Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Die Sonderstellung Israels

In dem Vorläuferbuch haben wir an dieser Stelle eine ausführliche Auflistung der Aspekte dargelegt, welche die Sonderstellung Israels bezüglich Gründung, Kriegsführung, Rassismus und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Es ist aber festzustellen, dass solch eine Auflistung den Rahmen eines solchen Buches bei weitem sprengt. Zudem wurde alles, was wir an Vorwürfen nennen könnten, durch das Massaker an der unschuldigen Zivilbevölkerung des Gaza Anfang 2009 übertroffen. Israel hat sich selbst entlarvt und – einmal abgesehen von den sich dem Zionismus verschriebenen Politikern und ihren Hofjournalisten – kann kein vernünftiger Mensche auf Erden nachvollziehen, warum eine der größten Militärstreitkräfte der Welt über 1000 schutzlose Zivilisten ermorden muss, um sich angeblich vor einigen “Terroristen“, wie sie es nennen, zu schützen.

Muslime empfinden in der Existenz dieses sich selbst als “Judenstaat“[1] bezeichnenden Gebildes die Ursache für den Unfrieden und die andauernde Unterdrückung und Besatzung in der Region. Denn in einem “Judenstaat“ sind Nichtjuden keine gleichberechtigten Bürger. Nichtjuden waren aber bis zu ihrer Vertreibung in der Mehrheit in der Region, in der inzwischen so viele Kriege so viel Leid auf allen Seiten bewirkt hat.

Den Muslimen sind sehr viele Aspekte bekannt, die von der westlichen Welt ausschließlich Israel zugebilligt werden (wie z.B. die Nutzung von Atomenergie ohne jegliche Kontrollen) und jene doppelten Standards werden auch immer sehr intensiv wahrgenommen. Aber nicht die Menschenrechts- und Völkerrechtsverbrechen Israels werden in der deutschen Politik verurteilt, sondern die Tatsache, dass Muslime sie klar und unverblümt ansprechen. Dabei werden sie von vielen Menschen jüdischen Glaubens selbst meist noch viel deutlicher ausgesprochen. Die größten öffentlichen Kritiker israelischer Besatzungspolitik sind heute zumeist Israelis selbst! Und viele von ihnen haben sich auch im Muslim-Markt geäußert. Hingegen ist es in Deutschland verpönt, diese Dinge all zu deutlich auszusprechen, da es fast immer gleich mit der Antisemitismus-Keule belegt wird. Aber Muslime haben kein antisemitisches Erbe, Muslime sind allein schon durch ihre eigene Religion verpflichtet, Menschen jüdischen Glaubens in jeder Hinsicht zu schützen!

Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass jedem aufrichtigen Beobachter auch klar ist, dass es ebenfalls israelisches Leid gibt, wenn auch in erheblich geringeren Maß. Aber es wäre grob fahrlässig, Ursache und Wirkung zu vertauschen, wie es einige deutsche Politiker gerne tun, oder beides gleich zu stellen, denn das würde letztendlich zu noch mehr Leid auf allen Seiten auch in Zukunft führen! Ursache ist und bleibt die Besatzung!

Viele deutsche unschuldige Zivilisten sind im zweiten Weltkrieg gestorben, auch in Lokalen oder auf der Straße aufgrund des Widerstandes der jeweils besetzten Bevölkerungen! Als Frankreich Algerien in der Kolonialzeit besetzte, wurden viele Franzosen, darunter Zivilisten und ihre Kinder in die Luft gesprengt, aber wer war Schuld, die Attentäter, die versuchten einen Weg aus der Unterdrückung zu finden oder die französischen Besatzer? Ist diese Frage wirklich so schwer zu beantworten?

Es heißt immer, dass es keinerlei Rechtfertigung für die Attentate der Palästinenser gegen israelische Zivilisten geben könne! Diese Aussage erscheint allein betrachtet nachvollziehbar, aber warum gibt es denn eine Rechtfertigung für 60 Jahre Besatzung und die Ermordung von zehn Mal so vielen Menschen in nur den letzten acht Jahren? Was ist das für eine Logik, die uns da abverlangt wird? "Wir werden nicht zögern, unsere Feinde überall und mit allen Mitteln zu bekämpfen", sagte Scharon[2], und seine Nachfolger tun genau das, wie man zuletzt im Libanon-Krieg 2006 und Gaza-Krieg 2009 miterleben konnte. Gleichzeitig verlangt der Besatzer aber auch die Bundsregierung, dass die Besetzten nicht “jedes Mittel“ des Widerstandes, sondern – wenn überhaupt – nur friedliche gewaltfreie Mittel einsetzen. Aber ist das nicht der Wunsch eines jeden Besatzers und seiner Verbündeten? Und weist nicht bereits die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) darauf hin, „die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht gezwungen wird, als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung zu greifen“?

Allein die Situation beim letzten Gaza-Massaker Anfang 2009 sprach Bände. Die Situation war so eindeutig und so grausam, dass sie sämtliche öffentlich-rechtlichen Medien in keiner einzigen Diskussionsrunde an das Thema herantrauten, so lange das Abschlachten – anders kann man das nicht nennen – anhielt.

Der bei der ganzen Diskussion wohl unverständlichste Aspekt für Muslime ist, wie es sein kann, dass selbst die Hilferufe der palästinensischen Christen keinerlei Wirkung bei ihren Glaubensgeschwistern in der westlichen Welt zur Folge haben! Und mindestens genauso unverständlich ist es, dass hohe Vertreter deutscher Politik diesbezüglich im privaten Kreis ganz andere Dinge sagen als in der Öffentlichkeit.

Gleich mehrere Male hatte ich die Gelegenheit, unsere Position hinsichtlich Israels im privaten Rahmen mit Vertretern der deutschen Politik zu erörtern, die aus verständlichen Gründen nicht genannt werden wollen. Die oben genannten Fakten und noch viel mehr waren diesen Leuten allesamt bekannt und brauchten nicht aufgezählt zu werden. So ging es bei den Diskussionen immer nur um die mögliche Zukunft und die mögliche Ein- oder Zweistaatenlösung. Ich habe dann unmissverständlich klargelegt, dass ich einen Staat, bestehend aus einem Gaza-Streifen und einigen zusammengeschusterten Flecken im Westjordanland für nicht geburtsfähig, geschweige denn für überlebensfähig halte. Zu meinem Erstaunen habe ich noch keinen einzigen deutschen Politiker getroffen, der im privaten Kreis dieser Tatsache widersprochen hätte. Immer hieß es sinngemäß: „Herr Dr. Özoguz, halten Sie uns für so naiv? Das wissen wir doch auch! Aber was können wir schon machen?“ Nein, für naiv halte ich solche deutschen Politiker nicht, aber für hilflos und teilweise feige, wenn es um die Wahrheit geht!

Gleich mehrere dieser Leute haben mir dann allen Ernstes angeboten, falls ich einmal Schwierigkeiten bekommen sollte, für mich auszusagen, dass ich kein “Extremist“ sei. Wie sehr nagt die Mitschuld an der eigenen Seele, dass man nach Ausflüchten sucht?

Ist es denn wirklich schwer sich in die Lage eines palästinensischen Kindes zu versetzen? Es sieht und spürt jeden Tag, wie sein Land enteignet wird und seine Verwandten und Bekannten verhaftet oder auf grausamste Weise getötet werden; jeden Tag und unabhängig davon, ob die westliche Presse darüber berichtet oder nicht. Demokratische Mittel werden durch ein einfaches VETO der USA schon im Ansatz blockiert. Sein Hilferuf an die Welt wird mit weiterer finanzieller Hilfe für Israel beantwortet. Was soll dieser junge Mensch machen? Welche Alternativen hat dieses Kind? Was würden Sie in seiner verzweifelten Lage tun? Kann sich denn niemand in der westlichen Welt vorstellen, welchen Hass das Gaza-Massaker Anfang 2009 aufgebaut hat?

Da scheinbar die Politiker dieser Welt seit über 60 Jahren nicht gewillt oder nicht befähigt sind, dieses Unrecht zu beseitigen, sondern das Unrecht durch finanzielle Hilfe noch vergrößern, haben wir uns, wie schon erwähnt, entschlossen, durch einen friedlichen Boykottaufruf, zumindest das Unrecht nicht weiter zu fördern. Und allein dieser Aufruf zum Boykott Israels wird wiederum mit der Antisemitismus-Keule belegt. Dabei rufen wir doch gar nicht zum Boykott von Juden auf. Diejenigen aber, die sämtliche Juden der Welt für die Verbrechen Israels vereinnahmen und beides gleich stellen, das sind die wahren Antisemiten. Die berechtigte Sorge der Menschen hier, dass, wenn es so weiter geht, die ganze Welt in ein Chaos stürzen könnte, kann sicherlich nicht dadurch gemildert werden, dass die Menschen weiterhin mit ihrem Geld die unglaubliche Unterdrückung von Menschen durch Israel unterstützen.

Eines der wichtigsten Aspekte bei der Beseitigung der offiziellen Apartheid in Südafrika war das weltweite Wissen über die Geschehnisse dort. Hätte die Presse damals häufiger berichtet und die Menschen in dessen logischer Folge die mit Südafrika kooperierenden Firmen früher boykottiert, hätten viel weniger Menschen leiden oder gar sterben müssen. So hat es längere Zeit gedauert, mehr Menschen sind gestorben, aber überlebt hat diese rassistische Staatsform dennoch nicht. Auch Israel wird diese Art Rassismus nicht überleben. Die Dauer des Mordens und Enteignens hängt auch von den Menschen in Deutschland und Europa ab.

[1] In seinem Buch "Der Judenstaat", dem faktischen Gründungsdokument des Zionismus, schrieb Theodor Herzl 1896 folgende Sätze: „Für Europa würden wir dort (in Palästina) ein Stück des Walles gegen Asien bilden. Wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“ Die Vorstellung, dass wir der Vorposten Europas sind und einen hohen Wall zwischen uns und asiatischer Barbarei – das heißt den Arabern – benötigen, ist so bereits Bestandteil der ursprünglichen Vision. (Uri Avnery in “Die Schandmauer“, Frankfurter Rundschau, 10.10.2003)

[2] Am 7.10.2003 bei einer Gedenkfeier zum Beginn des israelisch-arabischen Krieges vor 30 Jahren. (St. Galler Tagblatt 8.10.2003)

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