Mensch u. Glaube

Mensch und Glaube

Ayatollah Morteza Motahhari

Inhaltsverzeichnis

Lehre, Ideologie

Was bedeutet Lehre, Ideologie? Wie werden diese Begriffe definiert? Was veranlasst den Menschen, als Einzelperson oder als Mitglied einer Gemeinschaft, einer Lehre oder Ideologie anzugehören oder sich einem Glauben verbunden zu fühlen? Ist das Vorhandensein einer Ideologie für den Einzelnen oder die Gesellschaft erforderlich?

An dieser Stelle sind einige einleitende Worte angebracht. Der Mensch beschäftigt sich auf zweierlei Weise. Zum einen geschieht es um seines Vergnügens Willen, zum anderen auf Grund einer durchdachten Überlegung.

Die sein Vergnügen betreffenden Tätigkeiten sind die ganz simplen, schlichten, die der Mensch seinem Naturell oder Trieb entsprechend oder aber infolge einer Gewohnheit – seiner zweiten Natur – vollzieht, um sich zu erfreuen oder aber um einem Leid zu entrinnen. Beispielsweise wird er, wenn er durstig ist, versuchen, Wasser zu bekommen, beim Anblick eines wilden Tieres wird er davonlaufen oder aber, wenn er starkes Verlangen nach Speise hat, wird er sich etwas zu Essen besorgen. Diese Art Tätigkeiten stehen im Einklang zu seinem Verlangen und haben unmittelbaren Bezug zu Vergnügen oder Verdruss. Die Genuss bringenden Beschäftigungen üben eine starke Anziehung auf den Menschen aus, wohingegen er die Leidverursachenden weit von sich weist.

Aber die geplanten, durchdachten Aktivitäten sind von ihrer Art her nicht selbst anziehend oder anstoßend. Der Mensch wird nicht durch Natur und Instinkt motiviert diese Art Tätigkeiten durchzuführen oder von sich zu weisen, sondern sie werden auf Geheiß des Verstandes, des Willens und im Hinblick auf die Nützlichkeit, die sie versprechen, ausgeführt. Oder aber sie werden unterlassen, wenn der Verzicht auf sie sinnvoller erscheint.

Das heißt, bei ihnen ist die Zweckmäßigkeit – nicht das Vergnügen – der wahre Grund, die treibende Kraft und das Motiv. Der Naturtrieb ist bestimmend für den Genuss, der Verstand für den Nutzen, das Vergnügen ist die bewegende Kraft für den Wunsch, der Gewinn die bewegende Kraft für den Willen. Bei einer genussvollen Tätigkeit vergnügt sich der Mensch, bei einer nutzbringenden jedoch nicht, hier befriedigt ihn der Gedanke, dass er durch sie dem Endgewinn näher kommt, welcher ihm eine glückliche, erfreuliche und ausgewogene Zukunft verheißt.

Wir unterscheiden zwischen den angenehmen, erquicklichen Handlungen und denen, die unangenehm, bisweilen sogar mühsam und qualvoll sind, obwohl sie vom Menschen bejahend und zufrieden erduldet werden. Da bei den Profit versprechenden Aktivitäten der Erfolg erst in der Zukunft erreichbar wird, werden sie nicht als angenehm und vergnüglich bezeichnet, sondern als befriedigend. Freude und Leid begleiten Mensch und Tier. Jedoch Billigung und Zufriedenheit oder aber Ekel und Unzufriedenheit werden nur vom Menschen empfunden. Derartige Empfindungen gehören, ebenso wie das Wünschen, zu den spezifisch menschlichen Eigenschaften. Zustimmung, Abscheu und Wunsch liegen im Bereich des menschlichen Verstandes und seiner Gedanken und nicht in dem seiner Sinne und physischen Wahrnehmungen.

Wir erwähnten, dass die geplanten, durchdachten Handlungen des Menschen Kraft seines Verstandes und Willens stattfinden, im Gegensatz zu den genüsslichen Beschäftigungen, welche aufgrund seiner Sinne und seiner Lust vollzogen werden.

Der Ausdruck “durch den Verstand durchführen“ besagt, dass infolge der Verstandeskraft etwas Gutes, Abgeschlossenes und Erfreuliches, das nicht in weiter Ferne liegt, vorausberechnet und zur Erreichung dessen ein Weg – der manchmal recht beschwerlich sein kann – gefunden und geplant werden muss. Und “mit dem Willen ausführen“ bedeutet, dass im Menschen eine von der Vernunft anhängige Macht vorhanden ist, welche die Aufgabe hat, eine vom Verstand getroffene Entscheidung durchzuführen.

Ein Student, der von seinem jugendlichen Temperament verlockt wird zu schlafen, zu essen, sich auszuruhen, zu Ausschweifungen und zu Verspieltheiten, wird jedoch auf Gebot seines berechnenden Verstandes – welcher ihn einerseits auf die Folgen derartiger Dinge und zum anderen auf das erfolgreiche, sich lohnende Ergebnis nach allen Mühen, Schlaflosigkeiten und dem Verzicht auf alle Ver­lockun­gen und Vergnügungen hinweist – im Hinblick auf den Nutzen die zweite Möglichkeit wählen. In dieser Situation gibt der Mensch der Aufforderung des Verstandes zugunsten des Nutzens den Vorzug, nicht der Verlockung der Natur, dem Vergnügen. Ebenso wie der Kranke eine Medizin verabscheut, weil ihm die Einnahme der bitteren, schlecht schmeckenden Arznei unangenehm ist, wird er auf Geheiß seiner Vernunft – welche an dem guten Resultat interessiert ist – und bemächtigt durch seinen, den Begehren überlegenen Willen, die bittere, schlecht schmeckende Medizin schlucken. Je stärker Verstand und Willen ausgeprägt sind, umso besser können sie die Natur, den Trieben zum Trotz, beherrschen.

Bei seinen rationalen Handlungen verfolgt der Mensch stets einen Plan, einen Entwurf, eine Theorie. Je mehr sein Verstand und sein Willen entwickelt sind, umso mehr werden seine vernunftbedingten Aktivitäten die sinnesbezogenen überwiegen. Je ausgeprägter sein tierischer Horizont ist, umso mehr werden seine genüsslichen Tätigkeiten die durchdachten übertreffen, denn die Beschäftigungen des Tieres sind ausschließlich genussbezogen. Bei dem Tier sind bisweilen Unternehmungen zu beobachten, die entfernten Zielen und einem späteren Nutzen dienlich sind, wie Nestbau, Umsiedlung, Paarung und Vermehrung. Doch all dieses betreibt es unbewusst, in Unkenntnis über das Ergebnis und ohne vorherige Überlegung, wie und wodurch sein Ziel erreichbar wird, all dieses geschieht infolge einer zwingenden Eingebung und auf Grund seines ursprünglichen Instinktes.

Der Mensch dehnt den Bereich seiner rationalen Tätigkeit so weit aus, dass auch die genüsslichen Aktivitäten berücksichtigt bleiben. Das bedeutet, dass seine Phasen so weit wie nur irgendwie möglich durchdacht und exakt programmiert werden, um auch den Vergnügungen einen festen Platz im Bereich der Zweckmäßigkeiten einzuräumen. Jedes Vergnügen muss neben einem Genuss auch ein Nutzen sein, und jede instinktive Handlung, welche die Erwiderung auf eine natürliche Forderung ist, muss gleichzeitig auch dem Gebot der Vernunft entsprechen. Wenn die rationalen Tätigkeiten die Vergnüglichen beherrschen, wenn die Genuss spendenden Beschäftigungen einen Teil im Gesamtplan und im umfassenden, festgelegten Programmablauf des Lebens beinhalten, werden Natur und Verstand, Verlangen und Willen miteinander harmonieren. Da eine durch den Verstand diktierte Tätigkeit im Hinblick auf eine Reihe von Zielen und Beabsichtigungen geschieht, sind gewollt oder ungewollt, Plan, Programm, Methode und Auswahl der Mittel notwendig, um einen erfolgreichen Abschluss erreichen zu können. Soweit sie unter einem persönlichen Aspekt durchgeführt werden. Das heißt, wenn jemand für sich allein disponiert, wird dessen Verstand planen, programmieren, theoretisieren und Methode, Weg und Mittel bestimmen, selbstverständlich entsprechend seines Wissens- und Informationsstandes, seines Urteilsvermögens und gemäß seiner Ausbildung.

Jedoch, auch wenn angenommen die vernunftdiktierten Aktivitäten des Menschen ihren höchsten Entwicklungstand erreichen, heißt dieses jedoch nicht, dass sie demzufolge auch humaner Art sind. Sein überlegtes Handeln ist eine notwendige Vorrausetzung für seine Menschlichkeit, da dieses zur Hälfte durch seinen Verstand, seine Erkenntnis, sein Wissen und infolge seines Denkvermögens bestimmt wird, doch ausreichend ist dieses nicht. Tun und Handeln sind dann als menschlich zu bezeichnen, wenn sie außer durch Vernunft und Willen auch von den hohen, menschlichen Neigungen bestimmt werden oder zumindest nicht im Widerspruch dazu stehen.

Andernfalls könnte es die kriminellsten Handlungen zur Folge haben, die bisweilen durch ausgeklügelte, vorausberechnete Überlegungen, Planung und Theoretisierungen zustande kommen. Die teuflischsten, imperialistischen Pläne sind der beste Beweis für diese Behauptung. In der islamischen Ausdrucksweise wird “Verstandeskraft“, die nicht im Einklang steht zu humanen und religiösen Neigungen und nur für rein materielle, tierische Absichten und Zwecke eingesetzt wird, als hässlich, unannehmbar und als Teufelei bezeichnet. Der Gedanke, dass eine rationale Aktivität nicht unbedingt menschlich sein muss, sei jetzt dahingestellt, doch wenn sie ausschließlich eine tierische Zielsetzung hat, ist sie weitaus gefährlicher als eine (nicht rationale) lustvolle, tierische Tätigkeit. Ein Tier, zum Beispiel, wird, um seinen Hunger zu stillen, ein Tier oder einen Menschen angreifen, jedoch der planende, berechende Mensch wird zu dem gleichen Zweck Städte vernichten und Hunderttausende unschuldiger Menschen verbrennen. Diese Betrachtung soll hierzu genügen.

Genügen denn die verstandesdiktierten Vorhaben, um das Gesamtwohl des Einzelnen zu garantieren? Anders formuliert: Ist der Verstand in der Lage, die Interessen des Individuums berücksichtigen zu können? Dass Verstandeskraft und Denkvermögen erforderlich und vorteilhaft sind für einzelne, begrenzte Lebensfragen, steht außer Diskussion. Der Mensch wird in seinem Leben immer wieder mit Problemen konfrontiert, wie der Wahl seines Freundes, seiner Studienfachrichtung, seines Ehegatten, seines Berufes, bezüglich seiner Reisen, seines gesellschaftlichen Lebens, der Art seiner Entspannung und seines Wohltätigkeitsengagements, oder aber hinsichtlicht seiner Entscheidung für den Kampf gegen Unrecht und Ungerechtigkeit.

Zweifelsohne ist zu all diesem sein Überlegen, Nachdenken und Planen erforderlich, und je gründlicher er überlegt, umso erfolgreicher wird er sein. Mitunter wird auch zur Unterstützung die Überlegung anderer ratsam sein – nach dem Grundsatz der Beratung. All diese Vorhaben müssen geplant werden, um verwirklicht werden zu können.

Wie verhält es sich nun bei dem Gesamtplan? Ist der Mensch fähig, ein seine sämtlichen Lebensprobleme umfassendes und all seinen persönlichen Interessen entgegenkommendes Gesamtkonzept zu entwickeln? Oder aber ist die menschliche Fähigkeit des überlegten Planes nur auf einzelne Problembereiche beschränkt? Geht das Begreifen der gesamten Lebensgewinne, welche das umfassende Glück einschließen, über die Grenzen der Verstandeskraft hinaus?

Es ist uns bekannt, das einige Philosophen von einer derartigen “Selbsteinschätzung“ überzeugt sind und behaupten, die Lösung für Glück und Leid gefunden zu haben und mit dem festen Vertrauen auf Verstand und Willen das “eigene Ich“ glücklich machen zu können. Andererseits wissen wir auch, dass auf der ganzen Welt nicht zwei Philosophen anzutreffen sind, die bezüglich des Lösungsweges ein und derselben Meinung sind.

Selbst das Glück, dieses wesentliche und endgültige Ziel, das dem ersten Anschein nach klar und deutlich zu erklären ist, gehört zu den am meisten verschwommenen Begriffen. Was bedeutet Glück? wie lässt es sich bestimmen? Was heißt Unglück? Und was ist dessen Ursache? Noch ist dieses alles unbekannt geblieben und wird deswegen als eine unbekannte Größe behandelt. Warum?

Weil der Mensch selbst mit all seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten immer noch nicht erkannt worden ist. Ist es denn möglich, dass das menschliche Glück – das, was es ist und wie es erreicht wird – zu erkennen sei, aber der Mensch selbst jedoch unerforscht bleibt?

Mehr noch gilt Folgendes: Der Mensch stößt als soziales Wesen, aufgrund seines Lebens in der Gemeinschaft auf tausenderlei Fragen und Schwierigkeiten, die er zu lösen hat und Pflichten, die sich demzufolge für ihn ergeben, zu erkennen hat.

Weil er ein soziales Geschöpf ist, stehen sein Glück, seine Wünsche, die Kriterien seines Glücks und Unglücks, seine Orientierung, sein Verhalten sowie die Wahl seiner Verfahrensweise in enger Beziehung zu denen seiner Mitmenschen. Er kann seinen Weg nicht unabhängig von der Gemeinschaft gehen. Er muss sein Glück auf der großen Hauptstraße suchen, auf welcher die Gesellschaft zu Glück und Vervollkommnung gelangt.

Noch weitaus komplizierter erweist sich die Frage in Bezug auf das ewige Leben der Seele und der mit dem Verstand nicht vorstellbaren, ewigen Glückseeligkeit im Jenseits, welche vollkommener ist als die des Erdendaseins. An diesem Punkt wird das dringende Bedürfnis nach einer Lehre und Ideologie sichtbar, das heißt, die Notwendigkeit des Vorhandenseins einer umfassenden Theorie, eines alles beinhaltenden Plans, dessen Hauptanliegen die Vervollkommnung der Menschheit ist und die Methode bestimmt, der Kriterium ist für das, was sein darf und was nicht sein darf, der Ziele und Wege zeigt, der Bedürfnisse, Schmerzen und deren Heilung berücksichtigt, der Pflichten und Aufgaben erkennbar macht und der Impuls sein muss für das Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein des Einzelnen.

Der Mensch hat seit Anbeginn seiner Erschaffung, spätestens aber von dem Zeitpunkt an, an dem Wachstum und Ausdehnung des gesellschaftlichen Lebens zu einer Reihe von Konflikten hingeführt haben, eine Ideologie – im Sprachgebrauch des Heiligen Qur´an eine “Scharia“ (ein Regelwerk) – benötigt.[1] So sehr die Zeit inzwischen auch vergangen ist und so sehr der Mensch sich seither entwickelt und vervollkommnet haben mag, ist dieses Bedürfnis stärker geworden.

In der Vergangenheit waren die menschlichen Gesellschaften von dem Bestreben nach Blut-, Rassen-, Volks- und Nationalzugehörigkeit erfüllt – sie wurden von einem “gemeinsamen Geist“ beherrscht – auch wenn dieser nicht menschlicher Art war, der ihnen Geschlossenheit und Richtung verlieh. Derartige Bündnisbestrebungen wurden durch die wissenschaftliche und vernunftdiktierte Entwicklung abgeschwächt. Die Wissenschaft weist – gemäß ihres Charakters – eine Tendenz zum Individuellen auf, sie entkräftet derartige Interessen und macht sentimental begründete Bindungen haltlos.

Das, was dem heutigen Menschen – und mehr noch dem Menschen von morgen – Einheit und Orientierung verleiht, in ihm gemeinschaftliche Wünsche wachruft und ihm Kriterium sein kann für das Gute und das Böse und das, was zu tun und zu lassen ist, ist eine ausgewogene Art, eine Wünsche erweckende, logische Lebensphilosophie, jetzt mehr denn je zuvor; eine Philosophie, die in der Lage ist, in ihm das Interesse für die Wahrheiten und Vorzüge hervorzurufen, die über die seiner Persönlichkeit hinausgehen. Die Tatsache, dass eine Lehre und Ideologie eine gesellschaftliche Lebensnotwendigkeit darstellt, steht heute außer Frage.

Wer aber kann eine derartige Lehre erstellen? Zweifelsohne reicht der Verstand eines einzelnen dazu nicht aus. Wäre denn der gemeinschaftliche Verstand einer Gesellschaft dazu fähig? Kann der Mensch unter Hinzuziehung aller seiner Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Vergangenheit und Gegenwart derartiges festlegen?

Wenn wir den Menschen selbst als größte Unbekannte betrachten, dann werden für uns vor allen Dingen die menschliche Gesellschaft und deren Glück noch unbekannter. Was ist also zu tun?

Nun, wenn wir Dasein und Schöpfung richtig betrachten, wenn uns die Daseinsordnung als eine ausgewogene Ordnung bewusst ist, wenn wir Leere und Sinnlosigkeit aus dem Dasein verbannen, müssen wir zugeben, dass das gewaltige Schöpfungssystem diese wichtigste aller wichtigen Notwendigkeiten nichts unbeachtet ließ und in seiner Allwissenheit, die höher ist als alle Vernunft – nämlich in der Allwissenheit der Offenbarung – die Grundzüge dieser Hauptbahn festgelegt hat, entsprechend dem Grundpfeiler des Islam: Prophetentum. Alles wissenschaftliche und weisheitsbedingte Geschehen bewegt sich innerhalb dieser Hauptbahn.

Wie treffend bringt Avicenna (Ibn Sina) in dem Buch “Erlösung“ das menschliche Bedürfnis nach der göttlichen Gesetzgebung (bzw. Gesetzmäßigkeit), das durch einen Menschen erklärt wird, zum Ausdruck, indem er schreibt: „Das Vorhandensein eines Propheten und Erläuterers der göttlichen Gesetzgebung (bzw. Gesetzmäßigkeit) sowie einer menschlichen Ideologie ist demnach für die Existenz der Menschheit und zur Erreichung ihrer vollkommenen Menschlichkeit wichtiger als das Wachstum der Augenbrauen, die nach innen gewölbten Form der Fußsohlen und andere derartige sinnvolle Dinge, die dem menschlichen Geschlecht zwar nützlich sind, jedoch für dessen Existenz keine zwingende Notwendigkeit bedeuten. Wie könnte es möglich sein, dass die gewaltige Schöpfungsordnung, die die kleinen, nebensächlichen Dinge nicht unbeachtet ließ, die notwendigsten Belange vergäße?“

Doch falls wir einer realen Betrachtungsweise bezüglich des Daseins und der Schöpfung entbehren würden, müssten wir kapitulierend annehmen, dass der Mensch zu Verwirrung und Verirrung verurteilt wäre, und jeder Plan und jegliche Ideologie aus der Sicht eines so in dieser grausamen, ungerechten Welt umherirrenden Menschen, nichts weiter als Zeitvertreib und Verwirrung empfunden würde. Durch die oben angeführte Darstellung, die die Notwendigkeit des Vorhandenseins einer Lehre und Ideologie veranschaulicht, wird auch das menschliche Bedürfnis nach der Zugehörigkeit zu einer solchen verständlich. Aber das echte “sich anschließen“ an eine Ide­ologie findet erst dann wirklich statt, wenn es im Bewusstsein des “daran Glaubens“ erfolgt. Unter einem wahren Glauben ist jener zu verstehen, der nicht unter Zwang oder aufgrund eines daraus sich ergebenen Vorteils akzeptiert wird.

Durch Gewaltanwendung kann Kapitulation oder Unterwerfung erreicht werden – eine Ideologie jedoch fordert keine verstandlose Annahme, sie will Anerkennung und Interesse, sie verlangt Überzeugung. Eine sinnvolle Lehre muss einerseits auf einer Weltanschauung beruhen, welche den Geist befriedigen und den Gedanken Nahrung geben kann, anderseits muss sie logischerweise aus dieser Weltanschauung Ziele herleiten, die reizvoll und interessant sind. Ist dieses gegeben, kann in der Harmonie von Liebe und Befriedigung – den beiden Grundelementen des Glaubens – die Welt gestaltet werden.

An diesem Punkt tauchen einige Fragen auf, die wir jetzt leider nur in Kürze besprechen können, auf deren Details wir aber bei einer günstigen Gelegenheit ausführlich eingehen wollen.

[1] Den Versen des heiligen Qur´an nach ist gemäß Allama Tabatabai zu folgern, dass diese Konflikte und diese Bedürfnisse seit der Zeit des Propheten Noah (a.) vorhanden sind. Die Propheten vor ihm waren nicht im Besitze eines religiösen islamischen Gesetzes (Fußnote auch im Original vorhanden).

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