen hätten, die er ihnen
aufschloss. Er wurde als Pfuscher in teuflischer, satanischer
Alchemie angeklagt, und der Mob wurde angestachelt zu
schreien, „die Hand dieses Zauberers abzuhacken und diesen
,Muslim’ des Landes zu verweisen“. Heutigentags würdigen
europäische und amerikanische Historiker und Gelehrte die
grundlegenden Beiträge, die der Islam jeglichen modernern
Fortschritt in der Naturwissenschaft, der Mathematik,
Technologie, Philosophie in vieler Beziehung gebracht hat,
was dieses kurze Kapitel in vieler Hinsicht nur am Rand hat
zeigen können.