Gedichte im Islam
Traumstadt

von Yahya Kemal Beyatli übersetzt von Prof. Annemarie Schimmel

Komm, schau jetzt von Cihangir bei Sonnenuntergang,
Lass dich dem Traumbild drüben am anderen Uferhang!
Denn wie ein anderer Abend ist dieser Abend nicht;
Paläste schafft aus Fenstern der Sonne Gegenlicht.
Für seiner Freuden Traumhaus, wie‘s jener Gott erhofft
Macht er zu Feen-Nestern die Fenster unverhofft.
Die ganze Küste, die dort mit Glutpalästen brennt -
Wie gleicht sie dem uralten prunkvollen Orient!
Der von dem goldnen Weine berauschte Architekt
Des Lichtes, der die Hände am Horizont ausstreckt,
Mit einem Purpurbecher wie manche tausend Jahr
Erbaute er so wieder das Märchen - Üsküdar!
Doch einen Hauch nur dauert des Gottes Schöpferkraft;
Vergänglich sind die Bauten, die er aus Feuer schafft,
Verloren, wenn nun dunkelt der West des Glanzes bar -
Nicht lange währt die Herrschaft des armen Üsküdar!
Beklag nicht, was die Sonne jetzt dort vernichtet hat;
In eignes innres Leuchten sinkt die Zypressenstadt.
In solcheinem, urew‘ger Vergebung eignen Land
Verblendet echtes Gold nicht den Blick wie falscher Tand.
Am Ufer, dessen Menschen zum Paradies den Ort
Verwandelten - von jedem dunkelnden Hügel dort:
Im echtesten der Spiegel zeigen zur Nacht ein paar
Ärmlicher Häuser Lampen das wahre Üsküdar.

 

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