Gedankliche Irrtümer aus der Sicht des Quran
Der erhabene Qur´an, der zum Überlegen
und zum gedanklichen Schlussfolgern auffordert und das
Nachdenken als Gottesdienst betrachtet, der eine
Glaubensgrundlage nur dann als wahrhaftig anerkennt, wenn sie
durch logische Überlegungen erreicht wird, hat auf einen
wesentlichen Aspekt aufmerksam gemacht, nämlich den, wodurch
die geistigen Irrtümer des Menschen hervorgerufen werden und
worin die Hauptursachen seiner Fehltritte und Verirrungen
liegen. Was muss der Mensch beachten, wenn er Fehler und
Irrtümer wirklich vermeiden und folgerichtig denken möchte?
Im Heiligen Qur´an sind eine Reihe von
Handlungen als Ursachen und Gründe von Fehlern und Irrtümern
genannt worden, die wir nachfolgend aufführen wollen:
- Auf
Vermutungen und Annahmen verlassen anstelle von Wissen und
Gewissheit
Der Heilige Qur´an meint dazu sinngemäß:
Die meisten Menschen werden dich, wenn du ihnen folgen willst,
vom rechten Wege abbringen, und zwar deswegen, weil sie von
Annahmen und Vermutungen geleitet sind und sich auf
Mutmaßungen und Schätzungen verlassen (nicht aber auf
Gewissheit).
In vielen Versen zeigt der Heilige Qur´an deutlich seine
Ablehnung gegen eine Leitung durch Vermutungen und Annahmen
und sagt: „Und verfolge nicht dem, wovon du kein Wissen
hast.“
Aus philosophischer Sicht ist
es heute unbestreitbar, dass die wesentlichen Fehler- und
Irrtumsquellen genau darin liegen.
Ca. 1000 Jahre nach dem Qur´an hat
Descartes sein erstes logisches Prinzip aufgestellt, indem er
sagte: „Ich erkenne nichts als Tatsache an, es sei denn,
dass es für mich unwiderlegbar ist. Ich hüte mich vor
überstürzten und voreiligen Auffassungen und Neigungen und
akzeptiere nichts als das, was so offenkundig und
augenscheinlich ist, dass es über jeden Zweifel erhaben ist.“
-
Egoistische Wünsche und Verlangen
Um objektiv urteilen zu können, muss der
Mensch bezüglich des Gegenstandes seiner Beurteilung völlig
unparteiisch sein. Das heißt, er hat sich nur um die Wahrheit
zu bemühen und darf sich nur von Argumenten und Beweisen
leiten lassen, ebenso wie ein Richter bei der Studie einer
Akte hinsichtlich zweier streitender Parteien völlig neutral
sein muss. Sobald der Richter eine persönliche Neigung zu
einer der beiden Seiten hat, wird er unbewusst der
Argumentation dieser Partei mehr Aufmerksamkeit widmen. Die
Beweisgründe der anderen Partei, die dagegen sprechen, werden
ganz von allein seinem Augenmerk verfehlen, und genau dieses
wird die richterliche Fehlentscheidung begünstigen. Bewahrt
ein Mensch in seinen Überlegungen hinsichtlich der Ablehnung
oder Bestätigung eines Streitobjektes nicht seine Neutralität,
wird er, ohne es selbst zu bemerken, unwillkürlich das Pendel
seiner Gedanken in die Richtung seiner Neigungen und Verlangen
verschieben.
Deswegen bezeichnet der Heilige Qur´an
die Selbstsucht ebenso wie das Verlassen auf Mutmaßungen und
Annahmen als eine der Ursachen für Irrtümer. In der Sure
Nadschm,
Vers 23 steht: „Sie folgen nur Vermutungen und dem, wozu
ihre Seelen neigen.“
-
Überstürzung
Zu einer objektiven Beurteilung und
Aussage ist ein bestimmtes Maß an Beweisen erforderlich.
Solange diese nicht in genügendem Ausmaß vorhanden sind, ist
jede entscheidende Äußerung voreilig und verursacht
gedankliche Entgleisungen.
Der edle Qur´an weist mehrmals auf die
geringe Wissensgrundlage des Menschen zu einigen wichtigen
Rechtsentscheidungen und auf die mangelnde Sorgfalt bei
endgültigen Beschlüssen hin: „Das Wissen und die
Kenntnisse, die ihr erworben habt, sind zu gering und reichen
für Urteilsentscheidungen nicht aus“.
Imam Sadiq
(a.) sagt: „Gott hat im Qur´an in zwei speziellen Versen
seine Diener zur Achtsamkeit ermahnt. In dem einen Vers heißt
es, dass sie es nicht legitimieren sollen (Legitimation),
solange sie nicht über hinreichende Kenntnis darüber verfügen.
In dem anderen Vers heißt es, dass sie es aber auch nicht
zurückweisen und ablehnen dürfen (voreilige Zurückweisung),
solange sie nicht ausreichende Kenntnisse darüber haben und
solange sie nicht zu Wissen und Gewissheit gelangt sind.“
In einem Vers sagt Gott: „ ... Wurde
nicht von ihnen die Verpflichtung des Buches entgegengenommen,
sie sollen über Gott nur die Wahrheit sagen? ...“
(Heiliger Qur´an 7:169)
In einem anderen Vers spricht Er: „Nein,
sie erklären für Lüge das, wovon sie kein umfassendes Wissen
haben, und bevor seine Deutung zu ihnen gekommen ist ... “
(Heiliger Qur´an 10:39)
-
Traditionsliebe und Vergangenheitsbezogenheit
Aufgrund seiner Veranlagung wird der
Mensch eine Idee oder eine Ansicht, die die Zustimmung
früherer Generationen gefunden hatte, zunächst einmal
akzeptieren, ohne sich die Gelegenheit zu geben, sie zu
überdenken. Der Heilige Qur´an erinnert uns daran, das, woran
die Vorväter geglaubt und was sie für wahr gehalten haben,
erst dann zu billigen, nachdem man es mit dem eigenen Verstand
hinreichend geprüft hat. Demjenigen, dem eure Väter vertraut
haben, steht geistige unabhängig gegenüber.
Dazu heißt es in der Sure Baqara,
Vers 170: „Und wenn ihnen gesagt wird: ‚Folgt dem, was Gott
herabgesandt hat’, sagen sie: ‚Wir folgen lieber dem, was wir
bei unseren Vätern vorgefunden haben.’ Wie? Auch dann, wenn
ihre Väter nichts verstanden haben und nicht der Rechtleitung
gefolgt sind?.“
-
Personenkult
Ein weiterer Grund für das gedankliche
Abirren ist der Personenkult. Große Persönlichkeiten der
Geschichte oder Gegenwart beeinflussen aufgrund ihrer
Popularität, die sie beim Volk genießen, dessen Gedanken,
Meinungen, Entscheidungen und Willen. Sie beherrschen
tatsächlich Gedanken und Willen der anderen in einem Maße,
dass diese so denken und sich so entscheiden wie sie, und ihre
geistige Unabhängigkeit und den eigenen Willen ihnen gegenüber
verlieren.
Der edle Qur´an fordert uns zur geistigen
Selbstständigkeit auf und bezeichnet das blind ergebene
Befolgen von Berühmtheiten und Persönlichkeiten als Ursache
beständigen Unglücks. Deshalb berichtet er wie folgt von den
Menschen, die auf diese Weise in die Irre geraten sind und am
Auferstehungstage sprechen werden: „Und sie sagen: ‚Unser
Herr, wir haben unseren Herrschern und den Großen unter uns
gehorcht, da haben sie uns vom Weg abirren lassen.’“
(Heiliger Qur´an 33:67)