Nichtmuslim überlebt Heirat mit unserer Schwester
Es
gehört zu den verbreiteten Vorurteilen gegen Muslime, dass
insbesondere die “Fundamentalisten“ die “Familienehre“ mit
ihrem “Blut“ verteidigen würden und selbst vor Straftaten
nicht zurückschrecken, wenn es um die “Familienehre“ ginge.
Dabei handelt es sich bei diesen archaischen Verhaltsformen
bestimmter ungebildeter Kreise nicht um islamische
Verhaltensformen, sondern um traditionelle Verirrungen, die
nichts mit einem bestimmten Glauben zu tun haben.
Die
familiären Bindungen waren uns immer ein Herzenswunsch, selbst
wenn einige nahe Verwandte ein anderes Lebensmodell
bevorzugten als unser Ideal. So haben wir auch eine Schwester,
die vier Jahre jünger ist als ich. Sie lebt nach wie vor in
Hamburg, hat auch dort Abitur gemacht und dort Anglistik
studiert. Mit ihrem Studium hatten wir eigentlich nichts zu
tun, außer dass sie einmal meinen Bruder Yavuz gebeten hat,
ein Gespräch mit einem ihrer Professoren, der ihr unverschämt
nachstellte, über den Islam und den Fundamentalismus zu
führen. Im Anschluss an ihr Studium koordinierte sie als
wissenschaftliche Mitarbeiterin dann Kooperationen und den
Kulturaustausch zwischen Deutschland und Türkei bei der
Körberstiftung in Hamburg.
Ihr
Verständnis vom Islam entspricht in nur wenigen Punkten
unserem Verständnis, und auch äußerlich kann man sie als
“erfolgreich integriert“ bezeichnen. Sicherlich hätten wir mit
ihr wenig zu tun, wenn sie nicht unsere Schwester wäre, aber
sie ist unsere von Gott bestimmte Schwester, und das bedeutet
uns sehr viel! Daher standen wir seit jeher im engen Kontakt
und standen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite, wenn es nötig
war. Sie selbst half bei fast jeder Geburt unserer Kinder
durch Entlastung der Mutter. Unser aller Verbundenheit mit
unseren Eltern ist ein weiteres Bindeglied für diese Nähe. Bei
allen politischen und religiösen Unterschieden war und ist die
Beziehung geprägt von familiärer Liebe und gegenseitigem
Respekt.
In 2001
trat sie als parteilose Kandidatin der SPD auf einem sicheren
Listenplatz zu den Bürgerschaftswahlen in Hamburg an.
Eigentlich wollte die SPD weiter regieren, und Aydan sollte
dann für Ausländerintegration zuständig sein. Wir hänselten
sie mit “Quotenfrau“, “Quotenausländerin“ (obwohl sie Deutsche
ist) und mit “Quotenjugend“. Die Wahlen verliefen aber anders,
als damals von der SPD erwartet, und meine Schwester landete
auf der Oppositionsbank. Dort lernte sie einen weiteren
Oppositionsbänkler der SPD – den Offizier und damaligen
innenpolitischen Sprecher Michael Neumann – kennen und
offensichtlich lieben. Sie kam mit ihm zusammen nach
Delmenhorst zu Besuch, um ihn uns vorzustellen und unsere
Vorstellung bezüglich ihrer geplanten Heirat mit dem
Katholiken zu sondieren. Wir empfingen beide mit allem
Respekt.
Das
Gespräch kam schnell auf die Heirat, insbesondere auf die
islamischen Aspekte einer Heirat. Natürlich kann eine
religiöse Heirat vor einem Geistlichen nur zwischen zwei
Menschen geschlossen werden, die auch die Inhalte dieser
Religion akzeptieren. Daher war eine religiöse Heirat zwischen
beiden für uns ausgeschlossen. In Diskussionen über
Deutschland und die Welt konnten wir aber gegenseitig
feststellen, dass ein Dialog selbst bei gegensätzlichen
Auffassungen immer möglich ist, wenn der gegenseitige Respekt
vorhanden ist.
Im Jahr
2002 heirateten beide standesamtlich in Hamburg, und
inzwischen haben sie auch eine kleine süße Tochter; die wohl
erste und einzige innerparlamentarische Tochter der
Bürgerschaft Hamburgs. Während wir in vielen Fällen an der
kirchlichen Trauung von Freunden teilgenommen haben, war hier
die Teilnahme nicht möglich, da kein für uns akzeptabler
Ehebund vor Gott geschlossen wurde.
An
unserer Beziehung zu unserer Schwester hat sich nichts
geändert. Aber auch der in den Medien als möglicher
zukünftiger Innensenator gehandelte inzwischen
Fraktionsvorsitzende Neumann (falls die SPD jemals wieder aus
ihrem Stimmungstief herauskommt), hatte von uns nie etwas zu
befürchten und lebt immer noch “ungefährdet“ von seinen
unfreiwillig “fundamentalistisch islamistischen“ Schwägern.
Wir haben ihn nicht einmal jemals etwas angedroht – was ja das
Mindeste wäre, was von “fundamentalistischen Islamisten“ zu
erwarten wäre – und das lag nicht daran, dass er ausgebildeter
Offizier ist!
Dieses
Beispiel kann möglicherweise helfen, denjenigen die Augen zu
öffnen, die von Leuten wie uns alles mögliche denken und
erwarten und sich kaum vorstellen können, dass sich das, was
sie “fundamentalistische Islamisten“ schimpfen, durchaus mit
dem hiesigen Leben vereinbaren lässt.
Eine
größere Gefährdung als von uns muss dieser anständige Mensch
aber zukünftig möglicherweise von den Medien befürchten, die
ihm die Verwandtschaft seiner Ehefrau um den nicht vorhandenen
Bart schmieren könnten. Zu seiner Ehrenrettung sei
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er uns nicht
mitgeheiratet hat.