Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Islamische Revolution durchkreuzt ein Studium

Tag um Tag verging die Zeit mit einer rasanten persönlichen Entwicklung! Und genau in diese rasante Zeit – man darf nicht vergessen, dass ich nebenbei eine schwere Ingenieurswissenschaft an einer der schwersten Universitäten des Landes studierte und mein Studium teilweise durch BAföG und teilweise durch Tätigkeit als studentische Hilfskraft finanzierte – fiel eine sensationelle Revolution, welche von allen westlichen Medien einhellig als etwas Schlimmes, wie die Wiedergeburt des Teufels auf Erden, dargestellt wurde. Ein alter weißbärtiger Mann mit Turban namens Chomeini hatte den verhassten Schah aus dem Iran vertrieben, den CIA lächerlich gemacht und das Mittelalter oder sogar die Steinzeit im Iran wieder eingeführt, so mein erster Eindruck aus den Medien. Obwohl das oberflächliche Bild sich gut mit meinen Lebenserfahrungen vereinbaren ließ, gab es auch Elemente, welche meine Wahrnehmung deutlich störten! Erstmalig waren Ost und West sich absolut einig und gemeinsam auf der gleichen Seite gegen den Iran. Das war schon extrem ungewöhnlich, insbesondere, wenn man an Nicaragua dachte! Zwei Supermächte gemeinsam gegen ein kleines Land; wer war hier Goliath?

Sehr schnell wurde mir klar, dass ich eigentlich gar nicht das Recht hatte, mir ein eigenes Urteil zu bilden, kannte ich doch diesen Chomeini, den seine Anhänger “Imam“ nannten, überhaupt nicht. Ich hatte noch nicht eine einzige eigene Schrift von ihm gelesen! Hatte ich bei Nicaragua vorher in Diskussionen nicht immer darauf bestanden, die Schriften der “Angeklagten“ zu studieren, bevor man sich ein Urteil bildete?

Aber woher sollte ich jetzt eine Schrift dieses Chomeinis finden? In deutscher Sprache gab es damals nur das Buch “Der islamische Staat“, und das wurde nur in der damaligen DDR übersetzt. Dennoch, ich besorgte es! Das Studium des Buches war wie ein Schock für mich! Ich verschlang es in einer einzigen Nacht. Das war nicht der greise Geistliche, von dem die Medien berichteten, sondern der frischeste Kämpfer für Gerechtigkeit, dessen Worte je mein Herz erreicht hatten. Genau in diese Zeit fiel eine Aussage von Ernesto Cardenal, die ich zunächst über Dritte hörte: „Imam Chomeini ist die Heiligkeit unserer Zeit“. Obwohl ich diese Aussage damals nie abgedruckt gefunden habe und mir keine Quelle dafür vorlag, erschien sie mir nach dem Studium des Buches über den islamischen Staat dennoch plausibel. Nach dem Erscheinen des Vorläufers des vorliegenden Buches machten mich Leser auf eine Quelle aufmerksam[1].

Es ist wohl Gottes Gnade und Seiner herrlichen Rechtleitung zuzuschreiben, dass ich genau zu jener Zeit auch einen Iraner kennen lernte, der damals ebenfalls als Ingenieurstudent mir einen Islam näher bringen konnte, welcher sich von allem, was ich bis dahin über den Islam kannte, so deutlich unterschied! Sein Name ist Mohammad-Ali Ramin, und ihm verdanken mein Bruder und ich in dieser Hinsicht mein Leben lang am meisten. Dieser revolutionäre Islam war plötzlich die reine, klare und strahlende Religion mit verständlichem nachprüfbarem und lebendigem Inhalt. Es war die Religion der Befreiung für alle Unterdrückten der Welt und eine Erfüllung der nach Gerechtigkeit dürstenden Herzen.

Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, hier auf die Details der damaligen Tage und die Ideologie des Islam detailliert einzugehen, aber die inneren “Kämpfe“ der Jahre, das Streben nach Wahrheit, die Suche mit täglich neuen Erkenntnissen hatten zum Ergebnis, dass ich am Ende nicht nur den Islam als meinen “neuen“ Weg erkannte, sondern auch “konvertierte“. Aufgrund einiger Unterschiede bei historischen Aspekten und religiösen Feinheiten wechselte ich aus der islamischen Richtung, in die ich “hineingeboren“ war, zur Schia, wurde also Schiit und krempelte mein Leben nach und nach in relativ kurzer Zeit total um. Wenn ich es extrem kurz zusammenfassen müsste, würde ich es so beschreiben: Ich hatte erkannt, dass “der Weg, das Ziel ist“, und der Islam der wahrhaftige monotheistische Weg für mich, mit der die Liebe Gottes im Herzen eines jeden Menschen wachsen kann.

Die komplette Plattensammlung wurde verkauft, die Gitarre, das Klavier, die alten Zeitschriften – alles was an dem “alten Leben“ hing, musste ich loswerden, um ein “neues“ Leben zu beginnen. Im Nachhinein betrachtet war der damalige “radikale“ Einschnitt übertrieben, aber damals erschien er mir notwendig.

Die Zeit war voller Gedanken und voller Feindschaft gegenüber mir. Die meisten Christen der ESG distanzierten sich zunehmend von mir, weil ich nicht mehr zu ihnen passte. Die Sunniten distanzierten sich von mir, weil ich als “Konvertit“ eine “Gefahr“ darstellte. Und selbst einige unbewusste, geborene Schiiten aus dem Iran distanzierten sich von mir und auch von ihrem Landsmann Mohammad-Ali, da wir durch meine Konversion “Unruhe“ erzeugt hätten. Aber genau diese innere “Unruhe“ war doch der Antrieb, die Faszination und der Ausdruck der Liebe im Herzen. Diese innere “Unruhe“ – die zur Wahrheit leitet – wollte ich nie wieder verlieren! Es war das, was ich später in vielen Büchern als den “Großen Dschihad“[2] nachlesen konnte, den großen Kampf gegen das Böse in uns selbst, und Imam Chomeinis Ausführungen zu dem Thema las ich gleich in mehreren Sprachen! Die Zeit war voller Wunder und faszinierender Erlebnisse eines ausgefüllten Lebens.

Ich deckte mich damals mit Büchern der Befreiungstheologen unter den Muslimen in allen Sprachen ein, die ich verstand, und studierte deren Inhalte. Ich lernte damals, die arabischen Buchstaben zu lesen. Und ich löcherte den so gelehrten Bruder Mohammad-Ali mit unzähligen Fragen und war nie mit der Antwort zufrieden, obwohl es wunderbare begeisterungswürdige Antworten waren, aber mich dürstete nach immer mehr. Ich weiß nicht, wie viele Nächte ich ihm förmlich mit meinen unaufhörlichen Fragen gestohlen habe. Ich wollte immer weiter kommen, immer schneller werden. Inzwischen war auch mein Bruder Gürhan in Clausthal-Zellerfeld angekommen.

Damals, Anfang der 80er Jahre, gründeten wir mit einer Handvoll Glaubensgeschwistern die Islamische Gemeinschaft in Clausthal und nahmen als Organisation auch an vielen Veranstaltungen teil. Konzentriert wurde die Arbeit von Anfang an auf die deutsche Sprache, da wir ja Bürger in Deutschland waren. Und so brachten wir nach und nach immer mehr Übersetzungen der Schriften islamischer Gelehrter in deutscher Sprache heraus. Daraus entwickelte sich später der “Islamische Weg e.V.“, der heute noch existiert.

Zu der Zeit begann auch unsere intensive Zusammenarbeit mit dem Islamischen Zentrum Hamburg (IZH). Eine ganze Reihe von Artikeln, welche wir geschrieben haben, erschienen in der deutschsprachigen Monatszeitschrift “Al-Fadschr“. Während eines personell bedingten schweren Engpasses in der Al-Fadschr-Redaktion Mitte der 80er Jahre haben wir damals zeitweilig die gesamte Redaktion vertreten. Daraus hat sich dann auch die spätere gute Beziehung zum IZH entwickelt, so dass wir einstmals deren ersten Internauftritt aufbauen durften. Auch viele andere Organisationen bringen uns das entsprechende Vertrauen entgegen, wofür wir sehr dankbar sind. Und fast zwei Jahrzehnte lang organisierten wir jährlich eine Jahrestagung deutschsprachiger Muslime im IZH, zu der Teilnehmer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kamen. Jene Tagung wurde aufgrund zahlreicher Umstände vor wenigen Jahren vorläufig ausgesetzt, aber immer noch drängen uns Glaubensgeschwister, die Tagung wieder zu beleben.

Mein anfängliches Junggesellenengagement im Islam sollte schon bald durch eine Lebensgefährtin ergänzt werden.

[1] An interesting report appeared in the July 11, 1979 issue of Accuracy In Media, Inc. This is a publication which comes out of Washington, D.C. In that issue, AIM quoted Mr. Robert Moss, who writes for the London Daily Telegraph, as follows: Moss reports that the Sandinista "roving Ambassador," Fr. Ernesto Cardenal, showed up in Teheran last April, where he had long talks with the Ayatollah Chomeini. He broadcast praise for Chomeini over the Teheran Radio on April 8. (NICARAGUA BETRAYED - by Anastasio Somoza as told to Jack Cox, Western Islands Publishers, 1980 ISBN: 0-88279-235-0

[2] Siehe z.B: Dschihad-un-Nafs - Die Anstrengung der Seele (Auszug aus der Erläuterung zu vierzig Überlieferungen), Imam Sayyid Ruhullah Chomeini, m-haditec GmbH & Co KG, Bremen, 10.2007, ISBN 978-3-939416-12-8

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