Lehre, Ideologie
Was bedeutet Lehre, Ideologie? Wie werden
diese Begriffe definiert? Was veranlasst den Menschen, als
Einzelperson oder als Mitglied einer Gemeinschaft, einer Lehre
oder Ideologie anzugehören oder sich einem Glauben verbunden
zu fühlen? Ist das Vorhandensein einer Ideologie für den
Einzelnen oder die Gesellschaft erforderlich?
An dieser Stelle sind einige einleitende
Worte angebracht. Der Mensch beschäftigt sich auf zweierlei
Weise. Zum einen geschieht es um seines Vergnügens Willen, zum
anderen auf Grund einer durchdachten Überlegung.
Die sein Vergnügen betreffenden
Tätigkeiten sind die ganz simplen, schlichten, die der Mensch
seinem Naturell oder Trieb entsprechend oder aber infolge
einer Gewohnheit – seiner zweiten Natur – vollzieht, um sich
zu erfreuen oder aber um einem Leid zu entrinnen.
Beispielsweise wird er, wenn er durstig ist, versuchen, Wasser
zu bekommen, beim Anblick eines wilden Tieres wird er
davonlaufen oder aber, wenn er starkes Verlangen nach Speise
hat, wird er sich etwas zu Essen besorgen. Diese Art
Tätigkeiten stehen im Einklang zu seinem Verlangen und haben
unmittelbaren Bezug zu Vergnügen oder Verdruss. Die Genuss
bringenden Beschäftigungen üben eine starke Anziehung auf den
Menschen aus, wohingegen er die Leidverursachenden weit von
sich weist.
Aber die geplanten, durchdachten
Aktivitäten sind von ihrer Art her nicht selbst anziehend oder
anstoßend. Der Mensch wird nicht durch Natur und Instinkt
motiviert diese Art Tätigkeiten durchzuführen oder von sich zu
weisen, sondern sie werden auf Geheiß des Verstandes, des
Willens und im Hinblick auf die Nützlichkeit, die sie
versprechen, ausgeführt. Oder aber sie werden unterlassen,
wenn der Verzicht auf sie sinnvoller erscheint.
Das heißt, bei ihnen ist die
Zweckmäßigkeit – nicht das Vergnügen – der wahre Grund, die
treibende Kraft und das Motiv. Der Naturtrieb ist bestimmend
für den Genuss, der Verstand für den Nutzen, das Vergnügen ist
die bewegende Kraft für den Wunsch, der Gewinn die bewegende
Kraft für den Willen. Bei einer genussvollen Tätigkeit
vergnügt sich der Mensch, bei einer nutzbringenden jedoch
nicht, hier befriedigt ihn der Gedanke, dass er durch sie dem
Endgewinn näher kommt, welcher ihm eine glückliche,
erfreuliche und ausgewogene Zukunft verheißt.
Wir unterscheiden zwischen den
angenehmen, erquicklichen Handlungen und denen, die
unangenehm, bisweilen sogar mühsam und qualvoll sind, obwohl
sie vom Menschen bejahend und zufrieden erduldet werden. Da
bei den Profit versprechenden Aktivitäten der Erfolg erst in
der Zukunft erreichbar wird, werden sie nicht als angenehm und
vergnüglich bezeichnet, sondern als befriedigend. Freude und
Leid begleiten Mensch und Tier. Jedoch Billigung und
Zufriedenheit oder aber Ekel und Unzufriedenheit werden nur
vom Menschen empfunden. Derartige Empfindungen gehören, ebenso
wie das Wünschen, zu den spezifisch menschlichen
Eigenschaften. Zustimmung, Abscheu und Wunsch liegen im
Bereich des menschlichen Verstandes und seiner Gedanken und
nicht in dem seiner Sinne und physischen Wahrnehmungen.
Wir erwähnten, dass die geplanten,
durchdachten Handlungen des Menschen Kraft seines Verstandes
und Willens stattfinden, im Gegensatz zu den genüsslichen
Beschäftigungen, welche aufgrund seiner Sinne und seiner Lust
vollzogen werden.
Der Ausdruck “durch den Verstand
durchführen“ besagt, dass infolge der Verstandeskraft etwas
Gutes, Abgeschlossenes und Erfreuliches, das nicht in weiter
Ferne liegt, vorausberechnet und zur Erreichung dessen ein Weg
– der manchmal recht beschwerlich sein kann – gefunden und
geplant werden muss. Und “mit dem Willen ausführen“ bedeutet,
dass im Menschen eine von der Vernunft anhängige Macht
vorhanden ist, welche die Aufgabe hat, eine vom Verstand
getroffene Entscheidung durchzuführen.
Ein Student, der von seinem jugendlichen
Temperament verlockt wird zu schlafen, zu essen, sich
auszuruhen, zu Ausschweifungen und zu Verspieltheiten, wird
jedoch auf Gebot seines berechnenden Verstandes – welcher ihn
einerseits auf die Folgen derartiger Dinge und zum anderen auf
das erfolgreiche, sich lohnende Ergebnis nach allen Mühen,
Schlaflosigkeiten und dem Verzicht auf alle Verlockungen und
Vergnügungen hinweist – im Hinblick auf den Nutzen die zweite
Möglichkeit wählen. In dieser Situation gibt der Mensch der
Aufforderung des Verstandes zugunsten des Nutzens den Vorzug,
nicht der Verlockung der Natur, dem Vergnügen. Ebenso wie der
Kranke eine Medizin verabscheut, weil ihm die Einnahme der
bitteren, schlecht schmeckenden Arznei unangenehm ist, wird er
auf Geheiß seiner Vernunft – welche an dem guten Resultat
interessiert ist – und bemächtigt durch seinen, den Begehren
überlegenen Willen, die bittere, schlecht schmeckende Medizin
schlucken. Je stärker Verstand und Willen ausgeprägt sind,
umso besser können sie die Natur, den Trieben zum Trotz,
beherrschen.
Bei seinen rationalen Handlungen verfolgt
der Mensch stets einen Plan, einen Entwurf, eine Theorie. Je
mehr sein Verstand und sein Willen entwickelt sind, umso mehr
werden seine vernunftbedingten Aktivitäten die sinnesbezogenen
überwiegen. Je ausgeprägter sein tierischer Horizont ist, umso
mehr werden seine genüsslichen Tätigkeiten die durchdachten
übertreffen, denn die Beschäftigungen des Tieres sind
ausschließlich genussbezogen. Bei dem Tier sind bisweilen
Unternehmungen zu beobachten, die entfernten Zielen und einem
späteren Nutzen dienlich sind, wie Nestbau, Umsiedlung,
Paarung und Vermehrung. Doch all dieses betreibt es unbewusst,
in Unkenntnis über das Ergebnis und ohne vorherige Überlegung,
wie und wodurch sein Ziel erreichbar wird, all dieses
geschieht infolge einer zwingenden Eingebung und auf Grund
seines ursprünglichen Instinktes.
Der Mensch dehnt den Bereich seiner
rationalen Tätigkeit so weit aus, dass auch die genüsslichen
Aktivitäten berücksichtigt bleiben. Das bedeutet, dass seine
Phasen so weit wie nur irgendwie möglich durchdacht und exakt
programmiert werden, um auch den Vergnügungen einen festen
Platz im Bereich der Zweckmäßigkeiten einzuräumen. Jedes
Vergnügen muss neben einem Genuss auch ein Nutzen sein, und
jede instinktive Handlung, welche die Erwiderung auf eine
natürliche Forderung ist, muss gleichzeitig auch dem Gebot der
Vernunft entsprechen. Wenn die rationalen Tätigkeiten die
Vergnüglichen beherrschen, wenn die Genuss spendenden
Beschäftigungen einen Teil im Gesamtplan und im umfassenden,
festgelegten Programmablauf des Lebens beinhalten, werden
Natur und Verstand, Verlangen und Willen miteinander
harmonieren. Da eine durch den Verstand diktierte Tätigkeit im
Hinblick auf eine Reihe von Zielen und Beabsichtigungen
geschieht, sind gewollt oder ungewollt, Plan, Programm,
Methode und Auswahl der Mittel notwendig, um einen
erfolgreichen Abschluss erreichen zu können. Soweit sie unter
einem persönlichen Aspekt durchgeführt werden. Das heißt, wenn
jemand für sich allein disponiert, wird dessen Verstand
planen, programmieren, theoretisieren und Methode, Weg und
Mittel bestimmen, selbstverständlich entsprechend seines
Wissens- und Informationsstandes, seines Urteilsvermögens und
gemäß seiner Ausbildung.
Jedoch, auch wenn angenommen die
vernunftdiktierten Aktivitäten des Menschen ihren höchsten
Entwicklungstand erreichen, heißt dieses jedoch nicht, dass
sie demzufolge auch humaner Art sind. Sein überlegtes Handeln
ist eine notwendige Vorrausetzung für seine Menschlichkeit, da
dieses zur Hälfte durch seinen Verstand, seine Erkenntnis,
sein Wissen und infolge seines Denkvermögens bestimmt wird,
doch ausreichend ist dieses nicht. Tun und Handeln sind dann
als menschlich zu bezeichnen, wenn sie außer durch Vernunft
und Willen auch von den hohen, menschlichen Neigungen bestimmt
werden oder zumindest nicht im Widerspruch dazu stehen.
Andernfalls könnte es die kriminellsten
Handlungen zur Folge haben, die bisweilen durch ausgeklügelte,
vorausberechnete Überlegungen, Planung und Theoretisierungen
zustande kommen. Die teuflischsten, imperialistischen Pläne
sind der beste Beweis für diese Behauptung. In der islamischen
Ausdrucksweise wird “Verstandeskraft“, die nicht im Einklang
steht zu humanen und religiösen Neigungen und nur für rein
materielle, tierische Absichten und Zwecke eingesetzt wird,
als hässlich, unannehmbar und als Teufelei bezeichnet. Der
Gedanke, dass eine rationale Aktivität nicht unbedingt
menschlich sein muss, sei jetzt dahingestellt, doch wenn sie
ausschließlich eine tierische Zielsetzung hat, ist sie weitaus
gefährlicher als eine (nicht rationale) lustvolle, tierische
Tätigkeit. Ein Tier, zum Beispiel, wird, um seinen Hunger zu
stillen, ein Tier oder einen Menschen angreifen, jedoch der
planende, berechende Mensch wird zu dem gleichen Zweck Städte
vernichten und Hunderttausende unschuldiger Menschen
verbrennen. Diese Betrachtung soll hierzu genügen.
Genügen denn die verstandesdiktierten
Vorhaben, um das Gesamtwohl des Einzelnen zu garantieren?
Anders formuliert: Ist der Verstand in der Lage, die
Interessen des Individuums berücksichtigen zu können? Dass
Verstandeskraft und Denkvermögen erforderlich und vorteilhaft
sind für einzelne, begrenzte Lebensfragen, steht außer
Diskussion. Der Mensch wird in seinem Leben immer wieder mit
Problemen konfrontiert, wie der Wahl seines Freundes, seiner
Studienfachrichtung, seines Ehegatten, seines Berufes,
bezüglich seiner Reisen, seines gesellschaftlichen Lebens, der
Art seiner Entspannung und seines Wohltätigkeitsengagements,
oder aber hinsichtlicht seiner Entscheidung für den Kampf
gegen Unrecht und Ungerechtigkeit.
Zweifelsohne ist zu all diesem sein
Überlegen, Nachdenken und Planen erforderlich, und je
gründlicher er überlegt, umso erfolgreicher wird er sein.
Mitunter wird auch zur Unterstützung die Überlegung anderer
ratsam sein – nach dem Grundsatz der Beratung. All diese
Vorhaben müssen geplant werden, um verwirklicht werden zu
können.
Wie verhält es sich nun bei dem
Gesamtplan? Ist der Mensch fähig, ein seine sämtlichen
Lebensprobleme umfassendes und all seinen persönlichen
Interessen entgegenkommendes Gesamtkonzept zu entwickeln? Oder
aber ist die menschliche Fähigkeit des überlegten Planes nur
auf einzelne Problembereiche beschränkt? Geht das Begreifen
der gesamten Lebensgewinne, welche das umfassende Glück
einschließen, über die Grenzen der Verstandeskraft hinaus?
Es ist uns bekannt, das einige
Philosophen von einer derartigen “Selbsteinschätzung“
überzeugt sind und behaupten, die Lösung für Glück und Leid
gefunden zu haben und mit dem festen Vertrauen auf Verstand
und Willen das “eigene Ich“ glücklich machen zu können.
Andererseits wissen wir auch, dass auf der ganzen Welt nicht
zwei Philosophen anzutreffen sind, die bezüglich des
Lösungsweges ein und derselben Meinung sind.
Selbst das Glück, dieses wesentliche und
endgültige Ziel, das dem ersten Anschein nach klar und
deutlich zu erklären ist, gehört zu den am meisten
verschwommenen Begriffen. Was bedeutet Glück? wie lässt es
sich bestimmen? Was heißt Unglück? Und was ist dessen Ursache?
Noch ist dieses alles unbekannt geblieben und wird deswegen
als eine unbekannte Größe behandelt. Warum?
Weil der Mensch selbst mit all seinen
Fähigkeiten und Möglichkeiten immer noch nicht erkannt worden
ist. Ist es denn möglich, dass das menschliche Glück – das,
was es ist und wie es erreicht wird – zu erkennen sei, aber
der Mensch selbst jedoch unerforscht bleibt?
Mehr noch gilt Folgendes: Der Mensch
stößt als soziales Wesen, aufgrund seines Lebens in der
Gemeinschaft auf tausenderlei Fragen und Schwierigkeiten, die
er zu lösen hat und Pflichten, die sich demzufolge für ihn
ergeben, zu erkennen hat.
Weil er ein soziales Geschöpf ist, stehen
sein Glück, seine Wünsche, die Kriterien seines Glücks und
Unglücks, seine Orientierung, sein Verhalten sowie die Wahl
seiner Verfahrensweise in enger Beziehung zu denen seiner
Mitmenschen. Er kann seinen Weg nicht unabhängig von der
Gemeinschaft gehen. Er muss sein Glück auf der großen
Hauptstraße suchen, auf welcher die Gesellschaft zu Glück und
Vervollkommnung gelangt.
Noch weitaus komplizierter erweist sich
die Frage in Bezug auf das ewige Leben der Seele und der mit
dem Verstand nicht vorstellbaren, ewigen Glückseeligkeit im
Jenseits, welche vollkommener ist als die des Erdendaseins. An
diesem Punkt wird das dringende Bedürfnis nach einer Lehre und
Ideologie sichtbar, das heißt, die Notwendigkeit des
Vorhandenseins einer umfassenden Theorie, eines alles
beinhaltenden Plans, dessen Hauptanliegen die Vervollkommnung
der Menschheit ist und die Methode bestimmt, der Kriterium ist
für das, was sein darf und was nicht sein darf, der Ziele und
Wege zeigt, der Bedürfnisse, Schmerzen und deren Heilung
berücksichtigt, der Pflichten und Aufgaben erkennbar macht und
der Impuls sein muss für das Verantwortungs- und
Pflichtbewusstsein des Einzelnen.
Der Mensch hat seit Anbeginn seiner
Erschaffung, spätestens aber von dem Zeitpunkt an, an dem
Wachstum und Ausdehnung des gesellschaftlichen Lebens zu einer
Reihe von Konflikten hingeführt haben, eine Ideologie – im
Sprachgebrauch des Heiligen Qur´an eine “Scharia“ (ein
Regelwerk) – benötigt.
So sehr die Zeit inzwischen auch vergangen ist und so sehr der
Mensch sich seither entwickelt und vervollkommnet haben mag,
ist dieses Bedürfnis stärker geworden.
In der Vergangenheit waren die
menschlichen Gesellschaften von dem Bestreben nach Blut-,
Rassen-, Volks- und Nationalzugehörigkeit erfüllt – sie wurden
von einem “gemeinsamen Geist“ beherrscht – auch wenn dieser
nicht menschlicher Art war, der ihnen Geschlossenheit und
Richtung verlieh. Derartige Bündnisbestrebungen wurden durch
die wissenschaftliche und vernunftdiktierte Entwicklung
abgeschwächt. Die Wissenschaft weist – gemäß ihres Charakters
– eine Tendenz zum Individuellen auf, sie entkräftet derartige
Interessen und macht sentimental begründete Bindungen haltlos.
Das, was dem heutigen Menschen – und mehr
noch dem Menschen von morgen – Einheit und Orientierung
verleiht, in ihm gemeinschaftliche Wünsche wachruft und ihm
Kriterium sein kann für das Gute und das Böse und das, was zu
tun und zu lassen ist, ist eine ausgewogene Art, eine Wünsche
erweckende, logische Lebensphilosophie, jetzt mehr denn je
zuvor; eine Philosophie, die in der Lage ist, in ihm das
Interesse für die Wahrheiten und Vorzüge hervorzurufen, die
über die seiner Persönlichkeit hinausgehen. Die Tatsache, dass
eine Lehre und Ideologie eine gesellschaftliche
Lebensnotwendigkeit darstellt, steht heute außer Frage.
Wer aber kann eine derartige Lehre
erstellen? Zweifelsohne reicht der Verstand eines einzelnen
dazu nicht aus. Wäre denn der gemeinschaftliche Verstand einer
Gesellschaft dazu fähig? Kann der Mensch unter Hinzuziehung
aller seiner Erfahrungen und Erkenntnisse aus der
Vergangenheit und Gegenwart derartiges festlegen?
Wenn wir den Menschen selbst als größte
Unbekannte betrachten, dann werden für uns vor allen Dingen
die menschliche Gesellschaft und deren Glück noch unbekannter.
Was ist also zu tun?
Nun, wenn wir Dasein und Schöpfung
richtig betrachten, wenn uns die Daseinsordnung als eine
ausgewogene Ordnung bewusst ist, wenn wir Leere und
Sinnlosigkeit aus dem Dasein verbannen, müssen wir zugeben,
dass das gewaltige Schöpfungssystem diese wichtigste aller
wichtigen Notwendigkeiten nichts unbeachtet ließ und in seiner
Allwissenheit, die höher ist als alle Vernunft – nämlich in
der Allwissenheit der Offenbarung – die Grundzüge dieser
Hauptbahn festgelegt hat, entsprechend dem Grundpfeiler des
Islam: Prophetentum. Alles wissenschaftliche und
weisheitsbedingte Geschehen bewegt sich innerhalb dieser
Hauptbahn.
Wie treffend bringt Avicenna (Ibn Sina)
in dem Buch “Erlösung“ das menschliche Bedürfnis nach der
göttlichen Gesetzgebung (bzw. Gesetzmäßigkeit), das durch
einen Menschen erklärt wird, zum Ausdruck, indem er schreibt:
„Das Vorhandensein eines Propheten und Erläuterers der
göttlichen Gesetzgebung (bzw. Gesetzmäßigkeit) sowie einer
menschlichen Ideologie ist demnach für die Existenz der
Menschheit und zur Erreichung ihrer vollkommenen
Menschlichkeit wichtiger als das Wachstum der Augenbrauen, die
nach innen gewölbten Form der Fußsohlen und andere derartige
sinnvolle Dinge, die dem menschlichen Geschlecht zwar nützlich
sind, jedoch für dessen Existenz keine zwingende Notwendigkeit
bedeuten. Wie könnte es möglich sein, dass die gewaltige
Schöpfungsordnung, die die kleinen, nebensächlichen Dinge
nicht unbeachtet ließ, die notwendigsten Belange vergäße?“
Doch falls wir einer realen
Betrachtungsweise bezüglich des Daseins und der Schöpfung
entbehren würden, müssten wir kapitulierend annehmen, dass der
Mensch zu Verwirrung und Verirrung verurteilt wäre, und jeder
Plan und jegliche Ideologie aus der Sicht eines so in dieser
grausamen, ungerechten Welt umherirrenden Menschen, nichts
weiter als Zeitvertreib und Verwirrung empfunden würde. Durch
die oben angeführte Darstellung, die die Notwendigkeit des
Vorhandenseins einer Lehre und Ideologie veranschaulicht, wird
auch das menschliche Bedürfnis nach der Zugehörigkeit zu einer
solchen verständlich. Aber das echte “sich anschließen“ an
eine Ideologie findet erst dann wirklich statt, wenn es im
Bewusstsein des “daran Glaubens“ erfolgt. Unter einem wahren
Glauben ist jener zu verstehen, der nicht unter Zwang oder
aufgrund eines daraus sich ergebenen Vorteils akzeptiert wird.
Durch Gewaltanwendung kann Kapitulation
oder Unterwerfung erreicht werden – eine Ideologie jedoch
fordert keine verstandlose Annahme, sie will Anerkennung und
Interesse, sie verlangt Überzeugung. Eine sinnvolle Lehre muss
einerseits auf einer Weltanschauung beruhen, welche den Geist
befriedigen und den Gedanken Nahrung geben kann, anderseits
muss sie logischerweise aus dieser Weltanschauung Ziele
herleiten, die reizvoll und interessant sind. Ist dieses
gegeben, kann in der Harmonie von Liebe und Befriedigung – den
beiden Grundelementen des Glaubens – die Welt gestaltet
werden.
An diesem Punkt tauchen einige Fragen
auf, die wir jetzt leider nur in Kürze besprechen können, auf
deren Details wir aber bei einer günstigen Gelegenheit
ausführlich eingehen wollen.