Gedichte im Islam
Moses und der Hirte
Zwei unterschiedliche Übersetzungen

von Dschalaleddin Rumi
übersetzt von Prof. Annemarie Schimmel

Auf dem Weg sah Moses einen Hirten der sprach:
„Du, Der wählt wen er auch will, wo bist Du, dass ich Dein Diener werde?
Deinen Rock Dir flick’, Dein Haar Dir kämme,
Wasch Dein Kleid und tötete die Läuse,
Milch Dir bringe, oh du Hocherhabener.
Küss Dein Händchen, und massier Dein Füßchen.
Und zur Schlafenszeit, feg ich Dein Plätzlein.
Oh du, Dem ich alle Zieglein opfere.“

Solchen Unsinn redete der Hirte. Moses fragt:
„Mit wem sprichst Du denn da?“
„Nun, mit dem, der uns erschaffen hat,
von dem Himmel ward und Erde sichtbar“.
Moses rief: „Du bist auf falschen Wege,
Noch nicht Muslim, bist ein Heide Du,
Was für Unsinn, was für Heidenquatsch
Stopf dir besser Watte in den Mund.
Deiner Ketzerei Gestank verdirbt die Welt
Sie zerschleißt des Glaubens feine Seide.
Du verdienst Schuhprügel, Bastonade.
Wie kannst du die Sonne denn so schmäh’n?
Wenn du nicht gleich solch Gerede stoppst,
Kommt ein Brand, die Menschen zu vernichten.
Käm’ kein Feuer, woher kommt der Rauch denn?
Schwarz die Seele, wo das Herz verstoßen.
Wenn du weißt, dass Gott der Richter ist,
Wie verlässt du dich auf solch Geschwätz?
Feindschaft ist des Dummen Freundschaft ja,
Gott braucht solche Diener nicht, du Dummkopf.
Redest du mit deinem Onkel denn?
Braucht der Mächtige etwas für den Leib?
Milch trinkt jemand, der noch wachsen muss.
Schuhe trägt, wer Bein und Füße braucht,
redest du von einem Menschen, den Gott pries:
‚Er ist Ich, und Ich bin Er’, als Er sagte:
‚Ich war krank, doch du hast mich nicht besucht’,
Ein solcher Mensch, der da ward, durch mich hört er und sieht,
Auch für den trifft ja dein Wort nicht zu.
Wer mit Gottes Freunden unverschämt spricht,
Des’ Buch der Taten wird ganz schwarz.
Nennest ein Mann du ’Fatima’ –
Wenn auch Mann und Frau von gleicher Art –
Tötet er dich wohl, wenn er es könnte,
Wenn er sonst auch sanft und freundlich ist.
Fatima ist Ehre für die Frau, doch ein Schlag ist’s für die Männer wohl.
Hand und Fuß sind lobenswert bei uns,
doch Befleckung für den reinen Gott.
Nicht gezeugt und zeuget nicht,
Das ziemt Ihm, der Zeuger und Gezeugte schuf.
Was entsteht vergeht, geschaffen ist’s
Und bedarf des Ewigen, der es schafft.“

Sprach der Hirt:
„Hast mir den Mund gestopft und mein Herz mit Reue ganz verbrannt“.
Und er stöhnte laut, zerriss sein Kleid
floh und wandte sich zu Wüstenweit.

Doch zu Moses kam die Offenbarung:
„Meinen Diener trenntest du von Mir.
Kamst du, um die Menschen zu verbinden,
Oder kamst Du um sie zu trennen?
Strebe möglichst nicht zu einer Trennung,
Am verhasstesten ist Scheidung Mir.
Jedem hab’ Ich einen Weg gegeben,
Lob ist es für ihn, für dich ist’s Tadel.
Honig ist’s für ihn, dir giftige Nadel.
Frei sind Wir von unrein und von rein,
und von Langsamkeit und Schnelligkeit.
Nicht befahl ich, dass ich nutzen hätte.
Nein, dass ich den Menschen Gutes täte.
Inder lieben doch den Hindi-Ausdruck
Sindis lieben doch den Sindi-Ausdruck
Nicht Ich werde rein, wenn sie Mich preisen.
Doch sie werden rein und streuen Perlen.
Wir schauen nicht auf Zunge oder Rede,
Wir schau’n auf das Innere, den Zustand,
Blicken auf das Herz ob’s demutsvoll,
Ob das Wort auch frech sei, fehlervoll.
Denn das Herz, das ist ja die Essenz,
Und die Erde ist nur Akzidenz.
All dies Reden, Metaphern, Benennen,
Ich will nur das Glühen, Herzensbrennen.
Zünd der Liebe Feuer in der Seele,
Und verbrenn Gedanken, Wort voll Fehle
Eines sind, die feinen Anstand kennen,
Anders sind, die ganz ihr Herz verbrennen.
Liebende, die müssen ständig brennen.
Das zerstörte Dorf wird nicht besteuert.
Sprach er Falsches, nenn ihn doch nicht Irrend.
Märtyrer voll Blut darfst du nicht waschen,
Denn ihr Blut ist besser ja als Wasser,
Solch ein Fehler besser als das Richtige.
In der Kaaba gibt es keine Richtung.
Hat der Taucher keine Schuh, was tut es?
Suche Führerschaft nicht von Berauschten,
Wer sein Kleid zerriss, wird es nicht flicken.
Der Liebe Reich ist anders als alle Religionen.
Den Liebenden ist Gott ihr Reich und Religion.

Weitere Übersetzung von Purandocht Prayech

Moses sah, wie ein Hirt schritt vor ihm her
Und sprach: "O Gott, o du mein Herr,
Wo bist du, damit ich dir dienen kann,
Deine Sandalen nähen, deine Haare kämmen kann.
Deine Hände küsse, deine Füße reibe,
Des Nachts dir liebend dein Lager bereite."

So sprach der Hirt sinnlos daher,
Als Moses ihn fragte: "Mit wem sprichst du, Kerl!"
Er sagte: "Mit Dem, der uns geschaffen hat,
Der Himmel und Erde zum Sein gebracht."

"Was sind das für dumme, gottlose Reden,
Deinen Mund solltest du mit Wolle verknebeln.
Sandalen und Schuhe sind gut für dich,
as LICHT bedarf solcher Dinge nicht
Die Freundschaft des Dummen ist Feindschaft gleich,
Der Herrgott ist solcher Dienste reich."

Er sprach: "O Moses, geschlossen hast du meinen Mund.
Ich bereue tief, mein Herz ist ganz wund."

Sein Hemd zerriss er und stöhnte tief,
Seinen Kopf gesenkt er in die Wüste lief.

Da hörte Moses die Stimme des Herrn:
"Meine Geschöpfe hältst du von mir fern.
Um zu binden bist du auf Erden,
Nicht, dass diese Bande zerrissen werden.
Jedem gab Ich ein anderes Wesen,
Jeden ließ Ich mit anderen Worten reden.
Was für ihn Lob ist, ist für dich Pein.
Was für ihn Honig ist, mag Gift für dich sein.
Ich achte nicht auf das Äußere oder was sie sagen,
Sondern nur auf das, was sie in ihren Herzen tragen.
Eine Flamme der Liebe zünde in ihrer Seele an,
Dann verbrenne alle Gedanken und Worte daran."

Als Moses diesen Tadel Gottes hört,
Läuft er in die Wüste nach dem Hirt.
Ihm ruft er zu, als er ihn fand:
"Gute Botschaft gebe ich dir bekannt.
Such nicht nach schönen Formen und Worten,
Sprich mit IHM, wie's dein liebendes Herz dir geboten."

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