Gedichte im Islam
Der Siegelring

von
Friedrich Rückert

Suleiman Elwarrak erzählte:
Einst trat ich bei Almamun ein,
Da hielt er einen Siegelring
In Händen, und betrachtet’ ich
Mit allergrößtem Wohlgefallen.
Er war in seiner Art auch einzig,
Ein großer feuriger Jakut,
Der das Gemach durchleuchtete.
Dann ließ er einen Goldschmidt rufen,
Und sagte: Fass den Stein mir um.
Er gab ihm alles an genau,
Wie er gefasst ihn haben wollte.
Der Goldschmidt nahm den Stein und ging.
Nach ein’gen Tagen kam er wieder
Zum Fürsten, und wer er sah,
Dacht’ er an seinen Siegelring,
Und ließ sogleich den Goldschmidt rufen.
Der aber trat bestürzt herein,
Kein Wort hervorzubringen fähig,
Es zitterten ihm alle Glieder,
Und seine Zunge stammelte.
Almamun merkte, dass ein Unglück
Ihm mit dem Ring begegnet sei;
Er wandte seinen Blick von ihm,
Dass sich der Mann vom Schreck erholte,
Blickt’ ihn freundlich lächelnd an,
Bis alle Furcht ihm war vergangen,
Und fragte nun: Was ist gescheh'n? –
Gerade, sprach er, Herr! Als ich
Ihn aus der Fassung nehmen wollte,
Fiel er mir auf de Amboss nieder,
Und in vier Stücke brach der Stein. –
Da schwieg nur einen Augenblick
Almamun, um zu unterdrücken
Den Unmuth, der ihm doch im Herzen
Aufstieg um das zerbrochene Kleinod;
Dann sprach er: Nun, klein ist der Schaden.
Der Stein war groß genug, es wird
Noch taugen jeder vierte Teil.
Fass jedes Stück in einen Ring,
So hab’ ich statt des einen vier. –
Da war es anzusehn beinah,
(Erzählt Suleiman Elwarrak)
Als sei ihm recht ein Dienst geschehn
Vom Goldschmidt und ein Wohlgefallen,
Dass für den einzig großen Stein
Er nun kleine haben sollte.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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