Erste Bremer Islamwoche
Mitte 1996
hatte der damalige Bürgermeister und Landesvater Bremens Dr.
Henning Scherf zusammen mit seinem Referenten und rechten Hand
Dr. Haffner die Idee, eine Islamwoche in Bremen und Umzu
abzuhalten und selbst als Schirmherr aufzutreten. Das war
damals einmalig in Deutschland. Zwar hatte es schon vorher von
einzelnen muslimischen Organisationen veranstaltete
Islamwochen gegeben, aber eine Islamwoche von fast allen
ortsansässigen Gemeinden gemeinsam unter der Schirmherrschaft
des Landesvaters, der hier im offiziellen Sprachgebrauch
“Präsident des Senats“ genannt wird, das hatte es noch nie
gegeben. Diese breite Aufstellung sollte sich aber im Vorfeld
zu einem fast unüberwindlichen Problem entwickeln.
Ende 1996 wurden die Vertreter aller
islamischen Vereine der Umgebung ins Bremer Rathaus zur ersten
Sondierung eingeladen. Der Islamische Weg e.V. war auch
vertreten. Bürgermeister Scherf, der sicherlich nicht
unbegründet als einer der volksnahesten Politiker Deutschlands
galt, wollte jedem Besucher einzeln die Hand geben. Bei seiner
extrem hohen Statur ist das für so manchen weniger langen
Menschen ein wahrlich aufschauendes Erlebnis. Im
Eingangsbereich des Saales standen die Männer, die er allesamt
persönlich begrüßte, bis er in den von der Eingangstür aus
hinteren Bereich des Saals kam, in dem die muslimischen Frauen
saßen. Herr Scherf war sich offensichtlich darüber im Klaren,
dass er nicht jeder muslimischen Frau die Hand reichen durfte,
und so grüßte er zwar persönlich jede Einzelne, aber ohne die
Hand auszustrecken, außer wenn die Frau von sich aus die Hand
reichte. Dieses Thema erklären wir in einem späteren Abschnitt
detaillierter.
Als Herr Dr. Scherf durch die Reihen
ging, stand er plötzlich vor einer älteren Frau mit
Palästinensertuch in Form eines Kopftuches um das Haar
gewickelt, die er zu kennen schien. Plötzlich merkte er, dass
es sich um eine alte sehr gute Bekannte aus jungen Sozi-Zeiten
handelte, die er seit mehreren Jahren aus den Augen verloren
hatte. In diesem Moment vergaß er offensichtlich, wo er war
und warum er dort war und warum die Gäste anwesend waren. Ohne
Beachtung jeglicher Förmlichkeit umarmte er die Dame mit einer
im ganzen Saal spürbaren Herzlichkeit mit dem lauten Spruch “Hallo
Irmgard, was machst du denn hier?“ Die völlig Überrumpelte
versuchte sich verzweifelt von der völlig überraschenden
Umklammerung zu lösen, was aber bei einem mindestens drei
Köpfe größeren Mann nicht so einfach war. Besagte Irmgard war
lange Zeit zuvor zum Islam konvertiert und war im Saal als
deutschsprachige Vertreterin einer Gemeinde. Die Verlegenheit
war dann bei allen Beteiligten vorhanden. Den Namen “Irmgard“
kannten die allermeisten anwesenden Muslime nicht, denn sie
war unter Muslimen nur unter ihrem neu gewählten Namen “Umm
Sabah“ (Mutter des Morgens) bekannt.
Anschließend hielt der Bürgermeister eine
ruhige und einladende Rede und überließ den Rest der
Planungsarbeit seinem Referenten und einem weiteren
sachkundigen Mitarbeiter. Diese organisierten immer wieder
Treffen zwischen den Gemeinden und Vereinen, aber es wurde
sehr schnell deutlich, dass es gar nicht so einfach ist, teils
extrem unterschiedlich ausgerichtete Vereine unter einen Hut
zu bringen. Da waren die eher kemalistisch orientierten
türkischen Nationalisten neben einigen weniger religiös
orientierten Alleviten, die sich gar nicht als Muslime fühlten
bis hin zu den türkischen “Fundamentalisten“. Es gab Sufis,
mehr “liberal“ orientierte Ausländervereine, die eher zufällig
Muslime waren, deutsche, bosnische, marokkanische, kurdische,
palästinensische Muslime mit ihren jeweils spezifischen
Problemen aus der Heimat und unterschiedlichen Vorstellungen
usw. usf., und in das gesamte Durcheinander funkte dann auch
noch der Landesbeauftragte der evangelischen Kirche für Islam
mit seinen Vorstellungen. Alles in allem war es eine Mischung
und Zusammensetzung, deren gemeinsame Organisation einer
Großveranstaltung fast ausgeschlossen erschien. Über so
ziemlich jede Detailfrage wurde gestritten; sollte der
türkische Botschafter eingeladen werden oder nicht, sollte
Rapper-Musik auf der Islamwoche zugelassen werden oder nicht,
sollte jener Referent zugelassen werden oder nicht, tanzende
Derwische, Büchertische, Eröffnungsreden der Muslime, welcher
jüdische Vertreter war akzeptabel, eigentlich gab es kein
einziges Thema, bei dem eine Einigkeit unter so vielen
verschiedenen Interessengruppen erzielt werden konnte. Die
einzige Ausnahme war der Vorschlag, Frau Prof. Annemarie
Schimmel als Hauptreferentin ins Rathaus einzulanden. Nur
darin waren sich alle einig!
So geschah es, dass bei einem dieser
Treffen die Gruppen sich derart in die Haare gerieten,
infolgedessen die gesamte Islam-Woche in Frage gestellt wurde
und zu kippen drohte! Das aber wäre nicht nur für den
Bürgermeister eine schlimme Blamage gewesen und hätte seinen
unzähligen Kritikern bundesweit Recht gegeben, auch das
Ansehen der Muslime stand auf dem Spiel!
Unsere Organisation ist unter
deutschsprachigen Muslimen sehr bekannt. Dies und auch der
Umstand, dass viele unter uns akademische Titel besitzen, kann
in solchen Augenblicken sehr hilfreich sein. Mit dieser
Akzeptanz, einer unter Muslimen anerkannten Gruppe
anzugehören, sprach ich die Vertreter der Vereine direkt an,
forderte zur Einheit auf und versuchte das Gewissen und die
Herzen der Anwesenden zu erreichen. Gerade unser Auftreten als
“Moderate“ in solch einer Situation zeigte – Gott sei Dank –
seine Wirkung. Später bescheinigten mehrere Anwesende,
darunter auch der Referent des Bürgermeisters, dass der
Islamische Weg e.V. die Islamwoche in einer wirklich
kritischen Situation gerettet hätte. Dieser Umstand sollte
später noch eine sehr wichtige Rolle spielen.
Diesem Ereignis verdanken wir es, dass
wir auch eine nähere Bekanntschaft zum Referenten des
Bürgermeisters erhielten. Die Islamwoche (Ende September 1997)
war ein voller Erfolg für Muslime wie auch für das Bremer
Rathaus. Der Islamische Weg e.V. selbst war mit drei Vorträgen
vertreten. Zur Stärkung der Einheit und aus Respekt gegenüber
dem Bürgermeister verzichteten wir auf jegliche politische
Äußerungen und hielten eine Rede über vergleichsweise
“harmlose“ religiöse Themen. Ein Jahr Vorbereitung fand ein
freudiges Ende. Höhepunkt war die Rede von Frau Prof.
Annemarie Schimmel, die Muslime wie Nichtmuslime gleichermaßen
begeisterte und im Anschluss des Vortrags zu “Standing
Ovations“ selbst unter uns kühlen Nordländern im bis auf den
letzten Platz gefüllten Rathaussaal führte.
Die einmal geknüpften Kontakte aber
wurden weiter gepflegt. Henning Scherf führte in den
Folgejahren ein, die Muslime am Ende des Monats Ramadan zu
einem Empfang in das Rathaus einzuladen. Annemarie Schimmel
wurde auch wieder nach Bremen eingeladen und hielt einen ihrer
letzten öffentlichen Vorträge in Bremen, bevor sie zu ihrem
Schöpfer zurückkehrte. Henning Scherf konnte bei dem Vortrag
aus kurzfristigen terminlichen Gründen nicht anwesend sein,
erhielt aber dafür den Videomitschnitt von uns, lange nachdem
wir in der zweiten Islamwoche unfair ausgebootet wurden, was
noch Thema des Buches ist.
Die Empfangsidee des Bremer Landeschefs
zum Ramadanfest wurde später auch von der SPD im Hamburger
Rathaus kopiert, allerdings erst, als sie in die Opposition
geraten waren.