Rückert

Rückerts Gedichte über den Islam

mit ausführlichen Erläuterungen von

Yavuz Özoguz

Inhaltsverzeichnis

Die Thronentsagung

Muawiya, der Sohn von Abu Sufyan ist der vom zweiten Kalifen eingesetzte Gouverneur in der von Damaskus aus verwalteten Provinz Schaam. Mit eigenen Ambitionen auf das Kalifat entfachte er die ersten innerislamsiechen Kriege gegen den ersten Imam Ali ibn Abu Talib (a.) und war maßgeblich an der Ermordung des zweiten Imams Hasan (a.) beteiligt. Auch brach er den Friedenvertrag, den er mit Imam Hasan (a.) geschlossen hatte und setzte entgegen der Vereinbarung seinen Sohn als Kalifen ein, was dann zu der Tragödie von Aschura in Kerbela führte, als Imam Hussain (a.), der dritte Imam, mit seinen Getreuen massakriert wurde. Yazids Sohn Muawiya II. schämte sich der Schandtaten und Verbrechen seines Vaters und Großvaters und wollte es wieder gut machen, was ihm seine machthungrigen Verwandten nicht verziehen haben und ihn entmachteten, um die Macht zu behalten. Einen Monat nach seinem erzwungen Rücktritt starb er. Rückert gibt die Geschichte sehr verniedlichend wieder.

 

 

Moawia der zweite,

Des ersten Enkel, war

Des Reiches überdrüssig,

Und zählt’ erst zwanzig Jahr.

 

Als ihm das Reich geworden,

Befragt’ er zweifelsvoll,

Almaksus[1], seinen Lehrer,

Ob er’s annehmen soll?

 

Ja! Sprach darauf der Lehrer:

Sofern du stark genug

Dich fühlst, gerecht zu walten,

Zu schirmen Recht und Ruf.

 

Doch wenn du hast empfunden,

Dass dir die Kraft gebricht,

So bist du nicht verbunden,

Ja bist berechtigt nicht. –

 

„Wie soll ich es empfinden,

Versuch’ ich’s nicht vorher?“

Doch als er es sechs Wochen

Versucht, fand er’s zu schwer.

 

Da rief er alle Fürsten,

Moawia’s Geschlecht,

In ihre Hand zu legen

Das angestammte Recht.

 

Sie sprachen: Wir gehorchen

Dir selbst, und wenn du auch

Befiehlst; erwähle deinen

Nachfolger nach Gebrauch!

 

Wo nicht, so wähle Männer

Drei oder fünf, die dann

Durch Wahl entscheiden oder

Durchs Los den Folgemann.

 

Er aber sprach: Ich sehe,

Dass jeder unter euch

Ist tüchtiger zu herrschen,

Und sind’ euch alle gleich.

 

Wie mir die Kräfte fehlen

Zu herrschen, fehlet mir

Die Einsicht auch zu wählen;

Wählt selbst und herrschet ihr!

 

Nichts Süßes von der Herrschaft

Hab’ ich geschmeckt bis jetzt,

Und will von ihr dies Bittre

Nicht schmecken noch zuletzt. –

 

Da ging er in die Kammer,

Und schloss sich ein im Haus,

Und kam, solang er lebte,

Auch gar nicht mehr heraus.

 

Sie ließen still ihn leben,

Er lebte nicht mehr lang;

Doch rächten sie’s am Lehrer,

Von dem der Rath entsprang.

 

Lebendig, sagt man, gruben

Sie ihn zur Strafe ein,

Weil er verführt den Fürsten

Lebendig tot zu sein.

 

Darauf erwählt ward Merwan[2]

Von königlichem Blut,

Der hatte andern Lehrer

Und hatte andern Mut.

[1] Umar al-Maqsus war ein Lehrer von Muawiya (II.) ibn Yazid, dem vorgeworfen wurde, die Gedanken von Muawiya II. verwirrt zu haben, wofür er 699 n.Chr. hingerichtet wurde.

[2] Marwan ibn al-Hakam war ein berüchtigter Gewaltherrscher, der bereits vorher an der Abschlachtung zahlreicher Muslime und im Kampf gegen die Familie des Propheten (s.) beteiligt war.

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