Gedichte im Islam
Lokmans's Wort

von
Friedrich Rückert

Lokman’s Wort

Dem Sklaven Lokman ward verliehn
Von seinem Herrn zu des Gehorsams Lohne
Die Freiheit, weil er ohne
Die Lippen zu verziehn,
Aß eine bittere Melone,
Mit welcher jener prüfte ihn.
Da sprach der Herr: Wie konntest du dich zwingen,
Die böse Frucht hinabzubringen?
Doch Lokman sprach: Aus deiner Hand
Kam mir soviel des Angenehmen,
Daß ich es ganz natürlich fand
Einmal auch Bittres anzunehmen,
Und keinen Zwang dabei empfand.
Ich hätte, wenn ich widerstand,
Vor dir und mir mich müssen schämen.

Des weisen Sklaven hohes Wort
Lebt in der Zeiten Munde fort,
Und sollte glänzend sich zuletzt erneuen,
Als Alp Teghin mit siebenhundert Treuen
Vor fünfzehntausend Feinden floh;
Da stellt’ er ihnen frei, sie sollten sich nicht scheuen
Ihn zu verlassen ebenso
Wie ihn verließe Macht und Glück.
Sie aber gaben ihm nur Lokmans Wort zurück,
Und kämpften drauf wie Leuen,
Sodaß sie alle Feinde schlugen,
Und einen Sieg von dannen trugen,
Aus dem für Alp Teghin erwuchs ein neues Reich,
In dem sie selber wurden Herren gleich.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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